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Leipziger Tageblatt und Anzeiger. * i ^ 282. Dienstag den 9. Oktober. 1855. Bekanntmachung. Das lebensgroße Portrait Sr. Majestät deS Königs, welches für die in unserem RathSsaale befindliche Samm lung der Bildnisse der Regenten Sachsens von Herrn Gönne in Dresden in unserem Aufträge gemalt worden ist, soll von morgen an zunächst einige Zeit hindurch im städtischen Kunst-Museum ausgestellt werden. Leipzig, den 8. October 1855. ' Der Nkath der Stadt Leipzig. Koch. * » Von den Herren Präsidenten der letzten Ständeversammlung, als deren Mitglieder, zur Förderund deS in dem Auf rufe an das Sächsische Volk angestrebten Zweckes der Begründung eines großen Nationaldenkmals für nuferen ver klärten König Friedrich August II. aufgefordert, erklären wir uns gern bereit, Beiträge, auch die geringsten, hierzu,anzunehmen, und ersuchen alle Diejenigen, welche solche in unsere Hand legen wollen, dieselben in der Raths- Stiftungs-Buchhalterei — Rathhaus, 1. Etage —, woselbst Subscriptionsbogen ausgelegt find, abzugeben. Leipzig, den 8. October 1855. Bürgermeister Otto Koch. Stadtrath Otto Grüner. Zweites Abonnement-Loncert nn Saale des Gewandhauses. Da- zweite Concert eröffnen eine der anmuthigsten und liebens würdigsten Schöpfungen H a y d n -, eine Symphonie in 6 äur, auf welche^ die Arie de- SextuS au- „Titus" von Mozart (8 äur mit obligater Clarinette) folgte. Frau von Holdorp bewährte sich von Neuem beim Vorträge der Arie als eine talentvolle, tüchtig gebildete und sehr verständige Sängerin. Die Stimmmittel der Frau v. Holdorp waren diesmal viel freier als bet ihrem ersten Auftreten, wenn sich auch im Allgemeinen daS bestätigte, wa- Referent im ersten Concertb^icht über dieselben sagte. Die Concert- Direction hat in Frau von Holdorp jedenfalls eine glückliche Akquisition gemacht und eS ist nicht zu bezweifeln, daß die schätzenS- werche Sängerin sich auch für die Folge in der Gunst deS Publi cum- h-lten wird. Zu bemerken ist noch, daß Herr Landgraf die dankbare Clarinettenpartie in der Mozsrtfchen Arie vorzüglich wledergab. — Einen starken Contrast gegen die beiden genannten Tonwerke der klassischen Zeit bildete da- unmittelbar auf sie folgende neue Clavier-Concert von Unton Rubin st ein, da- der Com- pontst selbst vorführte. Ob man wohl daran gethan, so heterogene Musikstücke neben einander zu stellen, möchte ich bezweifeln. Biel, sehr viel verlangt ist e- jedenfalls, daß der Hörer sich so ohne alle Vermittelung plötzlich in eine ganz andere Sphäre und Epoche der Entwickelung der Tonkunst versetzen soll. Da- Concert von Ru bin stein steht vollständig auf dem Boden der Neuzeit, eS gehört entschieden der neuromantischen Richtung an, ohne sich jedoch zum Nachtheil der eigenen Ursprünglichkeit zu sehr an die Koryphäen dieser in den letzten Decennien so entschieden zur Geltung gekom menen Strömung anzulehnen. Gelbst die Gegner von Werken dieser Art werden unserem Componisten eine große ursprüngliche Schaffenskraft, mit einem Worte ein mehr al- gewöhnliche- Talent nicht adsprechen können. Er hat seine Begabung bereits mit den beiden in voriger Saison hier aufgeführten größeren Werken dar- gethan und auch diese- neue Concert giebt dafür glänzend« Belege. Es ist schwer. Über ein so großes und imponirendes Werk, dessen AusfÜhnmg i» Orchester übrigens keineswegs eine durchaus tadel lose war, nach einmaligem Höre« ei« erschöpfendes Unheil zu geben ; Referent kann sich daher nur auf einzelne Bemerkungen beschränken. Um von den mir ausgefallenen Mängeln zu sprechen, so scheint mir auch in diesem Concert der Componist seiner Phan tasie die Zügel etwa- zu sehr schießen zu lassen und dadurch wird die Musik oft zu wild und durch da- Zuviel erdrückend. Ich bin weit entfernt, einem urkräftigen Genie jene bedächtige Wohl- anständigkeit secundärer Talente zuzumuthm, die sich auch nicht die kleinste Sünde gegen die Tradition zu erlauben pflegen; bei Rubinstein tritt der reißende Strom der Gedanken und Em pfindungen aber oft zu sehr über, eS geht ihm mit einem Worte bisweilen noch die Abklärung ab, er ist mit der Form und Ge- . staltung-weise, deren sein Genie bedarf, noch nicht ganz fertig. Am meisten zeigte sich das in dem ersten und dritten Satze de- ConcerteS, die mich für meinen Theil wohl im höchsten Grade interessier, oft selbst hingerissen und entzückt haben, im Ganzen > jedoch den Eindruck hinterließen, den der Anblick de- wüst und regellos tobenden Meere- verursacht. Ruhiger und klarer, deshalb zugänglicher und verständlicher ist der langsame Mittelsatz, der auch auf da- Publicum am meisten und sogar sehr entschieden wirkte. Trotz dieser Ausstellung halte ich da- Concert für ein ganz bedeutende- Werk, da- abermal- für den hohen künstlerischen Beruf seine- Componisten spricht, dem jedenfalls noch eine große Zukunft brvorsteht. Ein starker Anklang an da- Hauptmotiv de- Vorspiel- zum dritten Act in R. Wagner- „Lohengrin" — wie er sich im ersten Satze und am Schluffe geltend machte — sii nur vorüber gehend erwähnt. Daß Rubinstetn die Princlpalpartie mit vollendeter Virtuosität vortrug, versteht sich bei einem solchen Künstler von selbst. Eben so schön und dem Geiste de- Tonstücks entsprechend spielte er die Pianofortestimme in Gade'S „FrühltngS- Phantasie". Letztere-, im zweiten Theile zu Gehör gebrachtes Werk wurde sehr tüchtig wiederaegeben. Die GesangSpartien waren in den Händen der Frau v. Holdorp, Frau Dreyschock und der Herr« Schneider und Behr. Die Ausführung der Sym phonie von Haydn und der Ouvertüren zu „Elisa? von Cheru bin i und zu „Ruy-BlaS" von Mendelssohn war wie gewöhnlich eine vorzügliche. Ferdinand Gleich.