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7N. Jahrgang. Zö « Donneralag, 1«. Januar ISA Gegründet 18SS NradtantchrM: Nachricht«, »r«»«. S«rnIp»»ch»r>Smnm»t»umm»r: SS Schl. Nur lür NachlgrlprSchr: SV 011. SchrtsNrltunq und AouvIgeichLIIsNrlll w»rt»nllr-tzr 3S »2. Druck u. Derloq von UIrplch » »rlchardl in Drrddrn. Pohlcheck - Nonlv 1OSS Dreoden. Nachdnick nur mU deutlicher Suellenangdve »Dresdner 4>ochr"> ,uläM«. Unverlangte SchrillNUche werden nichl »uldewahr«. >Ur «i«» Srsnnmnlsrl» avot^oei. ln rolctier auevnlil ru dillindien Nr«I»en Ive chn»,»««II Sa»«» yualNaton plorlan eroeksrt» ßlsekt. 'VLÄüV 0e»»«r»r>-K. Vv»»r»e»te. » IS, s»> S»«0 SFL/LS7'tch,0 invrmm M Kunalspislpisnos »sil 1S34 dsstdewÄiirlss tzuslitstsksdrikst klGiaen I. La., ^arrinrtraka 12 Ar. Luther bei der Kabinettsbildung. Die Demokraten fordern Garantien gegen eine Aechtstendenz. — Aeinhold Finanzminister? Die Erroerbsloserchilse für höher bezahlke Angestellte. — Der jiichjische Kaushalt für 1S2S. — Generalleutnant Keim Die Parteiführer bei Dr. Luther. Berlin, 1». Januar. Der Reichskanzler Dr. Luther hat beute die Führer sämtlicher Parteien empfangen, die für sein Minderheitskabinett, mit dessen Bildung er vvm Reichspräsidenten beauftragt worben ist, in Frage kommen. Auf den ZentrilinSführcr Fehrenbach folgte der Abg. Koch, der Vorsitzende der demokratischen Fraktion, sodann Dr. Scholz von der Deutschen Volkspartci, Abg. Leicht von der Bäurischen Volkspartci und die Abgg. Vredt »nd Drewitz für die Wirtschaftliche Bereinigung. Die Be sprechungen mit den Fraktionsvorsitzendcn waren in der 7. Abendstunde beendigt. Reichskanzler Dr. Luther hat den Vertretern der Parteien , programmatische Darlegungen gemacht, vor allem übeir seine Absichten in der inneren Politik. Die FraktionSsiihrer berichteten nach dem Abschluß der Besprechungen ihren Fraktionen über diese Besprechungen. Die demokratische Fraktion stellte sich einmütig auf den Standpunkt, daß die Demokraten sich nach dem Versagen der Sozialdemokratie an dem Kabinett der Mitte beteiligen müßten. ES wurde betont, daß die Demokraten sich nicht so leicht der Verantwortung entziehen würden wie die Sozial demokraten. ES wnrdc in der Frakttonsfltznug gefordert, daß die kommende Regierung Luther eine klare Stellung zur Fürstenabfindung einnehmcn möge. Weiter wurde der Wunsch ausgesprochen, daß bei der programmatischen Erklärung der neue» Negierung die bekannten Kochschen Richtlinien weit gehend berücksichtigt werden möchten. Die NeichstagSsraktion des Zentrums faßte noch keinen Beschluß. Sic machte vielmehr ihre Entscheidung von dem Ausfall der Verhandlungen über die sachlichen Voraus setzungen für den Eintritt von Zentrumsmitglicdcrn in das Kabinett abhängig. Mit diesen Verhandlungen wurde der Fraktionsvorsitzcnde Fchrenbach beauftragt, der sich morgen zu diesem Zweck zu Dr. Luther begeben wird. Bei den Ve- svrechungcn Dr. Luthers mit den Parteiführern sind die Personalfragcn noch nicht berührt worden. Die beiden Vertreter derWirtschaftlichenBcretnl- gung, die vom Reichskanzler Dr. Luther empfangen wurden, präzisierten ihre Antwort auf die Aufforderung, in das Kabinett einzutrctcn, dahin, daß sie wegen des Gesetzes zur Förderung dcS PrcisabbancS und nach dem scharfen Wider spruch des Handwerks gegen dieses Gesetz dieser Ansfordcrung nicht Folge geben könnten. Die Partei will sich, »ach dem was ihre Vertreter Brcdt und Drewitz dem Reichskanzler vor- trugcn, höchste » s dem neuen Kabinett gegenüber neutral und ab wartend verhalten und sich ihre Entscheidung von Fall zu Fall Vorbehalten. Die für Mittwoch abend vorgesehene Frakttonösitznng der Deutschen Volkspartci wurde abgesagt. Sie findet erst am Tonnerstagnachmittag statt. Im Kabinett Luther sind die Posten des Rcichsinnenmini- sters des Ncichsjnstizministcrs und des Neichswirtschastsmini- stcrs zurzeit nicht besetzt. Au einen Wechsel für das NcichsernährungSministerium und für das Reichowchrministcrium, von denen im De zember die Rede war, glaubt man nicht mehr. Allerdings wollen anderseits Gerüchte wissen, daß an die Stelle des Grafen Kanitz, der setzt ErnährungSministcr ist, und. der den Dentschnativnalcn nahestcht, der bayrische Baucrnbündler Fehr treten dürfte, der schon einmal Retchs- crnährungsministcr war, Die Besetzung dcH Rcichssinanz- ministerinms gilt allgemein gesichert, und zwar mit dem sächsischen Finanzminister Dr. Reiuhold, der den Demokraten ««gehört und in enger persönlicher Berbindnng mit dem Reichskanzler Dr. Luther steht. Dr. Luther schätzt Dr. Rein- hold als einen geschickte» Finanzmann. Die Besetzung der übrigen drei Ministerien hängt davon ab, ob der Reichskanzler darauf besteht, daß wenigstens die Parteien der Mitte sich untereinander verständigen, oder ob er sich streng an de» Auftrag der Bildung eines neutralen Kabinetts der Mitte hält und mit den Parteien über diese Frage nicht verhandelt. Wenn Verhandlungen zwischen den Parteien geführt werden sollten, würde das Rctchsministc rium deS Fnncrn wahrscheinlich nicht nur von den Demo kraten. die dafür den Abgeordneten Koch nennen, sondern auch von der Deutschen Volkspartei in Anspruch ge nommen werden. Achnlich liegt eS mit dem Reichst ustiz- mi niste rium für das vom Zentrum Marx genannt wird, für das man aber auch den volkSpartcilichen Abgeord neten Dr. Eurtins nennt. Für das Rcichswirtschaftsmini stcrinm kommt der ZcntrumSabgcordnele Lammcrs in erster Linie in Betracht, falls nicht das Ministerium mit einem Mit glied der Deutschen Volkspartei besetzt wird. Weiter werden als voraussichtlicher Reichswirtschasts, minister der ZentrumSabgcordncte Dr. Lammers, für die Besetzung des NcichsinncnministeriumS der demokratische Abg. Koch und der VolkSparteilcr von Kardorff, für das Justizministerium der ZcntrnmSabgeordnete Barth und der VolkSparteilcr CurtinS genannt. Wie eS weiter heißt, wird auch RctchSarbeitsminister Dr. Brauns im Amte bleiben. „Fraküonismus." Die Ausdehnung der krwerbslosenfürsorge. Die Eingliederung -er höher bezahlten Angestellten. Berlin, 18. Jan. Dem RcichstagSauSschuß für soziale Angelegenheiten wurde ein Gesetzentwurf zur Acudcruug der Verordnung über Erwerbslosensürsorge vvrgelcgt, der die Einbeziehung der höher bezahlten Angestellten in die Er- werbSlosenfürsorgc zum Inhalt hat. Von NcgierungSseitc wurde hierzu ausgesührt. daß die Durchführung trotz An erkennung der sachlichen Berechtigung dieser alten Forderung bisher aus verwaltnngstcchnisckien Gründen unterblieben ist, denn die Einziehung der Beiträge, die das Gegenstück zur Be- -ugSbercchtigung bilde, mache hier einen besonderen Vcr- waltungsapparat erforderlich, da die Anlehnung an die Krankenversicherung sortfallc. Inzwischen sei jedoch die Ro« der Angestellte« so gestiegen, daß die Bedenken zurücktrcten müßte«. Dem Gesetz soll rückwirkende Kraft vom 1. Januar 1S20 ab verliehen werden. Gegen eine noch iveitere Rückwirkung sprechen zwingende verwaltungstechnische Gründe. Die Aus führung des Gesetzes werde durch eine Verordnung erfolgen, die unmittelbar nach seiner Verkündung im „NcichSgcsetzblatt" ergehen soll. Die Verordnung enthält folgende , Grundgedanke«: Sic erweitert das Recht zum Bezüge der Erwerbslosenunter' pützung aus die Angestellte» mit einem JahreSverdieuft von mindestens 2700 bis 0000 Reichsmark und verpflichtet diese und deren Arbeitgeber zur Leistung von Beiträgen. Doch soll der Teil deS Arbeitsverdienstes anßer Betracht bleiben, d r der Lranlenverstcherungspslichtgrcnze übersteigt. Die höher bezahlten Angestellten werden also durchweg Beiträge nach ciuem FahrcSarbcitÜverdicnft von 2700 Reichsmark zu leisten haben. Ueber die finanzielle Wirkung wurde erklärt, daß bet dem höheren Beitragssatz von zusammen 8 Prozent, wie er gegen- wärttg erhoben wird, die Beiträge der nahezu 400 000 höher brzahltc« Angestellten jt7 Prozent von 2.8 Millionen An gestellte« überhaupt! aus monatlich 2.4 Millionen Reichsmark zu schätze« sind. Dem stände, wen« man den MonatSanfwand für einen höher bezahlten Angestellten ans rund 78 Reichs mark und die Zahl der augenblicklich Erwerbslose« unter den höber bezahlten Angestellten ans 28580 <17 Prozent von 150000 erwerbslosen Angestellten überhaupt! beziffert, eine monatliche Ausgabe von zurzeit 1,0 Million Reichsmark gegenüber. vlflenNellen für enlbe^rliche Beomle. Berlin, 18. Jan. Wie der »Amtliche Preußische Presse dienst"' mittcilt, hat die preußische Staatörcgicrung, ent sprechend dem Vorgehen der Retchsrcgterung. für die Be amten der Besoldungsgruppen 0 bis 13 bei den Fachministcrn, für die Beamten der Besoldungsgruppen 1 bis 8 im Bereiche sämtlicher Verwaltungen, mit Ausnahme der Justizverwal tung. bei den Regierungen in Berlin, bei der Bau- und Finanzdircktion L i st c n st e l l e n eingerichtet, um die Unter bringung von entbehrlich gewordenen Beamten zu erleichtern. Die Kredlraewiihrunq an die Landwirtschaft. Die deutsche G o l d d I S k o n tba n k hat der Renten bankkreditanstalt eine Vereinbarung angcboten, welche dieser die Gewährung eines drei- bis fünfjährigen hypothe karischen Zwischenkredits an die deutsche Landwirtschaft ermöglichen soll. Im Falle der Annahme dieses Angebots wird die Rentenbankkreditanstalt Hypothekcnschuldschcine ausgcben und der GolddiSkontüank überlassen, die d.rch landwirtschaft liche Hypotheken sichergcstellt sind, welche innerhalb 33A Proz. des berichtigten Wehrbeitragswertes liegen. Diese -Hypotheken sollen mit einem Drittel nach drei Jahren, mit einem wetteren Drittel nach dem vierten Jahre und mit dem letzten Drittel nach dem fünften Jahr« zurückgezahlt werben. sW.T.B.) Also sprach Herr Hellpach, der Demokrat: „Unsere Krisen bewegen sich vom gesunden Parlamentarismus weg zu einer seiner ausgesprochenen EntartungSformcn, die man am besten als F r a k t i o n i S m u ö kennzeichnet . . . Die Männer, die eine Regierung bilden sollen, scheitern nicht daran, daß sie keine Mitarbeiter finden, sondern daran, das, die Fraktionen be schließen, nicht in ein Kabinett Soundso hineinzugchen. ES ist nachgerade nicht mehr abzusehcn, wie überhaupt ein parla mentarisches Kabinett gebildet werden soll, da immer eine ent scheidende Fraktion ihren Angehörigen den Weg in daS Kabi nett durch einen bindenden Beschluß versperrt." Man kann mit Dr. Hellpach streiten, ob dieser Fraktioniömns eine vermeid bare EntartnngScrscheinnng eines an sich gesunden Parla mentarismus ober ob er nicht gerade eine im parlamenta rischen System begründete AuSdruckssorm überall dort ist, wo die tragbare Grundlage der parlamentarischen NegierungS- weise in der absoluten Mehrheit einer Partei, wie in England, nicht gegeben ist. Es läßt sich jedenfalls nicht übersehen, daß sich in Frankreich seit den letzten Wahlen dieselbe Entwicklung vollzieht wie bei uns. Klagen wie die Dr. HellpachS sind in Frankreich nicht unbekannt, und das Emporschieben der Dik taturen in Italien, Spanien, Persien und Griechenland weist durchaus in dieselbe Richtung. Ueber die Berechtigung der Hcllpachschcn Anklagen gegen die Parteien und ihre Ver tretungen im Parlament, die Fraktionen, aber läßt sich nicht streiten. Die Fraktionen der Mittelparteien, deren Einfluß umgekehrt proportional ist zu ihrer zahlenmäßigen Stärke, haben sich seit dem Rücktritt deS Kabinetts Luther d"m üppigsten Fraktionismus verschrieben, und sic haben cs zuwege gebracht, daß zu einer bezeichnenden Krise des Parlamentaris mus wurde, was von Anfang an nur eine Ergänzung dcS RumpfkabinettS Luther zu sein brauchte. Als das Kabinett Luther nach der Unterzeichnung der Locarno-Verträge am 5. Dezember zurücktrat, konnte niemand daran zweifeln — und das ist von vornherein betont worden —, daß dieser Rücktritt mehr formale als grundsätzliche Bedeutung hatte. Man hätte also nach zwei oder drei Tagen dort stehen können, wo man heute steht. War es schon ein groteskes Bild, das der deutsche Parlamentarismus bot, als der Vorsitzende der 82- Männer-Fraktion, der Dcmokratcnführcr Koch, mit der Bil dung einer Regierung der Großen Koalition betraut wurde, so hielt eS das Zentrum für angezcigt, sich mit dem Fluch der Lächerlichkeit zu beladen, als es nach dem Scheitern Kochs eine Wiederholung dcS Versuchs erzwang, den der Vorsitzende der Zcntrumsfraktion im ersten Stadium der Krise in richtiger Erkenntnis der Lage bereits abgelehnt hatte. Man hat im Zentrum natürlich selbst nicht daran geglaubt, was man nach außen hin betont hat, baß nämlich die Aussichten der Großen Koalition sich gebessert hätten. Wohl aber hielt man es kür ratsam, dem eigenen LinkSflttgel die Notwendigkeit einer Be teiligung an einem Kabinett Luther darzulegcn, und anS diesen kleinlichen Partcirttcksichtcn heraus inszenierte man diese völlig unnötige Dauerkrise in einer Zeit, in der die katastrophal wachsende wirtschaftliche Not und Arbeitslosigkeit energischste Regierungstätigkeit erheischte. Lächerlich die Umwege, die man einschlng, lächerlich aber auch die Auseinandersetzungen über Schuld und Verant wortung an dem Scheitern des Jlliisionsgcbildcs der Großen Koalition. Vergebens hat Dr. Koch in seinem erheiternden Werben um die Sozialdemokratie den „inneren Locarnogeist" beschworen. Der Geist von Locarno hat nach außen versagt, als er sich praktisch in wirklichen Rückwirkungen auswirkcn sollte, und er ist auch in seiner Ncbcrtragung ans die innere Politik eine Fiktion, ein Schlagwort, wie es die bekannte „Volksgemeinschaft" des Herrn Marx war. weil er sie dyrch Zusammenkoppcln innerlich wesensfremder Parteien erreichen wollte, und wie eS letzten Endes auch die Große Koalition ist, die in der Praxis versagt und versagen muß, weil die wekt- anschauungSmäßtgrn politischen Gegensätze in ihr zu groß sind. ES war darum eine völlige Verkennung der Tatsachen, wenn -er letzte Zcntrnmsbcschluß betonte, daß die Ueber- windung der großen wirtschaftlichen Not nur durch eine Re gierung der Großen Koalition überwunden werden könne. Tie Sozialdemokratie geht heute aus agitatorischen und Partei- taktischen Rücksichten mehr und mehr nach links, nicht nur bet uns. sondern auch in Frankreich. Und wenn sich aus dem peinlichen Verlauf der jetzigen Regierungskrise eine dauernde Lehre ergibt, ko ist cs die, daß die Große Koalition ein für allemal erledigt ist. und daß eS verlorene Liebesmühe ist. sie immer wieder aus der Versenkung hcrvorzuholen. Dies den Parteien in aller Eindringlichkeit zu Gcmüte zu führen, war offenbar der Zweck deS Reichspräsidenten, als er den Demo kraten Koch sein Heil versuchen Netz, und besonders, als er sich