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Dresdner Nachrichten : 12.02.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189902120
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990212
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990212
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-02
- Tag 1899-02-12
-
Monat
1899-02
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 12.02.1899
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Seite 71 Bcllcrrisriicsic Lontttags-45cilage zu ven „Dresdner 'ckiackitilyren". Was sie doch zu seinen Bildern gesagt hätte, die feinsinnige, liebe, kluge Mutter? Wie doch die „Windsbraut' aus sic gewirkt haben wurde ? Ach, hatte keine einzige selbstständige Arbeit von ihm zu sehen bekommen, nur ne eisten, schüchternen Versuche, von denen freilich Sachverständige schon nals sagten, es stecke Talent darin, ein großes, eigenartiges Talent. Sein nächstes Gemälde! Das sollte einen Kahn verstellen, der auf ruhiger See schwamm, und in dem Kahn saßen drei, vier singende Menschen: ein langes, hüdschs Liebesvaar. das sich zärtlich ninschlungen hielt und offenbar auch ein Liebeslied sang: sie waren ganz miteinander beschäftigt, hatten nicht Auge und Ohr für ihre Umgebung. Zwei junge Burschen waren mit im Boot, von denen zog der eine gerade die Ruder ein, der andere war bemüht, ein rothbraunes Segel zu hissen, da wohl ein leichter Wind auf gekommen war. Sie hatten Beide die Blicke auf ihre .Hantirungcn gerichtet, sangen jedoch Mit, man sah es ihnen an. — Hinter den vier Menschen aber hatte sich mit halbem Leide ein Wasierweibchen aus dein Meer gehoben, ungesehen von ihnen Allen, das hörte zu. Es stützte eine schneeweiße Hand auf den Rand des Kahnes und ließ sich so mitziehen in leise gleitender Bewegung. Mit sehnsüchtigen, ichwermütbigcn Augen, die dunkelblau wie das Meer sein mußten, aus dem die Nixe stammte, lauschte das fremdartige Gcichövf aus Das. was die Erdgeborenen, die Menschen sangen, halb es verstehend und halb nicht, während sie ahnungslos dahinfnhrcn. Günther hatte drei Skizzen zu dem Bilde gemacht, und die letzte von chnerr genügte ihm. Tie Tcencne, das kaum merklich bewegte Meer, den Himmel, die Spiegelung des Kahns und die jungen, glücklichen Menschen im Rachen ... Alles das hoffte er gut herauszubringen, nur in Bezug auf die Nereide war er noch nicht mit sich im Klaren. Sie war chm das Wichtigste vom Ganzen, aus ihr und ihrem Kontrast mit den Menschen, aus dem, was sie empfand und wie sie es zum Ausdruck brachte, beruhte die Hauptwirkung oes Bildes. Und er konnte sich für nichts Bestimmtes entschließen, das -feuchte Weib" schwebte ihm bald so und bald anders vor. Er hatte ein paar Entwürfe von der Nereide allein gemacht, sie aber voller Ungeduld wieder Vernichtet, weil sie ihm nicht genügten. Oben aus dem „Erdbcerhügel" angckommeu. umfing ihn grüngoldene Walddämmerung; hier senkten die Eichen ihr schweres Laub herab, und die Eichen traten dazwischen mit ihren knorrigen Stämmen, einzeln verstreut hin und her eine blaugrüne Kiefer, eine altwürdige Fichte. Aber es war be drückend hier, kein Luftzug wehte, eng aneinander standen die Bäume, Günther atbmete gepreßt und trocknete sich niit dem Tuch die Stirn. — Hinüber zum Buchenwald! Tort gab es reichlichen Schatten und doch auch Kühlung, denn jeder Windhauch fand Raum unter den hochragenden Bäumen. Kaum eine Viertelstunde war er gewandert, da war er bei der kleinen Waldwiese angclangt, die man kreuzen mußte, um in den Buchenwald zu kommen. Wie ein sorgsam abgezirkeltes Eirund lag die Wiese da. still und soirneir- beglänzk, mit hohem Graswuchs und zahllosen wilden Blumen, über die, gleich kleinen Goldblitzen, Libellen und Bienen hinschossen. Das Summen all' dieser geschäftigen Bienen kam wie ein leiser Harfen ton zu deni einsamen Wanderer herüber, es wirkte so eigenthnmlich ein schläfernd. Er war auch voni Steigen bei dieser Sonnengluth müde in den Knieen ... ob er sich hier, am Rand der Waldwicsc, ein wenig in's Gras legen und ruhen sollte? Kaum noch gedacht, da lag er schon hingestreckt im Schatten einer Buche, dm weichen. Hellen Filzhut unter den Kopf geschoben, die Augen gen Himmel gerichtet, den Harfenton im Ohr. „Gott Van ist bei mir — Gott Pan!" dachte er noch, dann sanken ihm die Augen zu. Wie lange er geschlafen, hätte er später nie zu sagen gewußt, er hatte seine Uhr zuvor nicht zu Rath gezogen, besaß alio kein Zeitmaß. Auch was ihn geweckt, würde er nicht arrzngeben gekonnt haben. Hatte eine von den Libellen, die über den Hohen Gräsern tanzten, seine gelchlossencn Augen ge streift? Halte ein Schmetterling mit seinem Flügel seine Lippen berührt? Mit starkem Herzklopfen, betäubt von dem würzigen Tust, den Gräser und Blumen im Sonnenschein ausathmetcn. erwachte Günther, setzte sich mechanisch aus, sah mit schlaftrunkenen Augen um sich her und wußte durchaus nicht, wo er war, wie er hierhergckommcn >ei, wie er hatte ein- fchlafen können! Taumelnd, wie wenn er zu schweren Wein getrunken Härte, erhob er sich endlich. Und wie er auf.seinen Füßen stand nnd mechanisch die Grashalme herunlerstreiste, die sich a» seine Kleider gehängt hatten ... da hatte er eine Vision, ja, ja, nichts Anderes als eine Vision ioimte es sein! Jeiiieits der Waldwiese. da, wo sie in den Buchenwald hineiiisührte. kam zwilchen den hohen Stämmen langsam, ganz langsam, Schritt vor Schritt setzend, ein Pferd hervor, ein lehr bübschcs lichtbrauucs Pferdchen mit fast weißer Mähne und langem, weißem Schweif .. . nnd auf dem Rücken des Thirres saß. lässig die Zügel in den Hände», ein junges Geschöpf; halb war's ein Kind noch, halb war's ei» junges Mädchen, weißgekleidet, einen Hellen Hut über den linken An» gehängt; das.Haupt frei in Licht und Luft und Sonne badend. Tas tiefschwarze schlichte -Haar war über die Stirn gerade geschnitten. Von einem ichmalen S überreifen umgeben... darunter blickte ein seines, zartes, kleines Gesicht hervor, und große, blmidrmklc, märchenhafte Augen sahen wie lm Traum vor sich hin. Tas Ganze, wie cs da am Waldessaum erschien und lautlos nnd langsam aus dem weichen Boden näher kam, war so seltsam anzusehen, so unirdisch, daß Günther, ichlafbcsangen wie er war. nicht einen Augenblick daran zweifelte, er träume noch immer. Wirre Gedanken von Mittagsgespenftcrn, obgleich Mittag schon seit Stunden vorüber war — von Gott Pan. der ihm dies entzückende Wunder geschickt, von Böcklin's „Schweigen im Walde", das ihn beim ente» Anichaucn ebenfalls in so csthcmlo'es Schauern versetzt, flogen ihm blitzqeschwind durch den Sinn ... endlich der eine Wunich: „Wüßt ich eine Zauberformel, dies Bild für eine Weile fest zu bannen ... müßt' ich eine!" Und als wäre sein brennndcr Wunsch der elektrische Funke gewesen, der hcrübcrsprang und seinen Willen vermittelte, so blieb drüben das Bild aus den Vlatz gebannt. Scheute das müde Pferd den Hellen, sonnenbeschienenen Platz ... merkte cs, daß seine Herrin nicht Acht gab und sein Zögern iricht strafen würde, cs hob nicht mehr langsam im Wciterschreitcn vorsichtig Fuß um Fuß. sondern stand ganz still. Und das junge Wesen blieb auch unbeweglich, die großen Augen träumend gerade vor sich hin gerichtet. Mit zitternden Händen tastete Günther nach seiner Brniitaiche, nach seinem Sttzzenbnch. Tas hier firiren, aber sofort! Aber genau ebenso! Keine Linie durste sich verändern! Das Märchen, das durch den Wald reitet, oder Frau Minne. Nein, nein, nicht die! Ties war ia noch ein Kind .... aber mit solchen Augen? Herr des Himmels, was das nur für Augen waren. Tie mußte seine Nereide haben, die sich ans der Tiefe des Meeres empvr- hcbt. um dem Gelang der Menschen zu lauschen! Ihm flimmerte es bunt vor den Blicken, mit dumpfen, langsame» Schlägen klopfte sein Herz, auch in den Schläfen bohrte und hämmerte es ihm; er konnte den Stift nicht halten und die Blätter nicht umwciidcn. Bis er Herr über sich und sein Können wurde, konnte ihm Alles verloren gehen. Tiese Sccnerie! Ter ernste, gewaltige Buchenwald als Hintergrund, und jenseits der vom Sonnengold übecstutheken Wiese das Märchen, das durch den Wald geritten kommt. Noch immer ohne Regung. Das Knie emporziehend, gegen den nächsten Baumstamm gestützt das Skizzcnbiich daraus gelegt — mm erfassen — jest- halten — zeichnen, als ob es das Leben gilt. Eine kleine Weile blieb Alles, wie cs war. nur einmal trat das Pferdchen einen Schritt bei Seite, beugte den Kops und rupfte ein paar hohe Grashalme ab. die dort standen, dann hob es den Kopf, witterte ein wenig in die Lust nnd wandte ihn nach seiner Herrin zurück, gleichsam fragend: Merlst Tu denn nichts? Weißt Tu nicht, daß wir Beide hier nicht länger allein sind? Wie der Pomn, aber gewahrte, daß die Reiterin das in der That nicht wußte, daß sie der Außenwelt entrückt und sein Stehenblciben oder Äorwärts- gehen ihr vollkommen gleickgittig war, da entschloß er sich, seiner beanemen Gewohnheit gemäß, für Elfteres: ehe er dieie sonnige, augenblendende WalL- wicie überschritt, lieber blieb er doch ruhig hier am Waldrandc stehen und warterc in Seelenruhe der Tinge, die da lommcn würden. „Kein Traum! Kein Traum!" sagte sich Günther drüben an seinem Baum immerfort vor. nnd in der^ unbequemsten Stellung zeichnete er mit fliegendem Athem nnd bebendem Stift, daß ihm die Hellen Tropfen an den Haarwurzeln hervorbrachen. Er achtete auch nicht daraus, daß cs sich drüben im Gebrach regle, daß ein kurzes, tiefes Hundcgebell erscholl, und nur als sein „Bild" sich plötzlich veränderte, wurde er aufmerksam. Tas feine, dunkle Köpfchen hakte sich zurückacwendet, welch' ein wunder volles Profil das war; sichtlich lauschte das Mädchen aus das Brechen und Knacken dort im Unterholz hinter ihr, lauschte aber ohne jedes Erschrecken, als wüßte es ganz genau, was jetzt kommen mußte. Und es kam ein großer dnritelgrauer Wolsfhund daher, richtete sich an dem Pferdchen, das ihn ruhig beschnupperte, empor, und legte scirre gewich tigen Tatzen ans das Knie seiner jungen Gebieterin. „Pfui, Pollar! Mein weißes Kleid! Schämst Du Dich gar nicht?" Ter Lauscher konnte die halblaut gesprochenen Worte nicht hören, die Entfernung war zu groß, er sah nur die halb strafende, halb neckische Gebende der Hand, die den täppischen Gesellen abzuwehrcn bestrebt war. Wer war sie? Was war sie? Kam sie allein hierher mit Pferd und Hund, oder war Jemand noch in ihrer Nähe, der zu ihr geh orte? Schon war das visionäre, das traumhafte Empfinden zum größten Theil von Günthers jetzt völlig zum Bewußtsein erwachten, gesunden Sinnen abgersteift, es war ihm klar geworden, daß er kein Fabelwesen, iondem ein Mentchenlind, freilich ein ganz ungewöhnlich reizendes, vor sich habe. Kaum konnte er den Blick davon losmachen, um ein Auge ans seine in so fliegender Hast hingeworsene Skizze zu werfen. Er war recht gründlich unzusrieden damit. Kanin die Um risse waren vorhanden, und auch die in so unsicheren, schwankenden Linien! Was er da hingestümpert batte, würde ihm wohl kaum genügen, diese prak tische Scene jemals anszuftihren! „Wollen wir weiter ?" fragte drüben die junge Reiterin den Hund, der von ihr abgelassen hatte und mm, erwartungsvoll zu ihr aufblickend, neben ihr stand. Mit ihrer kleinen Gerte gab sie dem braunen Pferdchchcn einen leichten, ausinuntcmdcil Hieb, und der Pony. der mm genug gestanden hatte, nickte mit dem Kopf, zum Zeichen seiner gnädigen Zustimmung, daß ihr» die Helle Mähne flog, danii setzte er sich in einen kurzen Trab. Wie das reizvolle, jetzt lebende Bild über die sonnige Waldblößc näher kam. faßte Günther von Döhlen einen schnellen Entschluß. Mit hastigem Griff raffte er seinen weichen Filzhut, der als Kopfkissen formlos zerdrückt am Boden lag, aus dem Grase auf, das SkFzenbuch einznstccken war keine Zeit mehr, er ließ es fallen, wohin cs eben fallen wollte, und kam eben hinter teinem schützenden Baum hervor. Hund und Pferd stutzten, als sie ihn zu scheu bekanien, das junge Mäd chen nicht. Warum sollte hier nicht Jemand im Wald spazieren gehen? Und wahrlich, zum Fürchten sah dieser Jemand nicht aus! „Ruhig. Pollux, nur geschieht gar nichts I" Sylvia hielt ihr Pferdchen an und wartete. „Mein gnädiges — »lein gnädiges Fräulein", begann Günther unsicher. Seine Stimme klang ihm so fremd, so störend in die Waldesstille hinein, und diese Anrede, die man jedem weiblichen Wesen als wohlerzogener Mann schuldig war, wirkte ihm hier, diesem holden, halbkindlichen Geschöpschen gegeir- Bcttctrislisktte Sonntak-s-Beilanc zu den „Dresdner Nachrichten". Seite «5. über, beinahe wie eine Promnation. Junge, geputzte, zierlich srisictc Däm chen im Ballsaal, im Salon mochte man so anredcn. nicht aber diese Märchen- Encheimmg. Sylvia schüttelte denn auch den Kopf dazu. „Bin ich noch nicht! Zwar ichon konnrmirt, aber darum doch noch kein gnädiges Fräulein. Sylvia von Wnlnen.heiß ich!" Es »ihr ihm wie ein Ruck durch die Glieder. „Baron von Wulffeii's Tochter also?" ..Jawohl, die zweite natürlich!" Tas betonte sie nachdrücklich, wir Wenn der Gedanke, sie tonnte die erste sein, Strafe verdiente. „Günther von Döhlen!" sagte der Maler in einiger Verwirrung. „ Ach ! Ein Nachbarssohn also ? Ten Namen Döhlen kenn' ich ganz gut!" „Ich bin mir auf Besuch jetzt hier in niemer alten Heimarh. Baroireß werden misten .... Kronau ist verkauft, mein Oheim, Herr von Pcrnyezewski, hat cs vor Kurzem erworben." „Wie heißt er ?" Sic bog sich vom Pferd herab und sah ihm angelegent lich auf die Lippen. ..Von Pcrnyezewski, er ist Pole von Geburt, kam auch von Polen hier hcrüver. Baroncß wußten das wirklich nicht?" „Ach nein ! Wir erfahren gar nichs von dem, was hier in der Umgegend Vor sich geht. Papa will das so- Papa ist nämlich mcmchenscheu." Sie sagte dies in mitleidigem Ton, so wie man von einer Krankheit spricht. „Und er erlaubt seiner Dochrer, allein durch den Wald zu reiten?" „Nein, davon weiß er natürlich nichts!" Ueber das bewegliche, seine Ge- sichtchen ging es wie Unruhe nnd Reue hin. „Er ist aus ein paar Tage ver reist. und untere Erzieherin hat Migräne, das ist ein gräßlicher Kopfschmerz!" fügte sie als Erklärung hinzu. „Ta hat Nelly — meine Schwester Neüy — gewollt, wir sollten Beide rn den Waid reiten, und sie wollte lieber allein sein. Ta bin ich denn auch allein!" „Haben denn Baroncß „'Nein, nein!" unterbrach sie ihn ungeduldig. „So dürfen Sic mich nicht nenne», Herr Günther von Döhlen! Nicht gnädiges Fräulein, auch nichr Paroneß. Kein Mensch sagt so zu mir. Nelly sagt immer, ich bin noch ein Kind!" „Aber ich kann doch nicht —" „Nicht Sylvia zu mir sagen?" Warum nicht, finden Sic denn den Namen nicht hübsch?" „Sehr yübich! Wunderhübsch! Nur—" .Oder nennen Lie mich vielleicht lieber Sylphe? So rufen sic mich Zille zu Hause, sogar Papa thut es!" „TaS paßt auch am besten für Sie. Aber Baro .... — Fräulein Sylphe hält hier immer zu Pferde im vollen Ivmienicheiii? Wie war's, wenn Sie ein wenig abs.iegen und sich hier in den Schatten setzten?" „Kann geschehen!" nickte sie bereitwillig, machte den Fuß vom Steig bügel los nnd glitt behend vom Sattel, Günthers dargcbotene Hilfe kaum bedürfend. „Ich habe gar kein Reitkleid an," meinte sie wie entschuldigend, an ihrem weiyen Kleidchen heruntcrjehend, „aber" — jetzt mußte sic lachen — „wie soll ich wohl eins anhaben, wenn ich überhaupt keins besitze? Papa, der würde nnS schön bringen, wen» mir Neiltleidcr haben wollten. Nicht des Geldes wegen, so ist er gar nicht, aber weil er deuten möchte, wir wür den dann zu oft ansrciten wollen. Tie zwei Tamcniattcl stammen »och von Mama, -Nellys ist noch sehr gut, aber meiner ist schon alt. Ten Pony wollen Sie anbinden? Ach, das ist nicht nöthig, der geht uns nicht durch, dazu ist er viel zu faul. Er kann ruhig hier hernmgehen, wenn ich ihn ruic, lommt er gleich. — Was ist denn das Sie war mit dem Fuß an das im Grase liegende Skizzcnbuch gestoßen und bückte sich setzt darnach. „Das ist — das sind meine Zeichnungen — kleine flüchtige Entwürfe." „Ach, ein Maler sind Sie?"' Sie musterte ihn mit einem ganz neuen Jntcrcffe, mit einem io frohen Erstaunen, als habe sie etwas geschenkt bekom men. Er mackste eine verlegene Gederde, um ihr das Buch aus der Hand zu nehmen, aber Sylvia sah sie iricht oder wollte sie nicht sehen; sie setzte sich i» den Schatten der Buche, unter der Günther zuvor gelegen, in's Moos und begann, eifrig in dem Buch zu blättern. Dicht neben ihr ans dem sammetwcichen Moospolstcr sitzend, ließ er sein entzücktes Künsilcrauge über den feinen Umriß des dunklen Köpfchens, über das zierliche und das regelmäßige Profil gehen. Die stolz geschweifte Oberlippe stimmte so gut zu dem kurzen Rüschen, die kohlschwarzen langen Wimpern, wie sie jetzt gesenkt waren, gaben dem Gesicht des Kindes fast etwas Finsteres. Vieles an diesem wunderbaren Geschöpschen lag noch in der Knospe, aber Welckie Blürhe verhieß das Alles — welche Blüthe! Sie sah einige von den Blättern längere Zeit an, manche überschlug sic schnei!. Plötzlich sing sie laut an zu lachen. „Ach Himmel, nein! Sagen Sie mir nur, bitte, soll denn ich das sein ?" Günther mußte selbst lachen, als er aus sein neuestes Machwerk blickte. „Tas gefallt Ihnen wohl nicht?" „Um Gotteswillen, nein! Wie soll mir denn so etwas gefallen? Sic haben es ja w schlecht gemacht!" „Eine vernichtende Kritik, aber wenigstens eine ehrliche! Ich hatte so sehr wenig Zeit und eine furchtbar unbeaueme Stellung." .„Wenig Zeit? Aber warum? Sic hätten mir ja blos znrnsen dürfen: Bleib, wo Tu bist, ich bin Maler und will Dich zeichnen! Dann hätte ich still gehalten, und der Pony hätte cs mir wahrhaftig nicht schwer gemacht." „Das wurden Tie gethan haben?" „Ja. natürlich! Ist das so zum Verwundern? Mich hat doch noch nie em Acastr. gezeichnet. Saßen Sie schon lange hier, als ich kam?" „Ich tatz uberhaupst nicht > Ich war lange Zeit im Wald hcriimgelanscii und nnide geworden, da legte ich mich hier in s Gras nnd schlief ein —" „Und ick, lcun und weckte Sie ? Es thut mir aber sehr leid. Herr Günther voir Döhlen." Eigeiithilmlich kindlich und reizend kam cs ihr von den Lippen, wen» sie so seinen ganzen Name» anssprach. „Nein, ich wachte auf, ehe Sic kamen. Aber sie wissen vielleicht, mein gnädiges — Fräulein Sylvia, Sic wissen vielleicht, wie das ist. wenn man zwar wacht, aber der Schlaf läßt einen noch gar nicht los. sitzt einem noch rn allen Gliedern, läßt den Gedanken anfkommen, man müsse noch träumen — „Ja, ja, ja das kenne ich!" unterbrach sie ihn eifrig und kam ihm näher, indem sie sich mit der Linken auf das Moospolster stützte. „Ich sage mir dann: Aber Tu wachst doch! Tu wachst! So besinn Dich doch! und immer ist es wie ein Traum! Hatten Sie also etwas Aehnüches wie mich vielleicht im Traum gesehen?" „Das leider nicht! Aber wie ich mich nun so schlafbefangen aufgerichtet hatte und gar nicht Ivnßte, wo ich war und wie ich in den Wald kommen konnte, da erschienen Sie mir drüben ans der Wiese gar nicht wie ein mensch liches Wesen, sondern wie — wie eine Dryade —" „Eine Dryade? Ach so! Bitte, bitte, sagen Sie mir nicht, was das ist. ich muß es selbst wissen, ich Hab' es gelernt, nnd ich muß mich darauf besinnen!" Blitzgeichwind deckte sie beide Hände über die Augen, um nach- zudcnken: nach einem Weilchen ließ sie die Hände hcrabsinken. „Eine Dryade ist eine Waldnymvhc, nicht wahr?" „Ganz recht! Eine. Waldnymphe!" „Hab' ich's doch richtig gewußt!" triumphirte sie. „Also dafür hielten Sie mich? Sehr hübsch ist das. wie Sie das so dachten und sagten l Ge wiß fiel Ihnen das ein. weil ich ein weißes Kleid anhabe, Nymphen und Elfen können gar nicht anders, als weißgekleidet gehen! Für welchen Baum könnte ich nun wohl die Schutzgöttin sein?" Günther sah lächelnd in die tiefen, blauschtvarzcn Augen seiner „Dryade". „Vielleicht für eine Birke!" schlug er vor. „Ach ja!" rief sie freudig. „Birken find' ich so schön mit ihrem weißen Stamm und dem feinen zarten Blätterwerk! Die Eichen sind auch wunder voll, aber ich denke, für die paß' ich nicht so gut. Tort drüben steht eine so stolze alte Eiche. Soll ich Kränze von Eichenlaub machen, einen für mich nnd einen für Ihren Hut?" „Ich würde mich unendlich freuen, wenn Sie sich diese Mühe —" „Aber es ist gar keine Mühe! Es geht mir so schnell, weil ich es im Part so oft thue. 'Nelly liebt die Eichenlaubkräiize. und sie stehen ihr auch himmlisch zu ihrem goldenen Haar. Ganz bestimmt, sie hat goldenes Haar, wie aus Sonnensüden zuscimmcngespoinrcii. und so lockig ist es und so duftig: Ich thu' nichts lieber, wie mit Ncllys schönen Haaren spielen. Mir steht ein so grüner Kranz gar nicht gut." „Das glaube ich nicht! Tas muß ich echt sehen. Dieser Silberrcis freilich —" „Gefällt Ihnen der? Nicht wahr, er ist hübsch? Hat mir Papa zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt. Nell, sagt, sie sieht mich am liebsten niit dem Reif, aber für Wochentage trag' ich ihn nicht, er wird nur Sonntags genommen. Nun Helsen Sic mir nur Eichenlaub pflücken, Herr Günther von Döhlen. „Welch' ein Kind noch — o. welch' ein süßes, zutrauliches Kind!" dachte er entzückt, während er sich bereitwillig erhob und seitwärts ani Saum der Waldwiese entlang zu der bezcichneten Eiche ging. „Wie sie harmlos plau dert ! Wie sie Alles, Alles, was ihr durch den Sinn fährt, offen ausspricht, und wie ahnungslos sie ist, welch' seltene Schönheit ihr initgcgcbcn wurde? Könnt' ich sic nur in Ruhe zeichnen für meine Nereide!" Sylvia ließ ihre eifrig pflückenden, luftgebrännten Händchen für einen Augenvlick sinken und blickte fragend ans ihren Geführten. „Warum Sic mich immerfort ansehen, ^das niöcht' ich eigentlich wissen!" „Verzeihen Sie nur, gnäd— Fräulein Sylphe, io darf ich doch sagen, sa ?" „Immerzu! Es klingt auch gut, trenn Sie „Sylphe" sagen mit Ihrer weichen Stimme!" „Al>o, Fräulein Sylphe! Sehen Sie, ich bi» doch Maler! Und der Ansatz zu der Skizze, die Sie sahen, ist total verunglückt. Sie sagten ja selbst, ich hätte es schlecht gemacht! Tc^ mochte ich Sic nun herzlich bitten: Halten Sic mir freiwillig ein halbes Stündchen still, daß ich Ihr Gesicht vernünftig zu Papier bringe, sch on damit Sie sehen, daß ich doch wirklich > etwas von meinem Metier verstehe!" „Daß Sie das thun," eirtgcgnete sie bedächtig, „bab' ich schon aus Ihrem Skizzeirbnch heranssehcn können. Darin war Vieles, was Sie sehr hübsch gemacht haben!" „Sie wollen mir also nicht sitzen? Es ist Ihnen unangenehm?" „Aber gar nicht: Im Gegentheil, es schmeichelt mir, denn ich sagte Ihnen schon: mich hat noch nie Jemand gemalt. Wie hätte das auch ge »heben können? Es thut mir blos leid, daß nicht statt meiner Nelly hier ist! Die ist schön! Tie müßten Sic malen !" „Ta Ihr Fräulein Schwester nicht zur Stelle ist, werde ich sehr glücklich sein —" „Mit mir vorlieb zu nehmen. Meinetwegen! Gott, wenn Sie das schon glücklich macht. Wird später ei» wirkliches Bild ans der Skizze werden ?" „Natürlich, ein großes sogar!" „Und komme ich da als Dryade heraus?" „Zunächst noch nicht. Ich habe da eine andere Idee.. Wenn Sie ge statten, sag' Ich Ihnen davon, während Sie mir sitzen!" , und so schrecklich höflich. Gestatten! Ich freu' mich ja, wenn mir ein Mensch etwas erzählt — das ist ein Ercigniß für mich!" „Wenn Sie also im Schatten Platz nehmen wollten —" „Halt! 'Noch haben wir nicht genug Eichenlaub! Oder verzichten Sie aus Ihren Kranz?" ErrNtzlMg Tucittag.)
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