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01-Frühausgabe Dresdner Nachrichten : 31.03.1927
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1927-03-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-19270331011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-1927033101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-1927033101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-03
- Tag 1927-03-31
-
Monat
1927-03
-
Jahr
1927
- Titel
- 01-Frühausgabe Dresdner Nachrichten : 31.03.1927
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M, Pessimismus un- Optimismus. Es ist nicht gerade schwer, fick in eine Zukunft zu ver setzen, wo die Menschen alles tlneolc überwunden haben und einander lauter Liebe erweisen. Daö Schrifttum ist reich an solchen Wunschträume», unter denen Edward Bellamys l887 erschienener Rückblick aus dem Jahre 2000 wohl das größte Aussehen erregt hat. Nach diesem Gutgläubige» sollte also die Entwicklung deS irdischen Geschlechtes so rasch aufwärts, gehen, das, cö innerhalb eines Zeitraumes von nur 113 Jahren zum wirtschaftlichen, soziale» und ethischen Ausgleich gelangte. Nun, mittlerweile sind selbst die grüßten Utopisten bescheidener geworden und verlegen den Eintritt des allgemeinen Friedens- zustandeS weiter hinaus: wer aber aus den bisherigen Ver laus der Weltgeschichte blickt, der wird sich freilich sagen, das; die Dichter, auch wenn sie erst das vierte Jahrtausend alö das der Glückseligkeit erwählen, doch immer noch viel zu früh rechnen. Und so, fürchte ich, werden die in jenem Jahrtausend Lebenden, wenn ihnen „Der Trau m" von H. G. Wells lBerlag von Paul Zolnay, Berlin» in die Hände fällt, mit Seufzen sprechen: „Ja, Verehrter, das hast du dir sehr schön gedacht, leider steht eS bet unS ganz anders ans und ist nicht viel bester als zu euren Zeiten." Wells läßt in seinem Roma» eine Anzahl Männer und rauen, die von allen einstigen Hemmungen. Sorgen und orurteilen erlöst sind, aus der hohen Wirte ihrer freien An schanungen mit Grauen, Verwunderung und nicht ohne Spott in das mühselige Dasein zurückspähen, wie wir es jetzt führe»: sic wissen selbstverständlich nicht mehr,' was Krieg ist. sic kennen keine Irrungen deö Herzens mehr, sie kämpfen nicht um das Tägliche, sondern reden immer nur milde Weis heiten und bequeme Erhabenheiten. Ob die Gegenwart nicht farbiger, mit ihrer Leidenschaftlichkeit, ihrem Ringen, ihrem Chaos nicht lebenswerter ist als diese nach angelsächsischer Weise teekestelseltge Abgeklärtheit'? — „Es irrt der Mensch, so lang er strebt." Strebt er aber noch, wenn er nicht mehr irrt? Und ohne Streben — gähnende Langeweile! Im Grunde widerlegt Wells sich selbst. Denn einer von denen, die nun nichts mehr mit dem Wahne der Sterblichen zu tun haben, träumt sein vergangenes Dasein und erzählt cS seinen Freunden: sie bemitleiden ihn allerdings, weil er so Schlimmes durchwachen mußte, eS ist ihnen indes doch recht fesselnd, einmal derlei ans einem bewegten Zeitalter zu hören, denn am eigenen Ich erfahren sie ja solche Dinge nicht mehr, und könnte man sich sogar denken, daß in ihnen, soweit sie sich das innerlichst Menschliche bewahrt haben, ein Ver- langen nach dem Sturm erwachte, genau wie wir unS in Stunden der Müdigkeit gern die Stille als Ideal vorstcllen. Denn das ist nun einmal nicht anders: „— wo ihr'S packt, da tst'S interessant." Der vom Angsttraum gequälte Arzt Sarnac berichtet, wie er als Harrn Mortimer Smith eine böse, freudlose Jugend hatte: seine Familie war nicht danach, ihm eine ordentliche Erziehung angedeihen zu lassen: arm nnd verwahrlost wuchs er mit seiner Schwester Fanny heran, bis er endlich in irgend einer unbestimmten Hoffnung dem Elternhause entfloh. Es türmten sich die Hindernisse auch fernerhin auf, aber er setzte sich durch und widmete sich einem volksbildenden Berufe, und schon war Aussicht für ihn, daß cs ihm fortan gutgehen werde, -a trat eine Katastrophe ein: seine Frau Hctty, sonst ein feines und hochgesinntes Wesen, tat einen Schritt vom Wege, und in seiner Eifersucht zerstörte er seine Ehe Eine zweite Heirat konnte ihm da> erste Glück nicht ersetzen. Hctty ver- mahlte sich mit dem Manne, dem sie zum Opfer fiel, er war aber nichts weniger als ihrer würdig, Smith wollte, ihr dazu verhelfen, diesen heruntergekommenen Menschen zu verlassen, wurde jedoch von ihm getötet. Das alles ist in realistischer Form grau auf grau gemalt: unsere Zeit wird, damit der Gegensatz zu der leuchtenden Zu kunft herauökommt, so schlecht wie möglich gemacht. Es ist ein bedrückendes Ruch: eine Höhe hat der Inhalt nicht, und die Rahmenerzählung könnte ebenso gut fehlen, denn die ent rüsteten oder wehklagenden Zwischenrufe der Gesellschaft um den Erzähler herum sind billig. Es wehrt sich alles in einem, schlichtwcg vor die Tatsache eines goldenen Zeitalters gestellt zu werden: wer das tut, von dem verlangen wir zunächst, daß er uns zeigt und nachweist, wie und wodurch den» die Menschen so ganz anders geworden sind als wir. Die Hand lung wird auch zum Teil zu weit ausgesponnen. Erheblich mehr Freude nnd Genüge bereitet das Lesen des Romans „Der H v h l o f c n b a u c r", den uns Gustav Schröer durch die Hanseatische Verlagsanstalt in Hamburg barbieret. Schröer ist der geborene Baucrndichter: die Dorf gestalten. die er schafft, haben nicht das geringste Salonartige an sich, sondern sind wahr und echt vom Wirbel bis zur Sohle: sie denken, fühlen, reden und handeln so. wie nur der es vermag, der tnnigst mit der ihn nährenden Scholle verwachsen ist, und so dienen die Bücher des in WüstegterS- -ors geborenen und in Erfurt lebenden Verfassers mit dazu, tem Städter daö Verständnis für daö Landvolk zu eröffnen. In dem Hohlosenbauer nun, dem 65jährigen, wuschelköpsigen Heinrich Korn, sehen wir einen Mann von viel Wunde, lich- kett und sogar Verschrobenheit deö Empfindens: die Welt spiegelt sich ganz eigen in dieser Seele, die ihren brodeltgen Humor hat und trotz mancherlei Irrwege doch das Nichtige will und erreicht. DaS Geld spielt in der gemütvoll-lustigen Geschichte eine bedeutende Rolle. Heinrich Korn hat die Tor heit begangen, sich daraus fcstzulegen, daß seine Schwieger tochter 5000 Taler mit in die Ehe bringen müsse. Das liebe Mariele mit den prachtvollen langen Zöpfen, aber ohne Mehl schatz, wird vom jungen Rudolf Korn herzlich geliebt, und der Alte steht zu dem Mädchen wie ein Vater, aber er ist nun einmal dem schlauen Endcr in die Falle gegangen, und nun versucht er selber, der Erwählte» seines Sohnes die Mitgift zu verschaffen, und das geschieht dann auf mancherlei krum men Pfaden, bis alles in Ordnung ist und die jungen Leute einander heiraten können. Erdgeruch, erquickender, überall: kräftige Charakteristik, unmittelbare Anschauung eines zwar lange nicht einfachen, aber durch und durch gesunden Lebens: die Sitten und Ge bräuche der Dörfler, ihre festlichen Freuden, ihre nur karg beweinten Leiden werden vortrefflich geschildert. Das ist, dem Lamento eines Wells gegenüber, fröhliche, tüchtige Bejahung unserer Zeit! Und ein deutsches Aiifsticgöwcrk, wie wir cö brauchen können, ist auch „Der Weg durchs Ad dermvor", ein Roman von Karl Strecker im Verlag von Ernst Keils .Nachf. lAngust Scherl», Berlin. Der unseren Lesern durch seine feinsinnigen, immer für das Ursprüngliche und Frische riiitrctcndc», Bühnchkritiken bestens bekannte Verfasser zeich net hier den Werdegang eines Menschen, dem in der Jugend kein freundlicher Stern scheint. Dietrichs Vater ist Unschuldig im Gefängnis gestorben, seine Mutter wurde ans Gram dar über wahnsinnig. Durch die Heide, durch daö von Ottern bewohnte Moor sehen mir ihn mit der unglücklichen Fmu irren, er kommt zu einem Wilderer, der ibm wahrlich nichts Gutes lehrt aber die .üci.iheit seiner Seele ist kräftig genug, um alle bösen Einflüsse »»wirksam zu machen: er darf sich später bet einem väterlichen Freunde geborgen fühlen, wird Student, duelliert sich, muß aus Festung, macht den Krieg und die Revolution mit und hat Kämpfe genug ausgekochten, um sich eine Existenz zu gründen. Er. der Sohn eines vermeint- llchen UebcltäterS. leidet unter dem auf ihn übertragenen schlechten Rufe seines VatcrS, Haß und Verachtung lernt er säst im Nebermaße kennen, weibliche Reize tun das ihre, um ihm Wehsal zu bereiten, aber er ist kernig und stolz und läßt sich von all den Widerwärtigkeiten nicht untcrkricgcn. Es Ist sein großes, menschenfreundliches Ziel: das Moor, der Fleck Erde, aus dem er alö Junge so gelitten hat, soll urbar werden und nicht mehr den Schlangen geliürenl Und das er- reicht er als Ingenieur. Mit eigener Hand zündet er die alte Hütte an. In der er sein Jugcndelend verbrachte- Raum muß sein für neues Werden und Blühen! Die Mensche» deö RomanS sind blutvoll und stehen klar vor »ns, und wo» hin unö Karl Strecker auch führt, ob i» die Einsamkeit der wnnderyoll wiedergegebenen Natur, ob in das rauschende Ge triebe der Großstadt, mir gehen gern mit ihm, denn er weiß Überall sicher Bescheid. Wie eine symbolische Dichtung mntct uns das Werk an. Ein jeder von unö, unser gesamtes Volk muß sich seinen Platz erwerben nnd seine Stärke üben in Not und wider alle Ver lockung. Was wir uns aber erarbeiten, das soll dem großen Ganzen zugute kommen,- nur, wenn mir mit der Absicht unser Leben zimmern, hat das Geschaffene Wert und Bestand, Nicht aus nebelhafter, unberechenbarer Weite wollen mir unsere Zeit betrachten, um sie dann schlecht zu finden, sondern die Aufgabe heißt, jeglichem Tage seinen Wert abznringe» und auf die Art emporzusteigen., Ein Stück Addermoor kann jeder fruchtbar machen, wenn er nur will. Das lehrt unö Karl Strecker in seiner gestalten, und schicksalöreichen Er zählung. Professor Ottomar Enking. WUHelmine Schrö-er-Devrienk. Auch ein Beethoven-Roman. „Das wilde Herz" ist der formelle Titel dieses Ro mans,- an die Lcbcnsschicksalc der berühmten Opernsängerin Wilhelmine Schröder-Devrient ist seine gestaltcn- reiche Handlung angeknüpft, — aber sein eigentlicher Held, der alle geistigen und seelischen Fäden der Geschehnisse zu einem einheitlichen Gewebe zusammenschlingt, ist Ludwig van Beethoven. Immer und immer wieder läßt der Verfasser des Romans. Hermann Richter, die Gestalt des großen Tonheroen auf den 233 Seiten des Buches erscheinen, um „das wilde Herz" Wllhelmtnens, der genialen „Fidelto"-Aus- legerin auf der Bühne, bald zu befruchten, bald zu beflügeln, bald zu besänftigen oder in Schranken zu weisen. Auch dann noch, als der Meister, in besten Zeichen die große Künstlerin die ersten großen Bühnenstege errungen hat. längst nicht mehr unter den Lebenden wellt. Sein guter Genius, sein Vorbild als sieghafter Kämpfer gegen das unerbittliche Schick sal, umschwebt die Künstlerin in allen Lebenslagen,- wie ein snnkelnoer Stern durchleuchtet er insonderheit die dunklen Nächte ihres Erdenbaseins. So will's wenigstens der Verfasser dieses Künstlerromans »ns glauben machen. Die geistigen Brücken, die zwischen der leidenschaftlichen Opcrndiva und dem in stiller Zurückgezogen heit schaffenden Meister geschlagen werdep. sind in Richters Roman oft recht künstlich konstruiert: so z. B.» wenn wir mit ziemlicher Ausführlichkeit über Beethovens einsame Wan- derungen bei Sturm und Regen, über seine einstigen Jugend- geltcbten, über seine Begegnung mit dem Hans-Heiling-Kom- ponisten Heinrich Marschncr, über sein weltvergessenes Schassen an der 0. Sinfonie und an der dliü->» snlomnis, über setn Krankenlager, sein Sterben und Begräbnis unterrichtet ivcrden, an dem die in der Ferne weilende Wilhclmine ja nicht den geringsten Anteil hatte. Der Roman leidet überhaupt daran, daß allzu vielerlei in ihn yineingepackt worben ist. Alle großen Zeitereignisse, auch soweit sie a i Wilhelminens „wildem Herzen" nur ganz äußerlich vorübergezogen sind, werden eingehend geschildert. Man liest seitenlang vom Wiener Kongreß, von Napoleons Rückkehr von der Insel Elba, von der Schlacht bet Waterloo, von den Staatöumwäl- zungen in Frankreich 1830 und 1818, vom Dresdner Mai aufstand 184» usw. Wertvoller und durchaus am Platze sind dagegen die Ka pitel, die von dem Zusammentreffen Wilhelminens mit großen Zeitgenossen handeln. Schon in ganz jungen Jahren tritt Wilhclmine durch ihre Mutter, die bekannte Tragödin Sophie Schröder, mit Grillparzer, Ratmund, Bauernfcld, Moritz n. Schwind, Franz Schubert und Carl Maria v. Weber in nähere Berührung. Ihr« spätere Laufbahn führt sie mit Goethe (1830 in Weimar), Chopin, Liszt, Richard Wagner (besten erste Senta tm „Holländer" und erste Venus im „Tann häuser" sie wird», mit Paganint (zu dem das „wilde Herz" in ungezügelter Leidenschaft entbrennt) und vielen anderen Zeit- größen zusammen. Einen gewichtigen Teil deS RomanS nehmen natürlich auch die Erlebniste und künstlerischen Erfolge der Schröder-Devrient während ihrer 24jährigen Tätigkeit am Dresdner Hoftheater s1823—47» und auf zahllosen Gast spielreisen nach Paris, Wien, London nnd allen großen Städten Deutschlands, sowie die recht abenteuerlichen Herzens angelegenheiten der großen Sängerin ein. Ihre Leidenschaft, lichkcit, ihr leicht entzündbares Herz treibt ste in die Arme recht vieler Männer: aber immer ist ihr Liebesglück nur von der kurzen Dauer eines Rausches. Bittere Enttäuschun gen hat ste auch in ihren ersten beiden Ehen (mit dem Dresd ner Schauspieler Karl Deorient, dem sie vier Kinder schenkte, und — nachdem diese erste Ehe geschieden — mit dem spiel- wütigen, geldgierigen sächsischen Offizier v.. Döring) erlebt: nach kaum einjährigem Bestände wird auch die zweite Ehe getrennt. Angesichts solch trüber Erfahrungen sucht ihre zer knirschte Fcucrscele Erhebung über Mcnschenleiü wiederum im Aufblick zu dem längst verklärten Beethoven, dem Be zwinger eines Schicksals, das ungleich härter war als das ihrige. Der Roman schließt ab mit zwei Briefen Wilhelminens (vom 3. und 10. Januar 1850» an ihre Freundin Klara Schu mann. die Gattin des Komponisten, in denen ste von der Schweiz aus, wohin sie nach einer leidenschaftlichen Teilnahme an de» Dresdner Maitagen geflüchtet ist, ihren Entschluß knndgibt, der öffentlichen Künstlerlaufbahn für immer zu ent- sagen. Das „wilde Herz" ist zur Ruhe, ist zu innerer Freiheit gelangt. Hermann Richter fesselt die Leser seines Romans mehr durch die Fülle der Ereignisse, als durch deren dichterische Ge. staltung. Die Sprache ist ziemlich nüchtern, und wo sie sich in höhere Sphären emporschwtngt, kommt sie selten über AlltagS- phrasen hinaus und begnügt sich mit ziemlich abgegriffener Ge danken- und Rcdeinünz«. Trotzdem wird der (bet Koehler L Ainelang, Leipzig, erschienene» Roman um seines viel, fettigen, das Künstler, und Theaterleben in der ersten Hälfte des lN. Jahrhunderts mit Blitzlichtern erhellenden Inhalts willen sicherlich viele dankbare Leser finden. Prof. Felix Reichardt. ' Deutscher Genius. Den Titel „Deutscher Genius" trägt ein prächtiger, über 600 Seiten umfassender Band, in dem die Deutsche Buchgemetnschaft Berlin durch Hanns Martin Elster einen Chor von Stimmen deutscher Geister ans Bergangcnhcit und Gegenwart hat sammeln lassen, um den reinen und wahren Begriff des deutschen Wesens an den Aeußernngen der Besten deS Volkes darznlegcn. Wir besitzen ein ausgezeich netes Buch von Richard Mnllcr-Fretsenfels, das theoretisch und philosophisch den Begriff des Deutschtums untersucht. Hierzu wirkt die Sammlung „Der deutsche Genius" wie das Bild zur Rede, die Anschauung der Dinge selbst zu ihrer Be trachtung. Die edelsten Deutschen aus Jahrhunderten sprechen auS, was thnen als deutsch erschienen ist, oder was sic als bas noch z» verwirklichende Ideal des National- charnktcro erachten. So meint Schlegel: „Die Dentschheit liegt nicht hinter nnS, sondern vor uns," und diese sittliche Forderung zur reinen Entfaltung des deutschen Wesens klingt aus zahlreichen anderen der mit großer Umsicht ge sammelten Worte der Denker und Dichter. Es sind aus schließlich Aeußernngen in Prvsaform, keine Gedichte und sonstige poetische Zeugnisse für den deutschen Genius, wie man sie doch schon in anderen Sammlungen vereinigt finden kann. In diesem Buche spreche» die großen Männer unseres Volkes, die Geschichtsschreiber über das Schicksal der Deutschen, Staatsmänner über den Charakter des Volkes, Philosophen über seine geistige» Mächte, Deutschtümler über seine Tugen den, Spötter über seine Fehler und Laster, Dichter über seine Seele. Mit Sorgfalt und Umsicht sind aus Geschichtswerken und wissenschaftlichen Büchern kennzeichnende Stellen aus- gehoben, berühmte Dokumente mitgeteilt, Prunkstücke auS Reden und Briefen gesammelt und darin alle Seiten deö deutschen Genius gespiegelt. Eine wahrhaft stolze Selbst- schilderung des Volkes aus Mund und Feder seiner reinsten Geister! Um einiges von dem iiberqucllenden Reichtum des Buches anzudeutcn: Land und Volk wird von Riehl un- Ratzel be schrieben, Geschichte und Schicksal von Trcitschle, Freytag, Ranke, Schäfer erzählt, deutsches Wesen von Fichte. Uhland, Jean Paul, Stifter, Hans Thoma gekennzeichnet. Ueber Persönlichkeit und Familie sprechen Jung-Stilling, Claudius, Goethe, Schopenhauer, Keller, Riehl, und deutsche Freiheit nnd Politik erörtern Arndt, Fichte, Uhland und andere. Schillers Erziehung des Menschengeschlechts nnd Kants Ge danken über Humanität, Wilhelm v. Humboldts Völkerlchre und Hegels Philosophie der Geschichte bezeichnen die Höhe des deutschen Idealismus. Vom deutschen Glauben legen Meister Eckchart, Angelus Silesius, Hamann, Fichte, de Lagarde Zeugnis ab, und die deutsche Form des Lebens in Sprache und Geistcskultur erläutern Ausführungen Luthers. Jakob Grimms, Arndts, Eichendorsss, Paulsens. Aber es spricht auch die Stimme deö Volkes selbst zu »ns: Sage, Märchen, Tierfabeln, Volksbücher werden von den besten Kennern ge schildert. Und so vernehmen wir UrteUe über die Künste von den berufensten Köpfen, finden den deutschen Humor nnd das deutsche Leid in offenen, ehrlichen Stimmen und werden über die deutsche Zukunst hofsnungSsreudsg und zuknnstsgläubig von Männern wie Arndt, Jahn. Fichte, Grimm, Ratzel, Lang- behn, Lagarde getröstet. Berühmte Prachtstücke deutscher Prosa, wie etwa UhlandS Frankfurter Parlamentsreüe, Grill- parzers Grabrede auf Beethoven, Wagners Rede am Grabe Webers, SolgerS Ausführungen über Goethes „Wahlver wandtschaften", Briefe von Mozart und Schubert, Hölderlins und Jean Pauls grollende Reden über die Deutschen, ge wichtige Worte Bismarcks (der aber zu wenig berücksichtigt erscheint» und mancherlei anheimelnde Schilderungen deutscher Dichter sind i» dieser schönen Sammlung zu finden. Den Bildschmnck bilden nur deutsche Werke, Dürer, Cranach, Hol- bcin, Ludwig Richter, Nethcl, Schwind, und einige wenige andere, darunter auch Nembrandt, der germanische Genius, ivic übrigens auch in der Auslese der Schriftstücke der geistige, nicht der geographische Begriff des Deutschtums durch Ein beziehung der Schweizer, Niederländer, Oesterreicher erfüllt wird. In einem Vorwort spricht Thomas Mann von der Echtheit deS Geistes und der Fremdheit der Großen dem Volke gegenüber, wo sie ihre Art durchzusctzen haben (Goethe, Bis marck). Aber er betont auch, daß der Charakter des deutschen Volkes nicht starr, sondern biegsam und erziehbar ist und darin die Gewähr liegt, daß seine großen Männer immer bester verstanden werden. Gegenüber mißverstandenem Deutschtum, das zu chauvinistischer Ausschließlichkeit erstarrt, erhebt Mann laute Absage und weist darauf hin. „daß nichts Rohes, Gehässiges, Geist, und Kulturfeindliches je mit einem Schimmer von Recht den deutschen Namen beansprucht hat". Was in diesem Sammelwerk an hohen und freien, groben und feinen Aeußernngen des deutschen Genius zusammengefaßt ist, bestätigt diese Worte. Denn überall ist Selbstkritik, nicht Ueberhebung dahinter zu spüren, und der weite Sinn der Vesten für die besondere Lage des deutschen Menschen in der Mitte Europas. Idee »nd Ausführung dieses Werkes sind rühmlich, sein Wert als Quellcnvereinigung für die Kenntnis unserer VolkSart um so höher, als es breiten Kreisen weit- verstreuten Stoff bequem und schön gesichtet zugänglich macht. Dr. Felix Zimmermann. Am Mittelmeer. Längst hat EmiI Ludwig durch seine auffehenerregen, den biographischen Werke über Goethe, Bismarck, Napoleon u. a. m. sich einen Namen gemacht. Nun liegt in neuer und stark erweiterter Auflage das Buch: „Am Mittelmeer" vor. Es ist im Ernst-Nowohlt-Vcrlag, Berlin, erschienen, tm gefälligen äußeren Gewandte, reich geschmückt mit vortreff lichen charakteristischen Nlldern. Dieses Buch gehört zu jenen Nctsckchildcrungcn, die man mindestens zweimal liest: das erste Mal mit klopfendem Herzen, fiebernd, erivartungsvoll, und dann zum zweiten Male andächtig, besinnlich und dankbar genießend. In stillen Stunden wird man das gehaltvolle, meisterhaft geschriebene Buch gern wieder hervorholen. Oft erhebt sich die Sprache zu dichterischer Schönheit. Auf seiner Reise durch die Länder a-m Mittelmeer sucht der Verfasser zwar auch die bekannten, oft beschriebenen Stätten auf. Aber er meidet meist die üblichen Tourtstcnpfade und führt den Leser in selten betretene Gegenden, um dort beschaulich zu verweilen und fremde Kunst und Landschaft mit empfänglicher Seele a,usznnehmcn. Viele und weite Gedanken durch fluten das köstliche Buch und zwingen znm Nachdenken. Durch die grottcnreiche Insel Capri wandern wir, auS deren zackigen Fellen die Nlumcn in der Leuchtkraft alpiner Farben strahlen. In Palermo rasten wir unter den Säulen, die einst Poseidons Altar beschützten. Ergriffen stehen wir im Dome von Palermo vor dem Sarge des HohenstairfenkaiserS Friedrich II., „dem schönsten, tapfersten unter den deutschen Kaisern und zugleich modernsten". Der Verfasser flihrt uns zu den Säulen von Segesta und hinauf an den Feuermuud deS Aetna. Wir schauen hinab In die Tiefe, wo ewig -aS Feuer glimmt. „Nie kann ich den Eindruck bannen, als dienten dämonische Tiere diesem F-eiicrbrilnncn, in dem sich keine Sterne spiegeln." Durch den Vagmo in Tunis ivandern
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