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StadtverordnetenwShler. wählt bürgerlich? ^rit einiger Zeit bemüht sich die Sozialdemokratie, «uch in ben städtischen Gemeindevertretungen Boden zu gewinnen und wo- möglich, soweit das Wahlrecht eS zuläßl, die Oberhand zu erlangen. Die rote Partei hat damit infolge der Teilnahmlosigleit der bürgerlichen Wähler vielfach nicht geringe Erfolge erzielt. Sir wendet sich jetzt allerwärtS an die Gemeindewähler mit der Auf forderung, Anhänger der Sozialdemokratie zu Stadtverordneten zu wählen. Was ist der Zweck dieses Vorgehens? Die Antwort liegt cn der Ertlärmig, die der Internationale Soztalistenkongreft in Paris im Jahre l 900 beschlossen hat, wonach „die durch die Tätigkeit der Genossen in den Gemeinden er rungenen Reformen >»u air Etappen auf dem Wege zur Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft angesehen werden lonnen," und in der weiteren Entschließung desselben sozialdemokratischen Kongresses, wonach „die Gemeinde ein vortrefflicher Stützpunkt der Sozialisten gegenüber der Jentralgervalt im bürgerlichen Staate sein könnte". Das ist der Standpunkt der internationalen Sozialdemokratie, dem sich die „Genossen" in Deutschland genau angepaßi haben. In der im „Borwä rts"-VcrMg erschienenen sozialdemokratischen Broschüre „Die Sozialdemolratie in den Gemeindevertretungen" (Berlin 1907) heißt cS auf Seile 16: „Die Sozialdemolratie wird unentwegt ihrem Ziele zustrebcn, der Ausgestaltung der Gemeinde zu einer wuchtigen Waffe im Befreiungskampf des Proletariats." Ebenso ertlärt der bekannte sozialdemokratische Schriftsteller und Politiker Emil Nitzsche in seinem Buch „Gemeindepolitik und Sozialdemokratie" (Dresden 1906) Seite 341: „So bedeutsam eine einzelne kommunalpolitische Frage für die Allgemeinheit sein kann, wichtiger ist für uns die Geschlossenheit der Arbeiterbewegung, von der jede sozialdemokratische Gemeindevertretung nur ein Teil ist." Mit anderen Worten: jeder Sozialdemokrat, der in eine Gemeindevertretung gelangt, hat sich auch hier nur als Parieimann zu fühlen. Er darf als Gemeindevertreter nichtdaSWohl derGemeinde, sondern ausschließlich die Ziele und Bestrebungen der Sozialdemokratie zur Richtschnur nehmen. Diese Regel wird streng durchgefühtt. So spielte sich in der sächsischen Stadt Neustädte!, in der dank der Schlappheit des Bürgertums sämtliche Stadtverordnete der Sozial demokratie angehSren, folgender Fall ab: „Am 30. Dezember 1912 nahm dar Stadtverordnetenkollegium die Wahl einer StadtrateS vor: die nach der Geschäftsordnung geheime Abstimmung ergab, daß von zehn sozialdemokratischen Stimmen zwei auf einen Kandidaten gefallen sein mußten, der dieser Partei nicht ongehörte. Der Stadtverordneten- porstehcr nahm darauf die zehn amtlichen Stimmzettel an sich und legte sie, als man sich hinterher im Ratskeller versammelt hatte, seinen Parteigenossen in einem Nebenzimmer mit der Aufforderung vor, >edcS Fraltiansmitglied möge „den Mut haben, zu erklären, wen cs gewählt habe", und seinen Stimmzettel vom Tische nehmen. Dabei stellte sich natürlich heraus, wer die beiden „nicht genügend zielbewußten" Fraktionsgenossen waren. Der eine von ihnen, der zu Kreuze kroch — er hatte seine Stimme seinem Hypothekengläubiger gegeben —, erhielt Verzeihung, der andere wurde in „geheimer" Abstimmung aus dem sozialdemo- kratischen Wahlverein ausgeschlossen und aufgefordert, seinStadtverordneten amtniederzu legen. Der Stadt verordneten Vorsteher erklärte sein Verhalten für ganz in der Ordnung. Unter seinen Genossen herrsche der F r a k t i o n S z w a n g, und sobald ein Verstoß gegen diesen vorliege, könne ihn von weiteren Erörterungen hierüber auch der Umstand nicht abhalten, daß eine Wahl geheim sei. Ein ähnlicher Fall spielte sich in Königsberg i. Pr. ab. Dort wurde am 23. Januar 1913 der Magistratsrat Dolle zum Stadtrat gewählt, der vorher von der s o z ia ldemo kratis ch en Stadtvsrsrdnetrnfrakivn »in von brn Slaolverocimrten Krüger. Maechiontai und vtickwald untarzrichnrte« Schreiben vom 14 Januac erhalten hatte, worin die Stellungnahme dieser Frattion von ver Zustimmung Dolle» zu vier bestimmten Forderungen abhängig gemach, wurde. Oberbürgermeister Kürte führte hierzu >n t>ec Sitzung vom 23. Januar aus: „Sir werben mit mir der Überzeugt!»-: sein, daß ein derartiges Verfahren weiter auszuoehnen, dazu führen würde, daß nicht mehrMänner von P > l j ch l b e w u ß i m i n und Ve r a n t w o r t l i ch k e i t S g e f ü h l oie öisentlich Arbeiten leiten würden. Wenn ein derartiges Verholten T . auf die Entschlüsse der Kandidaten haben könnte, würde das zu ; ! mr Herabsetzung aller öffentlichen Amtier führen W würden damit zu Zuständen tommen, wie sie »vn den Büesschcei'nr-i angesirebl werden, zu dem absoluten (LesrnliurigLM'Lnn die Sozialdemokratie als das Beste für oen von ihr ertcänmlcn Staat ansieht." Für die Sozialdemokratie ist eben 'auch die Gemeindewahlbewegung nur ein Kampf um die politische Macht, und eine Vorarbeit dazu ist die sozialdemokratische Orga nisierung der Gemetndearbeiter. Der vierte Teil der städtischen Arbeiter Deutschlands ist bereits sozialdemokratisch organisier In dieser Richtung soll es mit aller Kraft weilergehen. Sv haben die sozialdemokratischen Stadtverordneten in Altona i»i September 1913 an den Magistrat die Forderung gerichtet, daß m allen Betrieben, an denen di« Stadt beteiligt ist, die R r g e l n n g der Lohn- und Arbeitsverhältnis fe den sozialdemokra tischen Gewerkschaften übertragen werden soll Die Sozialdemokratie sucht ganz offen die Verhältnisse in den Gemeindc- betrieben und in den mit den Gemeinden in Vertragsbeziehungen stehenden Betrieben so zu gestalten, daß e- künftig »om Belieben der sozialdemokratischen Führer abhängen würde, ob Wasser, Gas, Elektrizität geliefert wird, ob deo Unrat entfernt wird, ob die Straften gereinigt werden. Daß mit solchen Möglichreiten gerechnet werden was, beweist der Streik der Fätalienarbeiter in Kiel im Jahre 1909. Die Sozialdemokratie strebt die Einführung de» „Munizftral» Sozialismus" an, d. h.: immer größere Gebiete der Privai- wirlschast, nämlich die Müllerei» die Bäkkürei» der Milch- Handel, die Schlächterei, die Brauerei, der Hslz- um > Kohlenhandel sollen künftig durch die Gemeinde betrieben werden. Das verlangt bereit» das Gemeindewahlvrogramm der bayerischen Sozialdemokratie, wie in der Schrift „Dir Sozialdemokratie :m Münchener RathauS", 1908, Seite 18, nachgelefen werden kann. In Offenbach hat die sozialdemokratische RaÜ;auS-Mehrhe'.l vor kurzem eine städtische Wurstfabrik eingerichtet, uno die dortige sozialdemokratische Parteiorganisation forderte in Flug blättern geradezu zum Boykott der Fleischer aus, indem ne darin Dinge behauptete, deren Verbreitung ihr durch cinstweN'lge richterliche Verfügung alsbald untersagt wurde. Fälle dieser Art lassen erkennen, wohin die sozialdemokratische Gemeindepoliti! sleuen. Würden die Sozialdemokraten die Mehrheit ui den Gemeinde vertretungen erlangen, und würden ihre auf Verstadilichung der in tsicn Gewerbe gerichteten Pläne durchgeführt, dann wären zahlreiche Existenzen des Mittelstandes brotlos gemacht. Das ist ja auch da« politische Ziel der Sozialdemokratie. Nur Über die Leiche des Mittelstandes führt der 70 ? z zur Erreichung der sozialdemokratischen N'vublift. Gegenwärtig sind Hunderttaufende von Gewerbetreibenden und Kaufleuten unausgesetzt bemüht, den Bedarf der nach Millionen zählenden Verbraucher möglichst gut und billig zu befriedigen, um dadurch selbst wirtschaftlich zu gedeihen. Sic sind vermöge ihrer Sachkunde dazu imstande, und der freie Wettbewerb halt den Gewinn in vernünftigen Schranken. Kein unbefangen Urteilender kann glanlu . daß nach Ausschaltung der Sachverständigen und Beseitigung des freien Wettbewerbs der Bedarf des Volkes besser befriedigt, dag