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Anzeiger »>» Elbeblatt für Riesa, Strehla und deren Umgegend. Wocheuschrist zur Belehrung und Unterhaltung. ... . 11. Freitag, den 7. Februar 1851. Kerkerbriefe. (Aus einer noch ungedruckten Biographie.) Zuchthaus Waldheim, 28. Juli 1850. Meine liebe Schwester! gut, daß ich Dir erst heute schreibe, vorgestern, am Tage meiner An kunft, hättest Du einen zu traurigen Bries bekom men. Die Nachtfahrt im herrlichen Mondenschein, der prächtige Sonnenaufgang, die grünen Wälder und Felder hatten mich zwar so erquickt, daß ich das Zuchthaus für den Augenblick vergaß und weder meine an den Leib geschlossene Hand, noch das drohende Pistol eines meiner Begleiter stör ten den beglückenden Naturgenuß. Da lag Waldheim vor uns, malerisch im grü nen Thale, mitten darin die Zinnen und Thürme des Zuchthauses. Also dort zeitlebens! Bald hielten wir am Eingänge und traten unter eine Menge Soldaten, die mich neugierig anblickten; das war zwar keine theilnehmende Neugier, aber es waren doch menschliche Blicke. — Drinnen im Hose Todeskälte, Todesstille. „Komm', geh', nimm die Mütze ab, hier her ein", das waren die ersten, einzigen Worte, ohne mich anzusehen; ich möchte behaupten, in der Ueberzeugung gesprochen, daß sie nicht einem Menschen, sondern einem Automaten gegolten. Während ich über den Hof geführt wurde, be wegten sich lange, stille Reihen blau-schwarzer Ge stalten nach einer Richtung hin. Ein Wort er schallte, die Reihen zertheilten sich, gaben etwas ab, bildeten sich wieder und bewegten sich auf ein neues Kommandowort eben so schweigsam, schleichend, bindfadenähnlich in das Gebäude zu rück, aus dem sie gekommen waren. Nun kam ich in ein« enge, halbdunkle, trost lose Zelle. Zu zeitlebens, dachte ich, zeitlebens ein elender Sclave! Ich »ar der Verzweiflung nah, ich betete zu Gott und sagte mir, ich dürfe nicht verzagen. Nach und nach wurde ich ruhiger. Erst am folgenden Tage sollte ich eingeführt, eingekleidet, dem Herrn Director vorgestellt wer den und Arbeit angewiesen erhalten. Gott sei Dank: man will den Menschen in mir nicht ganz ersticken! Nachdem man mir die Haare abgeschnitten und mich in das blau-schwarze Zebrahabit geklei det hatte (nämlich schwarz und blau gestreifte Hose, dito Weste, dito Jacke, deren Form allein genügte, einem Aesthetiker den Tod zu geben), wurde ich zum Herrn Director geführt; hier, wo ich am meisten gefürchtet hatte, fand ich den ersten Trost. Eine ernste, aber theilnehmende Anrede empfing mich. Der Herr Director steht eine Art Fatum in mir erfüllt; er meinte, er wolle mir keine Vor würfe machen wegen der Ursache meines Hierher kommens, da er wohl wisse, daß bei dem schrof fen Gegensätze unserer Ansichten die bestgemeinte sten Worte mir unverständlich bleiben würden. Dann gab er mir die Versicherung, daß er, ob wohl unser strengster politischer Gegner, doch weit entfernt sei, uns härter zu behandeln als die an dern Gefangenen, und er bewies mir seine Güte sogleich, indem er mir erlaubte, mich mit schrift lichen Arbeiten, d. h. mit Uebersetzeu aus dem Französischen und Englischen, zu beschäftigen. Ich erhielt zugleich die Erlaubniß, deshalb heute an Dich zu schreiben, und bitte Dich nun, möglichst rasch das Nöthige zu besorgen, damit ich in geistiger Thätigkei: mein schweres Loos einiger- maaßen vergesse. Ja, es ist schwer! Die strengste militärische Discipln und dabei das furchtbare Gebot eines absoluten Schweigens den Mitgefangenen gegen über. Aber Keinem wird über seine Kraft aufgebür det, Keiner darf verzagt, auch den schwersten Kampf aufgeben. So will auch ich kämpfen, s» lange Gott und meine lieben Schutzgeister im Himmel und auf Erden mir beistehen.