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Anzeiger m» Elbeblatt für Riesa, Strehla und deym Umgegend. Wocheuschrist zur Belehrung «ud Unterhaltung. 13. Zr-itag, drn lü. F-truar 1851. Kerkerbriefe. (Lu- einer noch ungedruckten Biographie.) (Fortsetzung.) Waldheim. 12. August 1850. Ich habe Dir gestern verschwiegen, welch ein böser Geist oder vielmehr Ungeist Mir meinen schreibseligen Nachmittag verkümmert hat und schwerlich wirst Du es crrathen: es war mein Magen. Bis jetzt hielt ich mich immer für einen kräf tigen Naturmenschen und bildete mir namentlich auf die Gesundheit meines Magens nicht wenig ein, den ich nicht einmal sitzen wußte; nun muß ich bier zu meinem größten Verdruß erfahren, daß ihm unsere etwas derbe Kost nicht ansteht mnd beim gesundesten Appetit muthet er mir zu, mich nicht satt zu essen, widrigenfalls er mich Tag und Nacht auf die Folterbank legt. So war es auch gestern, wo nach einer schlaflosen Nacht der Kautz am Tage fortknurrte und besonders mein Sitzen nicht leiden wollte; heute ist er verständiger. Der Herr Doctor, dem ich meine Noth ge klagt, hat sich mir sehr freundlich gezeigt; er hat mir leichteres Brod verordnet, weil meine Natur daran gewöhnt-sst, wöchentlich vier kalte Bäder gestattet und sogar mein Leibgetränk, den Kaffee; er will nun sehen, ob durch diese Veränderungen das Unheil gehoben wird; ich hoff' es. Nun will ich Dir schnell eine Skizze meines alltäglichen Lebens geben, und dann den Brief absenden, damit er Dir schnell meine Grüße bringt. Morgen- dreiviertel 5 Uhr weckt die Glocke; daß ich eine freundliche Zelle als Einsiedler be- wohne, weißt Du schon. Zuerst erhebe ich mich, dann mein Bett (ein grüner Kasten mit Strohsack und Decke), welches den Tag über wandschrankar tig paradirt; dann fege ich aus und wische ab. Nach einer halben Stunde kommt Wasser und Morgensüppe; ersteres nehme ich in einem Kruge letzter?- in einem zinnernen Napfe an der Thür in Empfang und man schließt wieder zu. Ich wasche mich, nehme mein erstes Frühstück zu mir und gehe nach dem Spruch im Hausschatz: Rach dem Essen sollst du stehen Oder tausend Schritte gehen, in meiner Zelle auf und nieder und dann zur Arbeit. Um diese Zeit wird gewöhnlich mein Fenster aufgeschlossen und ich sage der Sonne und dein jungen Tage meinen Gruß. Mein Arbeiten thtstt sich in Uebersetzen, Mathematik und Mnv- moktk. Um elf Uhr machen wir bereits Mittag; ich empfange Essen und Trinken wieder an der Thüre. Bis zwölf Uhr promenire ich in meinen vier Eckpfählen, von zwölf bis ein Uhr habe ich meine ErbolungSstunde, die mir Jean Paul, Ea- rus oder Zschokke kürzen, dann wird wieder mit ermunternder Abwechslung gearbeitet bis zum Dunkelwerden. Um diese Zeit beginnt gewöhnlich unser halbstündiger Spaziergang, den uns der Herr Director aus besonderer Güte im Garten gestattet. Da siebt man Bäume, Blumen, Schmet terlinge und den Himmel mit Sonnenlicht und Wolkenschmuck. An meinen Badetagen fällt auch noch das Bad aus den Nachmittag; gegen Abend ist noch einmal Wasserempfang an der Thüre. Noch ein wichtiger Tag ist der Mittwoch; ich empfange dann heißes Wasser zur großen Vsäsche, das heißt zum Waschen meiner Strümpfe und Taschentücher, zum Fensterputzen und Stubenscheu ern, wenn es noth thut. Du siehst, in der Woche lebe ich klösterlich einsam und nichts hindert mich, die Bilder meiner Lieben mir vorzustellen und in ihrem Anschauen glücklich zu sein. Das bin ich, so ost ich den blauen Himmel anschaue und ich flehe zu Gott, daß seine Sonne eben so heiter in Dein Herz eindringen möge. ... Am Sonntage stehen wir eine Stunde später auf und gehen um 9 Uhr zur Kirche, dann ist e-