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Dresdner Nachrichten : 22.08.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-08-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189908228
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990822
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990822
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-08
- Tag 1899-08-22
-
Monat
1899-08
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 22.08.1899
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Seite 3V6. Belletristische Beilage zu den «Dresdner Nachrichten AlLerrter Hie A^crrrerrrVetL. Merkspruch: Wozu Hab' ich gelebt? Um zu streben! Wozu Hab' ich gestrebt? Um zu leben! Ernst Moser. Eine Goethe-Erinnerung. Deutschland, die gebildete Welt, rüstet sich, den 150. Geburtstag des Dichterfürsten zu begehen, und der Blick der deutschen Frauenwelt richtet sich auf jene edle Greisin, die in der Nähe von Lobositz in Böhmen auf Schloß Trieblitz in voller harmonischer Irische von Körper und Geist, von treuer Verwandtenliebc umgeben, lebt, einen Schatz köstlicher Erinnerungen hütend, und die zu Anfang Februar ds. I. ihr K. Lebensjahr zurückgelcgt hat. Wenn wir im Fluge die Heroen der Litteratur an unserem genügen Auge vorüberziehcn lassen, so ragt unter den Lieblingen der Götter, denen alle Franenherzen cntgegenflogen, besonders Goethe hervor: ein Kranz von Franengestalten, welche seinen Lebensweg ver schönten. steigt vor uns auf, wir vergegenwärtigen uns den Dichter, körperlich und geistig em Begnadeter, und wir finden es begreiflich, daß Frau Rath ihn in stolzem Multerglück einen „Halbgott" nannte. Sticht die alte Weimarer Ercellenr sehen wir aber vor uns, als welche Goethe in der Erinnerung so vieler Menschen nur lebt, sondern eine apollinische Gestalt, ein Antlitz. dem der Stempel geistiger Hoheit neben der edelsten Schönheit aufgedrückt ist. und zu dem Bilde des ewig Jungen stimmt es vollkommen, daß er im Greisenalter noch fähig war. ebenso glühend zu lieben, als die lcideuichastlichc Neigung eines jungen Mädchens zu erwecken. Die Reihe der Frauen, welche Einfluß auf das Leben des Dichterfürsten gewannen, eröffnet Grctchen. das Wirthstöchterlein zur „Rose" in Frankfurt a. M. Ihren Namen bat Goethe in seiner .Faust"-Dichtung verewigt, ihr Bild hat ihm auch vorgcschwcbt, als er sein Klärchen schuf. Ihr folgen Emilie und Lucinde, die Straßburger Tanzmeisterstöchter, die liebliche Pfarrerstochter von Scsriibeim. Friederike Brion. die ledig gestorben ist, weil sie ein Herz, das Goethe geliebt hatte. Niemand Anderem schenken wollte : nacheinander tauchen vor uns aus: Katharina Schönkopf in Leipzig, Charlotte Buff iWerthcr's Lotte) in Weh' . Lilli Schönemaan und Marianne. Willemcr-Snleika in Frankfurt a. S? . - geistreiche Charlotte v. Stein, die>.zicrliche Corona Schröter und Ehri. -. e Ncumann in Weimar: Christiane Valpius, die Einzige, der cs vergönnt war, seinen Namen zu tragen; dazwischen feurige Römerinnen, gluthäugige Neapolitanerinncn Bettina v. Arnim, das Kind. Minna Hcrzüed, und den Neigen beschließend. Ulrike v, Levetzow. — Es war im Sommer 1822, als der 73jährige Dichterfürst in Maricnbad das llljährige Fräulein v, Levetzow kennen lernte. Erfüllt von gegenseitiger tiefer Liebe, wollten sie sich für immer verbinden. Kein Hindcrniß stand diesem Borhaben entgegen, da Goethe seit Jahren Wittwer war. Von dem jungen Mädchen ging jedoch der erste Anstoß zur Entsagung ans. ihr kam die Eikenntiütz. eine solche Ber- bindnng könne nur zu üblen Nachreden und spöttischen Bemerkungen Ver rnlassang geben: ihr würde man denBorwnri machen, sie habe ans Eitelkeit,! Ehrgeiz und Berechnung, nur um den gefeierte» Namen zu tragen, dem ^ Greiie ihre Hgnd gereicht, und Goethe stand zu hoch in ihrer Verehrung, um ! ihn in den Augen der Mit- und Nachwelt der Lächerlichkeit preiszngcbcn.' Als Goethe nach fünfwöchentlichem Zusaimiieiffein schied, verabredeten sie <edcch ein Wiedersehen für den nächsten Sommer. Im folgenden Winter suchte schwere Krankheit den Dichter beim; leine Genesung wurde in Weimar unter der lebhaftesten Antheiluahme aller Kreise wie ein öffentliches Fest ge feiert. und er gewann schnell seine volle Frische wieder, Beit Fräulein v. Levetzow stand er in regem briefliche» Verkehr, von dem bis zur stunde noch nichts bekannt geworden ist. doch steht zu erwarten, daß dieser Brief wechsel einst als wertdvoller Beitrag zur Geschichte von Goethe s Liebesleben der Oeffentlichkeit überantwortet werden dürste, Ten Winter und Früh ling 1822—1823 mag Goethe, in sehnsuchtsvoller Erwartung hingebiachk haben, und auch Fräulein v, Levetzow zählte gewiß unruhig die Stunden dis zum Wiedersehen. Endlich trafen sie sich Anfang Juni wieder in Marienbad. Goethe's Neigung war noch gewachsen, er hatte nur Singe und Wir für die Geliebte: er machte auch aus seinem Johannistriebe kein Geheimnis;, mau wußte in Weimar davon, und Zelter berichtet, daß er auf einer Rhcinreiie allenthalben hörte, Goethe habe die Absicht, sich wieder zu vermählen. So schwer es ihr auch geworden sein mag, Ulrike hielt die Gründe aufrecht, die sic bestimmten, zu verzichten und Goethe zum Verzicht zu bewegen: Goethe suchte feinen aufrichtigen Schmerz zu überwinde», in ihm glühte ungeachtet des Schnees des Alters noch ein Vulkan, er liebte das junge Mädchen nicht nur leidenschaftlich, er glaubte ihr auch ein ungetrübtes Eheglück und sich einen durch die innige Erwiderung seiner Neigung verschonten Lebensabend bereiten zu können, und nicht leicht ist es ihm geworden. Ulrike s Gründe zu chren und sich zu fügen. Fräulein v. Levetzow ist unvcrmählt und Goethe neu geblieben, ihr Name ist durch Goethe unsterblich geworden und wird uwergänglich iortteben. Als ein halbes Jahrhundert seit des Dichterfürsten Lode dohingeramcht war, drang der Name seiner „letzten Liebe" wieder in sie Oeffen stich teil; zur Enthüllung des Goeldc-Tcn'mats irr Karlsbad sandte Fräulein v. Levetzow einen Kranz weißer Rosen. si. Erziehung. Es wird so oft und viel über die jetzt cmporwachscnde Generation gellet. Ueber die Oberflächlichkeit, den Leichtsinn, die Ver gnügungssucht, Religionslosigkeit und Rohheit, deren Folgen Sitten- und Zuchtlostgkeit sind. Das Alles ist leider Gottes wahr. Aber wer ist daran schuld? Die vernachlässigt erzogenen Kinder, oder die Mütter'!' Wir werden nrcht eher bessere Männer habe», ehe nicht die Mütter besser werden. Leicht sinn, Oberflächlichkeit, Vergnügungssucht, das ist die Signatur unserer Zeit. Freilich verursachen kleine Kinder Anstrengung und erfordern Aufopferung, wenn es eine Mutter ernst nimmt mit ihren Pflichten. Aber besser rn dieser Zeit Kopfweh, als später Herzweh. Fortwährende 'Nachsicht verdirbt das beite Kind, und lieber einen Schlag zu viel, als einen zu wenig. Wer an seinem Kinde zum Starren wird, wird sich sein Kind zu seinem Leide erziehen. Ueber- große Liebe und Zärtlichkeit, die stets fürchtet, weh zu thun, erstickt die besten Anlagen und macht sie verdorren, denn das Unkraut wird die schwachen Keimchc» überwuchern auf dem Acker der Erziehung, der stets nur begossen, aber nie behackt wurde. Deshalb braucht keine Mutter ihr Kind unnöthig zu schlagen, tausend Mal besser ist es. wenn dasselbe auf Worte hörk. Aber oft wirkt ein Schlag zur nöthigen Zeit zehn Mat besser, a!s es stundenlange Er mahnungen thun. Kürze ist überhauvt in jeder Beziehung empfehlenSwerth. Mütter, welche eine Sache zehn Mal verlangen, sollten sich schämen über die Behandlung, welche ihnen in der ancizogeneii Unart ihrer Kinder zu Tbc:! wird. Man verurtheilt mit Siecht so manchen SNeiiichen, dessen Eharnlter uns das Bild der Gemeinheit in zehnfacher Beziehung bietet. Stbcr könnten mir zurückschancn in die Zeit seiner Jugend, wo sich weder Vater noch Mutter um seine Erziehung kümmerte oder thörichte Zärtlichkeit ihn gründlich verzog, wahrlich, wir müsscii wohl ciligestchen, daß der so vernachlässigt Erzogene den allerkleiiislen Theil schuld an dem ist. was er geworden. Spurgeon. ein großer Gelehrter, sagt: ..Der Mensch wird gewöhnlich das. wozu ihn seine Mutter gemacht hat. Ein Vater, der seinem Berufe nachzngehen hat, übt selten einen große» Eiustuß auf die Erziehung de? Kindes ans. Diese ist in der Hauptsache das Werk der Mutter und darum trag! sie auch eine große Veranlworllichkeii, ob sie auch die Aermste im Lande wäre. Ihre Eine, aber auch ihre Schande ist es. wenn ihre Kinder gut oder böse sind. Oil liegen ja gute Anlagen im Blute und tüchtige Menschen erwuchst» trotz aller schlechten oder gar keinen Erziehung. Aber in der Hauptsache ist diewibe der Schleifstein für die Menschen, und wehe der Mutter, deren falsche Erziehung der Welt unnütze und verdorbene Mitglieder gab! Hrvivig Matth es. Erste Erikcr. Erika, liebliche Erna. Wie grüßte Dich freudig mein Saug. Als jüngst Deine ersten Blülhen ich sah Stuf sonnigem Heidegnug! Erika. liebliche Erika. Wie hast Du das Her; mir entzückt! Weiß ich doch selber nicht, wie es geschah. Daß Dir mich jo innig beglückt! — Wo eine einsame Föhre sl-.bt, Hab' ich gar oft mich gebückt. Zahllose rosige Glöckchen erwähl. Froh sie zum Strauße gcpslncki Erika, liebliche Erika. — Trug sinnend der Heimaib Dich zu; Du zeigst: das Ende des Sommers ist nah': Des Herbstes Bote bist Du! Adelaide o. Eottberg Herzog. Lösungen der Ausgaben in Nr. 82- 85, 8(. 85, 86 n. 87. Eigensin n. — B ra u n s ch w e i g. — Na ch s i ch t, U in sicht, A n s - sicht, Bor 1 icht, Nücks icht, Einsicht. — K n Itur w clt. — Lciden- s ch a f t. — F ü l l r ä t h s c l: D ll TE W St L D SIEG I W A St E SN SN Sl A St 6 E K A I St U K St S St O T H LÖWE NORD Ergicbt: Das Werk krönt den Meister. Diagonal-Räthsel: b e u t h e n a r o l s e ii d r e s d e n Potsdam b r e s l a u a r ii s t a dt d i r s ch a ii Ergiebt: Breslau, Dresden. Mutterseelenallein. — Faust. — Ausgabe: Willi, Leopold. Egon, Balthasar. Ulrich. Ergiebt: Witdenbruch. — Leichtsinn. — Ehe.— Somali lland). So so, Mama! Lili. — W e i n g eist. — E r b a r m en. — Logogriph: Pumpernickel. Nichtige Lösungen sandten ein: «ejchwPer Lang. H A. He,»:. Alfred TchiNze urd Rein-old Bo-mrr in Lre»,!». 7>-nn, Th-tlr in CINstnpvei. »tri» »ge N«i». ÄV. Dienstag, den 22. August. Erscheint jede» NkM. LmrrstsiSmt«, ISS» Vieles um Eine. Roman von Hermann Heiberg. (Nachdruck verboten.) Mitten in der Woche war's und mitten im Sommer, als der Propst Erwins in der kleinen StadbBründe in seinem von der Sonne durchfluthetcn, mit viclcii Bücherregalen reich besetzten Arbeitsgcmach saß und eine theo logische Schrift sindirle. Und dann guckte Fräulein Erwins mit der vor- aebnndelicn weißen Küchcnschürze in die Stube herein und rief im flüchtigen Allknndiglmgstoii: „Bitte, Papa, Küster Halbe!" Und nachdem sie ihm das gemeldet hatte, trat, hinter ihr anstauchend, der Genannte, ein kleiner Mann mir weißem Haar und milden, vertrauenerweckenden Zügen, in's Gemach, neigte in der solchen Personen eigenen stimpathischen Milchling von Selbst gefühl und ordnungsmäßiger Ehrerbietung das Haupt und tagte: „Darf ich einen Augenblick stören, Herr Propst? Ich habe eben wieder einen Brief von Paul erhalten. Ich weiß letzt gar nicht mehr —" „Sinn, mm! Was ist denn das? Gewiß, natürlich! Setzen Sie sich, lieber Halbe, und taffen Sic hören!" bestätigte der Propst, ein großer Mann mir cigeiithumlich tlemgekrüu'cliem, schwarzgrauem Haar, scharfer Adlernase. Ireien, schonen Zügen und überhaupt mit einer körperlichen Erscheinung, die rast ebenso lehr ans einen Scebcflissencn wie auf einen Prediger schließen lassen konnte. Halbe aber that, wie ihm geheißen, zog ans dem etwas blanken, aber sauber gehaltenen langen, dunsten Stock, der über der schwarzen Weste saß und an dnnlten Beinkleidern hcrabnel, einen Brief hervor, holte noch einmal vorher durch einen Blick und Miene die Zustimmung des sich auf seinem Stirb! gemächlich bcrumdrchnden Provstcs ein und begann zu lesen. „Lieber Vater! Deinen Brief habe ich erhalten und seinen Inhalt lange und reiflich erwogen. Zn meinem innigeil Bedauern muß ich Dir aber dennoch sagen, bas; ich nicht auf Deine Wünsche cinzugehen vermag. Es ist mir wahr lich sehr leid, daß ich erwas thun muß, was Dir und Mutter nicht gefällt, aller es ist mir. ich muß es wiederholen, unmöglich, hier ferner anszuhalten. Herr Bennot ist ein rücksichtsloser Egoist, der leine Umgebung wie ein Sklaven händler und auch mich wie seinen Diener behandelt. Die Töchter sind hoch- miilhig und thöricht, und der Junge, den ich unterrichten soll, ist so un erzogen und wird in seinen Unarten so sehr von der Familie, auch von der geistig beschränkten Frau unterstützt, daß es meinem Selbstgefühl widerstrebt, m solcher Personen Nähe zu bleiben. Ich erkenne zudem immer mehr, daß icb Dir solche Dienstleistungen nichts tauge. Ich bm fest entschlossen, den alten Plan, Schauspieler zu werden, auszusühien, und bitte Dich so berzlich wie dringend, mir nicht nur nicht entgegen zu sein, sondern mich mit Mitteln zu unterstützen, mein Vorhaben auszusühren. Kannst Du, vermagst Du das nicht, so muß ich mein Glück aus eigene Hand versuchen. Endlich sage ich noch, daß eS nutzlos ist, daß wir mündliche Besprechungen halten, bevor wir uns nicht über die Hauptsache geeinigt haben. Herrn Bcnnot kündigte ich gestern nach einer beispiellos heftigen Scene, bervorgernren durch dessen Zorn, daß ich leinen über die Maßen ungezogenen Stangen durch eine körperliche Züchtigung in seine Schranken verwicien batte. Emen Lichtpunkt gicbl's hier in der Welt der Engherzigkeit, Uebcrhebnng und geistigen Oede. das ist Marianne Dijon. Aber auch sie kehrt ehestens zu den Ihrigen nach Brände zurück — Ich grüße Euch in alter Liebe und erbitte Deine Antwort baldigst. Tein Sobn Paul." Ter Küster ließ nach Beendigung des Bortrages die Hand sinken und bewegte das Haupt. Zugleich holte er tief Alhcm, dann aber erhob er das Auge und bolle durch solche stumme Frage des Propstes Meinung ein. „Ihr Sohn spricht allerdings eine lehr entschiedene Sprache, Halbe!" nahm dieser das Wort. „Ich theile Ihre Bcwrgniß. Und mein Rath? Hm — ja ! Ich glaube nur einen geben zu können! Er mutz dennoch sobald wie möglich Herkommen! Und wenn wir ihn hier haben, muffen wir in jeder Weise auf ihn einzuwirken juchen —" „Er erscheint deshalb nicht, Herr Propst I Sie kennen ihn nicht! Er hat, wcim's daraus ankommt, einen Kops von Eisen. Und Jedes ließe ich mir m auch gefallen, aber Schauspieler, Schauspieler! Alle Mühen, Sorgen und Ausgaben sür's Studium umsonst! Schauspieler! Wenigstens diese alte Idee hoffte ich. sei begraben. Sinn taucht die wieder aus —" „Ja, das ist iinerwümchter als alles Andere. Natürlich! Auch diese Kunst hat ihre hohen Rechte. Wer wollte das leugnen? Aber wie keine andere führt sic zur Regellosigkeit! Großes zu werden, gelingt unter Tau senden nur Wenigen, die Anderen führen ein unstetes, niibesriediatcS Leben." „Die Marianne Diion hat's ihm in den Kopf gesetzt! Sicher, Herr Propst Die soll immer etwas Extravagantes Vorhaben!" fiel Halbe ein. „Sv - so. Ich kenne sie gar nicht! Wie kommt sie denn aus dasselbe Gut wie Ihr Herr Sohn?" „Sic kennt die Familie Beniiot. Sie ist dort zum Bestich —" „Hm — hm — doch nun wieder zur Sache! Was meinen Sie, Halbe, wenn ich an Ihren Sohn schriebe? Wir müssen wenigstens Alles versuchen, ihn von der Ausführung seiner Pläne zurückzuhaltcn —" „Meinen Sie denn, Herr Propst, ich sollte schließlich doch nachgcben?" dmiig's bedrückt ans des alten Mannes Munde. „Ich werde für alle Zeiten ein unglücklicher Mensch, wenn ich ihn mir draußen in der Welt als einen solchen Brotsuchendcn und Brotlosen denken — was wird — was kann Anders aus ihm werden? Ja. ich sage es frei heraus. Ich muß mich von ihm los sagen. Er hat keine Eltern mehr, wenn er auf seinen Willen besteht —" „Stein, nein, nicht so. Bcrzweifeln wir nicht. Halbe! Ich halte mein Wort und werde beute noch schreiben. Wir sprechen uns dann wieder. Denken Sie, daß noch Alles gut wird!" Stach diesen und anderen besänftigenden Worten erhob sich der Propst und reichte dem Alten die Hand zum Abschied. Und der Küster verließ, nachdem er seinen Dank ausgesprochen, das Haus und wandte sich zu seiner der Kirche gegenüberliegenden Wohnung. » » * Ans dem Landwege, der das Gut Harter mit Brände verband, bewegte sich vier Wochen später um dieselbe Zcir c, offenes, flinkes Gefährt und in diesem saßen zwei Personen: Fräulein Marianne Dijon, die zweite Tochter des früheren Enenbahndireltors Dijon, der sich zufolge einer ihm zugefallenen, recht bedenkenden Erbschaft zur Stube gesetzt hatte, und Paul Halbe, der Sohn des früheren Hanvtlehrers und jetzigen Tomküsiers Halbe. Doktor Paul Halbe bot das Bild eines schlanken, jungen Germanen. Auf den Schullern saß ein knlffige'chnittcner, blonder Kops mir spitzem, brairn- röchlichcm Bart, die Augen blickten feurig und intelligent, und seine Beweg ungen waren ebenso sicher wie anmnthig. Marianne glich einer feurigen Andatnsicrin. Ihre Hautfarbe war dunkel, in ihren Augen funkelten ein paar Silbcrsternc, ihr Haar war schwarz und weiße Zähne lachten hinter vollen rolhen Lippen. Und eine Fröhlichkeit beherrschte diese beiden Menschen, als ob sie ledig lich auf der Welt seien, zn genießen, und eine kräftige Eigenart zeichnete sie Beide ans, die ihnen gegenseitig einen solchen eifersüchtigen Rcspett einstößke, das; sie Alles ausbotcn. sich in sprühender Rede und in Aufmerksamkeiten zu überbicten. Eben hielt das Gefährt vor einem Wirthshaus in einem großen, noch zwei Stunden von Brände entfernt liegenden Dorfe. „Sollen wir hier aussteigen, Monseigneur ?" warf Marianne, als der Kutscher die Pferde stoppte, aufgeräumt hin. „Tie Erde wird glücklich sein, endlich einmal keinerlei Druck von dem Fuß eines Sterblichen zn spüren." entgcgnete Paul mit verschmitzten Augen. „Etwas weniger wäre mehr gewesen, Monseigneur," betonte Marianne, den Mund spitzend. Zu gleicher Zeit schickte sie sich an. ihrem Begleiter in das kühl beschattete Wirthshauszumner voranziffchreiten, hielt aber wieder innc, wandte sich um und sah ihn niit einem lustigen Fragcblick an, als er nicht gleich folgte. „Wie lange befehlen Frau Marguise, hier zu bleiben? Der Kutscher will im Fall ausspanncn," erklärte Paul, sein Zögern begründend. „Wie lange? Meinen Sie. daß wir hier Laubhütten bauen sollen?" „Ja. wenigstens dachte ich, wir wollten einen Spaziergang in den Par? von Knoopholz machen. Er liegt mir eine Viertelstunde entscmt. Er ist reizend. Sie müssen ihn sehen, Frau Marquise!" „Natürlich!" betonte Marianne mit lustiger Entschlossenheit, nickte befriedigt und war im nächsten Augenblick in's Haus getreten. Pant aber nahm, während sich das Gefährt znm Durchsahrtstall in Be wegung setzte, ein ihr gehörendes seines, seidenes Tüchlein und einen ihm gehörenden Stock aus dein Fond und richtete erst dann seine Schritte der WirttMube zu. Und ans dem Flur drückte er das nach einem zarten Parfüm duftende Tuch zärtlich an seine Lippen und flüsterte sehnsüchtig: „Süßes, liebes Mädchen," woraus zu entnehmen, daß Paul in Marianne Dijon sehr ver liebt war. In der Wirthsflnbe stand, als Paul cintrat, der Wirth in Hemdärmeln hinter dem mit Flaschen besetzten Büffet und wischte Gläser ab, Marianne aber hatte eine schwarze, schnurrende Katze auf dem Schooß und liebkoste sie. Nachdem Paul Frühstück bestellt hatte, traten sie einstweilen in einen hinter dem Hause gelegenen dichlbewachwncn Garten und wandelten plaudernd zwischen den mit vielen simplen, scharsduftciidcn Blumen besetzen Beeten aus und ab. Drüben in den Gebüsch.» an der Planke flötete rrut süßen Lauten ein Pirol, und der begleitete ihr lustiges Schwatzen. „Was sie wohl jetzt auf Haxtcr machen?" warf Marianne, nach allerlei Neckereien ein anderes Thema wählend, ein. „Das will ich Ihnen genau sagen, Frau Marquise! Sie sitzen" — hier sah Paul vergleichend nach der Uhr — „gerade bei Tisch und Frau Bcnnot sagt mit gewohnter, asthmaliicher Beschwerung und gewohnter süffisanter Miene: „Daß Marianne uns verlassen bat, thut mir wirklich leid. Gott sei aber gedankt, daß wir den Küstcrsohn abgcstrcift haben. Ein unerträglicher Ptebeier!" „Wahrlich! Ucbenaschcnd! Sie entwickeln eine erstaunlich richtige Divination!" bestätigte Marianne. „Ja, man haßte Sie aus Haxtcr von ganzem Kerzen, von ganzer Seele und von ganzem Gcmnth l" „Hm ! Und doch wie unbegreiflich, Frau Marguise. Mir ist selten ein so liebenswürdiger Mensch vorgekommen." ,,^-v - so? Dann muffen Sie allerdings nicht sehr verwöhnt sein" „O, o. da? war hart, sehr hart." „Die Wahrheit ist allermeist bitter, Monseigneur."
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