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Letzte Grubenfatirt -er M-erfer SM M Särge im Trauerzug WSdors. 28. Oktober. Unter grauverhangenem Himmel pilgerten am frühen Morgen die Angehörigen der Ovser der Gruöenkatastrophe und mit ihnen fast alle Einwohner von Alsdorf und den schwer betroffenen Nachbargemeinden KellerSberg und Schaufenberg zu den Trauerfeiern, dt« mit Seelenämtern und Trauergottesdiensten begannen. Biele Häuser haben halbmast geflaggt. Schwer und steif hängen die durchnäßten Kähnen herab. Biele Geistliche treffen von auswärts ein. Am Kasino der Grubenverwaltnnq sind die Bergknappen in ihrer schwarze« Tracht mit Barett und Kederbnsch, di« brennende Grubenlampe in der Hand, angctreten. Eie werden den Toten das letzte Geleit geben. Bon auswärts treffen viele Kraftwagen ein. Die in einem Aufgebot von SM Mann anwesende Schutzpolizei hat Mühe, die umfassenden Ab- sperrungsmaßnahmcn aufrechtzuerhalten. Auch Lastkraftwagen, mit Tannengrüu ausgeschlagen, die die Toten vom Verwal tungsgebäude zum Kriedhos bringen werden, treffen ein. Ein fache weiße Kreuze werden aus Wagen geladen. Sie tragen nur den Namen des Toten und haben alle die glefchc Form. In das Verwaltungsgebäude werben unaufhörlich Kränze und Blumen getragen und vor den Särgen nieder gelegt. Im Rathaus fand die Tranerknndgebnng des GemcinderateS statt. Im fchwarzverhängte« Saal waren di« Sttihle der Sei den det dem Unglück LU Tode gekommenen Beigeordneten mit schwarzem Klor verhüllt. An ihrem Platz lagen Blumen sträuße, gewidmet von der Gemeinde AlSdorf, auf dem Tisch hatten der Reichspräsident, der Reichstag und die Stabt Aachen Kränze niederlegen lassen. Bürgermeister Becker gedachte in einer kurzen An sprache des schweren Leides, das die Gemeinde Alsdorf und ihre Nachbargemeinden betroffen hat. Er forderte die Ge- meindemitglieder zu treuer Zusammenarbeit auf und alles das zur Hilfeleistung zu tun, was in ihren Kräften stehe. Zu der Trauerfeier in der Waschkaue im Verwaltungs gebäude und in den anschließenden Hallen hatten sich neben den Angehörigen der Opfer viele Vertreter von Behörden und Verbänden eingefundcn. Man sah neben den Ministern den Oberpräsibenten und di« Negterungsprästdcnten der Nheinprovinz, Vertreter des in- und ausländischen Bergbaues» zahl, reiche Industrielle des Nuhrgebiets, die Oberbürgermeister vieler rheinischer Städte und benach barter holländischer Gemeinden sowie Vertreter der Arbeit geber. und Arbeitnehmerverbände. Zahlreiche Abordnungen der Bergknappen aus allen deutschen und den benachbarten ausländischen Bergreviercn gaben dem ernsten Bild einen würdigen Rahmen. Vor den Särgen und überall an den Wän den sah man Kränze, deren Schleifen die Karben vieler Län der und Städte tragen. Das Rednerpult schmückte ein riesiger Kranz der Burbacher Hütte. Der Trauerschmuck wurde durch zahlreiche Lorbeerbäume vervollständigt. Als erster nahm Generaldirektor Dr. Westermau« baS Wort. Namens des AussichtsrateS und des Vorstandes des Eschwetler BerawerksvereiuS drückte er den Angehörigen der Verunglückten sein ttefempsundene» Mitleid ans «nd ver sicherte, den Verblichenen ein dauerndes ehrendes Andenken u bewahren. Mit allen Kräften werde dafür gesorgt werben, aß dem nicht zu heilenden seelischen Leid materielle Not er spart bleibe. Der Eschwetler Bergwerksverein betrachte es als seine Ehrenpflicht, den Hinterbliebenen treu zur Seite zu stehen. Nachruf -er Reichs' un- Preußenregierung Dann ergriff Reichsarbeitsminister Dr. Stegerwald das Wort zu einem kurzen Nachruf, in dem er u. a. erklärte: «Der Herr Reichspräsident und die Rcichsrcgierung wollen durch den Rcichsarbeitsministcr die teuren Toten auf ihrem letzten Wege begleiten. Wieder einmal ist der deutsche Berg bau durch einen Ausbruch jener unerbittlichen Naturgewalten, deren der Mensch trotz aller Bemühungen noch immer nicht Herr werden kann, heimgesucht worden. Die Bcrgbaukata- strophe, deren unglückliche Opfer mir in dieser Tranerstunde ehren, hat in gleicher Weise den Bergmann unter, wie Büro beamte. Angestellte, Arbeiter und Arbeiterinnen über Tage dahingerasst. Trotz der Opfcrfreudigkeit und Todesverachtung der getreuen Helfer konnten leider so viele, die man noch immer lebend zu retten hoffte, nicht mehr gerettet werden. Sine unendliche Trauer liegt über ganz Deutschland, und mit unserem Volke trauern fast alle Völker der Welt «m die Helden der Arbeit, vor deren Särgen wir aufs tiefste erschüttert stehen. Die Negierungen von Frankreich und Ju goslawicn haben besondere Vertreter zur heutigen Trauerstunde entsandt. Namens der Reichöregierung danke ich für die dadurch zum Ausdruck gebrachte Teilnahme an unserem deutschen Unglück. Unser herzliches und aufrichtiges Mitgefühl gilt vor allem den Hinterbliebenen der Verschiedenen. Was irgend getan werden kann, sie vor Not zu bewahren, soll und wird ge schehen. Die Hilfe wird nicht nur aus die gesetzlich vorgcschrie- benen Unterstützungen beschränkt, sondern darüber hinaus sind besondere Hilfsmaßnahmen eingeleitet. Ihr, die ihr jetzt im Tobe ruht» standet im Bewußtsein des Schicksals, das euch täglich ereilen konnte, in eurer ernsten harten Arbeit. Ihr sielt in treuer Pslichtersül- lnng im Dienste eures Volkes! Mit dem Kranze, den ich im Aufträge des Herrn Reichspräsidenten «nd der Neichs- regierung überbringe, ehrt das ganze deutsche Volk in dankbarem Gedenken euer Wirken, euer Sterben!" Nach dem Reichsarbeitsmintster sprach für die preußische Negierung Handelsminister Dr. Schreiber. Er führte etwas folgendes aus: „An dem schweren Unglück, das Sie alle betroffen hat, nimmt die preußische Staatsregierung wärmsten Anteil. Tics erschüttert stehen wir an den Särgen oll der braven Berg leute, die mitten in ihrer friedlichen Arbeit, von furchtbarer Katastrophe überrascht, so jäh dem Leben und ihren Lieben entrissen wurden. Das. was die Angehörigen der Verstor benen in diesen Stunden des Grauens verloren haben, ver mag niemand ihnen zu ersehen. Möge es den Witwen und Waisen ein Trost sein, daß mit ihnen das ganze deutsche Volk uno über Deutschlands Grenzen hinaus auch der Berg bau und die Bergleute des Auslandes aufrichtig Anteil «ehmen an der Trauer, in die sie versetzt worden sind. Den seelischen Schmerz der Angehörigen um die Dahingeschtedenen hütureu wir nicht linder», so wolle« vir wevigsteus die äußeren Lasten erleichtern und Ihnen dadurch über die schwere Zeit hinwcghelfen. Noch ist die Ursache dieser Katastrophe ein Rätsel. Möge cs der sorgfältigen Untersuchung gelingen, sie zu klären und neue Mittel und Wege zu finden zur Abwendung der Gefahren, die immer noch den Bergbau umlauern. Die Verwaltung wird in Gemeinschaft mit allen Beteiligten alle ihre Kräfte für dieses hohe Ziel cinsctzen, und es wirb alles geschehen, was irgend in Menschenhand liegt, um die Wieder kehr ähnlicher Katastrophen zu verhüten. Allen Bergleuten, die verwundet daniederlicgen, wünsche ich von ganzem Herzen baldige und völlige Genesung. Allen denen, die sofort nach dem Unglück ohne Zögern opfermutig ihr Leben und ihre ganze Kraft für die Bergung der Verunglückten eingesetzt haben, gilt meine besondere Anerkennung und mein wärmster Dank. Den Toten aber weihen wir als Abschiedsgrub znr letzten Grubenfahrt den alten Bcrgmannögruß: Glück aus!" Auch der Vertreter des Belcgschastsrates sandte den in ihrer Arbeit üahingcschiedene» Kameraden das letzte „Glück auf!" Dann wurden unter Orgelfpiel die S6S Särge aus dem Verwaltungsgebäude herausgebracht. Kopf an Kops stand die Menge in dichten Reihen ans dem Wege nach dem Friedhos» um den Toten die letzte Ehre zu erweisen. Unter den Klängen des Chopinschcn Trauermarsches setzte sich der gewaltige Leichenzug vom Verwaltungsgebäude in Bewegung. Bor den 4V Lastkraftwagen mit den Särgen schritten 32 katholische Geistliche und 16 evangelische Geistliche sowie der Rabbiner. Die Särge waren von den reichen .Kranzspenden fast verdeckt. Im Trauerzuge sah man ferner die Fahnen der .Knappschaftsveretne, umhüllt mit Trauerflor. In langem Zuge trugen Feuerwehrleute die riesigen Kränze des Reichspräsidenten, der Reichs- und Staatsbehörden, der Städte und Verbände. Unmittelbar hinter den Wagen folgt« der Zug der Angehörigen der Verstorbenen, leid tragende Frauen, Männer, Kinder, Väter und Söhne. Die Vertreter der Verwaltung des Eschwetler BergwerkvereinS, der Zechenverwaltungen ufw. bildeten den Abschluß. Nach einer kurzen Strecke zweigten die Wagen mit den in Kellers berg und Schaufenberg beheimateten Toten ab. 1S7 Tote wurden in Alsdorf, IN in Schaufenberg «nd 87 in KellerSberg beigesetzt. Die Bestattung der übrigen Toten erfolgt auf den auswärtigen Heimatsrtedhüfen. Ueber eine Stunde zog der erschütternde Trauerzug au den Tausenden von Menschen vorüber. Der kleine Friedhof konnte die Menge der Leidtragenden nicht fasten. Nach der Einweihung der Gräber durch die Geistlichen und nach kurzen Gebeten wurden die Särge in die Gruft gesenkt. Blumengewinde deckten sie zu. Der Bergmannsgrub „Glück auf" schwebte über die Gräber, Eine schwere Ungerechtigkeit gegen Sachsen Berlin und Preußen sind Trumpf in Deutschland. Ganz so, als ob wir bereits in einem zentralistischen Einheitsstaat lebten. Ein schreiender Beweis dafür sind die aufsehen erregenden Ungerechtigkeiten, die sich bei der Verteilung der Reichsausträge an die einzelnen deutschen Länder er geben. Nach den neuesten Berechnungen hat durch die Kon zentration der Reichsb;hörden in Berlin seit der Neu gestaltung des Reiches durch die Weimarer Verfassung Sach sen für rund 800 Millionen Mark zu wenig Bayern um 400 Millionen. Württemberg um 200 Millionen zu wenig Reichsaufträge erhalten. Umgekehrt hat Preu ßen. insbesondere Berlin und die Mark Brandenburg, so wie das rheinisch-westfälische Industriegebiet, über seinen ge rechten und schlüsselmäßigen Anteil hinaus ein Mehr von fast 2N Milliarden bekommen. Nichts kennzeichnet diese unglaubliche Bevorzugung eines einzelnen Landes mehr, als die Tatsache, daß Sachsen, falls es von Berlin gerecht behandelt worden wäre, rund 60- bis 75 000 Arbeiter im Jahresdurchschnitt hätte mehr beschäftige« können. Dabei ist zu bedenken, daß Sachsen das zweit größte Industriegebiet Deutschlands ist. Die Aus rede, die das Reich etwa Bayern oder Württemberg gegen, über gebrauchen könnte, daß Preußen allein die industrielle» Standorte» als» di, Hersteüungsmöglichkeiten, besitzt und des halb da» natürliche Recht hätte, einen „Voraus" zu fordern, trifft auf ein Industrieland wie Sachsen überhaupt nicht zu. Trvtzdem steht, wie die letzte Reichßstatistik des Rechnungs jahres 1929 ll. Juli 1929 bis 31. März 1930) lehrt. Sachse« sogar noch hinter dem mehr agrarischen Süden unseres Vaterlandes zurück. Rechnet man die Neichsaufträge aus den Kopf dertq Industrie und Handwerk tätigen Menschen der einzelnen Länder um, so erhält die Stadt Berlin 72L die Provinz Brandenburg 77,16 die Nheinprovinz 74,99 ?S, Preußen insgesamt 60,64 von den süddeutschen Ländern Württemberg 19,93 Bayern 22,11 A, Baden 31,92 da gegen das industrielle Sachsen nur ganze 14,12A. Run vergleiche man diese Zahl einmal mit denen von Berlin, Brandenburg und der Rheinprovinz. Dann ist wohl kein Wort mehr nötig, um darzutun, daß Sachsen das Aschen brödel hinsichtlich der Neichsaufträge geworden ist. Schlech ter als Sachsen geht es nur noch Poscn-Wcstpreußen, Schles wig-Holstein, Thüringen, Hohcnzollcrn, Mecklenburg-Strelitz, Lippe-Schaumburg und Lippe-Detmold. Also Provinzen und Länder, die teilweise rein agrarisch oder, wie Lippe und Hohcnzollcrn, zu klein sind, um überhaupt die Möglichkeit zu besitzen, Neichsaufträge auszuführen. Krasser als in diesen Tatsachen kann sich die Zurücksetzung des zweitgrößten deut schen Industrielandes nicht ausdrücken. Insgesamt entfallen auf Preußen 78,9 H sämtlicher Neichs- auftrügc, obwohl cs nur 68,80 der in Industrie und Handel tätigen Bevölkerung Deutschlands aufweist, während S a chscn 12,4 der industriellen Bevölkerung Deutschlands zählt, aber nur 4,7 A der Reichs aufträge erhält. Auch die absoluten Zahlen sind sehr interessant. Danach haben im letzten Rechnungsjahre von ins gesamt 785 596 000 Mark Reichsaufträgcn Brandenburg 175 666 000 Mark. Rheinland-Westfalen 317 076 000 Mark und Sachsen ganze 36 659 000 Mark erhalten. Ob man die an schaulichen Prozentzahlen nimmt oder die absoluten Zahlen, immer verkünden sie eindringlich die schreiende U n gerecht igkeit,die die Zentral st eilen in Ber lin an den nichtprenßischcn Ländern und ganz besonders an unserer sächsischen Heimat ver üben. Es ist dabet gleichgültig, welches Ressort man heraus greift, stets ist das Zahlenvcrhältnis ein auffallend un günstiges für Sachsen. So flössen von den Aufträgen der Reichsbahn der Provinz Brandenburg 74 400 000 Mark (gleich 12H A) zu, Rheinland und Westfalen 270 456 000 Mark (38,1 A) und Sachscn 30534 000 Mark (5,3 5L). Wir erinnern nur daran, daß dank dieser einseitigen Aiiftragsvergebung nicht einmal Sachsens einzige Lokomotivenfabrik am Leben erhalten werden konnte. Am schärfsten aber tritt Sie ein seitige Vergebung von Rctchsaufträgen bei der Reichs, post in Erscheinung. Von insgesamt 139297000 Mark Auf- trägen werden allein in Brandenburg-Berlin 86 297 000 Mark ober 61,2 N vergeben, bas Rheinland erhält 17 940 000 Mark oder 12,9 N, Bayern 11550 000 Mark ober 8,3 A und Sach sen die unglaublich niedrige Summe von 2 959 000 Mark oder 2,1 All' diese Zahlen lassen mit schlagender Deutlichkeit er- kennen, baß die Auftragserteilung der Reichsbehördcn sich immer mehr auf Berlin mit einem Fünftel aller Auf träge, aus die Provinz Brandenburg einschließlich Berlin mit einem Viertel und die Rheinprovinz mit einem Drittel aller Aufträge konzentriert. Die Anteile aller Länder liegen wett unter dem prozentualen Anteil Preußens. Insbesondere liegt der Anteil Sachsens mit 4,7 H wett unter dem Reichs- durchschnttt. Nun -rängt die prtvatwtrtschaftltche Entwicklung schon an sich immer mehr zu etuer u«ges»nd«n Sp»4