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Dresdner Nachrichten : 22.10.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192210223
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19221022
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19221022
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-10
- Tag 1922-10-22
-
Monat
1922-10
-
Jahr
1922
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 22.10.1922
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Erinnerung. Do» A««L,rt E«l»nb»rg. düngst gtag ich Lb«r Tag dt« glelcheu Oäag«, Dl» wir d»» Äacht» so oft znscnnmengtngen D»t schwarz»« taub »nd 57kachttgatt«nst»gr»- E» scht»a ganz a»d»r« «lr l» k>»ll»r Eag». Auf all«» KDegen trt»b stch et» Vedrängr- Wo wir wt» Bäll« »asr» TLllss» fing»». Da spliltr» ^I«d»r »u» «tt Sand »ad Lsttngen. s^rrn a»o d»a Häuser» drang«» Helirklänge. G traar» »lche, met» l«er»» A«rz, wt« bald Ost alle» stumm, was setzt dich tr«tbt z» schlag«», Wrun atcht» m«hr l«bt an» brtnrn sunge» Tage»! Dt« Tlrbr wt« d»r Ilt»b«r Splel verhallt. Der 'Winter kommt, weist wtrst du wt» der KDald Hub wirst »t, m»hr tu neu« Dlitt»» schlagen. Erile Liede. Bon Fritz Kaiser-Ilmenau. Ach, es ist schon lange her, dass wir zusammen sahen im Kreis der Gespielen und Pfänder auslösten. Wir waren beide jung, ganz jung. Tu vierzehn. Und ich trug die Tertianermütze. Ich sch Dich noch, wie Du in lauter Pnrpnr ausgliihtest und verlegen den Blick zu Boden schlugst, wenn wir unS küssen muhten. Die Gespielen waren jünger alS mir. Tie verstanden diese Symptome nicht. Und das war gut. Ko blttb es geheim. Nur ich fühlte mit Dir. Ging eS mir doch nicht anders. Wie waren wir dankbar dem Spiel im tiefsten Herzen, wenn eö uns die Feier dieser ersten Küsse schenkte. Wir fühlten in unS etwas erwachen. Etwas Grosses, Schönes und Heiliges. Wir redeten nie davon- Nur in den Augen lasen wir es gegenseitig. Wie Festlichter glänzten seitdem Deine blauen Augen, wenn sie aus mir ruhten oder sich träumend in die Weite verloren. Schaute Ich Dich an. so vergast ich alles um mich herum and versank in eine tiefe, selige Andacht. Und wenn wir gemeinsam über die grostc bunte Wiese gingen hinter meinem Vaterhaus, wo es immer so st ll und heimlich war, da fasste ich manchmal nach Deiner kleinen Hand. Fein und zart, wie die Träume, in denen mir eins waren. Wie tief und schwer ging unser Atem in diesen göttlichen Momenten! Und wenn eS sich gar nicht mehr fassen konnte, daS roste, herrliche Glück in dem kleinen, engen ^-rzi'i, da egten mir die Arme umeinander, alS ob wir unS küssen wollte». Und taten es doch nicht. DaS war zuviel für die Feinheit unseres Empfindens. Nur beim Spiel schienen unS Küste unbedenklich für die Weihe und Ehrfurcht unserer Verehrung. Unsere Stimmen zitterten in nachsciernder Freude, wenn wir auseinander gingen nach solcher Tiefe von Er leben. Wahrlich, das war die schönste Zeit niiseres L steus. Keine Liebe, die nachdem folgte, kam dieser gleich. Wir lebten sie ganz im Gefühl. Nur im Gefühl. M-'t ber ganzen Reinheit und Einfalt unteres Herzens. Alle Vernunft war ansaeschaltet. Es war keine Frage und kein Gedanke dabei. Nichts Berechnetes. Ach, könnte» wir sie noch einmal leben, die sunae Liebe! Sie ist die einzige wahre an idealer Schönheit und N"Inhe't. Wenn sie auch oft belächelt wird um ihrer Einfalt willen, in ber ihre gipfelnde Gröste besteht. Der Zheuner und die Geige. Bon Ludwig Gnrlitt, München. Eine wahre Geschichte! Mitienwald, an der oberen Isar und am J-uste des Karwcndel-GcbirgeS gelegen, dieses freundliche oberbayrische GcbirqSdörschen mit seinen bunt bemalten Häusern, die schon Goethes Entzücken erweckten, ist stzit alten Zeiten berühmt wegen seiner geschickten Geigen bauer. Bor einiger Zelt betrat ein junger Zigeuner be scheiden die Werkstatt eines dieser Geigenbauer und bat in gebrochenem Deutsch um eine Geige. Der Meister Helte seine beste Geige herbei und legte sie dem Zigeuner in die Hand. Der griff hastig zu und begann zn spielen. Tie herrlichen Töne entzückten ihn: er spielte und spielte immer leidenschaftlicher. Bor dem Fenster sammelten sich neu- aierige Zuhörer, »nd der Zigeuner spielte und spielte, indem er seinen Körper wiegte und verzückt dlc Augen schloß Dann legte er den Bogen wieder hin und iragte: „Was kostet"" Ter Meister nannte Len Preis. Antwort: „Hab' ich nich." Auch ans den herabgese ten. „letzten" Preis die selbe Antwort. Aber tiefer darf er Len Preis nicht setzen: Er ist selbst ein armer Mann und der Verkauf einer Geige bedeutet ihm den Unterhalt für einige Wochen. Die Zeiten sind hart und das Geschäft geht schlecht. Ta greift der Zigeuner nach einer zweiten Geige und spielt auf ihr. Auch sie lobt ihren Meister, und der Zigeuner glaubt sich mit ihr bescheiden zu müssen: „WaS kostet?" Die Summe ist wesentlich geringer, aber wieder für den Zigeuner zu hoch. Aber er scheint eS recht und billig zu sinden. dast die beste Geige dem Besitzer bleibe, die zweit- b'ste ihm zngesprochen werde. Gerührt von dieser leiden- schastlichen L.ebc zu seiner Schöpfung, gebt der Geigenbauer mit seinem Preise so herab, dast Ihm ein Gewinn nicht mehr bleiben würde: aber immer wieder dlc gleiche Antwort: Zn teier." Trotzdem legt der Zigeuner die Geige nicht ans der Hand, betrachtet sie mit verliebten Blicken, streichelt sie wie ein krankes Kind, fetzt immer wieder den Bogen an und lässt sie sprechen, singen, klagen, schluchzen. lachen und iubeln- Ter Geigenbauer unterbricht ihn mit der Frage: „Mcvtel Geld hast Tn denn?", und der andere antwortet: „Oab' ich nir!" Darauf erfolgt ein allgemeines Lachen: „Fa, Mensch, wenn Tn nix hast, womit willst Tn denn die Geigen zahlen?" Der Zigeuner aber bleibt dabei und packt znm Zeugnis seine Tasche aus: eine trockene Brotrinde, ein Stück Strick, ein Taschenmesser. — „IS sich alles. Aber Geige mns, ich haben." „G H, last Dich anslachen, Zigeuner! Eiwa für Deine Brotrinde da?" Sinn aber legt der Zigeuner sich ausö Bitten, als wenn er vor dem Richter stünde und um sein Leben bitten müsste. Er rtimt die Hände, fällt auf seine Kirie, küsst dann dem Handwerker die Stirne und den Saum seines Aermcls und sagt mit immer neuen Wendungen, dast er die Geige hoben müsse. Dann greift er wieder leidenschaftlich nach ihr und spiest mit grösster Etregung und Inbrunst: „Nör, Bruder, wie sic bittet! Sie will zu v.rcr, sie ist wein Kind, ich bin Vater. Sie mir aehört. ich sie nicht wieder hergcbe." Dabei drückte er sie an sich, küsste sic. hielt sic frohlockend ttr die Höhe, und rief immer wieder von neuem: „Sic wir g.hört!" „Geh. wach kenie Faxen, Zigeuner! Wo denkst denn hin? Ich bin selbst ein armer Mann. WaS meinst denn, was für eine Arbeit und wieviel Material, teures Material, in so einem Stück steckt? Ich kann dcch meine Geigen net verschenken! Nicht an meinen Bruder, und nun gar an einen wildfremden Menschen, den ich mein Lebtag nicht ge sehen Hab' und wohl nie wieder zu sehen krieg'. .Mach kciiw Faxen net. Zigeuner! Tu gibst mir mei Geigen her und machst, dast du weiter kimmst!" — „So war's recht," stimmten die Leute ein, ..wirst doch so an hergelaufenen Schlawiner die Geigen net schenken, wo wir die teuer bezahlen müssen?" Jetzt aber wurde die Szene dramatisch. Der Zigeuner umklammerte die Geige, beugte sich über sic »nd weinte, meinte so heftig, dast ihn der Bock stieß. Dabei sprach er zu ihr, wie zu seinem Kinde, von dem er sich fürs Leben trennen musste, und dann wandte er sich an ihren Besitzer und flehte Gottes Segeil und alles Glück der Erde ans sein Haupt herab, wenn er ihm die Geige lassen wollte: „Gott wird bezahlen, Gott wird Dir danken, und Frau und Kindchen und Cnkclkinichcn! Wirst gesund sein, wer den alle gesund sein und lange leben: wirst reich werden, sehr reich, und ein großer Mann. Werde alle Meiriche» sagen: is sich guter Mann, hat geschenkt armem Zigeuner schöne Geige. Werde ich sagen in aller Welt: iS Geige von gutem Meister in Mitienwald. Werden alle kommen ans Ungarn, aus Jtalin, ans Arnnzia lausen Geige bei Dir. Werden hören und staunen und fragen: wer hat gemacht? Werte ich sagen: Pane in Mitienwald, hat sich beste Geigen in der ganzen Welt. Werde ich Dich machen berühmt und reich, und wenn stirbst, werde beten für Deine Seele, weil geschenkt hast gute Geige armem Zigeuner!" Alles Lachen, aller Spott, aller Hohn waren verstummt. Die Blicke ruhten aus dem erregten jungen, braunen Bur schen, der so ergreifend zu Herzen sprechen konnte. Da trat die schlichte Frau des Geigenbauers leise an >hren Mann heran und flüsterte istm etwas ins Lhr. Man sah, wie ei mit sich rang, tonn ri^t-ie er sich st»lr v»^ lest „Zigeuner, behalt die Geigen, sie soll Dein sein!" Darauf soigie ein Jauchzen i.no machen oes ^>o-uuerS, wie man eS in Mitienwald noch nicht gehört hatte. Dann schwang er die Geige über seinem Kopf, legte sie wieder an seine Brust und spielte nun eine Jubelhymne. Darauf drückte er dem Geigenbauer, seiner Frau, seinen Kinder», vielen Umstehenden mit glückstrahlenden Augen die Hände und — sprang zur Tür hinaus. Die Leute aber schauten ihm noch lange lachend nach, bis er sich der österreichische» Grcnzc nahte und in der Ferne verschwand. Eine wahre Geschichte. Das Verbrechen. Skizze von Adolf Stark. Noch etwas blaß vom erlittenen Blutverlust, sonst aber wohl und munter lag Kommerzienrat Hauser in den weißen Kissen und lächelte dem eintrelenden Arzte, der zu-- gleich sein alter Freund war, freundlich entgegen. „Alles in Ordnung. Doktor! Ich fühle keinerlei Schmerz mehr in der Wunde. Ich glaube, ich kann schon wieder auf- stehen!" „Diesmal ist eL »och gut abgegangen," bestüligic der Arzt. „Ein zweiicsmal möchte ich Dir einen derartige» Versuch nicht anratcn. Sv eine Brechstange ist ein wuchtiges Instrument: zwei Zeniimctcr wctter nach rechts, und Tn hättest leine Gelegenheit mehr gehabt, uni mir zu plaudern. Hossentlich bist Du von Deiner Marotte geheilt, den Ber brechervater zu spiele» »nd lauter Gauner in Dein Haus zu nehmen." Ter Kommerzienrat schob sich in den Kissen zurecht. „Ich will cs dahingestellt sein lassen, ob jemand, der schon einmal ein Verbrechen begangen hat, leichter zum zweiten neigt, als ein bis dahin Unbescholtener. Dem gegen wärtigen Fa», wo mein Hausmeister, ein früherer Ein brecher, rückfällig wurde und, von mir überrascht, mich iiieüerschlng, kann ich ctn Dutzend anderer gcgeiiüberstcllen, wo es mir gelungen ist, ehemalige Verbrecher zu den nütz lichsten Gliedern der menschlichen Gesellschaft heranzuziehen. Aber ich will mit Dir über diesen Punkt nicht streite». Nur möchte ich nicht, das; auch Du mein Lebeuswerk als Marotte, wie Du vorhin sagtest, ansiehst. Komm', setze Dich her zu mir. Ich will Dir beichten, will Dir gestehen, wie es ge- kommen ist, dast ich der Pcrbrcchcrvatcr wurde, ivic Ihr mich ipöttelnd nennt. Wer immer satt war, kann die Qualen des Hungers nicht verstehen. Wer stets im sicheren Tale lebte, weist nichts vom Schwindel, der den Wanderer erlast!, welcher am Rand des Abgrundes über steile Berggrate schreitet. Wer nie selbst ein Verbrechen beging, wird die Seele des Verbrechers nie begreifen können." Der Arzt griff nach dem Pulse des Sprechers. Hauser lächelte. jg „Nein, ich rede nicht im Fieber. Ich. der hochgeehrte », Kommerzienrat, das Muster aller Vürgerlugenden, habe ein Verbrcck.en begangen, mehr noch, meine ganze Existenz ist auf diesem Verbreche» ausgebaut. Du brauchst nicht zu er schrecken. Die Sache ist nicht so tragisch, und ich habe sie längst überwunden, obgleich mir der Gedanke genug böse Nächte bereitet hat. Aber die Tatsache bleibt und es wird mir mohltnn, der Freundesbrust anzuvertrcmen, was ich seit Jahren als drückendes Geheimnis mit mir herumtrage. Ich war damals Kommis — heute sagt man wohl Bank beamter — bei Schulze u. Co. Ich hatte was Tüchtiges ge lernt und mein Keps war voll von Gedanken und Plänen. Es war eine Zeit des Aufschwungs, eine Zeit, wo das Geld ans den Strasten lag, und ei» tüchtiger Geschäftsmann leicht Vermögen verdienen komne. Aber zu jedem Unternehmen gehört ein Anfangskapital, und ich war arm wie eine Kirchenmaus. So blieben meine Pläne eben nur Htrn- gcspttrstc. Eines Tages hatte ich geschäftlich bei einem Bankier zu tun, der durch seine groi.en Börsenspekulationen bekannt war. Ich mußte im Vorzimmer warten. Tic Türe war nur angelehnt, ich hörte jedes Wort von dem Gespräch, de.S drinnen zwischen dem Bankier und seinem Kompagnon gc- siihrt wurde. Sie l tttcn die Nachricht erhalten, dast aus dem Territorium einer südafrikanischen Mine, die als erschöpft galt und deren Aktien säst aus Null standen, große Gvld- sunde gemacht worden seien. Sie verabredeten, schon morgen in aller Stille große Posten der Aktien auszukanlen, che die Nachricht in die Oes'enilichkeit dringen und den Kurs gewaltig in die Höhe treiben mußte. Als ich nach Hause ging, war mein Herz voll Zorn und Empörung. Millionen waren zu verdienen und ich konnte daran nicht teilnehmcn, weil ich kein Geld hatte. Ein Zufall, oder soll ich es Schicksalsfügung nenne», ülcibi selten allein. Am Abend, als die Kasse schon geschlossen und ich nur noch allein im Bureau war, kam ein alter Kunde und brachte ein Paket mit Wertpapieren, das wir in Auf bewahrung nehmen sollten, da er sofort dringend auf einige .Monate verreisen müsse. Meinen Einwand, daß die Kasse Jum Aachdenken. Wenn ein Menschenherz wissend werden soll, muß eS bluten lernen. Wer sich nicht gemein macht, wirb leicht alS stolz getadelt.! «- Die Einzigartigkeit jedes Mcnschenangcsichts wird unS am deutlichsten beim Fcststellen von Aehnlichkeitcn. r» Die tiefste Tragik ist nicht Mangel, sondern die un- gew. riete Uebcrfüllc. Anna Dix. Eine Dahnfahr!. Bon Franz Carl EndreS. Wenn Sie das lesen, gnädige Frau, werden Sie lächeln mit dem reizenden Lächeln, daS Sie alS Mädchen hatten, und werben vielleicht ein wenig durch das Fenster in die Heide htnauSsehen, wo ber Wind über die Straße springen will und über die Straßcnbäume stolpert. Der wilde Gesell! Und dabet werden Sie zurückdenken an eine Dezember- nacht im warmen Kupec. Ihr Gatte wird sich behaglich in einem welchen, breiten Klubsessel dehnen und vergnügt über die Entwicklung seine- großen Gutes sich die Hände reiben und — sollte er Interesse an solchen Dingen haben — über dieses Ge- schlchtchen weglesen, vhne zu ahnen, ohne zu fragen. Viel leicht freut ihn sogar die Geschichte, und er schlägt sich aufs Bein und lacht: „Tolle Bande!" Dann aber trinkt er ein großes Glas rumänischen Wetneö und sagt schläfrig und halb gähnend: „Komm, Kind, wir wollen zu Veit gehen!" Ja — gnädige Frau! Wir zwei haben in jener Dc- zembernacht nicht gegähnt. Wo war eS doch? Ach! Go etwa zwischen Konstanti nopel und Kronstadt. Wir haben auch unsere Geheimnisse, gnädige Frau, nicht wahr? Und unsere Leser »vollen die Stationen, an denen wir vorbelgesahren sind, gar nicht aus- gezählt bekommen. Wissen Sie noch, wie Sie in das Kupee hercinkamen und gleich wieder hinaus wollten, weil doch nur ein Herr, weit nur ich darinnen saß? Und wie ich. aus tiefsten G«. danken auffahrend, Sie ansah und gleich so rics ln die Augen hinein? Sie batten so schöne große Augen und so fröhliche! Sind Sie so fröhlich geblieben? Und bann sagte ich Ihnen, daß so viel Platz sei in dem Kupee, so namenlos viel, da haben Sie gelacht und nie in Ihrem etwas rauhen rumänischen Französisch gesagt, daß Sie Deutsch nicht verstehen, aber daß Sie schon verstehen, was ich meine .... Dann haben wir beide herzlich gelacht, und Sie sind damals bei mir geblieben. Ich möchte Ihnen gern noch einmal die Hand küssen dafür. Wie wir eigentlich darauf kamen, weiß ich nicht mehr. Wir sahen zusammen Journale an. Das soll gefährlich sein. Dann erzählten Sie mir, daß Sie verlobt seien und zu Ihren Schwiegereltern fahren, wo in einigen Tagen die Hochzeit gefeiert würde. Als ich nach Ihrem Bräutigam fragte, sagten Sie mir in hundert Variationen, daß er sehr reich Ft. Sie erzählten von seinem Gut, von den prächtigen Herben, von den Pferden, von den Hunden, von dem Personal — ja. Sie empfanden die Notwendigkeit, Erstrebenswertes in Ihrer getroffenen Wahl zu suchcm Ich merkte das Qualvolle dieses SuchenS und fragte nicht weiter. Aber ich erzählte Ihnen von den letzten Schlachten an ber Tschataldscha-Linie. von meinem Leben im Felde, von meinen türkischen Kameraden... Ich weiß noch, wie Sie aufmerksam zuhörten, und wie schön Ihre Hände waren, die mit Ihrer langen goldenen Halskette spielten. Und dann kamen Sic wieder auf die Bvrbcrcitungcn zur Hochzeit zu sprechen. Das schien Sic zu beschäftigen, ja. zu beherrschen. Einmal sahen Sic meinen Siegelring an. Sie be rührten ihn mit Ihren Fingern, »nd einen Augenblick lag Ihre Hand auf meiner. Da wurden Sie rot. Sie wechselten den Platz und setzten sich an bas Fenster mir gegenüber. -Zeit nichts. Aber unsere Augen, die hilflos nach ansehcnswerten Gegenständen im Kupee umherirrten, sekundenlang auf flirrenden Buchstaben von Zeitungen und Zeitschriften weilten, suchten immer wieder Ruhe ineinander. Wie habe ich da Jbr liebes Gesichtche» studiert und den Glanz Ihrer süßen Augen, die so ruhevoll »nb lieb mich ansahen. Sv lieb und so lange... Stationen flogen vorbei »nd Wälder. Der Zug dur»- Ee eine tiefe dunkle Nacht. Da nahm ich Ihr Händchen küstic laste: .Men» Sie nur recht glücklich werden tünuteul „Wissen Sie noch, daß Sie da geweint haben? So ge meint, wie eS ein Fraucngcsicht verschönt. Daß die Augen größer werden, ein wenig starrer und ein wenig glänzender, und ein paar Tränen sich langsam von den Lidern lösen und langsam, zögernd über die Wangen rinnen? Und dann haben Sie mir Ihr Schicksal erzählt, und ick habe Sie getröstet. Es ist eigentümlich, wie man sich selbst tröstet, wenn man anderen Mut zuspricht. Stundenlang sind wir durch die Ebenen gefahren. Und die Zeit verging wie im Traum. Unvergeßlich ist mir alles, aber wie ein Monument liebster Erinnerung steht der Augenblick da, wo wir Abschied nahmen. Eine kleine Station war es, eine ganz kleine. Nur ctn winziges Gebäude, ein Brunnen und ein paar Bäume! Alles im Schein von einigen Laternen gerade noch erkennbar. Es war wie ein Schreck über uns gekommen, als Sic sagten: „Auf der nächsten Station wartet der Wagen meiner Schwiegereltern." Wir hatten uns noch so viel zu sagen, oh. noch so viel, aber wir vermochten es nicht mehr. Fast Numm warteten wir die Zelt ab. Dann stiegen Sie auS. Und im Schatten der Bäume, da, wo der Schein nicht hindrang, haben Sie — der gute alte Diener mußte im Zuge etwas Verlorenes ,waö nie existierte, suche» — ja, da babcn Sie mich so heiß geküßt, so wild, so unersättlich. Mein liebes, schönes Mädel! Hoffentlich hat Dir das Leben noch viele so heiße Küsse geschenkt, wie jener Abend sie Dir gab. Wir hatten sa nur eine Minute Zeit. Weißt Du noch, was Tu sagtest: „Dich habe ich lieb. Und Dich werde ich nie mehr sehen. Aber auch nie vcr gessen." Ich sah nickt mehr, wie Tein Wagen Dich entführte. Ich sah nur noch, wie Du schluchzend Dich von mir losrissest und weggingst. Dann sprang ich in den schon fahrenden Zug. * Wenn Sie das lesen, gnatzige Frau, werden Sie lächeln mit dem reizenden Lächeln, das Sie als Mädchen batten, »nd werden vielleicht ein wenig durch das Fenster in die Heide hinanssehen, wo der Wind über die Straße springen will und über die Strastcnbänme stolpert, der wilde Gesell. Und badet werden Sie zurückdenke» an eine Dezember- fahrt tu etuem warme« Kupee. Dr««»»«r »schlicht«« ^^ E So„»ta». A. ystk»der ,«r Serie 11
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