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Aus der Versuchsreihe b folgt nach Gl. 2 die Normal spannung der am stärksten gezogenen Fasern beim Bruche 100 486 • 4 g , 2 = 2700 k g- 12 ’^ 4 Hiernach erweist sich die aufgrund der Sätze der Bie- gungslelire ermittelte gröfste Zugspannung beim Bruche für ein und dasselbe Gusseisen fast doppelt so grofs, als die Zugspannung, welche beim Zerreifsen des Stabes vorhanden ist. Der auf Biegung beanspruchte Stab trägt also fast doppelt soviel als die Gleichung ,,r & M= (Ti ei erwarten lässt, wenn wir für Oi, wie es die Biegungslehre folgerichtig wollen muss, die Zugfestigkeit des Materiales ein führen. Sofort erhebt sich die Frage: Deutet dieser Unterschied nicht darauf hin, dass die Voraussetzungen, welche die Bie gungslehre bei der Entwicklung ihrer Gleichungen macht, un genügend zutreffen? Und im Anschluss hieran entsteht der Zweifel: Ist es richtig, in die Gleichung zur Ermittlung der Abmessungen eines auf Biegung in Anspruch genommenen Körpers als zulässige Anstrengung des Materiales Werte ein- zufiihren, welche aus den Ergebnissen von Z u g versuchen ab geleitet wurden? Im allgemeinen half man sich rasch über diese Unge wissheit hinweg, indem folgende Erwägung als mafsgebend betrachtet wurde. Die Gleichungen der Biegungslehre seien auf grund des Elastizitätsgesetzes entwickelt, infolge dessen seien sie nur richtig innerhalb der Elastizitätsgrenze; ihre Anwendung auf den Bruch sei deshalb nicht statthaft und müsse zu unrich tigen Ergebnissen führen. Es könne nicht die Absicht sein, einen Träger so zu konstruiren, dass seine Vorzüge erst im Augenblick des Bruches zur Geltung gelangen; sondern man wolle den Träger nie stärker belasten, als es die Erhaltung der vollkommenen Elastizität der Fasern erlaube. Dement sprechend sei davon auszugehen, dass die Inanspruchnahme des Materiales in der am stärksten gezogenen Faser inner halb der Elastizitätsgrenze gegenüber Zug und in der am stärksten gepressten Faser innerhalb der Elastizitätsgrenze gegenüber Druck bleibe 1 )- Als zulässige Anstrengung des Materiales sei hiernach zu nehmen ein Bruchteil der Spannung bezw. Pressung, welche der Elastizitätsgrenze entspricht. ') In der Konstruktionslehre für den Maschinenbau von Moll und Reuleaux, Braunschweig 1859 bis 62, heilst es gegenüber den bekannten, zn den bezeichneten Zweifeln anregenden Ergebnissen der von Hodgkinson vor reichlich einem halben Jahrhundert an- gestellten Versuche mit gusseisernen Trägern, S. 65: »Da es nicht die Absicht sein kann, einen Träger so zu konstruiren, dass seine Vorzüge erst im Augenblicke des Bruches zur Geltung kommen, sondern man den Träger nie stärker belasten will, als es die Er haltung der vollkommenen Elastizität der Fasern erlaubt, so kann es nicht zweifelhaft sein« usw. In demjenigen Abschnitt der »Konstruktionslehre«, welcher die für den Maschinenbau wichtigsten Gleichungen aus der Festigkeits lehre giebt, wird der Bezug auf die Elastizitätsgrenze als der einzig richtige für die Zwecke des Maschinenbaues durch geführt. Wegen dieser Eigentümlichkeit wurde dieser Abschnitt (vergl. Vorwort S. IX) in besonderem Abdruck bereits 1S54 ver öffentlicht. (Die Festigkeit der Materialien, namentlich des Guss- und Schmiedeisens, Braunschweig.) In der Arbeit: Höhere Ingenieurwissenschaften, Theorie der eisernen Träger mit Doppelflanschen, von A. H. Klose, Hannover 18G2, findet sich in § 27 gegenüber den Hodgkinson’schen Versuchen die Aeufserung: »Bei tragenden Konstruktionen ist es niemals die Absicht, einen Konstruktionsteil zu brechen oder auch nur dem Bruche nahe zu bringen; vielmehr beabsichtigt man, die sogenannte Elastizitätsgrenze des Materiales nicht zu überschreiten; hieraus folgt aber, dass ein solcher Träger ganz anders konstruirt sein muss, als ein anderer, der den gröfsten Widerstand gegen Bruch leisten soll.« Wir wollen diese Erwägung etwas schärfer ins Auge fassen. Mafsgebend soll sein die Elastizitätsgrenze. Was wird unter Elastizitätsgrenze verstanden ? Soll es die Spannung sein, bis zu welcher die Dehnungen bezw. Zusammendrückun gen proportional den Spannungen sind ? Oder soll es diejenige Spannung sein, über welche hinaus bleibende Formänderungen eintreten, während für unterhalb dieser Grenze bleibende Spannungen der Körper wieder vollständig in seinen ursprüng lichen Zustand zurückkehrt, sobald die äufseren Kräfte auf hören zu wirken ? Hinsichtlich der ersteren, von Fairbairn herrührenden Auffassung ist festzustellen, dass bei Gusseisen Propor tionalität zwischen Spannungen und Dehnungen überhaupt nicht besteht, selbst nicht angenähert. Die Dehnungen nehmen stärker zu als die Spannungen, infolge dessen der Elastizitätsmodul mit wachsender Spannung sich vermindern muss (vergl. Z. 1887 S. 222; auch wird später noch auf die Veränderlichkeit des Elastizitätsmoduls einzugehen sein). Wenn also Proportionalität zwischen Spannungen und Dehnungen überhaupt nicht besteht, so kann auch eine Grenze dieser Proportionalität nicht vorhanden sein. Was sodann die andere, ältere und wohl verbreitetste Auffassung anbetrifft, welche innerhalb der in Frage stehen den Grenze vollkommene Elastizität voraussetzt und mit der jenigen der unten genannten Autoren übereinstimmt 1 ), so ist darauf hinzuweisen, dass die meisten Körper schon bei ver- hältnismäfsig sehr kleinen Beanspruchungen bleibende Form änderungen erfahren, so dass die derart bestimmte Elastizi tätsgrenze bei Verwendung genügend weit reichender Mess instrumente oder genügend langer Probestäbe an Null heran rückt. Von den üblichen Konstruktionsmaterialien des Ma schinenbaues ist es nur sehr harter Stahl, wie er z. B. für Werkzeuge benutzt wird, bei dem die bleibenden Formände rungen anfangs so klein sind, dass sie mit den heute ver wendeten Messinstrumenten nicht bestimmt werden können. Ganz besonders früh aber stellen sich bei auf Biegung be anspruchten Gusseisen körpern bleibende Formänderun gen ein. Greifen wir aus einer gröfseren Anzahl von Versuchen, welche ich in dieser Richtung mit verschiedenen Querschnitts formen angestellt habe, und die sämmtlich den soeben aus gesprochenen Satz bestetigen, den folgenden heraus. Flachstab von Gusseisen, gehobelt. Breite 30,o mm, Höhe 90,o mm, Länge 1050 mm; der Stab wird nach Mafsgabe der Fig. 2 auf Biegung beansprucht. Entfernung der Auflagestützen l = 1000 mm. Reuleaux sagt in der neuesten Auflage des »Konstrukteur« (1882) S. 24: »Die Elastizitätsgrenze wird in einem gebogenen Stabe auf Zug- und Druckseite einzeln erreicht, wenn die dort eintrotende Spannung © gleich dem betreffenden Tragmodul wird«, d. h. nach S. 1 des Werkes gleich der Spannung, welche der Elastizitätsgrenze entspricht. »Man darf daher für © nie einen so grofsen Wert ein- setzen, dass auf einer der beiden Seiten der Tragmodul überschritten würde. Diese Bedingung wird bei zweiachsig symmetrischem Quer schnitt erfüllt, wenn man für @ den durch die Sicherheit divi- dirten kleineren Tragmodul setzt, bei Gusseisen also die Sicherheit stets auf den Zugmodul bezieht.« Hiernach wird also empfohlen, als zulässige Anstrengung des Materiales einen Bruchteil des Tragmodules zu nehmen, dessen Gröfse der Sicherheitskoeffizient bestimmt. Für den Zugtragmodul des Gusseisens giebt Reuleaux 750 kg und für den Drucktragmodul 1500 kg/qcm. Demgemäß werden dann S. 25 für gusseiserne Träger als »Querschnitte von gleicher Festigkeit« solche Querschnitte empfohlen, bei welchen die oben be zeichneten Faserabstände ei und in dem Verhältnisse Ci : C2 — 1 : 2 stehen. 0 »Die Grenze, bis zu der eine Faser über den Normalzustand hinaus verlängert werden darf, ohne ihre vollkommene Elastizität zu verlieren, nennen wir die Elastizitätsgrenze der Verlänge rung, und im Gegensätze dazu die Grenze, bis zu welcher eine Faser unter den Normalzustand verkürzt werden darf, ohne ihre vollkommene Elastizität einzubüfsen, die Elastizitätsgrenze der Verkürzung.« (Moll und Reuleaux, Konstruktionslehre für den Maschinenbau S. 3.)