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02-Abendausgabe Dresdner Nachrichten : 27.05.1930
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1930-05-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-19300527020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-1930052702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-1930052702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1930
-
Monat
1930-05
- Tag 1930-05-27
-
Monat
1930-05
-
Jahr
1930
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Nr. 247 Seite 2 «Drob«» Nochrichte» Dienstag. -7. Mal IS» Son-erbare Verfchleierunssv-rfuche Schwere Vorwürfe tm KaushaltmiSschriß - Der Ctat -es Auswärtigen Amtes vr»St»»»Ick»og »»,,»« Berlin, 27. Mal. Im HauShaltauSschuß de» R«tch»tage», der heuie de» Auswärtigen-Ltal wetterberiet, kam e» wie von und angekündigt. doch zu den erwarteten erheblichen Kontro versen. die nicht zuletzt darauf zurUckzusuhren sind, daß amt liche Stelle» geiler» den versuch gemacht haben, das über die Elatgebarnng des Auswärtigen Amtes vorgetragene schwer wiegende Material des Ausschußberichterstallers sei es zu nerliarniloie», sei es ganz zu unterdrücken. Heute hat sich der Berichterstatter des Ausschusses, Abg. v. Freytagh-Loring- lioven, geuviigt gesehen, zu Beginn der Sitzung folgende Er klärung abzugeden: „Der Beamte der Preffeabteilnng des Auswärtige» Amtes, der dem Reichstag zur Anfertigung der Ausschub berichte znr 4'ersüguug stebt, l,at gestern vormittag ein Nach richtenbüro ersucht, keinerlei Wahlen aus dem von mir er stattete» Bericht zu veröffentlichen. Er berief sich dabei aus eine» vv» der «Mehrheit des Ausschusses nuterstiitzten W >« »sch d e s «?l u b e n m i » isterS. Tatsächlich ist rin solcher Wunsch hier nicht verlautbart worden. ES ist nur von der Richtveriissentlichung ge wisser personeller Anssitbrungen des Mitderichterstat- ters die Rede gewesen. ferner bat der miuisterielle Beamte Journalisten gegenüber mich b e s ch i in v s e » d e Ausdrücke gebraucht, nachdem er rrsabre» batie, dab ich meinen Bericht selbst der Presse über geben babe. (sine (Gruppe Journalisten hat er gewarnt, meine Zahlen zu veröffentlichen, da sie gefälscht seien. Weiter ist gestern zweimal bei einer Nachrichtenstelle ange- rusen und im Namen des Auswärtigen Amtes gebeten wor den, keine Zahlen aus meinem Berich« bekanntzugeben. Ich lasse es dahingestellt sein, ob diese Anrufe von demselben Be amten ansgingen. Endlich stelle ich fest, dab mir der amt liche Bericht über meine Ausführungen in der gestrigen Sitzung, dem Brauche zuwider, nickt oorgelegt worden ist nnd dab er nnr allgemeine Wendungen und keine einzige Zahl enthält» obgleich der von mir er stattete Bericht ganz aus Zahlen ausgebaut war. Rein per, sonlich sebe ich in diesen Bemühungen, das von mir bei- gebrachtc Material ,n unterdrücken. eine freiwillige Aner kennung seines sachlichen Wertes. Es scheint mir aber notwendig zu sein, den Stand punkt des Ausschusses der Oesscntlichkeit zur Kenntnis zn bringen, und zu zeigen, mit welchen Mitteln das Auswärtige Amt unbequeme Zahlen zu unter- driilkcn sucht. Besonders beachtenswert erscheint mir, dab es sich nicht um aitcipolilische Polemik handelt, sondern um einen Bericht, essen Sachlichkeit gestern von keiner Leite bestritten worden ist." Der vom Abg. Freytagh-Loringhoven apostrophierte Beamte des Auswärtigen Amtes mubte sich aus die Erklärung bescl,ranken, daü er beleidigende Ausdrücke nicht gebraucht habe, »iid daü er in dem ermahnten Znianniienhanae sich auch nicht ans den Anszenminister bezogen habe. Demnach scheint der nom Aba. von Frentagh Loringhoven gerügte Borgana in den übrigen Einzelheiten zuziitretten. und man mub sich dann doch sehr wundern, wie so etwas im Zeitalter des Parla mentarismus. der allgemeine Publizität aus seine Mahnen geschrieben hat. norkonnnen konnte. Zm Berlaus der Anssprache beklagte Abg. Heinig lSoz.s, dasz das Wesen der Diplomatie bedüige, dab in den meisten finanzielle» «Angelegenheiten die Eiaisableilung nicht die Endentscheidung habe. Abg. Gras Westarp hielt unter Bezugnahme aus die gestrigen Ausführungen des Abgeordneten v. Freytagh- Lvrinaboven die Bei'esnug des Auswärtigen Annes und auch der Missionen mit Personal im Bergleich zu der Vorkriegs zeit und des Personalbestandes des auswärtigen Dienstes der anderen Länder ebenfalls snr viel zn stark. Dem in der Welt verbreiteten Aberglauben, dab mir die Haager Tribute bezahlen können, könne man nicht allein mit wirtschaftlichen Darlegungen cntgegentrelcii. Zeder Deutsche müsse im Zn- und Ausland der Not der Zeit entsprechend sein Leben gestalten. Zn diesem Zinne sollte das Auswärtige Amt allen seinen Ltellen betonte Einsachbeit im Auslände nahelegcn. Dab eine Denkschrift dem Reichstag zugelcitet werde, die die Ausgabe» des deutschen auswärtigen Etats mit den jenigen der ausländischen entsprechenden Aemter vergleicht. I«rU»»r »«ürtkU«t»M»> sei begrüßenswert. L» genüge nicht dieser vergleich allein, sondern in der Denkschrift müsse auch die Frag« geprüft «er- den, wad und wo man tm deutschen Auswärtigen Amt und tn den deutschen Missionen nun wirklich sparen kvnne. In- wtewett kann die Personalbesetzung de» »u«wärttgen Amtes und der Missionen eingeschränkt werden? Ls empfehle sich, dab der Lparkommissar nochmal» mit der genauesten Durch prüfung des organisatorischen AiifbaueS des Auswärtigen Amtes und seiner Missionen beaustragt wird. lTic Verhandlung dauert bet Schluß der Redaktion an) Die Denkschrift über -en Außenetat vraütruolctuug uaovrar SarUnar Svl»rtltl»ltuup Berlin, 27. Mai. Dem Reichstag ist deute ei»« neue Denkschrift des Rechnungshofes des Deutschen Reichs zn- gegangen, die eine bezeichnende Zntervretatton der AnS- sübrunge» des AusschubbcrichtcrstatterS im Haushaltausschuß bedeuiet. Den Hauptteil der Denkschrift nimmt die Kritik an auberplanmäblgen Ausgaben und HanshaltSüberschreitiingen des Auswärtigen Amtes ein. To hat sich der Rechniingshos mit den Ausgabe» ans Anlab der L o c a r n v - Konferenz im Zahre lü-'ö beschäftigt. Er bemängelt, dab für die Beförde rung der Delegation Londerzüge in Anspruch genommen wurden, die inelir als 08 000 Mark gekostet habe». Kritisiert wird auch der hohe Aufwand für die Unterbringung der Teilnehmer der Delegation von insgesamt öl Personen. Für die Benützung vv» Anlomohilen in Locarno sind Kosten von rund öllllll Schweizer Franken entstanden, obwohl eine denlsche Anlvmvbilsabrik der Delegation zwei Krastwage» znr niicntgelllicbcn Benntznng znr Verfügung gestellt hatte. End lich wird auch die Höhe der Tagegelder bemängelt, die erheb lich die Lumme der Nvrmalbeträge überschreite. Erneute Unruhen in Rangoon London. 27. Mat. Zn Rangoon find am Dienstag erneut Unruhen ausgcbrochcn. Die Polizei machte zweimal von der Lchuszwassc ««gebrauch, um eine grobe Ansammlung vv» Mohammedanern auocinanderzutreibc». Die Polizei- slatio» in Dongri ist niederqebrannt worden. Nach den bisher vorliegende» unvollständigen Mitteilungen sind bei den neuerlichen Unruhen 2V Personen verwundet worden. Die Zahl der bei de» Zusammeustöhen in Rangoon am Lonntaq und Montag getöteten Personen hat sich nun von 28 ans 4V erhöht. Mit einer weiteren Erhöhung der Zahl der Todes opfer ist jedoch zn rechnen. Die Polizei hat alle Menschen ansammlungen von mehr als süns Personen in den Straßen verboten. Auch in Bombay hat sich die Zahl der Opfer der Un ruhen »ach den letzten .Feststellungen beträchtlich erhöht. Drei Personen fanden dep Tod. während »S mit Schubwunden, Lchlag- und andere» Verletzungen den Krankenhäusern zu- aesührt wurden. Unter den Verletzten befinden sich ein euro päischer Polizciosfizier, zwei indische Polizeiinspektoren und eis indische Polizisten. Mit brrnmndem Rvterbwt in dm Tod Hclsingsors, 27. Mai. Ans dem Ladoga-See sFiitii- landf ereignete sich in der Nähe von S o r b e v a l I a ein schwerer Unglüctssall, der zwei Menschenleben fordert?. Ais der Vankdircktor Wigelius mit seiner groben Motorjacht auf den Sec hinausfahren wollte, explodierte kurz nach dem Start der Motor. Auch der grobe Benztnvorrat entzündete sich, so daß die Jacht im Augenblick in Hellen flammen stand. Frau Wigelius und ihre 10jährige Tochter verbrannten in der Kaiütte, Vankdirektor Wigelius konnte sich und seine übrige» drei Kinder in Sicherheit bringen. Alle vier hatten sich Vrandivunden zugczvgcn und mußten ins Krankenhaus übergesührt werdew Empfang beim Reichspräsidenten. Der Reichspräsident empfing am Dienstag den in den einstweiligen Ruhestand übertretenden Vorsitzenden der deutschen Kriegslasten kommission in Paris, Ministerialdirektor Nuppel» zur Verabschiedung. v»Kk»»Is»», »»«rar Aortt»« >gt»tkUatt««> v « rlt,, »7. Mat. vefter» „schte« spät «Ru»» »er putsch« Gesandt« tu Berlin, Knall, t« >u»wäritze, Amt, m» et«« Demarche »ege» de» Neuhlseuer Are«,. >»ische«sal» ,» »»teruehme». Er fordert« Ge««gtuung u«d Entschädig«»« für de« de» Zwischeusa» ,»« Opfer grsalle, »e« polnische» Grenzbeamten. Da» »«»«äetige N»1 hat alle polutsche» Forderungen ruud Hera«» abgelehut. » Marienwerber. 27. Mat. Die wetteren Ermittlungen über den Grenzzivischensall bei Neuenhoese» haben ergebe», dab kein deutscher Beamter polnisches Gebiet betreten oder auch nur über die Grenze Schüsse abgegeben hat. Den ent stellenden Meldungen der polnlschen Presse gegenüber mub sestgestellt werde», daß dle polnischen Beamten unbcsugt die Grenze überschritten haben. Zwei dieser Beamten, die im Besitze vv» Pistole» nnd Handgranaten waren und die ans bisher »och unbekannten Gründen in die etwa 2ö Meier von der Grenze entfernt stehende deutsche Postkontrollbaracte cin- gedrungeu waren, wurden bekanntlich sestgenvmmeii. Sie haben den erste» deutschen Beamte», der sie dort überraschte, sofort mit Schüssen empfange» und ihm die linke Hand durchschossen, so daß er zu seiner Verteidigung ebensallS die Waffe gebrauchen mußte. Außerdem haben, wie von mehrere» iiiibetciligteu Zeugen beobachtet worden ist, mehrere polnische unisormierte und bewaffnete Beamte die Grenze unbefugt bis z» 22 Nieter in deutsches Gebiet hinein über schritten nnd von der Höhe des Deiches aus de» mit de» beiden sestgenvmmeuen Polen abziehenden deutschen Boomten zahlreiche Schlisse aus Karabinern und Pistolen »achgcsandt. Der Deich verläuft an der fraglichen Stelle ganz aus dculschcm Gebiet, und zwar etwa 20 Meter von der Grenze entscrnt. ,in einer Entfernung von 8 bis 10 Meter von der Grenze, aus deutschem Boden, wurde eine Anzahl Hülse,, vo» »arabinermunition gesunden. Diese könncq schon deshalb nicht von deutschen Beamten stammen, weil die deutschen Beamte» nur mit Pistolen dewassnet sind. Lan-eSwahlliften -es Lan-bun-es un- -er Deutschnaftonalen Wie wir von unterrichteter Seite erfahren, wird der Sächsische L a n d b n n d für die Landtagswahl sür alle drei Wahlkreise eine gemeinsame La» des liste ans. stellen, die ans -en ersten Plätze» die Namen der bisherigen Mitglieder der Landtagssrakttvn des Sächsischen Landvolkes enthalten wird. Auch die Deutschnationale Volkspartei wird sür alle drei Wahlkreise eine gemeinsame Landeslistc aus. stellen. Die Listen -er Wirtschaftspartei Wie wir ersahren, hat die Wirtschaftspakte! am Montag in einer Besprechung in Leipzig beschlossen, von der geplanten Ausstellung einer Landeswahlliste abznsehen und drei getrennte Vorschläge für jeden der drei Wahl- kreise zu machen. Zm wesentlichen dürften überall die bis herigen Abgeordneten wieder ausgestellt werden. Verlobung -es Grasen Christian zu Stoibers Hirschbcrg, 27. Mai. Gras Christian Friedrich zu Ltol- berg-Wernigerode ans Jannowitz, der im De zember vergangenen ZahrcS in der Bcrufnngsvcrhandliing in Hirschberg wegen fahrlässiger Tötung seines Vaters, de« Grafen Eberhard, zu »Monaten Gefängnis verurteilt worden war, hat sich mit Annaliese Gräfin von Rythkirch und Tr ach in Panthenau verlobt. Erkrankung -es Königs von Gnglan- London, 27. Mai. Wie offiziell mitgeteilt wird, leidet der König seit einigen Tagen an schmerzhaften rheumatische» Be schwerden in der rechte» -Hüfte. Die Acrzte haben ilnn gcrolcn, heute u»ö morgen an den Empsängen im Buckingham Palast nicht teilzunehmen. Automobil vom Zug überfahren. — Sechs Todcsopscr. Bei Coburg sOntariof raste ein Eiscnl'ahiizng in ein Auto mobil. Die Insassen des Automobils, sechs Mitglieder cmer Familie, wurden getötet. Tosranini in Dresden Konzert mit -en Neunorker Philharmonikern im Opernhaus Es gehört schon echt amerikanischer Unternehmungsgeist dazu, um eine so grobe Sache in die Wege zu leiten, wie diese erste Enropareiie der Neunorker Philharmoniker unter Tvs- canini. AVer dieses Orchester hatte das Glück, unter stets ganz besonders großzügigen lfinanzicUenf Verhältnissen arbeiten zu dürfen. Sv wurde eben auch diese „«prinß >c»ir" gemacht. Und unter den vielen, die dafür dankbar zu sein haben, be findet sich seit gestern auch das Dresdner Mnsikpublikum, das aus solche Weise das Orchester und seinen — man darf schon sagen „sagenumwobenen" — Meisterüirigenteu selbst kennen lernte. Das erste dieser Tvseaninikonzerte hatte vor einigen Wochen in Paris skattgesnnden. lind bet dieser Gelegenheit wurde durch einen Sonderberichterstatter der „Dresdner «Nachrichten" nicht nur der erste gewaltige europäische Erfolg der Rundreise sestgestellt. sondern auch die entsprechende Eharcillcriitik vom Orchester und seinem Dirigenten gegeben. Aber unter dem starken Eindruck de» gestrigen eigenen Er lebnisses kommt man gern auf an sich schon Bekanntes noch einmal zn sprechen. Zunächst das Orchester« Tim pssilliarmonie !>vmpbc>n>« ^oc-iol> ctt X.-vv Vnrk hat sich seit dem Gründungsjahr 1042 znm ersten und bedeutendsten Orchester der neue» «Welt ent wickelt. Es beucht heute aus iM Künstler» verschiedenster Nationen, gründe! sich aus m Kontrabässe, hat 10 erste «Vio linen und die entsprechende weitere Besetzung. Das «Podium unseres nvrmaleu OpernionzertsaaleS reichte für die statt liche Schar gerade aus — die «Akustik leider nicht ganz. Man hatte manchmal etwas daS Geisshl s— und zwar gerade bei den mit Toppclbesetzung gespielten einfacheren klassischen Stücken —als stiebe sich der Klang hart im Raum. Auch das herrlichste Opernhaus ist eben kein Konzertsaal. Immer hin: mir sind ja an diese Art Akustik gewohnt. Die wunder volle Klangfülle des Orchesters gründet sich lm übrigen nicht nur auf seine stattliche Zahl, sondern die Musiker haben auch witnderoolle Znstrnmcnte, darunter besonders schöne Geigen, und sind anberdem Künstler in der besten Kraft jugendlicher Mannesialire. «Amerika bezahlt nämlich bekanntlich seine Orchesteriniisiker zwar glänzend, baut sie dann aber bei einer gewissen «Altersgrenze auch rücksichtslos ab. So ist natürliche Klangfülle nnd natürliches Temperament dem Orchester an sich eigen. Dazu kommt nun eine vorbildliche technische und künstlerische Disziplin, in sahrcehntelanger Arbeit von ersten Dirigenten geschult und vo» Maestro Toscanini aus die letzte Höhe aebracht. Tenn das ist ja eine der ersten „sagenhaften" Wnnder- fiinste ToseaniniS- dab er ein fabelhafter Orchesterrrzieber ist. Zn der Beziehung berührt er sich mit Gustav Mahler s- übrigens auch einem der früheren Dirigenten dieses Neu yorker Orchesters —mit dem er auch sonst vieles gemein hat: die eminente rhythmische Energie, die hemmungslose ver zehrende Hingabe an das Kunstwerk und die unerbittliche Ltrenge in der Beobachtung seiner Gesetze, die untrügliche Schärfe des Ohres und das fabelhafte musikalische Gedächtnis, das ihn befähigt, alles, aber auch alles, auswendig zu diri gieren. So stand er auch gestern auf seinem kleinen Podium, ohne jedes «Pult, schon in der äußeren Erscheinung mit dem feinen durchgeistigten Kopf die geborene Führerpersönlichkeit. Wie einen Zcldhcrrnstab handhabt er denn auch oft seinen langen Taktstock. Wenn er herrscherhaft aus das zunächst- stehendc Violinpult klopft, tritt Totenstille ein. Nnd dann wird auf dem Orchester mit elastischer Energie gespielt wie auf einem wundervollen Instrument. In der Regel sind die Takticrbeivegungen bei aller inneren Geladenheit sparsam, rechts meist die Taklteile markierend, links die Schattie rungen gebend durch Anhalten, Abdämpfen, Anseuern. Stur wenn die «Vogen der Leidenschaft ganz besonders hoch gehen, wird auch die ganze körperliche Bewegung auf crsichtbaren Aus druck eingestellt: das war am eindringlichsten bei den Tristan stücken der Zall. Toseaninis «Programm brachte nämlich fast nur deutsche Musik. Dab er in ihr, obwohl selbst Italiener, doch den letzten und tiefste» AuSklang seiner Künstlerschaft findet, ist ja auch eine der 'Besonderheiten dieses einzigartigen Mnsikphäno- mens, das ihn denn folgerichtig Heuer den Höhepunkt seiner Laufbahn just als Bayreuther Iestspieldirigent suchen läßt. Sv begann das Konzert mit «Webers Ouvertüre „Der «Beherrscher der Geister". Ter «Wirkungsstätte des deutschesten «Meisters sollte damit eine feinsinnige -Huldigung dargebracht werden. Die Ouvertüre ist ei» Zugcndwerk,« sie hat noch nicht die klangliche Zeinnervigkcit späterer Meisterwerke aber ihre stürmende wuchtige Scchsviertcltaktmelvdik ist geladen mit rhythmischen Energien, die zu entfesseln, gerade einen TvS- eanint reizen mußte. Dann dirigierte ToScantni seinen Beet hoven. Das heißt: eigentlich ist „sein" Beethoven sa der ganz pathetische der „Eroika" und der „Zünften". NnS aber lieb er die ,.Siebente" hören, die Tänzerische, Dionysische. Er ent wickelte sic jedenfalls von Satz zu Satz in mächtiger Steige rung, um im feurigen Finale zu gipfeln: Dieses rauschhaste vrgiastische Finale war so echt deutsche Kraft, geleitet von romanischem Elan und Temverament. Aber wundervoll vor her doch auch die weltferne Abklärung, mit der in sehr breiter Linie die langsame Einleitung des AllegroS hingelegt wurde, und auch die schöne mystische Stimmung deS AllegrettoS — wirklich als solches, das heißt, stets fließend gegeben. Ueber- hanpt, wenn man jemandem, der es nicht gehört hat, erkläre» wollte, wie nun eigentlich ToScanini so eine Sinfonie macht, müßte man sagen: Sieh' dir die Partitur an,« unterstreiche jedes — icdcö! — VortragSzcichcn bis aus das kleinste Akzent- chcn rot, damit du'S nicht übersiehst, überleg' dir jede Tempo- bezeichnung ans ihren innersten Sinn, schalte auch die win zigste eigene Zutat oder Willkür de» BortragS ans — und du hast daS Klangbild, wie es Toscanini gibt. Er ist eben Originalsanatikcr. Und daß dabei trotzdem keine Bnchiiaben- sexcrci hcrauskvmmt, sondern eine klingende Verlebendigung voll unvergleichlicher persönlich geprägter Vitalität: das sst das letzte von den drciiindzwanzig Wundern, die Toscanini« Dirigententum umgeben. Herrschte im ersten Teil des Programms die beseelte Architektonik vor, so gewannen nun im zweiten die Farbe und der Klang als solche beherrschend das Feld. Ganz als er lesene, impressionistische Klangstudie wirkte Debuisys sin fonische Dichtung „DaS Meer". Zhre drei Lätze: „Vom Morgen znm Mittag", „Spiel der Wellen" und „Wind »nd Meer" sind fein und wirkungsvoll getönte Tonschildc- rungen, wie sie die „Zungsranzosen" zu Beginn des Zahr- hunderts in nicht sehr tiefschürfender, etwas salvnhaiter, aber von hellhörigster Klangkultur getragener Kunstfertigkeit hin- zuwcrfen verstanden. Selbst von diesem verwickelten Orchcstcr- gebilbe hatte ToScantni das winzigste Etnsätzchen tm Kops, und das Orchester konnte in einzelnen Ziistrumentengruppc» hier auch höchste technische «Virtuosität entfalten. Insbesondere kamen nun auch mehr und mehr die wundervollen Bläser zur Geltung. Für sie gab es dann noch ein besonderes Parade- stück: das Notturno und Scherzo aus Mendelssohns „S o m m c r n a ch t s t r a u m"-Musik: Weichheit» Glanz, stgn- rative Feinheit wechselten hier in berückendem Maße: als solistischer Meisterslütist konnte John Amans, das unvergessene ehemalige Mitglied unserer Slaatskapelle, hervvrtreten. der sich nun tn dieses Orchester gesunden hat. War aber immerhin bei diesen Stücken die künstlerische Teilnahme allmählich mehr znm rein artistischen Vergnügen geworden, so kam »un als gewaltiger Schlußakkord noch einmal auch ein inneres Er lebnis von erschütternder Gewalt: Vorspiel und Liebes- tvd aus „Tristan". Hier nahm Toseaninis Musizieren jenen Charakter innerer „Besessenheit" an, die die letzte Hin gabe an ein Kunstwerk ist und erzwingt. Auch hier ein pracht volles klangliches Erlebnis, dazu aber auch ein monumentaler Ausbau, eine Steigerung, eine AuSdrucksgewalt alles in allem, die tn tiefster Seele erschütterte. Man dachte an Wagners Wort, gute Aufführungen des „Tristan" müßten die Hörer eigentlich verrückt machen. Wenn darunter senc erhabene „Manta" verstanden wird, die den Griechen einst der Gipfel stchselbstentäubernden Kunsterlebens bedeutete, so kann man m der Tat ToScanintS „Tristan" eine solch entrückende Wir kung zuschretben. In der ganzen Art der Auffassung, tm breiten mviilimentalen Tempo vor allem folgte der Italiener der besten alten deutschen Tradition der nächsten Wagner- schule. Ueber den ungeheuren äußeren Erfolg, den das Konzert hatte, ist ein großer Teil unserer Leser schon unterrichtet. Die Beifallsstürme, die das ausvcrkaustc, in höchster Eleaanz sich zeigende -Haus aii diesem Abend viertelstiindcnlang dnrch- bransten, haben nicht nur der Stärke, sondern auch der Ursache nach ihren ganz besonderen Charakter gehabt. Denn sie aalten nicht einer irgendwie blendenden äußeren Birtnosität, sondern einem Künstlertum, dessen letzter Sinn Dienst am ernsten, dem
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