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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.06.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050609020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905060902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905060902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-06
- Tag 1905-06-09
-
Monat
1905-06
-
Jahr
1905
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Annahmeschlutz für Anzeigen: Abend-AuSgabe: oormtttag« 10 Uhr. Morgea-AuSgab« »achmMagS 4 Uhr. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Extra-Beilagen tun, mit der Morgen- Ausgabe) aach besonderer Vereinbarung. Tie Expedition Ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck and Verlag von E. Pol» tu Leipzig (Inh. vr. V,R. »W. Klinthardtt Herausgeber, vr. Victor Sltulhardt. Nr. 291. Freitag 9. Juni 1905. 99. Jahrgang. Var Aicbtigrte vom lagt. * Der Riesenprozetz gegen Schneist und Genossen wegen des Strafvollzuges tn Plötzenfee erreichte heute nach IStögiger Dauer ganz unerwartet fein Ende. Die Staatsanwaltschaft zog ihren Straf antrag zurück, das Gericht stellte das Verfahren ein, nachdem die Angeklagten erklärt hatten, sie hielten ihre Anschuldigungen nicht aufrecht. (Siche Letzte Nachr.) * Der Prozeß wegen der Kekulöschen „Diesseits"» Depesche wird am 23. d. M. vor dem Amtsgericht Lage verhandelt. (S. Dtsch. R.) * Die französische Marine wird fortan eine mobile Seedivision ständig vor Kreta halten. * Der russische Mtntsterrat genehmigte im Prinzip die Vorlage wegen Einberufung einer Volks vertretung. (S. Letzte Dep ) * Gerüchte über bevorstehenden Friedensschluß werden auch heute wieder kolportiert, sind aber noch gänzlich unverbürgt, obwohl sie schon Einzelheiten der Friedens bedingungen enthalten. (S. russ.-jap. Krieg.) * Alte Gerüchte, wonach Witte zum Reichskanzler ernannt werden soll, werden offiziell dementiert. * In der Mantschurei sollen die Russen eine große Offensive ergreifen wollen. ver lursirch-japanische Weg. Jur Vorgeschichte -er Ariegs. Während in Petersburg ein von dem Komitee der Ange legenheiten des fernen Ostens veröffentlichtes und dann wie der zurückgezogenes Blaubuch über den Konflikt mit Japan viel von sich reden macht und man erfährt, dag der Statthalter Alexeiew wegen dieser Angelegenheit sein Abschiedsgesuch einreichte, erzählt ein in Wladiwostok erscheinendes Blatt Interessantes über die Vorgeschichte des Krieges. ... Die Reise des damaligen KriegsministerS Kuropatkm nach Japan war nach dieler Darstellung ausschließlich durch den Lärm veranlaßt, den die Konzession an Besobrasow L Co. am Jalu in Japan hervorrief. Alle Welt wartete mit Spannung darauf, daß Rußland die Mantschurei zu dem festgesetzten Termine räumen würde, doch geschah das nicht, weil es sonst um das Unternehmen Besobrasows, das die Japaner als ein staatliches betrachteten, geschehen gewesen wäre. General Kuropatkm war sich darüber klar, daß die Konzession ein Splitter im Fleische Japans war, der entfernt werden müsse. Um diese Zeit brachte ein mit einem Kostenaufwand von 200 000 Rubel erbauter Sonderzug Herrn Besobrasow mit Gefolge von Petersburg nach Port Arthur. Besobrasow be suchte mehrmals den Statthalter. Als Kuropatkm in Port Arthur eintraf, wurde in dem Eisenbahnwagen Besobrasows eine Konferenz gehalten. Kuropatkin und Alexejew stimmten darin überein, die Waldkonzession am Jalu könne den Krieg mit Japan herbeiführen, und forderten daher die Abwicklung des Geschäfts. Besobrasow und der ebenfalls anwesende Balaschow widerstrebten dem lebhaft, Kuropatkin aber be stand darauf, daß Re dem Waldunternehmen dienenden rus sischen Offiziere entweder ihre Stellung aufgeben oder den Abschied nehmen müßten, weil die Beteiligung aktiver russi scher Offiziere am Jalu die Japaner errege. Entgegen dem Einspruch des Statthalters und Kuropatkins setzte aber das geheimnisvolle Unternehmen am Jalu seine Tätigkeit fort, und daß, obgleich außer Alexejew, Kuropatkin und auch Ruß lands diplomatische Vertreter in Peking, Ssoul und Tokio überzeugt waren, das Unternehmen Besobrasows werde zum Kriege mit Japan führen, das in der Konzession ein Anzeichen für die Absicht Rußlands erblickte, in Korea festen >;uß zu fassen. Infolge der Forderung Kuropatkins, daß die am Jalu angestellten Offiziere ihre Stellung aufgaben, war Madritow genötigt, auf seine Stellung als Bevollmächtigter der Waldgesellschaft zu verzichten und begab sich mit Beso brasow nach Petersburg. An seine Stelle trat Balaschow, dessen herausfordernde Haltung bewirkte, daß den Japanern die Geduld riß. Die erste Handlung des neuen Bevollmäch tigten war die Entlassung eines sehr nützlichen Gehülsen, des Cyunchufen Lintschi, der die Ueberfälle russischer Ansiedelungen durch Chunchusen zu verhindern wußte und auch die Piraten in ihren Grenzen zu halten verstand. Schon waren zwei Millionen vertan ohne irgend welchen Erfolg, da verfaßte Balafchow einen Bericht, worin er die Erzielung glänzender Ergebnisse von der Bewilligung weiterer Geldmittel abhängig machte und seinem Zorn gegen den Gesandten Lessar in Pe king, der Rußlands Interessen im fernen Osten entgegen wirke, gegen Kuropatkin und Alexejew Luft machte. Bala schow trat dafür ein, daß die Gesellschaft ihre Tätigkeit nach Masampho in Korea verlege, das als Basis zu erwählen sei, um sodann leichter die Geschütze gegen die japanische Küste richten zu können. Zu diesem Zweck verlangte ein nach Petersburg telegraphierter chiffrierter Bericht Balaschows zehn Millionen Rubel, die er den Staatssparkassen zu ent nehmen empfahl. In Erwartung der verlangten Geldmittel fuhr Balafchow fort, energisch zu handeln. Obgleich,die Lage der Gesellschaft immer schwieriger wurde, setzte er die Unter zeichnung eines Vertrages durch, wonach die Gesellschaft den ganzen Bezirk von Jongampo in Pacht erbielk und ihr Anspruch auf die Konzession und den Bau der Bahnlinie vom Jalu nach Ssoul anerkannt wurde. Das war etwa Mitte Juli 1903. rin Bor- -es „Orel". Nach den letzten Nachrichten des „Daily Telegraph" aus Tokio sind zwar Verwundete von der „Orel" ins Wasser geworfen worden, aber dieser Vorfall ereig nete sich nicht während des Kampfes, sondern als das Schiss sich schon in japanischen Händen befand. Außerdem waren es nicht die russischen Offiziere, sondern russische Mannschaf ten, die die Tat ausführten. Die Japaner klagen überhaupt über das Verhalten der gefangenen Russen an Bord des „Orel". Der Kapitän lag schwer verwundet in seiner Kam mer und hatte mit den Vorkommnissen nichts zu tun. Zehn Maschinisten beschlossen, das Schiff, als dieses mit einer ja panischen Besatzung dem Lande zufuhr, in die Luft zu spren gen. Als die Japaner unter der Munitionskammer eine brennende Zündschnur entdeckten, kam es zwischen ihnen und den Gefangenen zu einem Handgemenge, bei dem acht von den Maschinisten erschien wu/den. Svaler baten /wöls schwer verwundete Russen ihre Kameraden, daß diese sie von ihren Qualen befreien möchten. Ehe die Javaner es verhindern konnten, waren die Verwundeten über Bord geworfen. Der Kapitän der „Orel" war durch die Meuterei seiner Mann- schäft und durch diese grausame Tat so erregt, daß er eine halbe Stunde vor der Ankunft des Schisses in dem japanischen Hasen starb. Die Lrie-enrfrnge. Der Stand der Frage: „Krieg oder Frieden?" läßt sich heute dahin präzisieren, daß die russische Bevölkerung mehr und mehr zum Frieden drängt und daß man auch in den Petersburger Regierungskreisen einem Friedensschluß durch aus nicht abgeneigt ist. Man hütet sich aber sehr wohl, von dieser Bereitwilligkeit etwas verlauten zu lassen, da man sich ganz richtig sagt, daß Japan seine Forderungen steigern wird, sobald es von Rußlands Friedensneigungen etwas merkt. Mit vollem Rechte konnte daher Graf Lamsdorff dem Staats rat die Ermächtigung geben, er möge auf alle Anfragen beim Auswärtigen Amt erklären, Rußland habe keinem seiner Bot schafter im Auslonde aufgetragen, irgend welche offiziellen Schritte zu tun, um Japans Friedensbedingungen zu erfahren. Alle Meldungen über irgend welches Vorgehen Rußlands in dieser Beziehung seien unwahr. Japan seinerseits hütet sich ebenso, von seinen Forderungen etwas verlauten zu lassen, es will unter keinen Umständen die Bedingungen, unter denen es Frieden schließen würde, bekannt geben,, ehe die Bevoll mächtigten zusammengetreten sind. Die Bedingungen werden nur bekannt gemacht, Venn die Beauftragten beider Machte persönlich zusammentreten. Bis dahin wird aber noch viel Wasser ins Meer fließen, denn es sind noch viele Einzelheiten zu erledigen. So muß man einer Mitteilung der „Morning Post" doch einige Zweifel entgegensetzen, wenn sie behauptet, Präsident Roosevelt hoffe schon in kurzer Zeit amtlich den Abschluß eines einleitenden liebereinkommens bekannt geben zu können. Einige mehr geschäftige als zuverlässige Bericht erstatter wollen natürlich schon jetzt die Friedensbedingungen wissen und haben sie als brave Zivilstrategen wie folgt fest gesetzt: 25 Milliarden Francs Kriegsentschädigung, An erkennung des japanischen Protektorats über Korea, Respek tierung Chinas, Uebergabe der Mantschurei an China, Stellung der mantschurischen Bahn unter internationale Kontrolle, sowie Uebergabe der Insel Sachalin an Japan. Wie weit sich hier Dichtung und Wahrheit mischen, wird man wohl bald erfahren, einstweilen heißt die Parole: abwarren! Vie Sprengung üer norcktzcoen Union. Tie Entwickelung der Krisis in den beiden skandi navischen Reichen verläuft in größter Ruhe. Der kühler denkende Teil der Bevölkerung kommt auch in Schweden allmählich zu der Ueberzeuguna, daß durch den aller dings ungewöhnlichen, aber nicht ungesetzmäßiaen Schritt des norwegischen Stortbings lediglich einem Ver hältnis ein Ende bereitet worden ist, das nur noch äußer licher Natur war und für beide Teile eine Last darstellte. Daß man in Schweden auf den Austritt Norwegens aus der Union gewissermaßen gefaßt tvar, geht aus der be reits mitgeteilten Meldung der „Aftenposten" hervor, wonach das schwedische Ministerium bereits in voriger Woche die auswärtigen Regierungen sondiert hat, wie sie einen Austritt Norwegens aus der Union aufnehmen würden. Die schwedische Negierung gibt denn auch eine sehr ruhige Auffassung der Lage kund, indem sie durch das halbamtliche Svenska Telegrambhrau folgende Aus lassung verbreiten läßt: „Die politische Krise hat in keiner Hinsicht das Aus sehen Stockholms geändert. Alles geht seinen gewöhn, lichcn, ruhigen Gang. Die große Masse ist ziemlich gleich gültig gegenüber der Auflösung der Union, da die Länge oes Friedens bewirkt hat, daß man nur verhältnismäßig wenig Wert auf die Vereinigung legt, da diese viele Un- annehmlichkeiten mit sich führte. Dies bewirkte bei der Mehrzahl der Schweden, daß sie der Union wirklich müde wurden. Nur die Minderheit mit lebhafterem poli. tischen Interesse ist aufgebracht über die Trennung und sieht der Zukunft mit Unruhe entgegen. Hierzu kommt die Furcht, daß Norwegen eine auswärtige Politik be- folgt, welche eine große Unsicherheit für Schweden mit sich bringen kann, wozu noch große Ausgaben kommen können, da es vielleicht notwendig wird, die Westgrenze Schwedens zu befestigen. Es herrscht einige Unruhe darüber, wie das Ausland sich verhalten wird. Der größte Teil empfindet tiefes Mitleid mit dem betagten Monarchen, der an seinem Lebensabend solchen Prü fungen unterworfen wird. Dieses Gefühl findet in den vielen Huldigungstelegrammen an den König Ausdruck. Wie sich die Krise entwickeln wird, ist unmöglich zu sagen: so viel läßt sich jedoch sagen, daß Schweden nicht Gewalt gebrauchen und daß kaum ein Schwede wünschen wird, daß die Union, selbst in nur gemäßigter Form, aufrecht erhalten wird. Der Reichstag wird entscheiden, wie Schweden sich gegenüber dem norwegischen Reichstag und der norwegischen Revolution verhalten soll." Dadurch wird unsere bereits gestern kundgegebene Auffassung bestätigt, daß der schwedische Reichstag ein fach den jetzt geschaffenen Zustand anerkennen und höchstens gegen die Form protestieren wird, wie Nor wegen ihn herbeigeführt hat. In diesem Lande, das nunmehr auch bereits die äußeren Zeichen seiner Selbständigkeit angelegt hat, wird der neue Stand der Dinge von einem Ende des Landes zum anderen mit würdiger und ruhiger Zu friedenheit ausgenommen. Ueberall versteht man den Ernst der Lage, aber man fühlt sich sicher in der lieber- zeugung von der Gerechtigkeit der Sache und der einzig dastehenden nationalen Eintracht. Das in Christiania erscheinende „Dagbladet" meint: Wenn Schweden von einer Revolution spricht, sollte es zwei Dinge bedenken: erstens, daß Norwegen nach dem Volksrecht unbestreitbar das Recht gehabt hat, so, wie es geschehen, zu handeln. Die Reichsakte war ein Vertrag: sein Zweck war. die Union als einen Schutz für den gemeinschaftlichen Thron zu errichten. Aber sie war so weit davon entfernt, ein Schutz zu werden, daß es sich am 27. Mai zeigte, daß die schwedische Königsmacht völlig die norwegische unter drückte und sie ganz außer Spiel setzte. Hiermit war die Reichsakte von einer Seite gebrochen und dadurch selbst verständlich die andere von ihren vertragsmäßigen Ver pflichtungen gelöst. Zum zweiten sollten die Schweden ihre Aufmerksamkeit daraus richten, daß der Storthing seinen Beschluß einstimmig gefaßt hat. Sogar die Männer, die ursprünglich andere Wege vorgezogen hatten, haben sich angcschlossen. Allo Beamten haben sich loyal vor der neuen Ordnung gebeugt und das Land hat somit geordnete, völlig gesetzliche Verhältnisse. politische lagerrcha«. Leipzig, 9. Juni. Deutschland und Frankreich in der marokkanischen Frage. In der „Köln. Ztg." wird jetzt offiziös bestätigt, daß di« Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich durch Del- cassss Marokko-Politik tatsächlich auf einen sehr kritischen Punkt gelangt waren, daß ober durch den Rücktritt Delcasses „die bisher zeitweise recht erschwerte Lage eine Erleichterung erfahren wird" Die bett. Auslassung lautet:. Wir lzaben schon ausgeführt, daß Ulan in Deutschland nicht die Person des Herrn DelcassL, sondern die von ihm getragene Politik Frankreichs b^ärnpfte. In dem Augenblick nun, wo diese Politik sich ändert, mutz — das ist unseres Er achtens die Signatur der Lage — eine allgemeine Beruhi gung eintreten, die es beiden Seiten ermöglicht, dem weite ren Verlauf der Dinge mit Ruhe und ohne Besorgnis zu folgen. Es sind Meldungen verbreitet worden, nach denen es in den letzten Tagen Momente gegeben habe, die zu sehr ernsten Besorgnissen Anlaß boten. Man hat in dieser Be ziehung auch Einzelheiten erzählt, denen es jedoch an einer genügenden Grundlage fehlt. Richtig ist ja allerdings, daß die Gegensätze in den beiderseitigen Auffassungen sich seiner zeit in einer Wesse stießen, die man immerhin als kritisch be zeichnen kann und die sich aus den schroffen Gegensätzen in der grundsätzlichen Stellung ergab. Wie schon gesagt, scheint nach den offiziösen Erklärungen beim Rücktritt Delcassas die Hoffnung berechtigt, daß man in Frankreich von nun ab der deutschen Auffassung in einer gerechten Weise Rechnung tragen und daß dadurch die bisher zeitweise recht erschwerte Lage eine Erleichterung erfahren wird. Die sachliche Berechtigung der von Deutschland erhobenen An sprüche wird dann noch wie folgt erläutert: Der 8 17 der Madrider Konvention hat den an diesen Verhandlungen beteiligten Staaten das Recht der Meist begünstigung eingeräumt. Nun ist der Einwaud erhoben Feuilleton. 121 Inge Wilhelmi. Rontan von I. Oppen. Nachdruck verboten. Scherze und doo mots jagten einander, einer ver suchte dem anderen es gleich zu tun, und die Unterhal tung wurde so lebhaft, daß sie die Zeit und den Ort darüber vergaßen. Plötzlich sprang Jngeborg auf, es mußte schon sehr spät sein; sie holte ihr Rad und der Landrat bat, sie begleiten zu dürfen. Auf dem Wege sprachen sie wenig, dann und wann flog ein Wort herüber und hinüber; am Waldrande machten sie halt, sprangen ab, um ihre Räder eine kurze Strecke durch tiefen Sand zu führen, bis der Weg wieder fahrbar wurde. Während sie langsam dahinschritten, sagte Hollfeld: „Was sagen Sie, gnädige Frau, zu der neuesten Ver lobung in unserem Städtchen?" Sie sah ihn gleichgültig an, interessierten sie doch ihre Mitbewohner eigentlich noch viel zu wenig. „Sie scheinen noch nichts zu wissen", fuhr er fort, „denn ich glaube entschieden, daß es Sie interessieren wird. Baumeister Holm hat sich verlobt." „Holm?" sagte sie erstaunt. „Und das erfahre ich erst jetzt? Also ist meine kleine Freundin Lucie auch eine Heuchlerin! — Noch vor wenigen Tagen waren wir miteinander zusammen und sie hat mir nichts erzählt." »Sie kennen die Braut?" fragte der Landrat er staunt. „Freilich", meinte sie lachend, „es ist doch Lucie — Lucie von Erbach." „Sie irren", sagte der Landrat, stehen bleibend, „es sst Margarete Hessen aus O., die vielbegchrte und be wunderte Schönheit und nebenbei das reichste Mädchen der Stadt." „Margarete Hessen, nicht Lucie von Erbach?" sagte Jngeborg leise vor sich hin. „Das ist unmöglich — das kann nicht sein — das ist ein Irrtum " „Aber, meine Gnädige", fiel der Landrat ein. „Sie können doch allen Ernstes nicht annehmen, daß Holm, ein so junger Mann, dieses arme, verblühte Pflänzchen Lucie heimfübren sollte. Sie sind zusammen ausge wachsen und innig miteinander befreundet, er sieht in ihr seine ältere Schwester. Ich glaube, Ihre Phantasie bat Sie da zu weit geführt, ich halte Fräulein von Erbach für viel zu vernünftig, als daß sie sich je Hoff, nungen auf ihn gemacht hätte." „Und dennoch glaube ich fest und bestimmt, daß cs ein Irrtum ist, denn es wäre zu schrecklich", meinte Jngeborg. „Die Verlobung ist ja auch noch nicht offiziell", be ruhigte der Landrat sie. „Ich traf gestern zufällig Holm in O., wir speisten zusammen und da hat er mir sein übervolles Herz ausgeschllttet. Wie Sie das berührt, Gnädigste I — Sie bei Ihren tiefen Kenntnissen und bei Ihrem klaren Blick sollten wirklich so sentimentale Regungen haben!" „Lassen wir das", sagte Jngeborg. „Ich habe mich vielleicht getäuscht — Sie mögen recht haben." Sie bestiegen ihre Räder und fuhren schweigend der Stadt zu. Währenddessen hatte Baumeister Holm zu ganz un gewohnter Stunde bei Lucie Vorgesprächen. Das Mäd chen war gerade allein im Zimmer, der Major hielt seinen Nachmittagsschlaf und sie versuchte mit einer Handarbeit sich wach zu halten. Es war unerträglich heiß. Während sie langsam die Nadel durch den Stoff führte, weilten ihre Gedanken bei dem Jugendfreunde und sie freute sich auf den kommenden Sonntag und zählte die Tage und die Stunden, die sie noch von dem Wiedersehen trennten. Da ertönte sein ihr bekanntes Klopfen, sie sprang auf, alle Mattigkeit war von ihr gewichen. Im Nu stand sie an der Tür und streckte dem Eintretenden beide Hände entgegen. „Hans, welche Ueberraschung", rief sie aus und dann, in sein erregtes Gesicht sehend, fragte sie besorgt: „Es ist doch nichts Unangenehmes, das dich herführt?" Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein, es ist nur Sehnsucht, die mich hierher führt, ich möchte mich mit dir ausplaudcrn." Er setzte sich zu ihr an das weinumrankte Fenster, aber statt zu sprechen, starrte er träumend hinaus und schwieg. Lucie beobachtete ihn, ihr Herz klopfte; sie las in seinen Zügen eine sonderbare Erregung, in seinen Augen schimmerte cs feucht und ein seltsames Leuchten verklärte dieselben. — Sie sah es und ihr Herz bebte, ihre Hände zitterten, die Lippen öffneten sich, doch sie konnte keinen Laut hervorbringen. Endlich wandte er sich um und sagte: „Hast du das Buch hier, das wir neulich gelesen?" Sie reichte es ihm schweigend. Er begann zu lesen. Doch sie hörte ihni nicht, wie sonst, aufmerksam zu, sein eigenartiges Wesen gab ihr zu denken. In ihr wallte cs auf, ein seltsames Empfinden überkam sie, es war ihr, als müßte ihre Brust springen, so gewaltig tobte es in ihr. Da smlug er das Buch wieder zu, entnahm seiner Brieftasche einzelne Bogen und las ihr Verse vor. Sie lauschte ihm mit ungehaltenem Atem. — Ihre Augen bannten sich fest an seinem bewegten Antlitz. Die Verse redeten eine Sprache, wie sie sie noch nie von ihm vernommen, und ein heißes Glückscmpfiuden, eine selig süße Hoffnung, die sie heimlich jahrelang gehegt, wuchs riesengroß in ihr empor. — Nun hatte er geendet und erfaßte ihre beiden Hände. „Lucie", stammelten seine bebenden Lippen, „du sollst die Erste sein, der ich es sage, dir muß ich mein übervolles Herz ausschütten, ich — ich — habe mich ver- lobt ich bin so glücklich, — so unendlich glück- lich." — Lucie war blaß geworden. Ihr Kopf sank auf die Lehne zurück, sekundenlang war es ihr, als ob tiefe Nacht sie umgab. — Dann raffte sie sich empor, und ihre Hände aus den seinen lösend, sagte sie leise: „Ich wünsche dir Glück, Hans — von ganzem Herzen Glück." „Ich wußte ja", antwortete er, „daß du mit mir empfinden wirst, du, mein treuester Kamerad, mein besseres Ich. Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne. ,Sie< gehört mir und deine Freundschaft habe ich. —" Sie verstand nicht den Sinn seiner Worte. Ein Zittern überlief ihren Körper, sie biß die Zähne zu- sammen, um den Schmerzensschrei zu unterdrücken, den ihr todwundes Herz ausstieß. Eine unendliche Leere, eine Oedc schien sie zu umfangen. Begraben alle Hoff- nungen — dahin alle Träume — dahin die Jugend, der Sonnenschein, alles — alles zu Ende. — Doch sie mußte sich zusammennchmen, sie durfte nicht zeigen, wie sie litt, und so brachte sie das schwerste Opfer, indem sie ihn ruhig fragte, wie alles gekommen. Während er ihr abgerissen, stammelnd vor Erregung, in kurzen Worten erzählte, wie er sein Glück gefunden, ver suchte sie ihn ruhig anzuhörcn und betrachtete das Bild des jungen Mädchens, das er niit stolzem Lächeln ihr entgegenhielt. Es war ein liebreizendes Geschöpf, in dessen Augen das wundersame Märchen leuchtete, das man Jugend nennt. Sie begriff plötzlich, was ihn zu der anderen gezogen, und um ihre Lippen zuckte cs in verhaltenem Weh. Die Jugend die Jugend, die hatte sic vor ihr voraus. Und hatte sie nicht dem Geliebten auch ihre Jugend gegeben? Hatte sie nicht in ihrem Lcbensfrühling nur in dem Gedanken an ihn gelebt? Ihre Seele war jung mit ihm geblieben, aber nach außen hin hatte die Zeit langsam die Frische fortgeweht, die ihr früher eigen, und während er sich zum Manne entfaltet, war sie langsam in dem ewigen Sorgen und Denken in der stillen, heim lichen Sehnsucht nach ihm dahingewclkt. — Achtlos hatte er die welkende Blume auf seine«
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