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7V. Fahrgang« ISS Dienskag, 27. Tlpril 1S2b Gegründet 18SK DrablanlchrVr N.chrichl», Dr»»d»». Frrnlprecher-Sammelmnnmer: SS 241. Nu» sür Nachlgespräch«: 20 011. Bezugs - Gebühr vom >0. di» 30. April >92» dei iüalich »roeimuiiger gufteUung sret chau» I.so Ward. Monal April 3 Mord ohne Poli»usiellung»p«diil>r «i»,«>»»»»«- u» VI«»»t,. Di, Anzeigen werden nach Soldmard berechn«»: dt» »inivailig» 30 mm dretir Anzeigenpreise: «LSNL'L aui,erda>d 2iX> Pta. oilerienaedlibr >0 Psg. Ausw. AuslrLa» n»n»n Dorausbezanl. Schrisileiiunq und LaupigeichLsirslev, Marirnltr»«,» SS 42. Druck u. Deriaa von vlepsch » Aeich«r»l m Dresden. Postscheck-Konto 10SS Dr«»d«m Nachdruck nur mst deutltcher a»»ll«nangad« «.Dresdner Nachr." ruiüssta Unverinng«, Schinttstiich» werden mch> ausbewadrt. ^^WW»»W,MW»E^MW»W>»»»»»WW»«»MWW»»M!WW»W»'^MW>WWWW»»W»EWWW^E^W»MSSM^S Große Aufregung in Paris. Der Eindruck -es Berliner Vertrages im Ausian-. — Zurückhaltung in London. Das Fllrslenkompromib im Aechlsausschutz. — Ein Transsersystem sür -ie französischen Schulden an England. Ein -lplomalischer Schritt -er Enlenle bevorstehend? Paris, 37. April. Der deutsch-russische Vertrag wird mir »0« einem Teil der Blätter eingehend besprochen, weil der Wortlaut deS Vertrages erst am späten Abend in Paris be- kannt wurde. Wie das „Echo de Paris" mitteilt. hat der Vertrag in alliierten diplomatischen Kreisen grobes Aussehen erregt, weil seine Bestimmungen weit über bas Mab dessen hinausginge«, was man hätte erwarten können. Außerdem wird von be» Morgcnblättern mitgcteilt, daß sofort zwischen PnriS, London, Brüssel, Warschau, Prag und dem Sekretariat des Völkerbundes ein Meinungsaustausch cingeleitct werde. Di« Atiwesenheit Tyrrells in Paris erleichtere diesen Mei nungsaustausch erheblich. — „Petit P a r i s i e n" schreibt: Es muh vor allem sestgestellt werden, ob der Wortlaut des Vertrages und der in dem beigefügtcn Schreiben ausgcdrückten Ide« nicht mit den Locarno-Verträgen und mit den Artikeln ly Und 17 des VölkerbundspakteS in Widerspruch ständen. — In» „Echo de Paris" sagt PertI n a x, daß Artikel » d«S Vertrages die Grundlage des Völkerbundes, den güten Glaube», verletze. Das deutsch-russische Bündnis, das den Umsturz des Europa von 1019 plane, sei gegen die Organisation gewandt, deren einzige Existenzgrundlage der Verzicht aller Teilnehmer ans eine Aenderung der Vertrüge von ISIS sei. „Oeuvre" ist der Ansicht, batz sich das Reich ebensowenig wie.in Locarno für den Westen gegen den Osten in dem Ver trage mit Rußland für den Osten gegen den Westen ausspreche. Schon seine geographische Lage verbiete ihm eine derartige Haltung. DaS Reich bleibe entschlossen, in den Völkerbund ein- zutrete«. Di« Versicherung der Neutralität siir den Fall eines «ichtprooozierte« Angrisss, die Deutschland Rußland gebe, die Versicherung Dr. GtrescmannS über wirtschaftliche oder mili, tärische Sanktionen seien vollkommen erlaubt. Allerdings müsse man sagen, dieses Bündnis hätte sür Frankreich gefährlich wer den können, wenn nicht Locarno vorausgegangen wäre. Der „Matin" ist der Ansicht, daß. abgesehen von dem bedeutsamen Symptom der Unterzeichnung eines der- atttgen Vertrages, der Text, so wie er offiziell ausgciegt werde, bestreitbar sei. Die Alliierten und die Kleine Entente würden sicherlich in Berlin eine Demarche unter nehme«, um eine deutliche und offizielle Erklärung Deutsch. landS zu erhalten. Es sei schmierig, eine Macht in den Völker- bund aufzunehmen, die von vornherein dem Völkerbund das Recht abspreche, über die Verantwortlichkeit In einem bewass- neten Konflikt Su entscheiden. Der „Quotldien" meint, man brauche nur den Wort laut deS Vertrages zu lesen, um zu begreifen, daß Rußland allein sekn« Vorteile dabei sinde. Er erwecke den Eindruck einer Schranke, die man gegen die Maßnahmen errichten wolle, die der Völkerbund eines Tages gegen ein Rußland ergreifen könnte. (TU.) Ruhige Deurlettmig in London. London, 27. April. Wegen der Budget-Rede Churchills wird die Veröffentlichung des deutsch-russischen Vertrages in den Morgcnblättern wenig kommentiert, obwohl der Wortlaut selbst in sämtlichen Blättern ausführlich veröffent licht ist. Aber es läßt sich jetzt schon sagen, daß in den letzten Tagen eine ruhigere Beurteilung der Lage die Oberhand ge wonnen hat, obwohl der diplomatische Korrespondent des „Daily Telegraph" überall Unheil zu wittern glaubt.— Daß auch die amtliche Meinung unverändert ist. zeigt die gestern von Sir Austen Chamberlain bei dem Essen mit dem englisch-französischen Freundschaftsbund im Hotel Vik toria gehaltenen Rede. Der Berliner „T i m e s"-Korrespondent berichtet, vom deutschen Auswärtigen Amt die Mitteilung erhalten zu haben, daß keine Geheimklan sein oder Konventionen irgend welcher Art vorhanden seien. Bei der Beurteiluna des Ber- träges weist der Korrespondent darauf hin, die heutige For mulierung sei der kristallisierte Sinn der Luther-Strcfe- mannscheu Außenpolitik, da cs die einzige Politik sei, die Deutschland in der nächsten Zeit betreiben könne. Der diplomatische Korrespondent der „Morning- Pöst" meint, daß der deutsch-russische Vertrag der Welt die Machtlosigkeit des Völkerbundes demonstrieren würde. Diese Veröffentlichung werde sicherlich in gewissen europäischen Kreisen Konsternierung verursachen, denn der Vertrag enthalte eine sogenannte NentralitätSklausel, die da zu bestimmt sei, die vertragschließenden Parteien davor zu be schützcn, von einer dritten Partei in einen Konflikt getrieben zu werden. Es sei bedeutsam, daß Deutschland die Neutrali» tätsklansel in den Vertrag eingcfügt habe, nachdem ihm durch praktische Demonstration gezeigt würden sei, daß gewisse Mit glieder des Völkerbundes die einmütige Entscheidung des Völkerbundsrates i» eine Majoritätscntscheidnng «mznändern wünschten. lTU.) Günstige Ausnahme in Aeuyork. Ncnqork, 27. April. Hier wird vielfach die Auffassung ver rieten, daß der Berliner Vertrag von einschneidender wirtschaftlicher Bedeutung sei und auch Amerika er heblich berühre. Die „World" tritt entschieden der Ansicht ent gegen, daß der deutsch-russische Vertrag die Locarno-Verträge gefährden könne. Er könne im Gegenteil stark zur Befriedung Europas beitragen, da er eine« Ausgleich mit der gegen Ruß land gerichtete« westeuropäischen Wirtschaftskombination schasse. Außerdem könne er aber die Hoffnung Rußlands au Abschluß von NeutralttätSverträgen mit seinen Nachbarn ver- wirklichen. Ter Berliner Korrespondent der „New Nork Times" weist darauf hin, baß der deutsch-russische Vertrag nichts weiter garantiere, als die stetige enge Fühlungnahme zwischen beiden Staaten, tn allen Fragen, die sie gemeinsam berübrten, so wohl politischer, als auch wirtschaftlicher Art. Das sei für alle Nationen wichtig, nicht zuletzt auch für Amerika. (T.-U.) Frankreichs Schul-ennöke. Provisorisches Schul-enabkommen Frank reichs mit England. Transfcricrungsschntz nach Dawes-Mustcr? Paris, 27. April. Im Finanzausschuß der Kammer berichtete der Finanzminister Pöret über das Problem der inter alliierten Schulden vom finanziellen Gesichtspunkte ans. Wäh rend der Ministerpräsident Briand es vom politischen Stand punkt« aus würdigte, teilte Pc'ret mit, daß ein provisorisches be grenztes Abkommen mit der englischen Negierung gctrosscu worden sei, um den Betrag der im Sierlaufc des englischen Budgetjahres 1929 27 zu leistenden Zahlungen festzulcgen. Diese Zahlungen sind für die Zeit bis 31. Dezember 1H2ü ans 2 Millionen und vom 1. Januar bis 3l. März 1k)27 auf »eitere 2 Millionen festgesetzt worden. Sie sollen auf Jahres- zahlirngen, die im endgültigen Abkommen festgesetzt werden, angcrechnet werden. Briand hob die in Amerika gegen die Sicherheits klauseln erhobenen Einwände hervor und dcmt.te di« i»S Auge gefaßten Bestimmungen an. wodurch man die Zah lungen Frankreichs mit seiner Zahlungsfähig keit tn Einklang zu setzen gedenkt. — An diese Darlegungen schloß sich eine Debatte besonders über die Transfcrie- rungSfragen an. Mehrere Mitglieder des Ausschusses forderten, daß In dem betreffenden Abkommen eine Klausel analog der im DaweS - Pla n vorhandenen ctngesüat werde, um i« Falle technischer Schwierigkeiten die Transferierungen zu oermeidcn, wenn die von Frankreich zu leistenden Zah lungen aus die Währung einen ungünstigen Einfluß ausüben, während eine Ncpartier-ung der Zahlungen allgemein vor gesehen ist. Wie Havas berichtet, ist es möglich, daß ans Grund dieser Bemerkungen die Negierung die bi-her dem französischen Botschafter in Washington gegeben«» Instruktionen in diesem Sinn« präzisieren wird. (W.T.V.) ' Amerikas Ablehnung -es frarrzvst chen Vorschlages. Neuqork, 27. April. Die Schulbenfnudierungskommis- sio» deS Senats hat nach längerer Beratung die französischen Schnldenvorschläge abgelchnt. (TU.) Rattflzieruna -es belglsch.amerlkanlfche« Schulvenabkommens. Washington, 27. April. Der Senat nahm mtt 8K gegen 20 Stimmen das belgisch-amerikanische S ch u l d c n a b k v m - men an. DaS Abkommen tritt in Kraft, sobald die Rati- sizierungsurknndc vom Präsidenten Eoolidge unterzeichnet worden ist. (T. U.) . Die Wettwklschastsvorkonserenz. Amerika nur als Beobachter beteiligt. (Yens, 27. April. Die amerikanischen Mitglieder der Wirt- schgstskommisfivn erklären, daß sie ohne ein festes Programm »ach Genf gekommen seien. Sie hätten die Absicht, den Ver handlungen der Wirtschaftskommission als Beobachter beizuwohnen und nur bann in die Debatte einzugrciscn, wenn Fragen, die die Bereinigten Stauten interessieren, an geschnitten werde» würben. lTU.) »> Genf, 27, April. Das Datum der Einberufung der Inter nationalen WirtschastSkonserenz wird in den Kreisen der Wirtschaftskommission bereits lebhaft erörtert. Soweit sich bisher übersehen läßt, wünscht ein Teil der Mitalieder den Zusammentritt der Kommission bereits im Oktober, da die Wirtschaftskrise in Europa keinen längeren Aufschub dulde, während der andere Teil eine sorgfältigere Vorbereitung der Konferenz wünscht und daher für den Zusammentritt erst im nächsten Jahre .'tntrttt. (TU.) i Zusammenschluß -er europäischen Minderhellen? Von Dr. Ernst S e r a p h i m - Königsberg. Am 6 und 7. April haben in Dresden die Glieder d«S Ausschusses, der von der ersten in Genf tagenden europäischen Nationalitätcnkonscrenz eingesetzt war, ihre Sitzungen ab gehalten. die den Vorarbeiten sür den geplanten zweite» Kongreß der „organisierten nationale» Gruppen Europas" galten. Die fünf -um Ausschuß gehörigen nationalen Gruppen waren vertreten durch den slowenischen Abgeordneten im italienischen Parlament Dr. Wilfan und die Herren Dr. Flachbart (ungarische Gruppe in der Tschccho-Slowakei), Dr. Kaszmarek (polnische Gruppen in Deutschland). Tr. Motzin (jüdische Gruppen) und Dr. P. Tchiemann-Ntga (deutsche Gruppen im Baltikum). Man be richtet. die Delegierte» hätten sich in erfreulicher Ueberein- stimmung befunden. Im Juni soll eine zweite Ausschutz- tagung stattsinden, die Ort und Termin des Kongresses fest- legen wird. Gewiß haben alle Minderheiten gewisse ideell« Ge» m e i n s ch a s t s p u n k t e. Es ist daher verständlich, daß die Führer der in den verschiedenen Ländern lebenden national«» Minderheiten das Bestreben haben, sich untereinander kennen zu lernen und zu sehen, ob sich aus der konstruierten ideellen Gemeinschaft nun auch praktische Folgerungen und Forderungen ziehen lassen. Mit anderen Worten: ob sich eine europäische Mindcrhcitenfront bilden läßt, die fraglos eine Stoßkraft von nicht zu unterschätzender Bedeutung haben müßte. Aber „hart im Raume stoßen sich die Sachen", so nah beieinander die Gedanken auch zu wohnen scheinen. Es wird immer Tatsache bleiben, daß es keine Gcneralformel für die Regelung und Lösung der Mindcrheitenstellnng in allen Staaten geben kann, weil die innere politische Einstelluna der Minderheiten zu den Gaststaaten unendlich verschieden ist und sein must. Je nach der Zeitdauer, die sie dort gewohnt, nach der Kulturarbeit, die sie dort geleistet, und nach der Zahl werden sich starke Verschiedenheiten sofort Herausstellen. Vor allem aber wird die Einstellung der Minderheiten dadurch bedingt sein, ob sie einem groben Volke angchören, ob sie durch eine lange, bedeutsame Geschichte mit diesem kürzere oder längere Zeit staatlich verbunden gewesen sind, ob eine geographische Nähe eine abermalige Angliederung an das Muttervolk durchaus möglich erscheinen läßt, oder ob die isolierte geographische Lage — man denke z. B. an die Deutschen in Siebenbürgen-Rumänien, in Sitdslawien und vollends Uebersee — lediglich eine auf realem Boden auf- gebaute Knlturgemetnschast als Ziel setzt. Je nach diese« Momenten wird aber anderseits auch die Stellung deS Staatsvolkes zu den Minderheiten bedingt, tritt die brennende Frage der Loyalität tn den Vordergrund. Große nationale Vergangenheit eines zerstückelten und zur zeit wehrlos gemachten Volkes must naturgemäß dahin wirken, das, die wider ihren Willen abgerissene» und unter schwerem Joch lebenden Minderheiten den Gedanken nicht aufgcben können, eine Rückkehr zur früheren Zeit mit allen legalen Mitteln fcstzuhaltcn. Das Höchste, wozu sie sich dem Herbcrgsstaat gegenüber verstehen können, ist die Le galt, tat. die Achtung vor den Formeln, die sie nicht ändern können, die Mitarbeit an dem neuen Staatöwesen. von dessen Ordnung und Recht ja auch das der Minderheiten abhängt. Je mißtrauischer der Staat, in den sic hineingezwungen sind, sich aus berechtigten und auch aus unberechtigten Gründen den Minderheiten gegenüber verhält, desto frostiger und formeller muß das Verhalten dieser zu ihm werben. Kommt vollends eine starke staatliche Unifizier ungstendenz der Herrschaftsvölkcr — manchmal als Reaktion gegen eigen« frühere Zeiten nationaler Drangsal und Not — hinzu, stöstt das Beharrungsvermögen der kulturell höherstehenden Minderheiten aus den Vernichtuirgswillen von Zwergvölkern, die überhaupt nur im Anschluß an eine große europäische Kulturcinheit bestehen können, und erweist es sich, daß jeder Vcrständigungswille der Minderheiten als Schwäche aus- aelcgi wird und ohne Echo von seiten des Staates bleibt, so entstehen unbaltbarc Zustände, die sich überhaupt nicht in Parallele stellen lassen zu der Lage anderer Minderheiten, die nach Zahl oder innerer Einstellung oder kultureller Minderwertigkeit für den neuen Staat selbst bei größtem Mißtrauen non dieser Seite „keine Gefahr" bilden können. ES ergibt sich aus dieser Betrachtung aber auch weiter, daß der Begriff „Minderheiten" überhaupt kein einheitlicher ist und sein kann. Selbst im demokratischen Zeitalter, das im Kultus der Zahl schwelgt, dürste eS fest- tehen, daß z. B. Deutsche, die seit vielen Jahrhunderten bas anfbauende und kulturell beherrschende Element in Böhmen. iebcnbürgen und in baltisch«» Landen gebildet haben, keine geduldete „Minderheit" darstrllcn, sondern in den genannten Gebieten, die ihre Heimat sind, zu gleichem Rechte leben wie die anderen Völker, und es eine Beleidiaung in sich schließt, wenn man sie gleichkam unter ..Schutzrecht" stellt. Und um gekehrt können an sich ihrer ethnographischen Abstammung nach nickt mit dem Haupt- und Staatsvolk identische Klein völker nicht für sich Anspruch auf „Minderheitenschutz" er heben. wenn sic längst in das Kulturleben des Hauptvolkes übergegangen sind und sich mag auch die alte Sprache in Familie und Kirche sich in beschränktem Maße erhalten haben.