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Anzeiger -»> Mfleblatt für Riesa, Strehla und deren Umgegend. Wochenschrift zur Belehrung und Unterhaltung. 12* .Dienstag, -en 11» Februar 1851. Kerkerbriefe. (Nur einer noch ungetruckten Biographie.) (Fortsetzung.) SÜaldheim, II. August ISS». Heute, uieine liebe Schwester, bin ich de» ganzen Laa bei Dir; beute ist mein Sonn- und Feiertag. Wenn Dir die fliegenden Wolken und der freundliche Sonnenschein alle meine Grüße gebracht hätten, so hätten wir in dieser Woche manchen traulichen Augenblick mit einander ver lebt, denn jedesmal, wenn mich der lachende Sonnenblick von der Arbeit ans Fenster lockte, wenn ich dann im Blau des Himmels leichte weiße Wölkchen schwimmen sah, wenn die allbezaubern den Strahlen des LagcS unser Zuchthaus iu ein Feenschloß verwandelten und die ehrwürdige Linde auf unserm Hofe und das Streifchen gelb-grü nen Hügels dahinter mich bas ganze Paradies der geschmückten Erbe ahnen ließ, dann schwang ich mich auf zu den weißen Schifflcin und schwamm durch die herrlichen blauen Fluthe», und dann blicktest Du durch grüne Blätter heraus zu mir, ich schaute voll Liebe zu Dir nieder und wir wa ren Beide innig froh und sagten: Gott ist gut und die Welt ist schön! Doch ich Muß Ordnung in mein Geschreibe bringen, sonst weißt Du nicht, wie Du daran bist. Wisse also zuerst-, daß ick) Dank Deiner ra schen Zusendung von ArbeitSmaterial und Seelen freunden ein ntutr ober auch der- alte Mensch geworden bin: nämlich ein solider Karrcngcml in meinem gegenwärtigen Berufe; ein emsiger Schmrt« ferliugsjäger aus die kleine» Freuden, die das Schicksal noch abwirst, und endlich weder Utopist noch Pessimist in dpn Audienzstunden meiner Ge danken, sondern gläubig an eine ferne Zukunft, dankbar für meine erträgliche Gegenwart und glücklich in dem Anbichdenkcn und in unser end liches freies Wiedersehen, hier oder dort. Der reichhaltige und mannichfache Stoff uöthigt mich zu einigen Abteilungen in meiner Epistel: Als Avantgarde werde ich einen Geschäftsbrief an meinen gestrengen Herrn Kritiker, betreffend meine vorliegende literarische Erstgeburten, auf stellen. Das Gros wird eine umfangreiche Schil derung des zwei Wochen alten Züchtlings Nro. 157 allhier bilden; namentlich seine Gefühle, als er das Licht der Welt erblickte und glaubte in Nacht zu sein; dann das Erwachen seiner Er- kenntniß, al« ihm die Augen aufgingcn und end- lich seine kleinen und großen häuslichen Verhält nisse. Als Rückendeckung oder Arriere-Garde end lich werden verschiedene erbauliche und belustigende Gespräche unS Umschwärmen. Anbei erfolgen die erste» beiden Bogen meiner Versuchsarbeit, um deren strenge Kritik ich bitte. Wie Du mir ge^ rathen, habe ich mich erst dürch Lesen einzubüi> gern gesucht; wie weit ich in den Geist eingc- drungen bin, magst Du nun beurtheilen. Eine norddeutsche Bauerngeschichte ist es freilich nicht. Manches tritt mir in dieser französischen Dorfgc- schichte fremd, unschön und unnatürlich entgegen. Die Schwierigkeiten geben durch daS Ueberwinbcn Freude, wie Dn sagst, es fragt sich nur, wie ich sie überwunden habe. Noch bitte ich meinen lieben geistigen Hoflie feranten, meine mathematischen Wünsche nicht au ßer Acht zu lassen. Dir Mathematik ist ein wah res Stahlbad des Geistes; nach jeder Ermüdung macht sie meinen Geist wieder frisch, nach jeder Verdunklung hell. Jetzt meine liebe Schwester, zuerst zur Erör. terung der wichtigsten Frage unserer Tagesordnung: Dn kommst in Deinen beiden Briefen auf den Plan zurück, in meine Nqbs,. vielleicht nach Waldheim, zu ziehen, nm mich.oft, recht ost z». besuchen. Wie sehr ein svlchcs Zusamu^enlebkM mir dir Gefangen chaft erleichtern, wie sehr es mir