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Zrei neue bntlv afsnungsnoten! Kalllvse Vorwürfe und Beschwerden -er Votschasler-Konferenz. — Der politische Hintergrund. Abschluß -es Minderheilenkongresses in Gens. — Mobilisierung von 5,S Milliarden Eisenbahn-Obligationen? Die neuen Forderungen. Berlin, 27. August. Die RclchSrcgierung hat von der Notfchastcrkonfereuz mit dem Datum vom 17. August drei Noten erhalten, die sämtlich die Entwaffnungsfragc be treffen. Die erstcNote enthält eine Beschwerde über die weitere militärische Tätigkeit von Verbänden in Deutsch land unter Bezugnahme ans die Berichte der I. M K. K. aus deutsche Prcsscnachrichten. Die Botschastcrkonsercnz verlang« krlaß ganz klarer gesetzlicher Bestimmungen gegen diese Tätigkeit. Die zweite Note vermittelt die Beschwerde, daß die Forderung der I. M. K. K.. die diese im Auftrag der Bot- iLasterkonferenz übermittelt habe, in bezug auf die ungesetz liche Einstellung von Mannschaften in die Reichswehr nicht dcsolgt worden sei. Die Verfügung des Reichswchrmini- slcriuinS, datz die Einstellungen in die Reichswehr, die nicht dem Wchrgcsetz entsprechen, verboten seien, wird als un genügend s!> bezeichnet. In der dritten Note wird Beschwerde geführt, daß in der lfrlcdignng der von der I. M. K K. beanstandeten Punkte dinsichtlich der Cntwassnng durch Verschleppung „absichtlich Lchwicrigkeitcn" gemacht würden. Die Botschastcrkonsercnz fordert, daß den Anordnungen der I. M. K. K. sofort ent sprochen werden müsse. Wie dazu von offiziöser Stelle bemerkt wird, stellen diese Noten etwas nichts Unerwartetes dar. Man habe mit ihrem Eintreffen schon seit einiger Zeit gerechnet. Sie bilden sozusagen die übliche Form des „Briefwechsels", den die Botschastcr- konferenz mit Deutschland zu führen pflege. Trotz Locarno- gcist und anderer Beteuerungen pflegt die Entente ihrerseits fast durchweg Beschwerden vorzubringen, und wie üblich, so auch diesmal nicht in dem Tone, der sonst in diplomatischen Zchciststückcn üblich ist. Die in Frage kommenden amtlichen -teile» sind zurzeit mit der Durchprüfung der Noten beschäf tig Daß ihrem Inhalt jegliche sachliche Berechtigung fehlt, dcdars erst keines Nachweises. Die RcichSregierung wird darum in ihrer Antwort an die Botschafter-Konferenz auch zum Ausdruck bringen, daß diese Beschwerden jeglicher Unter lage entbehren. Daß gleich drei Noten aus einmal überreicht wurde», führt man auf den Umstand zurück, daß auö Anlaß des dcuiichrn Drängens, die ganze unwürdige Schnüffelei an gesichts des bevorstehenden Eintritts Deutschlands in den tzölkerbnnd endlich zn beseitigen, die Botschafter-Konferenz nun aus ihrem Füllhorn den Nest von Beschwerden schüttet. den sie glaubt noch vertreten zn können. Als überaus bedauer- lich wird cS empsuudcn, daß sich die Botschafter-Konferenz bet ihren Bemängelungen ausdrücklich aus die Angaben deutscher Presse-Organe stützt. Es ist und bleibt eine Schmach, daß es in Deutschland Zeitungen gibt, die ihre Schamlosigkeit und ihr Vcrrätertum gegenüber dem eigenen Lande soweit treiben, daß sich unsere Feinde ihrer als Stütze in einem längst sinnlos ge wordenen Kampfe gegen Deutschland bedienen können. » So berechtigt cs gewiß auch ist, wenn von deutscher offi ziöser Sette als Grund für die Noten das Bedürfnis der Kon trollkommission angegeben wird, ihre Daseinsberechtigung über den für sie kritischen Termin des deutschen Völkerbunds- beitrilts hinaus zu beweisen, so muß doch das ewige Berliner Bestreben die Ouängclcicn der Kontrollkommission als die harmloseste Sache der Welt hinzustcllen. allmählich aus die Nerven fallen. Man hat jedenfalls noch fast stets die Beobach tung machen müssen, daß die Entente mit neuen Entwasf- nnngSforöcruiigcn anftrat, wenn irgendeine größere politische Entscheidung bcvorstand. Und da diese Noten nicht wie die jüngsten Forderungen gewissermaßen als eine Privatarbeit der Kontrollkommission gelten können, sondern direkt von der Botschafterkonfcren, auSgehen, wird man um so mehr annehmcn müssen, daß hiermit ein Druck manöver cingclettct werden soll, um Deutschland angesichts der neuen Zuspitzung der Tinge in Genf durch die Ablehnung der spanischen Tangerforderung einem Kompromiß geneigt zu machen. Man wird jedenfalls gut tun, die neuen, völlig un motivierten Forderungen unter diesem Gesichtswinkel zu be frachten. Die ^-Boot-Legende. (Durch F u n k s v r u ch.» Berlin, 27. August. Wie den Blättern mitgeteilt wird, ist die von der „Chicago Tribüne" verbreitete Meldung, wonach angeblich in Holland deutsche U-Boote gebaut werden sollen, durchaus falsch. Es sei in dieser Angelegenheit auch nicht, wie die „Chicago Tribüne" gemeldet hatte, e i n e N o t e an die deutsche Negierung gerichtet worden. Unlerbrechung -er Arbetten -er Abrüstung»« Kommission. Genf, 27. August. Die militärische Unterkommission der Abrüstungskonferenz hat beschlossen, während der Arbeiten der Völkerbunds-Versammlung vom 9. bis 27. September ihre Tagung zu unterbrechen. lW. T. B.) Der Völkerbund -er Mlnderhelken. Fünfzig Millionen Angehörige nationaler Minderheiten in Europa kämpfen heute um ihr völkisches und kulturelles Eigenleben. Und sie müssen ihr Recht in einer großen tnter. nationalen Svndcrorganisation suchen außerhalb beS Genfer Völkerbundes, in dessen Wirksamkeit der Schutz der nationalen Minderheiten eigentlich eine der hervor ragendsten Stellen einnehmcn sollte. Das völlige Versagen dcS Völkerbundes in einer für den Frieden und den Wieder aufbau Europas wichtigsten Frage ist der Grund dafür, daß nun schon zum zweiten Male in Gens der europäische Nationalitätcnkongreß stattgesundcn hat. dessen Ziel die Siche rung der Gleichberechtigung ebenso wie der nationalen un- kulturellen Entwicklung der Minderheitcngruppe Europas ist. Und wenn auf der jetzigen Tagung zum Ausdruck kommen mußte, daß der Völkerbund in seiner heutigen Grundlage zur Heilung dieser Krankheit Europas völlig ungeeignet ist, so ist das die schärfste Kritik der Untreue des Völkerbundes gegen, über den von ihm feierlich übernommenen Verpflichtungen deS Schutzes der Rechte der nationalen Minderheiten. Zwar wur den auf Grund von Versailles von den Ententemächten mit Polen, der Tschecho-Slowakei, Rumänien, Griechenland, Armenien, Oesterreich, Bulgarien, Ungarn und der Türket Mtnderheitenvcrträge abgeschlossen und unter den Schutz des Völkerbundes gestellt. Diese Verträge, die die Rechte der Minderheiten sicherstellen sollten, wurden sogar von den einzelnen Staaten als Grundgesetze anerkannt, mit denen kein anderes Gesetz in Widerspruch stehen darf. Aber die Lage der Minderheiten besonders tn Polen und der Tschecho- Slowakei legt ein beredtes Zeugnis dafür ab, mit welcher Ge- wisscnhaftigkeit diese sogar in die Verfassungen der Staate» übcrgegangenen Bestimmungen innegehalten werden. Es kommt hinzu, daß Staaten, die wie Italien in Südtirol die furchtbarste und schrankenloseste AuSrottungspolitik betreiben» durch keinerlei Verträge gebunden sind. Und wenn der Völker bundsrat schließlich tm Dezember v. I. unter ausdrücklicher Zustimmung ChamberlainS jene unerhörte von dem Brasi lianer Mello Franco eingebrachte Resolution angenommen hat» die als Ziel der Minderheitenpolitik nicht die Schaffung be sonderer dem Gcsamtkörper deS Staates fremd gegenüber stehender Bevölkerungsgruppen, sondern die Vorbereitung einer späteren Verschmelzung zu vollernationaler Einheit mit dem Mehrheitsvolk bezeichnet, so be deutet -lese Haltung des Völkerbundes eine glatte Verneinung des Minderheitenschutzes, wie er einst aller Welt feierlich ver kündet wurde. Diese Entschließung war die Antwort auf die Aufforderung des vorjährigen Mindcrhcitcnkongrcsscs an den Völkerbund, sich „entsprechend seiner klar formulierten Auf gabe und im Sinne seiner Erklärungen vom 21. September 1922 besonders eingehend" mit der Lösung der Minderheiten frage zu beschäftigen. Trotzdem wird die höchst seltsame Entschließung beS Völkerbundsrates nicht das letzte Wort des Völkerbundes sein, da die Minderheitenfrage bereits seit den erfreulichen Beschlüssen der Internationalen Juristcnvercinigung immer stärker an den Türen des Genfer NeformationssaalcS an klopft und besonders, da sich der neue Völkerbund de» Minderheiten mehr und mehr zu einer Organisation auS- wächst, die nicht mehr zu übersehen ist. Ursprünglich hatt« man besonders in Deutschland dem Plane skeptisch gegenüber- gestanden, die verschiedenartigsten Minderheiten, wie die Deutschen in Polen, Böhmen, Italien, Serbien, Rumänien» Dänemark und den Randstaaten, die Weißrussen, Ukrainer und Juden der Oststaatcn, die Slowenen Italiens, dis Bulgaren, Mazedonier und die unzähligen anderen Gruppen, zu ersprießlicher Gemeinschaftsarbeit zusammenzusassen. Gerade tn Deutschland hatte man genügend triftige Gründe» auf die großen Unterschiede zwischen Len durch die ver- schiedencn Friedensdiktate gewaltsam non ihren Mutter ländern abgetrcnntcn und fremden Staaten angcgliedertcn Grenzgebieten und den seit Jahrzehnten und Jahrhunderten bereits bestehenden Mindcrheitsgruppen in anderen Ländern, wie den Deutschen tm Banat, in Siebenbürgen und an der Wolga hinzuweiscn. ES kann schließlich auch nicht das letzte Ziel der deutschen Minderheitspolitik sein, „innerhalb der bestehenden StaatSgcsttge", das heißt auf dem Boden der durch die Friedcnsdiktate geschaffenen Verhältnisse, die für Deutsch, land den Verlust unverzichtbarer und lebensnotwendigster Gebiete gebracht haben, lediglich an der Besserung -er v. Koesch' Auftrag für Gens. Keine Bindung in -er Aalssrage. Berlin, 27. August. Der deutsche Botschafter in Paris, Herr v. Hoesch, hatte heute mit dem Rcichsaußenminister Lire se mann eine ausführliche Besprechung über alle den deutschen Eintritt in den Völkerbund betreffenden Fragen. Herr v. Hoesch wird sich nun nach Genf begeben, mit der kNisiing, die Verhandlungen der Studicnkommisfion weiter, bin mit seinem Rat zu unterstützen, ohne sich in irgend einer norm für oder gegen die Bewerbung der im Bölkerbnndsrat vertretenen Mächte um ständige, halbständige oder nichtständige Natesitzc cinzusetzcn. Im Zusammenhang mit der Reise des tzcrrn v Hoesch nach Berlin sind, wie schon kurz berichtet, in der Pariser Presse Mitteilungen erschienen, die zum Aus druck bringen, daß Deutschland sich zu Zugeständnissen in der Besatz ungssrage bereit erklärt hätte. Bereits gestern war im Auswärtigen Ausschuß von deutschnationaler Leite mit allem Nachdruck erklärt worden, daß ein Eintritt Tcutichlands in den Völkerbund solange abzulehncn sei, als nicht mindestens die Zusage der Locarno-Mächte und der Rhcinlandkommisston über die Hcrabmindcrung der 41c- iahungstruppen dnrchgcsührt werde, v. Hoesch hat in dieser Hinsicht heute Bericht erstattet. Nach Pariser Meldungen soll Herr von Hoesch gestern dem französischen Äußenministcr erklärt habe», daß für Deutsch land die Hcrabmindcrung der Besatzungöstärkc um 8999 Mann bei weitem nicht genüge, und daß mindestens eiuc Herabmindc- rung um IS 999 Mann cintrctcn müsse. Diese Forderung soll Nriand abgelehnt haben. Die diesbezüglichen Mit- teilnngen der Pariser Presse dürften sicher auch zutreffen. Tann wird aber weiter gemeldet, daß der deutsche Botschafter sich im Austrage der deutschen Regierung zu s e h r weit- «che »den Konzessionen bereiterklärt habe, und zwar in einer großen N m n c st i c der wegen separatistischer Umtriebe verurteilte» Personen, zur Einstellung der Ver- Lsfentlichnng von Aktenstü-t-n über den Nnhreinbrnch und die Rheinlandbesetzung. Ferner soll er angeboten haben, daß Privatveröfsentlichungcn über diese Fragen tm Nahmen der bestehenden Gesetze nach Möglichkeit unterdrückt werben und daß die deutsche Negierung aus die Einsetzung einer Unter suchungskommission über die Borsälle in GcrmerShcim ver zichtet und sich mit einer Entscheidung der Urteile begnüge. Diese angeblichen Zugeständnisse werden heute von zu ständiger deutscher Seite entschieden dementiert, und zwar mit der Erklärung, daß zu einer weiteren Herabminderung ohne jede deutsche Gegenleistung geschritten werden müsse. An gesichts der Tatsache aber, daß die RcichSregierung tn der letzten Zeit ihren Dementicrungsapparat in Bewegung setzte, obwohl die tatsächlichen Verhältnisse den in Frage kommenden Pressemeldungen durchaus entsprachen, wird man auch dies mal von diesen Pariser Meldungen Notiz nehmen müssen, vielleicht nicht tn dem Sinne, daß der deutsche Botschafter, Herr v. Hoesch, diese Angebote tatsächlich gemacht hätte, sondern daß sie vielleicht eher vom französischen Außenminister vorgcschlagcn wurden. Professor Koehfch lehnt die Derusung nach Gens ab. Berlin, 27. August. Wie die beutschnationale Pressestelle mitteilt, hat der Vorsitzende der Partei namens der Partei leitung und in Ucbereinstiinmung mit Professor Hoctzsch ge beten, von der beabsichtigten Berufung Professor Hoetzsch' für die deutsche Delegation nach Gens abzusehen. In der Be gründung wird auSgeführt, daß der deutschnationale Ver treter bei den eigentlichen Entscheidungen an die Instruktionen der deutschen RcichSregierung und die Gesamtheit der Dele gation gebunden sein würde, die ohne entscheidende Mit wirkung der Deutichnationalen Volkspartei festgclegt worden seien. Die ihm so vvrgcschriebene Haltung aber würde, da er gleichzeitig Parteivertreter sei, praktisch die Partei binden und in die Verantwortung für die NcgierungSpolitik hineinzichcn.