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1886 aus mächtigen Strömungen der Geschmacksrichtung im großen Publicum. So sehen wir zeitwcise künstlerische Einwirkung von außerordentlichen Erfolgen beglcilrt dem veredelten Kunstgewerbe großartigen Aufschwung verleihen und neue Absatzgebiete eröffnen, während eben so berechtigte und künstlerisch gediegene Reform bestrebungen an anderer Stelle völlig wirkungslos bleiben und die größten Verirrungen des Geschmacks die Production völlig beherr schen. Die Klagen über diese Zustände bedürfen keiner Wieder holung, sie sind, so berechtigt im Allgemeinen, doch in vielen Beziehungen völlig nutzlos, da das ganze Verhältniß des modernen Culturlebens zu den Grundbedingungen einer durchgehenden Blüthe bildender Kunst ein vielfach ungünstiges ist und auf dem Felde des öffentlichen Lebens namentlich an eine Verwirklichung künst lerischer Ideale vor der Hand gar nicht gedacht werden kann. Alle Versuche zur Förderung künstlerischer Interessen auf gewerb lichem Gebiete werden von der Erkenntniß der Thatsache aus- aehen müssen, daß für das Verständniß künstlerisch veredelter Formen da- Publicum in vielen Beziehungen erst vorbereitet wer den muß, und daß das Haupthindernis für diese Bestrebungen in dem gegenwärtigen Mangel eines einheitlichen Stils der bildenden Kunst (wie ihn alle Perioden der Vergangenheit bis zum Beginn unseres Jahrhunderts besessen haben) begründet ist Auf Grund dieser Erkenntniß wird man den Wirkungskreis des künstlerischen Einflusses auf diejenigen Gebiete beschränken, deren Wesen eine erfolgreiche Verbindung ästhetischer Forderungen und praktischen Bedürfnisses in Aussicht stellt und wird andere In dustriezweige zunächst unberücksichtigt lassen, bis der langsam im Volke sich weiter verbreitende Sinn des Kunstverständnisses als mitwirkende Macht zur Besiegung alt eingewurzelter Vorurtheile auftritt. ES ist sehr schwer, das richtige Verhältniß zwischen der aus öffentlichen Mitteln vom Staate oder der Gemeinde dem Kunstgewerbe zu widmenden Förderung und der Selbsthülfe, welche die gesund entwickelte Industrie sich selbst erzeigen muß. die richtige Grenzlinie zu ziehen. Es scheint ans den ersten Blick nur wün schenswert!», daß die Ausbildung in der Kunst, ebenso wie in der Wissenschaft, durch die öffentliche Unterstützung allen Kreisen zu gänglich gemacht werde. Man hat denn auch aller Orten jetzt Kunstakademien, Kunstschulen und Kunstgewerbschulen in ziemlicher Anzahl begründet. Allein für das Kunstgewerbe sind die erwarte ten segensreichen Folgen noch nicht daraus erwachsen. Namentlich in England und Belgien haben die mit großen Mitteln ins Leben gerufenen Kunstschulen für die Industrie sich meist als verfehlte Unternehmungen herauSgestellt, wie denn auch kürzlich eine in Berlin gegründete Dessinateurschule aus Mangel an allem Erfolg eingegangen ist. Alle diese Schulen nämlich batten gleichsam ein mittleres Ziel vor Augen: sie wollten weder Künstler im eigent lichen Sinne, noch bloße Handwerker oder Musterzeichner, sondern Gewerbtreibende mit künstlerischer Bildung heranziehen und es stellte sich heraus, daß die Schüler auf den Gebieten des höheren Kunstgewerbes nicht mit den künstlerisch gebildeten Architekten, auf den niederen Kunstindustriezweigen nicht mit den einseitig auf ihr Fach gerichteten Dessinateurs concurriren konnten. Man hatte übersehen, daß das Princip der Arbeit St Heilung — so be dauerlich gerade für das Kunstgewerbe in vielen Dingen sein Einfluß sich äußern mag — für unsere Zeit von maßgebender Bedeutung ist und daß man die Erfüllung der gesteigerten Forde rungen, welche jetzt die hohe Stufe der Kunst wie der Technik an den Arbeiter stellt, nur in seltenen Fällen von einer Person er warten kann. Viel vortheilhafter hat deshalb der nebensächlich betriebene Kunstunterricht an den Schulen gewirkt, deren Haupt aufgabe die technische Bildung ist und eine wesentliche allgemeine Förderung der Kunstinduftrie auf dem Wege des Unterrichts hat gegenwärtig bei der Hebung und Verbesserung des Elementar- zeichenunterrichtS zu beginnen, für welchen freilich sehr wenig befähiate Lehrkräfte aus den Kunstakademien hervorgehen. Die Umgestaltung der letzteren mit Rücksicht auf die Förderung des kunstgewerblichen Unterrichts bedarf besonderer eingehender Unter suchung; die Erfahrungen dieses Jahrhunderts haben übrigens gezeigt, daß der Kunst selbst die größte Förderung nicht durch die Akademien, sondern durch große Kunstunternedmungen (Monu mentalbauten mit plastischer und malerischer Ausschmückung) zu Theil wird, aus denen zugleich für das höhere Kunstgewerbe die wirksamsten Anregungen hervorgehen. — Neben diesen beiden Richtungen allgemeiner Kunstförderung durch Schulen und große Aufgaben besteht die dritte in der Bildung von kunstgewerblichen Sammlungen und Ausstellungen und sie wird auf die dankbarste Benutzung wie auf die direktesten Erfolge rechnen können. Wäh rend die Ausstellungen Gelegenheit geben, den Standpunct der lebenden Industrie zu überblicken und die Ausbildung der ein zelnen Zweige zu vergleichen, überhaupt die Verhältnisse des Ver kehr-, der Concurrenz, der Absatzgebiete kennen zu lernen, dienen die Museen für Kunstindustrie dazu, den Formenreichthum der Vergangenheit für die Gegenwart nutzbar zu machen und sind in diesem Sinne gleich werthvoll für den Künstler, welcher für kunstgewerbliche Zwecke arbeitet, für den Techniker, dem eine künst lerische Bildung am Herzen liegt und endlich für das Publicum, dessen Geschmack sich an dem Ueberblick gediegener Leistungen au- verschiedetten Kunststilen bildet. BorauSzusetzen ist hierbei! daß die Organisation solcher Sammlungen von künstlerisches sichtSpuncien ausgehe, d. h. in der Auswahl und Anordm Kunstgegenstände oder Nachbildungen alles Gewicht auf diu heit der Formen und ihre geschichtliche Entwickelung gelegt damit nicht der verneinende Eindruck einer Raritatensauu wie ihn namentlich die früher so beliebten fürstlichen Kuvsto ;ewährten, oder das Interesse am Altertümlichen die künf Leite solcher Sammlungen unterdrücke. Als treffliche solcher Sammlungen sind das South Kensington Muse London, das Oesterreichische Museum für Kunst und Indus Wien zu erwähnen: beide in ihrer Wirksamkeit unterstützt! Vorträge und Veröffentlichung von guten und billigen Vor dern, in deren verbreiteter Benutzung eines der alle lichsten FörderungSmittel der modernen Kunstindustrie beruht! von der preußischen Regierung unter Schinkel'S Leitung tete Sammlung von „Vorbildern für Fabrikanten und werter ' war von großem Einfluß auf die Blüthe der preu namentlich der Berliner Industrie; ein erfreuliches Zeichen Gegenwart liegt aber darin, daß derartige Sammlungen wärtig ohne Staatshülfe ins Leben zu treten vermögen Kunstgewerbe selbst genügenden Absatz finden, um sich als rr, buchhändlerische Unternehmungen darzustellen. England und reich sind in der Herstellung von größeren Prachtwerken Gebietes, deren Inhalt durch Photographie und Farbendr Feinheiten von Formen und Stoffen der Originale Wiede uns voraus. (Der Vortragende legt ein Exemplar der Vr, ok Ornament von Owen Jones, 100 Tafeln in Farbendrucks haltend, vor.) Deutschland besitzt dagegen ein durch seine Ged» heit und Wohlfeilheit gleich werthvolles periodische- Unternrj in der „Gewerbehalle", Organ des Fortschrittes, heraus^ von W. BLumer und I. Schnorr, Verlag von W. Eng in Stuttgart, deren erschienene zwei Jahrgänge der Gest zur Prüfung vorliegen. Zu dem billigen Preis von erscheint allmonatlich ein Heft groß Octav mit 15 — 20 vo lichen Holzschnitten nebst Text und Beilagebogen größten für Details in natürlicher Größe. Das Unternehmen gehl dem richtigen Grundsätze aus, hauptsächlich auf dem Gebie architektur-verwandten Kunstgewerbes zu wirken und hier thecks eine Geschichte der Ornamentik m mustergiltigen Beij aus den wichtigsten Stilen (namentlich griechisch- und rS antcker, mittelalterlicher und orientalischer Ornamentformei geben, andererseits moderne (meist wirklich ausgeführte) gewerbliche Entwürfe zu veröffentlichen, während theoretische! raS Kunstverständniß zu fördern bestimmt sind und 1e Notizen über Maschinen, Werkzeuge, Recepte rc. jeder beigefügt werden. Der Inhalt de- Blattes umfaßt demnach,! denjenigen Ornamenten, deren einfache Grundformen Am in verschiedenen Stoffen gestatten, architektonische Einzelheit« kleinere Bauentwürfe (Gartenhäuser, Lauben, Brunnen, Gra Thore u. s. w.), ferner alle zur Wohnungseinrichtung Arbeiten der Bautischlerei und -Schlosserei (Thüren, Fch Gitter, Beschläge u. s. w.), der Meubeltischlerei, de- DecorationsmalerS und Töpfers. In zweiter Linie berück werden die Leistungen der Gefäßbildnerei, sowie die Goldsck arbeiten und Geräthschaften in Metall, Holz, Horn und Elf cs finden sich Zeichnungen für Schmucksachen, Becher, Eßgeräth, Waffen und Kurzwaaren aller Art; nur in Anzahl sind daneben Muster für Weberei und Tapetendr aebm, während die Kattundruckerei, Spitzen- und Weiß» Industrie, überhaupt das Gebiet der Modeartikel mit Recht! geschlossen blecht, um die Wirksamkeit des Blattes nicht splittern. Die praktischen Mitarbeiter des Blatte- sind hauptsächlich Architekten und architektonisch gebildete Fach^ die wünschenswerthe Betheiligung von selbst-erfindenden Technikern wird von der Redaction jedenfalls avgestrebt midi nur zum Vortheil des Unternehmen- auSschlagen, stößt große Schwierigkeiten in den bestehenden KunstgewerbSverbaltt Die theoretischen Artikel, an denen sich außer dem M Pros. Bäumer die namhaften Kunstschriflsteller W. Lübkck und I. Falcke betheiligen, enthalten viel beherzigenswerte regungen, wenn sie auch weniger im Stande sind, positivts schläge zur Hebung des Kunstgewerbes zu machen, als m irrungen des modernen Kunstgewerbes nachzuweisen und» zuweilen in der Aussprache der oft gehörten Klagen etwa- z»! gehen. — Sehr dankenSwerth ist es, daß die Redaction bq hat, ein für das gesammte Kunstgewerbe epochemachende- „Der Stil in den technischen und tektonischen Künste«',! Gottfried Semper, welches die Gesetze der Schönheils Baukunst und allen ihren Ncbenzweigen mit genialer Aus und feinster Beobachtung der kunstgeschichtlichen Entwickeln örtert, seine- hohen Preises und seiner Schreibweise weg« den Kunstgewerb.reibenden im Allgemeinen schwer zugäng auSzugSweffe wiederzugeben. Der große Erfolg de- Unternck welches in den zwei Jahren seines Bestehen- 15,000 Abo gewonnen hat, kann als ein höchst erfreuliche- Zeichen de- > den KunftinteresseS im Gewerbstand betrachtet werden; e-