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4403 dem er nach 9 Uhr seinem alten, treuen Bundesgenossen, dem Könige von Sachsen, einen Abschiedsbesuch gemacht und ihn noch im letzten Moment über den eigentlichen Stand der Dinge getäuscht hatte. Schon näherte sich der Kampf immer mehr den innern Thoren, die Straßen der Stadt waren mit den Massen der abziehenden Armee gefüllt, Napoleon konnte weder aus dem innern Rannstädter Thore, noch aus dem Barfußpsörtchen kommen ; aus dem PeterS- thore gelangt, mußte er, wegen der nahen drängenden Gefahr, ebenfalls umkehren und nach dem Rannstädter Thore zurückreiten, wobei ihm seine Adjutanten und Escorte oft mit Klingenhieben Bahn durch daS Gewühl brechen mußten. Ueder eine Stunde gebrauchte er, um den kurzen Weg zurückzulegen. Endlich hatte er die freie Straße gewonnen und ritt bis über die Schanzen von Lindenau hinaus, wo er in der Mühle bis 3 Uhr auf Macdonald und Poniatowski wartete. Ecsterer kam endlich ganz durchnäßt, da er sich durch den Fluß gerettet hatte, an und brachte die Nachricht von der stattgefundenen Katastrovhe. Die Elsterdrücke war nämlich durch den dort postirten französi- si'schen Sappeurcorporal in die Luft gesprengt worden, als noch die ganze Lrrieregarde im Gefecht war. Er hatte die Weisung dazu gehabt, sobald sich der Feind in der Nähe zeigen würde. Nun waren aber russische Jäger, von Sacken's Eorps, über die Pleiße in das Rosenthal eingedrungen, hatten den Steg beim JacobS- hospital, statt dessen ein französischer Ofsicier aus Mißverständniß eine andere Brücke zerstört harte, unversehrt gefunden, und waren über denselben bis an den Mühlgraben, der den Rannstädter Stein weg (jetzt Frankfurter Straße) durchfließt, gekommen, wo sie sogleich auf die ganz nahe vorüberstlömende Menschenmaffe ein wirksames Feuer eröffneten. Der Sappeurcorporal kam also nur seiner In struction nach, als er zündete: ivn trifft die Schuld der Verant wortung für das große Unglück nicht. Der Eindruck dieses Ereignisses, als eS bekannt wurde, brach jede Energie zum ferner» Widerstande; Alles stürzte dem Flusse zu, der unglücklicherweise hoch geschwollen war. Macdonald durch schwamm ihn mit dem Pferde; Fürst Poniatowski, dessen Truppen- reste sich in die Gärten links der Pleiße geworfen hatten, kam, zum dritten Male seit dem 14. Oktober verwundet, zu ihnen, zog den Säbel und setzte mit den Worten: „Hier ist eS, wo man mit Ehren unterliegen muß!" in einen der „Diedsgräben", sein Pferd konnte sich nicht durch den Morast arbeiten, er sprang ad, erreichte mit Hülfe seiner Umgebung sehr erschöpft den jenseitigen Rand, bestieg ein anderes, ihm angebotenes Pferd, und jagte durch den Richter'schen Garten der Elster zu. Preußische Tirailleurs waren schon von allen Seiten eingedrungen, er spornte sein Pferd zum Sprunge in den Fluß, wo die Wellen über ihm zusammen schlugen. Mehre Officiere, die ihm folgten, ertranken ebenfalls. Erst am 24. Oktober wurde seine Leiche gefunden, am 26. mit allen militärischen Ehren beigesetzt und später nach Warschau in die Familiengruft abgeführt, wo sein Oheim, der letzte König von Polen ruht. Hätte ihm Napoleon früher dessen Krone gegeben, es wäre für Beide wohl besser gekommen. Der Marschallstab, den er ihm am 15. Oct. verlieh (nicht erst am 16 ) — welch ein Ersatz dafür! Die Stadt war nach Ueberwältigung der innern Thore, wo noch heftig gekämpft wurde, erobert; Tausende von Flüchtigen er tranken im Flusse, wurden darin erschossen oder in den Gärten gefangen. Noch dauerte das Gefecht am Ranstädter Thore fort, als die Monarchen ihren Einzug hielten. Der Kronprinz von Schweden war vor ihnen in die Stadt gelangt und hatte dem König von Sachsen seine Aufwartung gemacht, vor dessen Woh nung Bennigsen bereits russische Truppen zum Schutz ausgestellt hatte. Tausendstimmiger Jubel, Wehen von Tüchern und Blumen regen begrüßte die einziehenden Sieger, welche zwar bei der Woh nung des Königs von Sachsen vorbeiritten, aber — man hat gemeint, weil er ihnen nicht auf die Straße entgegengekommen! — ein per sönliches Zusammentreffen mit ihm vermieden und ihren Weg durch die ihnen zujauchzende Stadt fortsehten. Noch an demselben Abend erhielt der unglückliche Monarch ein Schreiben deS Kaisers von Ruß land, welches keinen Zweifel mehr ließ, daß er für kriegSgefangen erklärt sei. Am 23. reiste er mit russischer Begleitung, von 60 Ko saken unter Oberst Brendel escortirt, nach Berlin ab. Wir folgen ihm so wenig als dem geschlagenen Kaiser der Franzosen und dem siegreichen Heere der Verbündeten. Der Zweck dieser Blätter ist erfüllt. Es bleibt nur noch übrig, die beiderseitigen Verluste dieser mehrtägigen Riesenschlacht anzugeben, welche sich freilich nur an näherungsweise bestimmen lassen. Ein bewährter Schriftsteller, Oberst Aster, der die verschiedenen Angaben kritisch zu ermitteln versucht hat, schätzt auf französischer Seite 38,000 Mann an Tobten und Verwundeten, 30,000 an Gefangenen, zusammen 68,000 Mann; den der Verbündeten auf ungefähr 48,000 Mann, wobei 20 000 Rus sen, 14,000 Oesterreicher, 14,000 Preußen und kaum 100 Schweden. DaS war die Völkerschlacht bei Leipzig, an welthistorischer Be deutung von keiner andern erreicht; Deutschlands Befreiung bis zum Rhein war ihre nächste Folge, Napoleons Sturz ihr unaus bleibliche- Resultat. Nach dieser erhebenden Wahrheit wollen wir unsere Lese? zum Schlüsse nicht mit dem betrübenden Bilde des Elends und aller Schrecknisse deS Kriegs, welche in diesen Octobertagen Leipzig und seine Umgegend getroffen haben, belästigen. Es ist von Augen zeugen in mancher trefflichen Schrift mit brennenden Farben, der Wahrheit getreu, für die Nachwelt aufvcwahrt worden. Und noch war es ein Glück für Leipzig, daß dies Ungewitter nur kurze Zeit über seinen blühenden Fluren stand, daß es zwar mit seinen Wet- terschlägen eine grauenhafte Verheerung, aber keine Vernichtung herbeiführte, wie eS wohl der Fall gewesen wäre, wenn Napoleon hier, von seinem Rückzuge abgeschnitten, einen Verzweiflungskampf auf Tod und Leben hätte bestehen müssen. Indessen war das Unheil entsetzlich genug. 29 Dörfer werden aufgezählt, welche theils ganz in Asche verwandelt worden sind, theils durch Brandschaden bedeutend gelitten haben ; die Einwohner waren fast zu Grunde ge richtet, da sich die Heeresmassen in der Gegend von ihnen erhal ten mußten. Und welche Entbehrungen haben diese dennoch bek der Unmöglichkeit, hinreichende Lebensmittel zu schaffen, gelitten, wie viele Soldaten sind vor Mangel und Hunger gestorben! Die Feldfluren waren verwüstet; vierzehn Tage gehörten dazu, die ge fallenen Menschen und Pferde zu begraben, all die Trümmer fort zuschaffen. In der Stadt selbst, welche verhältnißmäßiq noch am wenigsten gelitten hatte, brachen überdies verheerende Nervenfieber aus — doch wir wollen uns mit diesen wenigen Andeutungen be gnügen. Seitdem hat sich.Stadt und Land wieder schnell erholt, Leipzig ist reicher, blühender als zuvor, seine Bedeutung hat durch neuere Conjuncturen zugenommen, aber eben diese, vor allem das Netz der deutschen Eisenbahnen, bewahren ihm mit seiner Gegend auch für die Zukunft das verbängnißvolle Loos, immer wieder der Schau platz zu sein, auf welchem Kriege, die das sächsische Land hekm- suchen, unabwendbar ausgekämpft werden müssen. Dresden wird aus ähnlichen Ursachen dasselbe Schicksal haben. WaS aber auch die Zukunft bringen möge, vor Einem bewahre uns und unsere Nachkommen die Gnade des Himmels, vor der unseligen Spaltung deutscher Fürsten und Völker wiederum in zwei feindliche Feldlager! Nur Deutschlands festes Zusammenhalten kann es verhüten, daß je wieder die Fremden ihre Kriege auf deutschem Boden, mit deutschem Mark und Herzblut schlagen Vertrauen wir denn auf die siegreiche Gewalt dieser Wahrheit! . „Wieder eine Apotheke mehr in Leipzig", sagte ein Arzt auf dem Lande, als er jüngst im Leipziger Tage blatt- die „Gymnastik für Damen" angezeigt fand, „und zwar", fügte er hinzu, „eine Apotheke, wie wir sie auf dem Lande und selbst in kleinen Städten selten zu Stande bringen." In der That heißt es gar oft: „Machen Sie sich Bewegung, viel Be wegung ; nur Bewegung kann Sie von dem immer wiederkehrenden Uebel heilen", aber wie weit reicht daS bloße Gehen, diese Be wegung der von Jugend auf geübten und dadurch für den übrigen Körper fast unwirksam gewordenen Gehmuskeln! Wie wenig im Vergleich mit dem ganzen Körper wird durch bloßes Gehen in Bewegung gesetzt, und so giebt es von Zwanzig verschiedenen Ge brechen und Leiden, durch welche gerade das weibliche Ge schlecht heimgesucht wird, und für welche überhaupt Be wegung empfohlen wird, vielleicht Fünfzehn, welche nicht durch Gehen allein — und selbst wenn man marschiren wollte — son dern nur durch Gymnastik gründlich geheilt werden können. Uebrigens empfiehlt sich diese Gelegenheit zu gymnastischen Uebungen in hohem Grade dadurch den Damen, daß eine er probte Turnlek re rin — nicht ein Lehrer — diese Uebungen leitet und baß sich der Turnsaal mitten in der Stadt befindet. D. F. G.