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i 786 - - U - - M' ß )X Anthropologische und psychologische Studien. In Nr. 58 de- Leipziger Tageblattes hat ein gewisser 1ä. 8. in Bezug auf die jetzt gebräuchliche Zeit des Mittagseffens einige ganz vernünftige Ideen unter dem Scheffel der Verborgenheit hervorge zogen und zur allgemeinen Beschauung an da- Licht des Tages gestellt. Es ist Alles ganz richtig: waS und wie viel wir essen solen ist schon seit Aeskulaps Zeiten oft und gründlich von Aerzten und Nichtärzten erörtert, beleuchtet und eben sowohl sachwiffen- schaftlich als populär faßlich dargestellt worden; nicht aber das eben so wichtige: wann sollen wir essen. Daher, Herr ü. 8., war es von Ihnen ein ganz glücklicher Einfall, diese letztgenannte Frage einer öffentlichen Besprechung zu unterwerfen und bei der Gelegen heit zum Umsturz eine- veralteten Gebrauchs aufzumuntern. Sie haben, wenn auch nicht mit Gründlichkeit, aber — was weit schä'tzenswerther ist — recht eindringlich in gedachtem Artikel auf die Uebelstände und Unannehmlichkeiten, die das j tzige Mittagsessen zwischen 12 und 1 Uhr in geschäftlicher und physischer Beziehung mir sich führt, aufmerksam gemacht und darauf h.«gewiesen, welche Vortheile und Annehmlichkeiten eS bieten würde, wenn der größere Theil der Geschäftswelt sich zu einer Verlegung diese- Essens in die Stunde von 5 bis 6 Uhr verstünde. Gewiß glaube ich, daß ich nicht in den Fehler der Uebertreibung gefallen bin, wenn ich die Summe derjenigen, welche die von Ihnen geäußerten Ansichten in Bezug auf letztgenannte Reform theilen, in hiesiger Stadt zu einigen Tausenden veranschlage; aber eben so wenig denke ich zu irren, wenn ich die Gegenpartei, die auf dem alten Rechte ihres Magen- beharren wird, wenn auch der Zahl nach nicht gleichbe deutend, an Macht aber mindesten- noch einmal so stark annehme. Ich will, um diese Annahmen zu beweisen, mir nicht mit Auf stellung von Prämissen und Hypothesen den Kovf warm machen, nein, ich habe mir vorgenommen, die Anhänger der neubackenen Umsturzpartei mit einigen auserwählten Exemplaren ihrer Gegner bekannt zu machen. Man . verachte sie nicht im Voraus — das thut nimmer gut — sondern zolle ihnen die verdiente Aufmerksam keit, denn eS sind Männer, die sämmtlich, dick oder dünn, ins Ge wicht fallen, weil ihre Taschen mit auf die Waage gebracht werden. Zunächst, meine Herren Umsturzmänner, will ich Ihnen einen von jenen Männern zeigen, der, wie Falstaff, seit zehn Jahren sich seine Knie nicht mehr hat besehen können und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Blicke jedesmal auf seiner Weste liegen blieben. Sein Bau ist ohne Ecke, seine Glieder weich und wollig anzu fühlen und sein Leib ein Fettderg. Er gehört zur blasse der „Wohl beleibten", deren Studium der Speisezettel, deren Kunst das Essen und deren Nachdenken eine gute Verdauung ist. Die Seele dieses Eßkünstlers steckt im Magen, und ihn zu zwingen, andere Gewohnheiten anzunehmen, hieße eben so viel, als ihm eine andere Religion aufzwingen zu wollen. Er scheert sich wenig um Eure Reformen und seinetwegen könnt Ihr zu allen Teufeln damit gehen. Er hat Zeit, sein Mittagsessen nicht blos auf die Stunde zwischen 12 und 1 Uhr zu beschränken, sondern dasselbe in eine angenehme Länge ziehen, um die Verdauung in wohlthätiger Ruhe abwarten zu können. Eure angegebenen Neuerungen paffen weder in seine Constitution, noch in seine Leibe-pflege; sein Bauch ist ein geord neter, gut gediehener Staat, der in seinen Grundvesten erschüttert würde, wolltet Ihr bei ihm dergleichen Reformen einführen. Das hergebrachte Doppelfrühstück, das Mittags- und zweimalige Abend essen sind fünf Steifen, welche den Globus halten und die Ihr nicht ohne Gefahr wechseln dürft. Ihr sagt, da« Verlegen des Mittagseffens von 12 bis 1 Uhr auf 5 bis 6 Uhr wäre der Ge sundheit zuträglich und trüge zur Kiffern Verdauung bei. Dieser Herr ist bei dem jetzigen Gebrauche fett geworden, er hat einen respektabel« Bauch, über dessen gefällige Rundung er wie über ein wohl erworbene- Prädikat hinwegschauen kann. Erwartet von ihm allen Widerstand; er wird auf feinem alten Gebrauche sitzen blei ben und Eurer Bequemlichkeit halber sich wahrlich in dcr seinigen nicht stören lassen. Dies, meine Herren, ist ein Exemplar Ihrer Gegner, und hier bringe ich Ihnen ein zweites, da- sich von dem ersteren wesentlich unterscheidet. Sie vermissen bei ihm den starken Leib, das fleischige Antlitz und die runden Glieder; doch sein Leben ist zäh wie da« eines Katers. Alle seine Lhätigkeit ist nach dem Chronometer ab gemessen und seine verschiedenen Lebensfunctionen verrichtet er mit derseldei^Regelmäßigkeit, wir Sonne, Mond und Steme ihren Lauf an^kmmel. Ehe er sich zu Tische setzt, sicht er nach der Uhr, und fühlt er Hunger, so weiß er was die Glocke geschlagen hat. Sein Körper -leicht einer regelmäßig laufenden Maschine, die aber nur dadurch in ihrem regelmäßigen Tange erhalten wird, daß man sie zu ganz bestimmter Stunde aufzieht, oder da- schmierende Oel zur rechten Zeit in ihre Gelenke und Lager träufelt. Kein Maschinenmeister mag es wagen, in diese siälig treibenden Räder zu greifen, er muß befürchten, daß die gut in einander geleierten Theile ganz ins Stocken gerathen, oder daß fortwährend daran zu repariren und zu flicken ist. UedrigenS ist die Sache ganz natür lich. ein Magen, der seit 50 oder 60 Jahren gewöhnt ist, Mit tag- 12 oder 1 Uhr sein Geschäft zu eröffnen, wird sich auf seine alten Tage nicht noch allerlei Neuerungen darin unterwerfen. Und weshalb und wofür denn? Damit ihr jungen Leute nach 5 Uhr Nachmittag- eure Ruhe habt? Damit ihr bei Zeiten inS Theater laufen und die Damen in Muße lorgnettiren könnt? Damit ihr zu Vorbereitung zu Bällen, Conccrten und Thee's einige Stunden mehr gewinnt, um die Haare zu frisiren und den Bart zu drehen? Ihr sagt, ihr wollt euch ernsten und anhaltenden Studien hin geben ; ihr wollt euch für euren Stand würdig vor- und zubereiten. Diese Versicherung hilft euch bei diesem Menschenkenner und Eis- kopf nicht viel. Eure anhaltenden Studien — wird er sagen — bestehen in d-r Lektüre von Romanen und Novellen, eure ernsten im Auskundschaften der besten Biere und der hübschesten Mädchen, eure würdige Vorbereitung zu eurem zukünftigen Beruf und Stand im Anzetteln und Ausfuhren dummer Streiche. Nimmer wird er daher in die von euch beabsichtigten Reformen willigen, denn er ist bei der altherkömmlichen Essenszeit alt geworden und ist gesund dabei geblieben. Fügt euch seinen Gewohnheiten, denn er ist euer Principal, eure Gegenwart und Zukunft hängt mehr oder weniger von ihm ab. Laßt euch immerhin eure Zeit zersplittern, da ihr nach seiner Meinung doch die gewonnenen Stunden mit <Ulerlri schädlichen Bocksprüngen und Purzelbäumen verbringen möchtet, und sprecht nicht mehr von jenen Reformen, da ec dies als Aufforderung zu Hochverrath unfehlbar betrachten würde. Noch habe ich einen dritten Gegner vorzuführen. Ich will ihn nicht beschreiben, sondern einmal selbst über die vorgeschlagenen Aenderungen sprechen lassen. Junge Menschen, sagt er, die sich wohl befinden und die, wie ein alter Spruch sagt, der Hafer sticht, streben nach Neuerungen und tasten an Allem herum, sobald sie merken, daß man ihnen nicht auf die Finger klopft. Die Geschichte lehrt dies hinlänglich; vor einigen Jahren griffen sie unbefugter Weise in die Staats maschine und fitzt, nachdem ihnen die Finger kaum heil geworden, vergreifen sie sich gar an Einrichtungen, die sich au- einer Zeit herschreiben, wo unsere Väter noch mit den Bärenhäuten in den Wäldern herumlüfen. Ob sie Recht haben mit ihren neuen Ideen, ob eS in geschäftlicher Beziehung besser wäre, zwischen 5 und 6, als zwischen 1 und 2 Uhr Hauptmahlzeit zu halten, darauf kommt es jetzt gar nicht an, sie sollen und müssen Unrecht behalten, daS ist die Hauptsache. Giebt man ihnen hierin nach, so schaffen sie noch den Tag zur Nacht um; denn giebt man dem Teufel nur einen Finger, so nimmt er zuletzt die ganze Hand. Junge Leute — und von diesen geht das ganze erwähnte Projekt au« — muffe« die Zügel öfter fühlen und sich an Gehorsam gewöhnen. Als wir jung waren — und daS war gewiß eine schönere Zeit als die jetzige — hätten wir nicht mit solchen unreifen Ideen kommen sollen, man hätte uns tüchtig abgeführt; aber die j tzige Jugend erlaubt sich in der That viel, und es ist an der Zeit, daß man ihr den nöthigen Einhalt thut. Wir haben unS weder ernsten, noch anhaltende« Studien hingegeben, aber wir wußten unserm Geschäft vorzustehen und wurden dabei behäbige Leute. Es ist daher wohl kaum noch ein Wort darüber zu verlieren, daß eS in Bezug auf die MittagS- mahlzeit beim Alten bleibt, daß von 8 bi« 12 und von 1 bis 7 Uhr gearbeitet und zwischen 1 und 2 Uhr gegessen wird. So spricht der dritte Gegner und schließt sich somit seinen be reits erwähnten College» in Bekämpfung der neuaufgetauchten Idee an. Alle drei repräsentiren eine Partei, die wie eine feste Klippe allen heranstürmenden Wogen der neuerungslustigen Jugend trotzig widerstehen wird. Sie läßt sich aus ihrer festen Stellung weder wegphklosophiren, noch wegspotten; sie ergänzt sich auf der einen Seite, sobald sie auf der andern einen Theil ihre- Inhalts verloren hat. Es ist jenen Gegnern um so weniger beizukommen, al- sie die Kraft eines schweren Geldbeutels besitzen und die sichere Stühe der Unabhängigkeit. Wo ihr Geschmack regkett, muß auch der Ver stand schweigen, und ihre Gewohnheiten sind unumstößlich« Gesetze, deren Dauer und Festigkeit sie von Niemandem sich untergraben lassen. Ist ihre Zahl auch geringer, als die der Reformfreunde, so ist doch ihr Einfluß stärker, und es wird wohl deshalb in Bezug auf die Zeit de- Mittagseffens vor der Hand beim Alten ver-