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7». IaHrgimg. Donnerstag, SL. Juli 1S2ff Gegründet 1888 »mdlanschiM,! S«mspr»<d»- , SS s^i. «in» M» «achlqNpr»«»., S0 011. D-rugr. «ebühr -"' Anze>ge»>Pr«IIe: ««d«n »ach ««wmar» Ntr ou«»ürt» " aub-rdald 20 ^ a- Off», «W-'d Äü-yia. . «achdru» nur mV dmrlltch», 2u»ll«nanaad» .Dr»»l>n«r Nach, " wlivffa. Unv»rlang>' SchrilMiilv» w-rd-i' nl<t>> »uldrwohN. vchrtffl»«n»g und 1lauptg«tchSIi»ff»tI, «»»«»»ltr»,,» SS »2. vrnit n. V«rt»a von vt»»l» » »,«ch«r»> m Dr»«dmu P»ffI«h«Oc-N»nIv 10SS Dr*»d«>. lworn «Lr«« «lUMr« »N^LK Julius ^euriek NUSS, ^.7.^° p'sno, pi'sgvi' Strsvs s (kingsiig ^U8ikksu8 Vovk) senoxoi-zoe ^^0 JemWon des sranzöfischen Kabinetts. Ablehnung -es Verlrauensanlrages mil 290:237 Stimmen. — Pvlncars Nachfolger? Eine Frle-ensre-e -es polnischen Autzenminiskers. — Ehamberlain über -ie unbesrie-igen-e -rutsche Abrüstung. Zur Kinlerlüre hinaus. Pari». SL Juli. Die am Schlug der «ammersitznn« «l«, gebrachte Tagesordnung des radikale« »Lg. CazalS. für die sich »te Regierung erklär« hatte und die besagt: „Die Kamme, hat t«S vertrauen zur Negierung, daß sie eine energische Finanz Politik betreibe« wird, die die Umstände «otwendig mache« und peht »nr Tagesordnung über,* wurde mit SSO gegen k»7 Stim» »«»abgelehnt. Nach Schluß der Sitzung mußten sich die Mitglieder de» Dobinett» Herriot durch eine Hiutertür des Gebäude» eut» lewe», «eil die ungeheure Menschcumeuge vor der Kammer ei«e drohende Haltung eingcuomme« hatte. Herriot begab sich mit seine« Ministern sofort zu« LlqsS«, »m dem Präsidenten Donmcrgne seine Demission»« «nter» »reiten. Präsident Donmergne hat die Demissi, « a » ge « » m, »«». Sr wird seine Besprechungen sofort beginne«. HavaS bezeichnet cS als sehr wahrscheinlich, daß er Poincar^ die Bil- düng des neuen Kabinetts anbteten werde. lW. T. B.) Die 48 Stun-en. 48 Stunden bedeutet selbst für ein französisches Kabinett eine bemerkenswert kurze Lebensdauer. Bon, Pseifen der Menge nach Annahme des Auftrages zur Regierungsbildung begrüßt, mußte Herriot, der Minister stürzende Kammerpräsi» dent. nach Ablehnung des Vertrauensvotums sich durch eine Hintcrtnre aus der Kammer begeben, um, wiederum umbran» -ei von stärker anschwellenben Mißsallenskundgebungcn, dem Präsidenten Doumergue seine Demission anzubieten. Die Episode Herriot durch das ungebräuchliche Verhalten des Kammerpräsidenten mit dem Makel schrankenlosen Partei- sühreregoiSmus' von vornherein belastet, hat die Unmöglichkeit der bereits früher gescheiterten Zusammenfassung der Linken, besonders i» einer so dringenden und bedeutsamen Frag« wirt schaftlicher Natur, erwiesen. Für Herriot mag die mangelnde Gesolgswilligkeit seiner eigenen Partei die trübste und bedeut- samste Erfahrung dieser Tage gewesen sein. Das Abbröckeln seiner Anhänger wird sich parteipolitisch noch weiter auswirken. Aber um — mit Briand — das Vergangene vergangen sein n> lassen, was nun? Wer wird der Netter sein, nachdem Frankreich Caillaux abgelehnt hat. Und nun taucht der Name jenes Mannes aus, der sich bisher sorgsam der Verantwortung entzogen hat: Pvincarc. Die psychologische Einstellung des französischen Volkes ist in diesen wenigen Tagen einem Er- mächtignngsgesetz sehr viel günstiger geworden. Wird man Poincare geben, was man Caillaux versagte? Und wie wird tr, der sich aus eine Nichtratisizierung des französisch-amertka- Nischen Schuldenabkommens festgelegt hat, die Schwierigkeiten meistern? Wird er, einer der Hauptschuldigen am Welt kriege, den Mut haben, von dem französischen Volke notwendige schwere Opfer zur Wiederherstellung der Finanzen zu fordern? poinEe c esi Io gucrre. So hieß cs einst. Wird das franzö sische Volk ihm folgen, wenn es jetzt heißt: Poincare, das be deutet Opser bringen? — Die enlschel-en-e Kammersihung. Paris, 21. Juli. Vor überfülltem Hause und unter un geheurer Spannung sowohl bei den Abgeordneten wie beim Publikum begann heute um 6 Uhr die Kammersitzung, bet deren krössiiung Herriot sofort die Rednertribüne betrat, um die an- «ekündlgte Regierungserklärung zu verlesen, die folgenden Wortlaut hat: Tic gestern gebildete Negierung hat ihre ganze Sorge aus das irinaiizproblem konzentriert. Niemals ist die Lage klarer »nd die Entscheidung dringlicher gewesen. Ungeheure Schwie rigkeiten stehen zum Teil unmittelbar bevor, über die die klammer unterrichtet wird und unverzüglich befinden muß. Wir sind der Ansicht, daß wir diesen Schwierigkeiten, selbst den d r i n g l i ch st e n, mit der Hilfe des Parlamentes entgegentreten müssen. Wir werden kein Schein dekret »erlesen. Unser Programm gründet sich aus die Neberzengnng. das, das Land sich selbst rette« muß. Frankreich gedenkt die Schuld, die cS zur Verteidigung der Freiheit eingegangc» ist, in einem Maße und in einer Form zu bezahlen, daß es sicher ist, die Verpflichtungen, die ei übernehmen wird, halten zu können. Aber wir sind un nachgiebig hinsichtlich der Wahrung der vollkommene« Un- »thliuqigkrit feines Handelns ans allen Gebieten. Wir weigern »n» unter allen Umstände», die Grenze dev Notenumlaufes zu erweitern. Unser Ziel ist die Stabilisierung der Währung. Per »Ir find der Ansicht, daß diese Entscheidung nicht allein tanh ein« anSmärtige Anleihe dnrchgesührt »erde» kan». Die Devisen, die sich außerhalb Frankreichs in franzö- sischem Besitze befinden, müssen zurückgeschafft werden. Zu diesem Zwecke wollen wir ein Devisenkonto bei der Bank von Frankreich eröffnen und schließlich die Rückkehr zum Re- gime der Freiheit der Kapitalien durch ein n e ue s A m n e st te- gesctz vorbereiten, aus dessen Ablehnung so empfindliche Strafen gesetzt werden sollen, daß sich niemand darüber wird hinwegsetzen können. Wir sind der Ansicht und erklären, daß, wenn die Bank von Frankreich unabhängig sein soll, die Amortisation», kasseautonom sein muß, und wir sind bereit, deren Mittel im Bedarfsfälle in der Form von Versassungögesetzen zu ge währleisten. Aber es ist notwendig, als Gegenleistung sür die von den französischen Rentenbesitzern erlittenen Verluste eine Ausgleichssteuer aus alle Aktiven zu schassen, die nicht im Dienste des öffentlichen Kredits stehen. Die Modali täten dieser Abgaben werden in der Weise näher geregelt wer- den, baß weder für Hinterziehung seitens der Steuer- Situation «lieber heranSkommea kan». Das Gestern gehört der Vergangenheit an, das Heute und Morgen zählt. Das Heute und Morgen ist Angelegenheit der Regierung und des Parlamentes. Briand erzielte mit diesen Ausführungen starken Beifall. Nach ihm fuhr Finanzministcr de Monzie in seiner Rede wie folgt fort: Um die Krise des Schatzamtes zu beseitigen, gibt es drei Lösungen: Man kann die Amortisierungen ein- stellen, man kann die direkten Steuern aus das Jahr 1926. die noch nicht eingegangen sind, diskontieren, man kann aber auch brüsk «nd sofort konsolidieren, was natürlich im ganzen Lande eine Panik Hervorrufen würde. Hierzu habe ich mich nicht entschließen könne«. Ich habe vielmehr beschlossen, der Kam mer einen Gesetzentwurf vorznlegen, dnrch den die Devise« des Schatzamtes wieder der Bank von Frankreich znrüik» gegeben werden solle«. De Monzie verliest darauf diesen Ge setzentwurf und führt fort: Dieser Entwurf wird dem Finanz ausschuß zur schleunigen Beratung überwiesen werden. Die pflichtigen noch für Mißbräuche seitens des FiskuS «^rungwird^ die Vertrauensfrage «ich/stellen.<S8ird der Raum ist. Uebrtgens gedenken wir, dem Parlament einen Gesetzentwurf über die Höchstbcsteuerung vorzulegen, der für alle Fälle die steuerlichen Lasten des Ertrages der Arbeit und der Spartätigkeit etnschränkt. Wir sind zu dem Augenblick angelangt, in dem eS gilt, die Vergangenheit zu liquidiere». Wir fordern Sie auf. uns auf dem Weg zu folgen, der vielleicht letdvoll sein wird, der uns aber zum Wohle deS Landes führen muß. Wie alle Völker, die ihre Finanzsanterung dnrchgesührt haben, wollen wir die L e b e n s h a l t u n g des Landes einschrän ken. Die Einschränkungen werden beim Staat beginnen. Wir haben für diese höchst dringliche Aufgabe eine republika nische Einigung zusammengebracht, soweit dies bei de« Spal tungen, die ein «nmSglich beiznbehaltendeS Wahlsystem geschaffen hat, angängig war. (Bemerkenswertes Schweigen bei den Sozialisten.) Erklären Sie sofort, ob Sie eine andere Mehrheit für eine andere Formel haben, oder ob Sie im Gegenteil der Ansicht sind, daß man, wie wir es meinen und erklären, die Gedanke« der demvkratische« Gerechtigkeit mit der Sorge «m die nationale Selbstbehauptung vereinige« bars. Die Rede de» Ministerpräsidenten wurde mit starkem Bei, fall ans der gesamte« Linke«, schließlich sogar auch im Zentrum ausgenommen. Während der Verlesung der Erklärung hatte zunächst eisiges Stillschweigen geherrscht, bis sich all mählich wachsender Beifall aus den Bänken der Linken bemerk bar machte. Nach Verlesung und Begründung verschiedener Inter pellationen erhält Finanzmlnlster de Monzie das Wort zur Darlegung seiner Finanz» und Stabilisierung» pläne. Er führte u. a. aus: Als ich mich mit Caillaux über die Lage besprach, hat der dem Staat bei der Bank von Frankreich zur Verfügung stehende Betrag noch 2.29 Millionen Franken betragen. Heute beläuft er sich auf nicht mehr als SV Millionen. (Bewegung.) Anderseits hat Caillaux darauf hingewiesen, daß die Ratifizic rung des Schnldenabkommens nicht die Vorbedingung für die Gewährung auswärtiger Kredit« sein dürfte. Die letzte Ne gierung war der Ansicht, daß sie trotz der Freiheit des Parla mentS hinsichtlich der Ratifizierung der Abkommen auswärtige Kredite erlangen werde. Am 18. Juli hat sich dann Caillaux an den Gouverneur der Bank von Frankreich gewendet, um den Restbetrag des Morgan-FondS zur Stabilisierung der Währung heranzuzieheu. Am gleichen Tage befaßte sich die Regierung mit dem Ermächtigungsgesetz. Am 19. Juli ant wortete der Gouverneur der Bank von Frankreich, daß er gegen die geplante Verwendung des Morgan-Fonds und eine Er höhung des Notenumlaufes unter der Bedingung keine Be denken habe, daß das Parlament seine Zustimmung erteile. Gleichzeitig mit diesem Beschluß setzte eine Frankenhausse ein. Heute vormittag hat der Gouverneur der Bank von Frankreich an den Finanzministcr einen nenen Bries gerichtet, in dem er mittcilte, baß der Spielraum der Bank von Frank reich kaum noch ausreichend sei «nd daß sie davorstehe, ihre Zahlungen einstclle« zu müssen, daß sie aber geneigt fei, den Morgan-FonbS «nter den früher angegebenen Bedingnnge« nutzbar z« machen. Als der Finanzminister weiter erklärte, er habe nicht geglaubt, daß die Lage so « rnstse^ erhebt sichBriand «nd erklärt: Die Lage dev Schatzamtes, die mich immer beschäftigt hat, hat sich In den letzten Tagen verschlechtert. Man darf aber nicht zurückblickcn, man muß vorausschauen. Ich habe kürzlich in der Kammer erklärt, daß eine Regierungskrise die Schwierigkeiten noch vermehren werde. Das ist geschehen. Jetzt gilt cs. die Mittel ausfindig zu machen, um das Land zu beruhigen, und ihm zu sagen, daß seine Bestürzung die Größe der Gefahr noch erhöht. Man muß ihm sagen, wie m«n dt« Lage »tederherftelle» »nd wie «an an» »er ernste» Antrag abaclehnt, dann werde ich trotzdem der Bank von Frankreich die Ermächtigung geben, die Dollarbeftände de» Morgan-FondS, soweit cs die Bedürfnisse erfordern, zu ver« damit die Pforten der Staatsbank nicht geschloffen werten, werden. Hierauf trat eine Pause ein, nach deren Beendigung de Monzie wieder das Wort ergriff, um sich über einen von ihm fertiggestelltcn Kvnvertierungsplan zu äußern. Zu Beginn seiner Ausführungen machte er davon Mit teilung, daß sich die Disponibilität der Bank von Frankreich im Laufe des heutigen Tages von 60 auf 150 Millionen Franken erhöht habe. Diese Ziffern seien ein Beweis da- sür, welche Folgen sich aus einer organisierten Panik ergeben. fVeifall links und in der Mitte.) Aus den weiteren Ausführungen de» Finanzministcr» war zu schließen, daß er sür die Ratifizierung des Londoner und Washingtoner Schnldenabkommens sei. Er vermied je, doch bestimmte Acußerungen hierüber. Er betonte nochmals, daß jede auswärtige Anleihe und jeder fremde Kredit eine grobe Gefahr für Frankreich sei, gab jedoch zu, daß gewisse Finanzverhandlnngc« mit anderen Staate« ge» führt werden müßte«. (Zurufe: Welche?) Frankreich habe viel Reichtümer, die durch den französi schen Staat nutzbar gemacht werden müßten, damit man nicht genötigt wäre, zur Ausbeutung dieser Reichtümer da» Aus land heranzuziehen. (In diesen Worten erblickt man eine deutliche Absage an die Pläne, die das Petroleummonopol an eine ausländische Gesellschaft übertragen wollen.) Hätte die Kammer am letzten Dienstag den Gesetzentwurf Caillaux an genommen, so hätte sie damit nichts erreicht, weil der von den Sachverständigen ausgearbeitete Plan von ausländischen Krediten abhängig ist, die man im gegenwärtigen Augenblick unmöglich erhalten könne. Der Minister wies ferner daraus hin, daß bi« Inhaber von Rentenpapiercn eine bessere Behandlung verdienten, alS die Inhaber anderer Papiere. Seine Absicht sei, eine groß zügige Sonsolidicrungsaktion durchzusührcn, was in der Hauptsache durch die Einrichtung einer Amorti- sationSkasse erfolgen solle, die mit den größten Sicher heiten auSgcstattet sein würde. Die Finanzgesctzentwürfe der Regierung würden spätesten» innerhalb 24 Stunden ein« gebracht werden. Die Regierung lehne den Gedanken einer Kapitalabgabe ab und werde ihre Finanzmaßnahmen aus die Fundierung der schwebenden Schulden beschränken. Nach den Ausführungen de MonzieS ergriff Herriot noch einmal das Wort, um seine Intervention in der Sonnabend- Sitzung der Kammer zu rechtfertigen. ES habe ihm nicht daran gelegen, die Regierung zu stürzen, sondern die Aufnahme anS- wärtiger Anleihen zu verhindern, die er für eine Gefahr für Frankreich halte. Er sei der Ansicht, daß Frankreich sich aus eigenen Mitteln ausrichtcn müsse. Das Kabinett werde zu wetteren direkten Steuern greifen, um das Budget auSzu- gleichen. Die Spekulation müsse verhindert werden. Der Kammerpräsident gibt darauf bekannt, daß ein« Tagesordnung eingebracht sei, in der der Regierung da» Ver trauen ausgesprochen werde. Franklin Bouillon besteigt die Rednertribüne und er klärt, er könne unmöglich einer Regierung da» Vertrauen auösprechen, die aus einer einzigen politischen Partei zu sammengesetzt sei, und setzte sich für ein nationales Ministe rium ein. Darauf wird über die einzelnen Punkte der Tages ordnung abgcstimmt. ariS, 21. Juli. Der französische Senat. der unter Bor- itz De Selbes ebenfalls um 8 Uhr zur Entgegennahme der Regierungserklärung znsammcntrat. vertagte sich und be- räumte eine neue Sitzung aus 10 Uhr abends an, da Herriot gebeten hatte, die Regierungserklärung im Senat möglichst erst «ach der Entscheid«»« in der Kammer verlesen zu dürfen.