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Nr. S40 Sett-S ^ Freiiag. 19. November 1927 — »Dresdner Nachrichten'' — Vorbereitung der Genfer Dezember Tagung. Die Behandlung der Manischen Beschwerde. Senf, 17. Nov. Der Generalsekretär de» Völkerbünde», Str Eric Drummond, begibt sich heute, wie vor jeder Rat», tagung, nach London und Part», um mit den matzgebrn- den Stellen die notwendigen Vorverhandlungen über die aus der Dezembcr-Tagung de» Rate» zur Sprache gelangenden ragen zu führen. Da» Arbeitsprogramm de» Rate» ist im ezember derart umfangreich, daß allgemein mit einer längeren Dauer der Ratstagung über die übliche ein» wöchige Frist hinaus gerechnet wirb. Im Mittelpunkt des Interesse» dürfte diesmal der litauisch.polnische Konflikt stehen, der aus Antrag der litauischen Regierung auf die Tagesordnung der Ratssitzung gesetzt worden ist. Nach Meldungen der englischen Presse sollen gegenwärtig zwischen den hauptsächlich interessierten Mächten Verhandlungen über dessen weitere Behandlung stattftnden, und zwar soll die Ab sicht bestehen, ein Dreier-Komitee aus Deutschland «ud Frank reich unter dem Vorsitz Hollands zu bilden, dem die Unter suchung der ganzen Angelegenheit übertragen werden soll, wobei man rechnet, daß die Untersuchung mehrere Monate in Anspruch nehmen würde. Die englische Presse erklärt jedoch, daß möglicherweise diese Absicht fallen gelassen würde ii» Hinblick auf die Verhandlungen Deutschlands mit Litauen über die Memelsrage und anderseits mit Rücksicht aus die engen Beziehungen zwischen Frankreich und Polen, so das, es wünschenswert erscheine, ein neutraleres Komitee einzusetzen. In Genf liegen vorläufig noch keinerlei nähere Angaben über derartige Pläne vor. die zweifellos vom deutschen Stand punkt aus sorgfältigste Aufmerksamkeit verdienen. Es würde zum ersten Male die Liquidierung eines internationalen Streitfalles gemeinsam Deutschland vnd Frank reich übertragen werden. Zunächst must jedenfalls im Falle einer Durchführung dieser Absicht genau geprüft werbe», ob eine Teilnahme Deutschlands an einem solchen schiedsrichter lichen Komitee tatsächlich im deutschen Interesse liegt. Deutsch land als Nachbarstaat Polens und Litauens ist zweifellos unmittelbar an der Gestaltung der Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten interessiert und kann in keinem Falle an einer Regelung von Konflikten zwischen den beiden Län dern unbeteiligt bleiben. Der Anschluß und -er Vertrag Paris- Belgrad. iDurch Funkspruch.) Paris, 17. Nov. Bei der Besprechung beS Vertrage» mit Südslawien im Senatsausschutz sür auswärtige Angelegen heiten sollen gestern, wie der „Temps" berichtet, einige Ab geordnete die Frage gestellt haben, ob der Anschlutz Oesterreich» einer jener Fälle sei, die direkt oder indirekt durch die Artikel des sranzösisch-südNawischen Vertrages ins Auge gefotzt worden seien. Brtanb habe darauf geantwortet, daß damit tatsächlich eine der Eventualitäten gegeben wäre, über die sich zu verständigen die vertragschlietzcndcn Ne gierungen schwerlich unterlassen könnten. Brtand habe jedoch htnzugesügt, -atz nach seiner Ansicht der Besuch Stresemanns und Marx' in Wien nicht einen unmittelbar politischen Charakter trage. jW.T.B.) Dr. Seipel über die Ehrenzeichen. Wien, 17. Nov. Bundeskanzler Dr. Seipel gab heute nachmittag im Budgetausschutz des Nationalrates zu dem von sozialdemokratischer Seite gestellten Antrag wegen Ver leihung des Ehrenzeichens der Republik Oesterreich an die deutschen Staatsmänner eine kurze Er klärung ab, des Inhaltes, datz «ach seinen Informationen die Verleihung des Ehrenzeichens durchaus nicht im Widerspruch mit berBcrsassung desDcutschenRcicheS stehe, weder mit ihrem Wortlaut und noch weniger mit ihrem Geiste. Uebrigens sollte man sich in Oesterreich schon aus Gründen internattonalcr Höflichkeit in diese Frage nicht einmischen. Ruch wäre es in der ganzen Welt als Unfreundlichkeit erschienen, wenn von einer Verleihung der Ehrenzeichen an die dcutschcn Staats männer abgesehen worden wäre, und hätte zu unangenehmen Kommentaren Anlab gegeben, »als ob die Freundschaft zwischen dem Deutschen Reiche und uns nicht eine so enge wäre, wie sie tatsächlich ist". Drohender zollkonflitt mit Amerika. Die Frage -er Automobil-Teile. Nenqork. 17. Nov. Nach hier vorliegenden amerikanischen Meldungen soll die deutsche Regierung beschlossen haben, Zoll,« sch läge ans die ans Amerika importierten Antomobi lzubehörteile zu legen. Wie ans Washing ton gemeldet wird, beabsichtigt die amerikanische Regierung, mit ähnlichen Gegcnmatznahmen gegen die dcutschcn Importartikel vorzugehen. Die amerikanischen Zollbehörden habe« angeblich bereits entsprechende Anweisungen erhalten. Wie nach Erkundigungen von zuständiger Seite mitgeteilt werde» kann, kommt eine Erhöhung der Automobilzülle für Deutschland überhaupt nicht in Betracht, da die jetzigen Zoll sätze durch die Handelsverträge mit den verschiedenen Ländern gebunden sind. Ebenso sind die Zölle sür Automobil t e i l e scstgclegt. Es kann sich höchstens darum handeln, datz deutscher seits Erwägungen darüber bestehen, wie man der gegen wärtigen Umgehung dieser Automobilzölle dnrch die Errich tung der Montagewerkstätten ansländischer Autosirmeu in Deutschland und der damit zusammenhängende« Einfuhr kleinster Einzelteile wirksam cntgcgentrcten kann. ES würde in Deutschland autzcrordentliche Ucberraschnng Hervorrufen, wenn in diesem Zusammenhang die amerikanische Regierung tatsächlich beabsichtigen sollte, mit Maßnahmen gegen deutsche Importartikel vorzugehen. da man nicht annehmcn kann, das, die amerkanische Regierung Deutschland bei der korrekten Durchführung der deutschen Zollvorschriften in den Arm fallen will. * Ncuyork, 17. Nov. Der an den Schahsekretär eingereichtc Bericht der amerikanischen Zollbehörde über Deutschlands an gebliches Stahldnmping empfiehlt, wie angenommen wird, keine Anwendung des Antidumpinggesctzes auf deutsche Stahlwarcn, da der deutsche Stahlimport zu unbedeutend sei Fälschende britische Schlachlsilme. Erlogene deutsche Barbarei. London, 17. Nov. Den Blättern zufolge wird der Abg. Kennworthy den Ersten Lord der Admiralität im Unter haus fragen, ob angesichts der Unterstützung der Admiralität und der Flotte bei der Herstellung des Filmes „Die Schlachten von Coronet und bei den Falklandinseln" von der Admiralität irgendeine Kon trolle über die Einzelheiten des Films ausgeübt morden sei, da in diesem Film bedenkliche historische U n - genauigketten enthalten seien. Insbesondere wird es bei der Schlacht von Coronet so dargcstcllt, als ob das deutsche Geschwader in der Lage gewesen wäre, Ueberlebendc der bri tischen Kriegsschiffe „Good Hope" und „Monmouth" zu retten, dies aber unterlassen habe, während es in Wirklichkeit wegen der Entfernung, über die sich die Schlacht abgespielt habe, wegen der hohen See und der plötzlichen Dunkelheit am Schluß des Gefechtes und -er Anwesenheit britischer Schisse in Kampfstellung sür die Deutschen so gut wie unmöglich ge wesen sei, weitere Rettnngsmatznahmen dnrchznstthren. Kennworthy wünscht zu wissen, ob die Admiralität Schritte unternehmen werde, um die Abänderung ober Fort- lassung dieses Teiles des Filmes zu veranlassen. Ein TrauerfaU in -er Familie Kindenburgs. Danzig, 17. Non. Die Familie des Reichspräsidenten v. Hindenburg ist von einem Trauerfall betroffen worden, da gestern vormittag auf dem Familiengnt derer von Benccken- dorsf und Hindenburg Frau Lina v- Bcneckendorff und Hindenburg im 75. Lebensjahr verstorben ist, nach dem sie vor einigen Tagen einen schweren Schlaganfall er litten hatte. Die Heimgegangene ist die letzte Besitzerin des Familiengutcs und die Witwe des um zwei Fahre jüngeren Bruders des Reichspräsidenten, Otto v. Hindenburg, der als Major a. D. im Alter von 60 Jahren verstarb. Der einzige Sohn aus dieser Ehe ist Major a. D. Gert v. Hindenburg, ein früherer Leibhusarenoffizier, der in Danzig-Langfuhr lebt. Sturmsihung -er Berliner Sla-loeror-nelen. Ein vvlkSparteilich-kommnuiftischor Zwischenfall. Berlin. 17. Nov. In der heutigen Sitzung der Stabt- verordnetenversammlung kam r» zu einem stürmischen Zwischenfall, al» der volkSpartetliche Abgeordnete Dr. Faltz einer kommunistischen Rednertn, die einen Zu- sammenhang zwischen der Wohnungsnot und der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten herzustrllen versuchte, vorhielt» daß sie auf diesem Gebiete sehr genau Bescheid wissen müsse. Die Kommunisten empfanden diese Bemerkung al» eine Be- leidigung ihrer Rednertn, und unter ungeheurem Lärm der Kommunisten stürzte sich ein kommnnistifcher Stadtverord neter auf Dr. Faltz «ud ries ihm zu. ob er wieder eine Back pfeife haben wolle. Andere Stadtverordnete legten sich i«S Mittel, um Tätlichkeiten zu vermeiden. Unter allseitiger stärkster Erregung verhinderten die Kommunisten, datz Dr. Faltz feine Rede sortsührcn konnte. Die Sitzung wurde auf längere Zeit unterbrochen Nach Wiedereröffnung der Sitzung gab Dr. Faltz eine Erklärung ab, die erneute Lärmkundgebungen seitens der Kommunisten zur Folge hatte. Ein kommunistischer Stadt verordneter versuchte wiederum Dr. Faltz tätlich anzugrcise«, wurde aber von leinen Fraktionsgenossen zurückgehalten. Schließlich meldete sich der kommunistische Stadtrat Gäbe! zum Wort, wurde jedoch nunmehr von den Rechtsparteien durch laute Schlutzruse am Sprechen gehindert. Da aus beiden Seiten des Hauses abermals ein ungeheurer Lärm cinsetzte, schloß der Stadtverordnetenvorstehcr endgültig die Sitzung. «W.T. B.» Die Bekenntnisschule im Schulausschuß. Berlin, 17. Nov. Im Bildungsansschutz des Reichstages erklärte heute bet Beratung des 8 4 des Reichs- schulgesetzeö Abg. Tr. Runkel iD. V. P.j, wo die Bekennt nisschule historisch geworden sei, trete die Volkspartei ebenso warm für sie ein wie sür die Gemeinschaftsschule. Die Be kenntnisschule lei insofern sogar wünschenswerter, als in ihr die Erziehung viel einheitlicher gestaltet werden könne als in der Gemeinschaftsschule. Der ethische Sozialismus «nd die Vaterlandsliebe hätten vor allem in der Bekenntnisschule eine Heimstätte. Die Bolkspartei wolle allerdings nicht eine Kirchenschule. Unter Ablehnung der sozialdemokratischen und demo kratischen Anträge wurde folgende Fassung des 8 4 beschlossen: „Die Bekenntnisschule dient zur Aufnahme von Kindern eines bestimmten Bekenntnisses für dessen Gemeinschasts- pflege eine Religionsgesellschast besteht, die in dem betreffen den Lande die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts hat. Die Schule steht auch Kindern eines verwandten Bekenntnisses offen. Aus besonderen Gründen können auch andere Kinder eingeichnlt werden. Ein besonderer Grund liegt stets dann vor, wenn ohne Ausnahme in die Bekenntnis schule Kinder nicht oder nur unter besonderen Schwierig keiten eingeschnlt werden können. Durch die Ausnahme solcher Kinder verliert die Schule nicht den Charakter als Bekenntnisschule." Hierauf vertagte der Ausschuß die Weiter beratung. Tod -es Sultans von Marokko. Paris, 17. Nov. Der Sultan von Marokko, Mulai Jussuf, ist heute vormittag gestorben. Mulai Jussuf, der ein Alter von 45 Jahren erreicht hat, regierte seit 1912 als Nachfolger seines abgedankten Bruders Mulai Hafid. jW.T.B.) Auslieferung der enlführlen Europäer ln Marokko. Paris, 17. Nov. Havas meldet aus Rabat: Sämtliche von den Eingeborenen entführten sechs Personen find nun mehr bei dem sranzösischcn Posten cingctrossen. Uebcr die Bedingungen der Freilassung und über die Höhe des Löse- geldcs ist sür den Augenblick nichts bekannt. ——-W Wilhelm Kausf. Zur 100. Wiederkehr seines Todestages am 18. November. Ein tiefes Geheimnis ruht in der Blütezeit des Menschen lebens. Die Kraft, die Schicksale bildet, sammelt sich hier zur Wcgkehre der Entscheidung. Irgendwie erschöpft sich hier das Leben sür die Dauer des Verlaufes. So ist es denn in diesem Zusammenhänge nur zu natürlich, daß diese Blüte zeit des Menschen, der Abschnitt zwischen dem 18. und dem SO. Lebensjahre, gerade bei den schöpferisch Begabten, bei den Dichtern, Künstlern, Philosophen, die bedeutsamsten sind. So ist denn das Phänomen der I tt n g l i n g s g e st a l t e n im schöpferischen Leben der Kunst, der Dichtung fast ein Nalurvvrgang: die Schöpferkraft gibt sich im Rausch der Blüte aus: der Tod ist dann die einzig mögliche Antwort auf solch übermächtig' Blühe».... Die gesamte Weltliteratur kennt darum a»ch solche Jünglingsbichter, die im Wunder ihres ersten Schaffens dahinsinkcn, und alle Völker lieben diese ihre heldenhaften, von Tragik umwitterten Knabcn- gcstalten besonders,- wir Deutschen die Novalis. Hölderlin ldcn geistig früh sterbenden, leiblich noch lebenden), Kleist, Raimund, Georg Büchner bis Strachwitz, Georg Heym, Gustav Sack und Walter Calo: die Franzosen ihren Andrö Chknicr, die Engländer ihren Lord Byron, Keats, Shelley, die Russen ihren Alexander Puschkin und wie immer die selig berauschten, frühreifen, magisch ergreifenden Zauberer der Kunst heißen. Auch Wilhelm Hauff zählt zu diesen Frühvoll, endeten. Und wenn sein Werk auch nicht zu den schöpferischen, z» den genialen Leistungen unserer Dichtung zählt, so ge wann er sich doch für die Dauer von nunmehr hundert Jahre» ans der Triebkraft seiner Blüte heraus die Herzen einer Generation der Deutschen nach der anderen. Immer wieder greifen die Hände der Kinder nach den Märchen, die ein Drciundzwanzigjähriger au» dem Borne seiner Phantasie und aus dem Wissen seiner langdanernben Lese- wut geschöpft und mit genialer Formkraft in eine Gestalt gebannt hat. die uns durchs Leben begleitet. Ober kann man etwa den Zwerg Nase oder das GlaSmännlein vergessen? Ebensowenig wie die Gestalten in den Märchen der Brüder Grimm, der Musäns und Bechstein. Und weiter: wer weiß, daß die Lieder „Morgenrot. Morgenrot" oder „Steh' ich in finst rer Mitternacht" Wilhelm Hauff zum Verfasser haben? Volkslieder sind sie geworben, weil die Seele des Volkes aus diesem Dichter sprach. Und schließlich: schabet es seinem Fortlcben. wenn wir fcststeNen, daß -er historische Roman „L i ch te n st e i n" nach dem Borbilde Walter Scotts ge schrieben wurde? Tatsache Ist doch, daß dieses originelle, an- mutsvolle, ersindungsreiche Werk uns in unserer reiferen Jugend die erste Begeisterung für Deutschlands Ritterzciten, sür Schwaben und seine liebliche Landschaft erweckt hat und immer wieder erweckt, baß hier kein öder Historismus de» Wissens triumphiert, sondern eine Belebung der Menschen jener Zeit von innen her, um -es Menschlichen willen. Szenen wie da» Fest in Ulm, die Gefechte, nächtlichen Ritte, das Wirken des Schwäbischen Bundes, die Treue um den Herzog Ulrich, kurz all' diese Bilder »nd Gestalten prägen sich doch unvergeßlich in uns ein. Und mögen wir anch als ältere Me: schen manche Stelle zu breit und zu sentimental finden, als Ganzes packt diese Gestaltung deutscher Ver gangenheit immer wieder. Wilhelm Hauff war e», der un» den historischen BolkSroman schenkte. Hier lag sein vorzügliches Talent. All' seine anderen Arbeiten, wie der frühere, noch zu sentimentale „Iud Süß", wie die Novelle „Bild des Kaisers", streben auf dies Ziel zu. Ja, selbst der Anfang seines ja nur drei Jahre anhaltenden Schaffen» bereits: die Satire auf Heinrich Claurcns süßliche Seicht heit „Der Mann im Monde". Denn Hauff mutzte, um kernig, ernst und gehaltvoll zu werden, erst den Clauren in PUot. vr-ul» klckler, vre»0en. Gerhart Aauptmann an seinem SA. Geburtstage umgeben von di» vier Jungfern vorn Bischofeberg de» Dreoduer Schauspielhaus«». Do« li«k»r Tharlott» brause, A«t»«ia Dietrich, Deli Maria Teiche«, Lotte Grüner pliot. vnula NicUIer, Vre-Uea. Uraufführung von Strindbergs »Der letzte Ritter" im Dresdner Schauspielhanse. Ehristin» St«r« tÄ«t»«la Dietrich) Sten Stur, lD»ffma»«-1Xavoth)