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Dresdner Nachrichten : 09.07.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-07-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192207097
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19220709
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19220709
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-07
- Tag 1922-07-09
-
Monat
1922-07
-
Jahr
1922
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 09.07.1922
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Sonntag. Y. Zuli' !922 Der Leuchtturmwärter. Skizze »vn Llta Wolfs. »>n Pen Vcuchtturm beulte der Südweststurm. Tage lang schon »xitschte dir Nordsee tbre hau-bohrn Wellen gegen tte Quader», daß es schauerlich htnouforong ln das enge «Gemach, da» dein Leuchtturmwärter zur Wohnung dlentc. Wie losgelöst von allem Irdischen, non allem, wag sich Welt und Dasein nennt, lebte er unter dem flimmernden Sternenhimmel oder dem sonnenleuchtenden Firmament wie in einer Welt für sich. Ihn besuchten nur die Möwen »nd die müden Zug vögel, wen» sic sich bei ihrem Flug aus dem Norden zur Rast bei ihm niederlleße». Ihn grüßte» nur die Hrlmat- wimpel der Ozean riesen, wenn sie sich der deutsche» Küste näherten, ihm winkten die Auswanderer tränenden AugeS den lebten Abschtedsgruß, wenn sie hinauszogen, drüben in der neuen Welt ein neues Leben zu beginnen. Nach Minuten geregelt, hatte das Dasein Jürgen Lar- scns nur den einen Zweck, daS Lebe» anderer vor Gefahren zu schüben, ihnen mit seinem Blinkfeuer den Weg durch Nacht und Graus zu erhellen. Minuten waren Ewigkeiten, die zu Tagen, Wochen und Monden wurden. — -- Für Jürgen Larsen gab es nur zwei Jahreszeiten — Sommer »nd Winter. Und auch diese hätte er nimmer ge spürt, wenn nicht Svnnengluten ihm sei» Hi:» anszndörren drohten, wen» nicht Schnee und Eis und wilde Winter- stürmc ihn daran gemahnt hätten. Vom Frühling sah er nichts. Ihm blühten keine Veilchen und keine schneeigen Obstbänmc. Ihm grünte» keine lachen den Wiesen, ihm reifte kein.Korn, keine Frucht entgegen — für ihn gab es nur Lag »nd Nacht, Stille »nd Sturm. So vergingen die Jahre — nur eins blieb: Die Sehn sucht nach einer trauten Gefährtin in seiner liefe» Einsam- keit. De» Stürmen gab er seine Sehnsucht kund, de» Vögeln trug er Grüße auf, und den Mond bat er, Heller in ein Fensterletn zu scheinen, wo er ein blondes Mädel wußte, das er in JüngltngStagen geliebt und zum Tanz geführt hatte. Und der Sturmwind machte sich auf und rüttelte in dem kleinen Dorf der Marsch gar schauerlich an Fenster» und Gebälk. Die Vögelein flogen zwitschernd bis vor Dina WittS Häuslein und erzählten ihr gar seltsame Mär von dem einsamen, fernen Mann hoch oben in der brausenden, wogenden Nordsee. Und der Mond schien ihr so leuchtend hell in daö liebe Gesicht, daß sic die Augen öffnen und hinein schauen mußte in seine strahlende Pracht . . . An einem Hellen Sommertag, als just der Himmel un- ivahrschcinlich blau und wolkenlos war, als die Nordsee auönahmsiveise still wie ein Binnensee lag, da hielt Tina Witt als junge Frau ihren Einzug oben In der Ihr fremden Welt zwischen Himmel und Wasser. Hand in Hand stand ein glückliches Paar und schaute hinaus in die unendliche Weite. Ueber sich daS Mnsterium der Sternenwelt, unter sich die unermeßliche Wassermenge, die zu Ozeanen wird, wo es keine Grenzen gibt. „Wird'- Dir auch nicht zu einsam werden, min lütte D«rn?" fragte der Mann, und sah sein junges Weib an. Sie schmiegte zärtlich den .Kopf an seine Schulter und schaute auS blauen Augen zu ihm auf. „Nein, mein Jürgen, mit Dir zusammen kann eS mir ja niemals einsam sein/ Jürgen Larsen fühlte sich alS überglücklicher Mann. Erst jetzt hatte sein Dasein einen Inhalt bekomme», die Tage waren gar nicht lang genug, so viel Glück zu genießen. Der Leuchtturmwärter war in den Jahren der Einsam keit ein „Spintisiercr" geworden. Er hatte unendlich viel gelesen und in Sturmnächtcn darüber gegrübelt. Jetzt führte er Dina in sein Geistesleben ein und lehrte sie, waS sic nie in der Schule gehört hatte. Mit großen staunenden Augen hört« sie zu. So einer war also der Jürgen Larsen ge worben? Sie bekam großen Respekt vor ihm, beinahe so viel wie vor dem Herrn Pkarrer. Und wie wundervoll er erzählen konnte. Die ziehenden Wolken wurden zu Göttern, die im wilden Ritt mit dem Sturm um die Wette jagten! Die Wellen kamen aus fernen, warmen Ländern, wo ein ewiger Frühling grünte, wo Palmen wuchsen und märchen hafte Früchte hcranreiften. Mit den O-eanrlesen reiste er mit Dina nach Amerika oder weiter nach Afrika und den Südsceinseln. Immer lernte sie etwas Neues, kein Tag war ein verlorene,- Ihre rasche Auffassungsgabe, ihr Inter esse an allem machte ihn froh und glücklich. Eines TageS zog ein schweres Gewitter herauf. Die See tobte »nd brüllte, Sturm- und Hagelböen ließen den Turm erzittern, so daß Dina wetten Augen uor Entsetzen bebte. Di« mit schrecken- lttze zuckte», e» war. als oS sich Feuerschlünde geöffnet hätten. Ein graust«- erhabeneS Schauspiel der Natur! Aber Dina hatte kein Verständnis dafür, «ei jedem Blitz fuhr sie zusammen. „Der Turm stürzt um. Der «tttz trifft uns!" tammer e sie und warf sich in die Koje. Er nahm sie beruhigend in die Arme: „Aber Lina, Liebling, sei doch ruhig, un- passiert Ia nichts!" Er erklärte ihr. daß sein Blitzableiter jede Gefahr des Blitzschlages unmöglich mache, und lenkte ihre Gedaiiken allmählich in andere «ahnen. Seine Gelassenheit wirkte be sänftigend aus ihre Angst, sie wurde ruhiger. Al» dann die Sonne wieder vom wolkenlosen Himmel lachte, als sich dle See beruhigt hatte, da wunderte sie sich selbst über ihre Zag haftigkeit. , ,FVa. min lütt' Deern ist etnc kleine Bangbür. sagte er zärtlich, und küßte sie. Im Innern aber fragte er sich voll größter Sorge: Wa» wird sein, wenn die Herbst- und WiuterstUrine »m unser Nest brausen werden? Wie wird sie diese Zeit der Prüfung ertragen lernen? Wird ihre Liebe stark genug sein, darüber binivegzntragen? Hatten sic beide die Kraft dieser Liebe nicht doch überschätzt? — Der Sommer verging — der Herbst kam. Zugvögel- schwärmc umkreisten den Turm, Hunderte der kleinen Sänger flatterten sich an den leuchtenden Scheiben zu Tode. Die kleinen Vvgelleichen rührten Dina zu Tranen, sie schluchzte bitterlich. War sie nicht auch so ein Vögele n, das hier oben sterben mußte? Sterbe» vor Heimweh nach grünen Wiesen, nach Blumen und Bäumen? Konnte sie eS ertragen, immer und ewig nur Wasser »nd Htmmcl zu sehen? Bleiern hing er über der Nordsee, nur selten war er noch blau nnd wolkenlos. Grau und mit weißen Äamm- chen wälzten sich dir Leiber der Wogen heran — einen Tag wie den andern. Heulend pfiff der Sturm »m die Mauern des Lenchttnrms. Dina Larsen kam aus ihren Angstzuständen nicht mehr heran». Sic begriff es nicht, wie man ruhig bleiben konnte, wenn die Wasserberge den Turm zu stürze» drohten, wenn der weiße Gischt über die Kuppel hinwegfcgte. Tapfer ver barg die inngc Frau ihr Her-weh vor dem geliebten Mann. Aber blasser und schmaler wurde sie von Tag zu Tag. Ost hörte er sic nachts heimlich schluchzen, und ein namenloser Jammer packte ihn, wenn er daS gequälte Lächeln sah, das nur selten noch um den lieblichen Mund er schien. Die Augen hatte» kein Leuchten mehr, wie erloschen schauten sie i» die Ferne — landeinwärts. Er wußte, sie suchte ihr Heimatdorf, ihre grünen Knicks, ihre Wiesen mit den gelben Schlüsselblumen im Frühling. — — Und all seine zärtliche Liebe konnte die Sehnsucht nicht bannen. Immer schlimmer wurde eS mit Dina Larsen. Jede wilde Sturmnacht wurde zu übermenschlicher Qual für ihn, wenn er sie leiden sah, wenn er ihre wilden Schreie der Furcht und deS Entsetzens anhüren mußte. Er rang mit seinem Gott: „Herr, gib mir ein Zeichen, soll ich sie ziehen lassen? Darf ich sie überhaupt hier oben festhalten? Ich sehe es, meine Welt kann nie ihre Welt werden!" Da fühlte sich Dina Mutter. Und nun brach eS zum erstenmal ans ihr heraus. All ihren Jammer beichtete sie dem erschütterten Mann. Sie und daS Kind würben sterben hier oben — elend zugrunde gehen. Da wußte er plötzlich, was allein ihm zu tun noch übrig blieb. Unter herzzerreißenden Schluchzen verließ sie ihn. Wieder und wieder hatte sie sich ihm an die Brust geworfen, ihn um Verzeihung gebeten. „Im Sommer bring' ich Dir bas Kind! Wir besuchen Dich." versicherte sic ihin wohl tausendmal. Ihr weißes Tüchlein flatterte wie ein kleiner Schmetter ling über den grauen, wilden Wogen. Vor Tränen sah er nichts. Nun war er wieder einsam — einsamer denn je in all den Jahren zuvor. „Dina!" riefen die Stürme. — „Dina!" brüllten dle Wogen. — „Dina!" stand eS in flammenden Lettern am dunklen Nachthimmel. Auf hoher Warte, umbrandet von Wogen und Sturm, lebt der Leuchtturmwärter sein einsames, freudloses Leben. « Die Berusung oder: „PSng!" sagke die Pointe. Einige geschwinde Gläschen Aßbach machten ihm eines schönen und späte» Abends das Herz im Busen leichter Hüpfen und Pie Gedanken schnurrigen Zickzack lausen. War eS ein Wunder, baß eine schelmisch leicht geschürzte Muse ihm einen süßen Kuh auf die feuchtfröhlichen Lippen hauchte! Nnd solch poetisch seliger Umarmung entsprang als dich teölscher Sprößling — sein erste- Werk. „Seht", meinte die maßgebliche Tante, „ich wußte eS, er ist et« Talent". „Sehr wohl", funkelte der Onkel durch scharfe Brillengläser. „Wie süß", flüsterte das blondzüpsige Eousinchen am Kamin. „Rrltzenü nett, reizend nett", klang da» stereotype Bejahungswort des Vetters. ZV Gott, o Gott", schluchzte die pfltchtgetreue Emma tn der Küche, und daS Sonntagsschnttzel schnurpste. Tatsächlich —, so war es auch unabänderlich, daß er eines Tages zum Verleger bestellt wurde. Dessen Brief schlug wie eine Bombe neben die surrende Wiener Maschine. „Ich denke eS mir reizend, so am Schreibtisch, — unter tausend Büchern — schreiben spät abends, wenn alles schon schläft." Goldener Boden im goldenen Handwerk, goldene Acpfel tn silberner Schales — Haha! — Freie Bahn den. Tüchtigen! — Auf alle Fälle! — Blaue Seide, wetßleberner Rücken zum ersten Einband! Die erste Widmung, an wen! Indessen brodelte der braune Kaffee und schlug schaumige Blasen unter dem GlaSdeckel. Der Besuch bei dem liebenswürdigen Verleger tn rer bindltcher UnveMlidlichkeit und unverbindlicher Verbind ltchkeit erüfsnete ihm neve Aussichten. „Man kastn nickt wissen, wo eS hinausgeht, schreiben Sie. — Meines ehrlichen Interesses sollen Sie gewiß sein." Vorzügliche Verbeugnng auf beiden Seiten. — Jawohl — gewiß — schreiben Sie! — Er empfand es selbst, daß dieses der einzig gangbare Weg zum Ruhme sei. Eine höchst einfache Sacke: Spitz war der Bleistift und schneeweiß lenchtetc das Papier. „Schreiben Eie!" — „Ia so schreiben Sie dock!" — Vor ihm erwuchs der alte Dcutschprofessor der Schulzeit. ,Hch verbitte mir jeden Widerstand, lieber junger Freund, Sie müssen schreiben. Eo ist Ihre Pflicht. Sic bringen eS sonst zu nichts. Der Eharakier Dorotheas, ein einfacher Stofs, ein biegsamer Stoff, ein aussichtsreiches Thema!" — Ia das Thema! — ES war bester, man faßte zunächst einmal einen festen Entschluß über die Gtilart. Allen ge fallen ist schwer, und der zarteste Salat schmeckt erst durch die Würze seiner Tunke. Ein Tröpfchen Goethische Tiefe, ein kleiner Schuß Höldcrlinsä>e Weichheit, ach — auch etwas Kanttsche Härte war nicht zu verachten, ein leichter kein- dentscher Einschlag Geibels, vielleicht noch ein prickelndes Hänckletn Balzac. Hinter dem Vorhang kicherte die lose Musc!- Knirsch. sanfte die Feder über den Bogen. Ta stand eS: Rot glühten die Rosen in schwerem Duft durch bas weite Fenster. — Und an den Bergen hing die Nacht! — Teufel ia! Vorsicht! Schrieb nicht Goethe schon AehnltcheS! Strich durch! — Außerdem — zu welchem Zwecke hing die Nacht da! — Nachdenken!! —Jetzt reißt der Faden, wuchtig steil stehen die Lettern: Ans rotem Hengst mit flatternder Mähne Zieht er dahin dnrch die schauernde Welt! Knatternd Im Sturme des Hauvthaarss Strähne Schrillend sein Schrei durch die Lüste gellt! Ha! — das war Eigenes! Doch — wer zieht? — wozu zieht er — wohin zieht es??? Wozu schreit er? Zerbrach sich nicht schon Lessina über Achnliches vergeblich den Kops? Pängü sagte die Pointe und war futsch! — Sein Wesen veränderte sich merklich. Es war nur natür lich, daß ihm die nächtlichen Kämpfe mit der lockeren Muse bläuliche Schatten unter die Augen malten. Seine Sprache wurde blumenreich, wie dir der großen Häuptlinge am Lagerfeuer. Neue Worte entquollen seinen rotgespaltenen Lippe», nnd seine Nasenflügel schlugen wie die Flanken de- staubstiebcnden Renners. — „Verrückt." sagte der Freund, .Tas Genie bricht sich Bahn," raunte die oben erwähnte Tante. Da zog er aus, wie weiland Don Quichote, die Pointe zu suchen, die Pointe zu leben! Voller Wehmut gedachte er der schlafschwercn Nächte seiner glücklichen Jugend. Wütend pfiff der Nordwind, und schmnhigweiße Eisschollen knirschten aus dem Strome. Vor ihm — zwei Menschen — zu eins verschlungen! — Es galt! Wie der Jagdhund auf schweißiger Wilbfährte spitzte er die erfrorenen Obren. Abgerissene Worte — „glücklich, ah, glück lich," seufzte das Mädchen, dessen schwermütig dunkle Augen in seinen Gedanken leuchteten. — Pause. — Die Sterne flimmern. Voll tönt die Stimme deS ManneS: „Es ist asfentalt!" — „Päng," sagte Pointe. Ein andermal wagte er sich tn seinem ältesten Hut in die Höhle deö Lasters in der winklichsten Gasse. Braune Lachen Bieres rannen über roh gehobelte Bänke. Blüten- wetß sinnreizend lockte der Schenkdirnc praller Latz aus stickigem Dunst. In spärlich crleuchicter Ecke leimt stier nackig ein verwegener Geselle im mühsam gebändigten » SS § s L r ' r, es » SS s 2. o> e» Drei Sprüche. Don Frida Schanz. WaS du schweigst, kann ketncr wcltersagen: Waö du schweigst, das bringt dir kein Verklagen, WaS du schweigst, das schießt nicht überS Ziel, W-iS du schweigst, daS sagt manchmal so viel! » Halte dein Fühlen tn Haftl Staue die tosenden Bäche! Lieber versagen auS Kraft AlS verschenken auS Schwäche! » Schon früh erwacht oft tief im Sinne Die Unrast, die den Tag durchdringt. Die kleine graue Mvrgcnspinne, Die Unglück bringt. Kabermanns. Ein Zeitbild von Martin U l b r t ch - Magdeburg. Siadtrat Habcrmann war nach dreißigjährigem Schassen in den viel beneideten Stand der Rentner übergegangen, nachdem er Haus und Geschäft an einen tüchtigen Nachfolge: verkauft und die Tochter ins Rheinland verheiratet hatte. Sein Sohn Bruno studierte in Jena die Rechte. Der alte Herr freute sich mit seiner wackeren Frau auf einen behag lichen LebcnSherbst. Hatte er'» doch jetzt dazu. War er auch nicht reich, so galt er doch mit Recht alS wohlhabend. Einst- weilen dachte er noch nicht daran, müßig zu gehen. Außer seinem Stadtpvsteii bekleidete er verschiedene Ehrenämter: er saß im Gemeindckirchcnrat, war Gchiebsmaan nnd Waiscurat und Mitglied in mehreren gemeinnützigen Ver einen. An solcher Arbeit hatte er Helle Freude. Da brach der Weltkrieg auS und bewegte mit seinem Wellenschlag auch da» Leben der kleinen Stadt. Sogleich trat Habcrmann mit 1000 Mark an di« Spitze einer Wohl- sahrtSsammlung, während seine Frau im BaterlSubtschen Verein die gleiche Summe für die Verwundeten zeichnete. Unter vielen Tränen ließen HabermannS ihren Einzigen ins Feld ziehen. Doch sic klagten nickt, da sie sich sagten, daß die große Zeit große Opfer fordere. Als die erste Kriegsanleihe aufgelegt wurde, kündigte der Stadtrat einem zahlnttgSwtlltgcn Schuldner 15 000 Mark und trug daS Geld aniS Rathaus, um den Bürgern ein gute- Beispiel zu geben. Aehnltch verfuhr er bet den folgenden Anleihen. Für die Nctchswollsammlung suchte Frau Habermann alle- Entbehrliche zusammen, und als man in der Stabt ein Lazarett elnrichtetc, hielt sic nnter ihren Wäschcvorrätcu ge waltige Musterung. Ebenso wanderte manches schöne Familienstück nach der GoldankaufSstellc. Ihre Entscheids gung fanden Habermanns in den tapferen Briefen ihres Einzigen, der sich nicht nur die beiden Klassen deS Eisernen Kreuzes erwarb, sondern schon nach Jahresfrist, zum Leut nant ernannt, eine Kompagnie führte. Da übergab vier zehn Tage vor Weihnachten 1916 der Briefträger dem Stadt rat auf der Straße ein Schreiben vom Regiment, das thn nichts Gutes ahnen ließ. Als er die ersten Worte laS: „Mit tiefem Schmerz müssen wtr Ihnen mttteilen", wußte er genug. Bruno war beim Sturm auf die Lorcttohöhe ge fallen. Bald darauf erhob Habermann 10 000 Mark bet der Rank »nd machte sich auf, die Leiche deS SohncS nach der Heimat zu holen. AlS draußen die WeihnachtSglocken läuteten, wurde der junge Held zur letzten Ruhe gebracht. Hernach saßen die Eltern einsam im guten Zimmer, wo der segnende Christus stand, den ihnen die Kirchgemeinde zur Silberhochzeit verehrt hatte, und trockneten einander die immer wieder hervorquellenben Tränen. Der Verlust war schwer: aber sie nahmen sich vor, den Kopf nicht hängen zu lassen. DaS Jahr 1018 brachte die StaatSumwSlzung, wodurch Habcrmann seinen Posten im Magistrat verlor. Auch das nahm er hin; nur wurmte cs ihn, daß man sein so gewissen haft gehütetes Ehrenamt einem Manne übertrug, den er einst wegen Untreue auS seinem Geschäft hatte entlassen müssen. Aber dieser paßte besser tn die neue Zeit. Dann kamen die harten Steuergcsctze, die mit gieriger Hand nach HabermannS mühsam verdientem Vermögen griffen. Als ein Mann von Ehre verschwieg er nicht-: aber eS tat ihm wehe, daß alles tn den großen Abgrund fiel. WaS ihm verblieb, sank immer mehr im Werte, da ja alles gute Gold und Silber sich in schmutzige Papterfetzen verwandelte. Darum^ als das Dienstmädchen sich verheiratete, meinte Frau Habcrmann: „Eine Aufwartung tut'S auch." Und als diese wegen grober Unzuverlässigkeit weggcschtckt werden mußte, übernahm sie die Arbeit deS klein geworbenen Haushaltes allein. Eine weitere Sorge verursachten den Eltern die Briefe der Tochter, die mit ihrer Familie schwer unter dem Druck der feindlichen Besatzung litt. Was die Eltern sich abdarben konnten, schickten sie ihr, und meinten: „Wir können leichter entbehren, alS der große Haushalt. Die Enkelkinder sollen nicht leiden." Schwer brückte Havermann der Zwang, die vielen wohl- tätigen Beiträge kürzen zu müssen, dt« er tn besseren Zeiten bereitwillig zugesagt hatte. Es war ihm babet zumute, at men» er die Armen um ihr Recht betrüge. ^ Im Spätherbst 19t» erkrankte Frau Habermann heftig an der Grippe. Der Odem ging schwer ans und ein. Der Gatte holte den Arzt, übcrschlug seine Monatsrente und sagte sich: „Langt'S nicht, so kann ich ja die schöne Silber- schale verkaufen, «velche die Stadt mir einst verehrt hat." Nach dem dritten Besuche nahm der Doktor den Stadtrat bei fette und sagte ernst: „Seien Sie gefaßt, die alte Dame schasst's nicht mehr lange, völlige Entkräftung." Vierzehn Tage später trug man die müde Srdenptlgerin auf den Friedhof, wo man ihr neben dem Sohne die letzte Stätte bereitete. Am Abend saß Habermann allein unter dem segnenden Christus und sann nach, ob er zur Tochter ziehen solle, die wegen ihrer häuslichen Sorgen nicht hatte zum Begräbnis kommen können. Aber was sollte er zwecklos zu den ihrigen die seinigcn fügen! Hatte er sie so lange allein getragen, so wollte er auch das letzte auf sich nehmen Außerdem graute ihm vor der farbigen Besatzung. Sein vaterländisches Herz hätte den Anblick dieser Schmach nicht ertragen können. So gab er sich zu einer benachbarten Familie in Kost und war dankbar, wenn er sich dort für seine schmal gewordenen Einnahmen satt essen konnte. Nur eins war ihm unbequem, die Langeweile. Hatten -och die neuen Herren im Stadtregiment dafür gesorgt, daß er nacheinander alle seine Ehrenämter loS wurde, da sie meinten, baß ein Mann mit so rückständigen Ansichten nicht in die fort geschrittene Zeit paffe. Um so treuer besuchte er seine lieben Gräber, an denen er stundenlang saß, um mit den Voll endeten Zwiesprache zu halten. Er wußte, sie verstanden ihn. Eines Nachmittags kam er müde nnd erschöpft vom Friedhofe heim, Fieberschauer schüttelten die morschen Glieder, so daß er Not batte, sich aufs Bett zu werfen. Die Nacht über gab'S ein hartes Kämpfen bis in- Morgengrauen hinein. Da wurde es auf einmal über ihm licht und klar, und in die Helligkeit streckte der segnende Christus seine Hände. E» war, als ob die andere Welt sich auftäte. „Ihr Lieben» ich komme!" rief der Sterbende und neigte das Haupt zur Seite: er hatte ausgclitten. — So fanden ihn seine Kostgeber, die sich seines Ausbleibens wegen ver wundert hatten. Sie telegraphierten an die Tochter, dann meldeten sie den Todesfall auf dem Nathause. Dort enisan» man sich de» alte« Mannes und erledigte di« Angelegenheit durch einen schwülstigen Nachruf. Ueber das Vermögen wurde ein Sachwalter gesetzt, der so viel heranSvrachte, baß nach Zahlung der Kosten für die Beerdigung und für die Tochter «ur noch ei« verschwindend geringer Be trag übrig blieb... Deutsche SchtcksalSzelchenI
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