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Dresdner Nachrichten : 18.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189904184
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990418
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990418
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-04
- Tag 1899-04-18
-
Monat
1899-04
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 18.04.1899
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Teile 18L. Belletristische T»«»stags-Beilag« zu den „TreS-uer viachrichten" „Ich bin Geichäste halber hier und lommc eben von Helmar Chrestensen. sie lobten ihn damals in der Ausstellung gewaltig, ich aber habe auch heute «mr den kleinlichen, gewissenlosen Mann früherer Zeiten in ihm wrcdcr- gesunden." »Sie wissen, meine Gnädige, daß Sie für diese Melodie kein Ohr bei wir finden,- antwortete Brennecke lebhafter: warum bemühen Sie sich?" ' Carla lachte spöttisch. .^O ja. die Satte», die Ordensträger, dir Lorbeer- gekrönten. das sind immer die respektablen Leute. Ich sebc und höre überall, er hat den Rummel verstanden; die Gassenbuben kennen seine Wohnung, und die alten Herren nennen ihn „unfern- Chrestensen. Gold girbt Erfolg, und Erfolg giebt verklärenden Dunstkreis — man drückt das sehr schon mit dem Worte „Heiligenschein" ans; was darunter ist. kann das geblendete Auge nicht mehr unterscheiden. Ich aber weiß, was dieses Blendwerk verbirgt; ich war bei ihm als Mahnerin an alte Schuld, als Aufrüttierin seines lahmen Gewissens — ich wenigstens habe ihm gesagt: „Ich verachte Dich!" Aus dem Bürgersteig vor dem Künstlcrhaus kam Heimchen Rothenbeck ge gangen. Sie sah Fritz Brennecke mit einer fremden Dame aus der Freitreppe Lehen und ging langsamer; sie wollte chm Zeit zur Verabschiedung geben, denn er pflegte keine Gelegenheit zu einem Plauderaugenblick vorüberznlasscn. und auch Heimchen war solchen Gelegenheiten hold. Fritz Brennecke aber grüßte nur so in die Lust hinein, als ginge da irgend Jemand vorüber, es war zweifelhaft, ob er sie überhaupt gesehen hatte, denn er blieb der Fremden zngewandt und sprach bedenklich eifrig und dring lich aus sie rin. „Meine Gnädige," sagte er, lassen Sie sich rathcn. Man ist hier Chrestensen freundlich gesinnt, man schätzt die Talente und liebt diesen trefflichen Mann. Wollen Sie Akademiestreiche von chm erzählen, so vcr kaufen Sie dergleichen als humoristisches Feuilleton, er ist berühmt aenu, dazu, man wird Ihnen das bezahlen. Wollen Sic ihn sonstwie anschwarzcn lo gehen Sie zu seinen Kunstncidcm, deren Sie in Berlin leichter finden werde» als hier." .And ist Ihnen nie geschehen, Tie eitler Mann und Menschenkenner." fuhr Carla mill» und langsam sott, „daß Sie sich geirrt haben ? Daß sie Kittel sür Diamanten nahmen und den Heuchler für einen braven Mann? Wenn ich Ihnen sage: Ihr berühmter, edler Ltadtgenofsc hat gestohlen, ge mein gestohlen ans seines Nächsten Kommodenkasten, und der Bestohlene ist darüber zu Grunde gegangen — was dann?" „Tann halte ich Sie sür eine gemeingefährliche Verleumderin und werde mich bemühen, die Leute vor Ihnen zu warnen, so absurd Ihre Erfindung ist. Machen Sie. daß Sie nach Hause kommen, hier ist keine Lust sür Sie." Fritz Brennecke hatte sich beinahe erhitzt, die Wcltgcwandthcit des Weitgereisten verlor jede Glätte, er ließ die Turtschinska stehen ohne Gruß und eilte geradewegs nach dem Siebeneck. Zehn Schritte weiter besann er sich eines Besseren Das wäre das Rechte, dort mit Klatsch und Warn ungen Mißbehagen stiften! Vielleicht wollte dies Weib gar mchts Andres, als aus irgend einem Rachegelüst heraus dem Unverletzlichen just durch einen Freund wehe tkmn, weil sie ihn selbst nicht zu treffen vermochte. Nichts ^ört haben und vergessen war daS Einzige, was solcher Begegnung gc- ,.Chrestensen kennt seine Freunde." dachte Carla voll bitterer Enttäuschung, während ihre Augen Brennecke folgten. Ob es nachwirken würde? Nein, La nicht: der Mann war seiner Sache zu sicher gewesen — weg damit! Ihre Blicke ließen ihn los und schweiften suchend umher: in vollem Strome gingen die Biebcrscldcr ihre Kunstvercins- trevpe auf und ab. . „Nein. Brennecke war der Rechte nicht, aber es gab ihrer mehr. Ich mutz nur den Rechten finden." dachte Carla Turtschinska. Langsam stieg auch sie die Treppe hinaus und trat vor die Rathhaus- entwürfe. Sie sah die Zeichnungen nicht an. sic studirte die Gesichter der Betrachtenden. Alle flössen über in Lob und Bewunderung, auch die sich sichtlich langweilten den farblosen Strichen gegenüber. Cm Hymnus aus Helmar Chrestensen jüllte die Lust des Künstlerhauses. Er kennt seine Freunde, wiederholte sich Carla, aber ich kenne sie auch, ich habe die Menschen ein mißralhenes Lebe» lang kenne» «lernt, und sie sind allerorten dieselben. Irgendwo wird er schon sein, der Rechte. Langsam verließ sie den Saal wieder und stieg die Freitrepve hinunter, der andauernde Mißerfolg hatte sie erschöpft, sic wollte in den „Bären" zurück uud fragte den Nächsten nach dem Weg. Ter antwortete ihr eben, als Kom merzienrats) Herwig, begleitet von seiner Tochter und dem jungen Raths- daumeister, vorüberkam. Die Drei sprachen lebhaft miteinander, aber der Baumeister sah, trotz seines Jrauendienstes, auch die anderen Leute: die Gewohnheit des Gcsegcn- heitbcnnhens ließ ihn allzeit umsichtig sein. Als sein Blick Carla Turtschinska traf, lächelte sie und ließ ihre Augen sprechen. Ta war ja noch dieser Birnhagen? Dem konnte man auch Allerlei mittheilen, unter Umständen wohl gar seine Hilfe beanspruchen — ihr Himmel hellte sich aus. Birnhagen wurde dunkclroth unter ihrem Blick, mit erhöhtem Eifer wandte er sich an seine Begleiterin und athmete erst freier, als sich Herwig's ohne unbequeme Frage vor ihrem Vortal verabschiedete». „Gesegnete Mahlzeit, lassen Sic sich von Ihrer Reichstaube 'was Gutes Verletzen." Zu Tisch ging jedoch Birnhagen nicht: sowie er Herwig s sicher kn ihrem Prachthaus wußte, eilte er zurück, und es gelang ihm noch zu entdecken, wohin die Fremde ihre Schritte lenkte. i Er ging in mäßiger Entfernung hinten ihr drein, iah sie im „Bären" ver schwinden, folgte durch die Thorfahrt, stieg, ohne einem Bediensteten zu be gegnen, die Treppe hinaus und trat unmittelbar nach ihr in das Zimmer «in, das sie sich am 'Abend "frommen hatte. Sie -achte, es wäre der Krllner „Haben Sie einen Brief sür mich?" fragte ste nachlässig, obwohl ihr Herz klopfte in dein Gedanken, er könne von Chrestcnicn kommen. Als der Mann hinter ihr nicht sofort antwortete, wandte sie sich nm und ries mit dem Ausdruck größter Enttäuschung: ..Sie sind es? Ter kleine Ludi?" Birnhagen entsetzte sich über seinen Spitznamen, aber die Enttäuschung beglückte rhn. „Sie suchten einen andern? Sie kamen nicht um meinet willen? Warum aber blicken Sic mich dann so vcrsläriduißheischend an wie vorhin ans der Straße? Warum sind Sie da? Warum erzählten Sie Brennecke rn Berlin, daß wir uns genauer kennen?" Sie lachte in all' ihrem Unmut!). „Um Ihretwillen lfierhergckommcn? Um Ihretwillen? Sic wären längst vergesse», wenn sich dies Biebcrscld nicht so unfreundlich in meine Erinnerung drängte, uud hätten Sic vorhin meinen Weg nicht gekreuzt, wirklich, ich wäre nicht einmal auf den guten Ge danken gekommen. Sie um Hilfe zu bitten, so sehr ich ihrer bedarf." „Hilfe?" stottere Birnhagen- „Nein, das geht nicht. Ich bin eben in, ist eine moralische Begriff mich zu verloben — Sic begreift» — Biederst >d Stadt." Line »loralischc Stadt?" siel sie lächelnd ein, „das freut mich." Er aber fuhr eifrig fort: „Ich kam nur hierher. Sie nm Ihre Abreise zu bitten." „Wir brauchen uus ja nicht »ineinander zu kümmern." „Aber Brennecke weiß, daß wir uns keimen, weiß, wo und wie wir uns kennen gelernt haben er konnte eine unvorsichtige Bemerkung machen. Hier begreift man keine genialen Jugenditriche und keine leichtherzigen Stunden, hier darf man keine Vergangenheit haben." „Das glaub' ich Ihnen nicht. Helmar Ührestensen steht hier, als makel loser Stern aller Ehren — der Mann aber hat Vergangenheit genug." Birnhagen vergaß über diesen» Interessantesten seine kleine Sorge. Chrestensen — Vergangenheit? Behüte," sagte er. und sein ganzes Wesen war gespanntes Verlangen nach dem, was diesen unbequemen Rie;en endlich, endlich einmal verkleinern würde. Carla lachte. „Sic glauben also auch au den Mann -es Erfolgs, der goldenen Medaille und der Rathhausfteskcn ?" „Muß ich nicht? Ich sehe ihn ja. den Erfolg." „Nein. Sie müssen nicht, trvtzalledrni. Weiß denn Nicmarrd hier, daß er der ausschtvciscndste Akademist war, seinen Zimmcrgenoffcn bestahl, das Geld im verwegenen Glücksspiel einer Nacht durchbrachst und den Bestohlenen zu Grunde gehen ließ an den Folgen seiner Schändlichkeit?" Baumeister Birnhagen starrte Carla Turtschinska fassungslos an. „Das? Das Helmar Chrestensen?" Ein Zweifel schlich sich gegen seinen Willen bei ihn» ein. aber kräftig unterdrückte er diese ungesunde Reaung. Warum sollte das Chreslensci, nicht gcthan haben? Ludwig Birnhagen harte keine Ursache, auf die guten Instinkte der menschlichen Natur zu bauen. Unwillkürlich setzte er sich an den runden Tisch, er hatte leine Eile mehr; Carla setzte sich ihm gegenüber, und cs begann ein Frage- und Autwortipicl. an dessen Ende Birnhagen genau und sachlich von einer alten Geschichte unterrichtet war. die ihm das Blut heiß durch die Adern jagte und ihm das köstliche Gefühl bescherte, besser zn icin, viel besser als der Ändere. „Nicht wahr," sagte Carla freundlich, mau sagt: „unmöglich! wenn nia» den Mann sicht in seinem Stolz und seinem Erfolg, and man will nicht glauben, und wenn einem die Wucht der Thaffachen den Glauben aus- gczwuiigen hat. so wünscht nian noch zweifeln zu dürft», denn cs ist grauen haft. Diebstahl, nicht aus Noch, sondern zur Befriedigung niederer Instinkte, gemeiner, verächtlicher Diebstahl, der sich zu moralischen» Mord am Freunde steigert. Und dies aus den» Gewissen lebt man weiter, ist glücklich, vermag Idyllen zu schaffen, sich in der Bewunderung seiner Mitmemchcn zu sonnen und die anderen bescheideneren Geister zn verachten. Ja. lieber Birnhagen, so sind die Menschen, denen der Lorbeer gedeiht: >>ari und rücksichtslos, eherne Stirn und steinernes Her; — Tnllia fnhr über die Leiche des Vaters zur Königswahl." , „Gemeiner Diebstahl," stainineltc Birnhagen. „wenn Sie das wüßten!" „Sie sollten cs wissen, sie dürsten nicht so betrogen werden. Wollen sie mcht reden?" Aber Birnhagen wollte nicht; Alles ft» ihm wehrte sich gegen dieftn Auftrag, r-cine <zurcht und sein Hochmuts), seine kleine Klugheit, die gar mchts von dergleichen Möglichkeiten vor den Leuten wissen wollte, und seine sorge, die Geschichte könnte den Künstlern ini Allgemeinen eine Schlappe geben. Earla nierlte bald, daß sie auch hier vergeblich schütte, und fragte ver stimmt : „Hat er denn gar keine Feinde, der allzukkuge Mann?" Gar keine Feinde? — Birnhagen freute sich, dag er den Uebcttluaen doch auch der Thorheit zeihen konnte, sein Neid verdarb ihm die seine Witterung. Er vcrricth Carla die Bieberselder, die das unter die Leute bringen würden, was er gern verborge» gehalten hätte. Feinde hctt er natürlich: den Muscumsdirektor Naschst, den er überstrahlt, den Juristen Sette, der aller Kunst etwas auSznwischrn wünscht, den Steuer- mth Rothcnbeck. dem er den Sohn znm Maler verführt, den Redakteur Brauscmami, dessen Abendzeitung er das unschädlichste Sch laipulver genannt hat — Birnhagen brachte ein knappes Dutzend zusammen, denen Helmar Chrestensen im Wege stand. Carla Turtschinska schrieb sich die Namen auf, sie sah jetzt sehr heiter und anmuthig ans. Liidlich sagte sie behaglich: „llnd nun wollen wir von Ihnen reden. Also Sie wünschen meine Abreise?" - - - Birnhagen erröthete. „Mein wctthes Fräulein, diese letzte Unterredung hat mir so viel Menlchcnkcnntniß und Billigkeit vcrrathcn, dag ich sicher bin. Sie verstehen und gewähren meine Bitte." ..Gern würde ich — aber das Geld, das ich erwarte, ist ausgcblicben. Weder Rechnung noch Rückreise vermag ich früher zu bezahlen, als das an» kommt." Belletristisch« Dienstags-Beilage zu de» „Dresdner Nachrichten-. Seite 18 k. Sic iah gcsciikien Hauptes Vor sich hin und unterdrückte mit Anstrengung rin Spotlllächcl»^ während er in feuriger Eile seine Brieftasche zog. „Aber mein „räulcin, ich bitte Sic! — unter alten Bekannten! — es versteht sich ganz von selbst, daß ich Ihnen »erstrecke. Wird dieser Hundert markschein genügen?" Sic schien zn rechnen, che sic aufblickst, dann streckte sic die Hand aus- Es wird reichen; ich danke Ihne». I» drei Stunden kann ich reuen." Diese Stunden nützte Carla trefflich aus. Sie schrieb eine Anzahl Briese, die in wechselnder Form den gleichen Inhalt verbreiteten, unterzeichnest alle mit ihrem Namen nnd gab ihnen die Aufschriften, die Birnhagen ihr ver- rathen hatte. Mochten sic aussliegen — einer oder de» andere würde schon wirken. Zu dem Redakteur ging sic selbst; zunächst verhielt er sich kühl, die Sache kam ihm wunderlich vor, aber da die Dame sagte: Zweifler weisen Sie ruhig an mich, ich vertrete durchaus was ich gesagt habe, so freute er sich doch am Ende der amegendcn Neuigkeit. Man tonnte ia vorsichtig selber bezweifeln, was man drucken lieh — konnte die Fenster einwersen und doch seine Hände in Unschuld waschen. 22. Kapitel. Earla Tmffchinsla war abgereist, das Gerücht war geblieben. Langsam, aber sicheren Schrittes ging cs mit dem Briefträger durch die Gaffen. „Helmar Chrrsiemen ein Lied und ein Lump: der Beile dieser sittenheimaih- und grundsatzloftn Künstler rin Mensch, mit dem mau nicht verkehren durste, mehr noch: einer, den die Staatsgeietze verurtheilen — ein Verbrecher." Nach Rvlhcnbeck war der erste, dem die große Neuigkeit in's Haus flog. Cr betrachtete kopfschüttelnd die genial verzerrte Handschrift — dergleichen weckte sein Mißtrauen, aber er öffnest doch in angenehmer Spannung, nnd dann las er: „Sehr geehrter Herr l Gestatten Sie einer Fremde», die es schmerzlich empfindet, daß ein so rhrenwerther Mann stündlich betrogen wird. Ihnen über bei» Maler Helrnar Chresstnien reinen Bein einzuschänstn. Er verdient nicht, in der Gesellschaft tadelloser Männer zu fitzen, er dürfte keinen Einfluß auf die begeisterungs- iähigc Iugeud haben. Während er in den Jahren oreiundpebzig bis sünstmd- sicbzig die Berliner Akademie besuchte, wohnte er mit einem anderen Maler, Martin Helling, zusammen: dieser Helling war ein hochbegabter Jüngling, der, während Chrestenftn sich lockeren Freuden hingab. fleißig arbeitete und mit zweitausend Mark miihiclia erspartem Gcldc nach Rom gehen wollte, uni seinem Talent dort die letzte Weihe zn geben. Tics Geld stahl Chrestensen. der die Pläne des Helling genau kannte, aus dem Pult, verschlemmtc cs in einer einzige!, Nacht und sah dann ruhig zu. wie der Freund, der ihm großinüthig verzieh, a„ den Folgen seines ver eitelten Planes zu Grunde ging. Ich bin erbötig, jede weitere Frage zu beantworte.'» und jedes meiner Worte zu vertreten. Auch die alte Dame im Hause des Malers weiß Be scheid über Marti-, Helling s Tod." Tann folgte die Unterschrift und eine genaue Wohunngsanaabe. Rath Rothenbeck starrte aus die Blätter, als seien sic hebräisch geschrieben; erst nach und nach begriff er: das ging Helmar Chrcstenftn an. Und ihn selbst — und seinen Sohn — vor allen Dingen seinen Sohn. Die Anklage war furchtbar, aber sie stand so schlicht und sicher aus den» Papier, sie war nicht anonnm. sie wollte die Guten nnd Ehrenwerlhen vor einem abscheulichen Umgang bewahren. Nach einer Viertelstunde hatte Rath Rothcnbeck den Brief begriffen und als voll bezeugte Wahrheit in sich aus genommen. Er war bis ins Innerste erschüttert, aber ein behagliches Gefühl ward ruft durch diese Erschütterung im tiefsten Grunde seiner rrecle aufgeregt: stärkte doch die neue Erfahrung seine), Glauben an das brave, biedere, ivclt- brglückcnde Mittelmaß der guten Leute, die alle nach einer Linie geschürften zu einer zuverlässigen, von übermüthigen Ranken und Trieben bestellen Hecke aufwuchscn zu gemeinsamer Schutzmchr gegen die. so draußen nutzer den, all gemeinen Verband der Solide», ans imbeanssichtigten Pfaden schwärmten und natürlich ausarstten. Als Rothcnbeck znm Mittagessen i»'s Wohnzimmer trat, strahlte so viel Behagen von ihn, ans, Latz .Heimchen ries: „Papa, hast Tr» einen Orden bekommen?" „'Nein, mein Kind." antwortete er in wohlwollendem Tone, „aber ich habe wieder einmal gesehen, daß unsere alte», guten 'Ansichten auf ewigem Grunde rachen, und day wir recht thun, zn beharre», auch gegen den Ansturm der wcchftlsrohcn Jugend. Ernst, mein Sohn, ich bitte Dich, heute nicht in s Siebeneck zn gehen, Du »rußt mir einen Brief an Direktor Robkcr in's Tchulschlvß tragen. Ernstlich, mein Sohnich verlange Deinen Gehorsam als ein Zeichen, daß Dich die Freiheit des letzten Jahres nicht verwildert hat." Ernst erröthete. „Gut, Vater, aber ich muß drüben absaacn." „Das will ich selbst besorgen. Verlaß Dich Lara»', cs geschieht pünktlich: Tu mußt Dich gleich aufmachcn, Tn IM einen tveitcn Weg." — Tie Wanderung nach dein Schulichlvß. in dem einst der aiigcbctcte Lehrer seine Gesängnißjahre verbracht hatte, schien Ernst das Erträglichste von Allem, »vas ihn um seinen Sonnadendnachmittag bringen konnte: er machte keinen Versuch weiter, die heutige Malstunde zu retten, und der Vater war mit seinem Sohn zufrieden. Noch lebte der Geist dcS Gehorsams i» ihr», noch war er zn retten. Behaglicher Stimmung voll, iah er ihn durch die Felder dem Walde zueilcn, schrieb dann ein paar Zeilen an den Maler, inachte sich zum Ausgehen fettig und theilte Mutter und Tochter mit, er denke ans dem Schicßhaus seinen Kaffee zu trinken. Heimchen sah allerliebst auS. ebenso hübsch wie aus den» Weihnachtsbild, das der Rath „leider" angenommen hatte. Das bewegliche Köpfchen, die Augen, die bald forschend durch Nclkenblüttzc» nach der Straße blickten, bald Vater und Großmutter ankächclten, dl« fleißige» Fiiigcrchen, die weiß und zierlich mit Nadel und Jaden hantisten, geschaffen für goldene Reisen — die ganze kleine, appetitliche, malcnswcrthe Person war wirklich geeignet, einmal auf der Staffel des Erfolges recht hoch zu steigen. Warum nicht bis zu» Präsidentin? Ter Vater nickte abermals im Genuß seinerZukllnstshoffnungkn bchaglich vor sich hin und sagte niir Betonung: „Ich sah heute unseren früheren Nach bar iil recht seltsamer Gesellschaft." Heimchen wurde roth. „c wußte gleich, wer und was gemeint war. ab«» Antwort erhielt der Vater nicht auf seine Bemerkung. „Ich meine den Brennecke. Der junge Mann stand mit einer recht merk würdigen Dame aus der Künstlcrhnusttcppe. natürlich einer Ecrungcm'chaiL seiner imnvthigcn Reisen. Sic mochte unbequeme Ansprüche an ihn haben, denn er winde laut und heftig auf öffentlicher Straße. Da mögen sich saubere Geschichten außerhalb abjpielen Heimchens Herz war geneigt, den Angeklagte» zu vcrtheidigen: da sich aber der Vater für heute in Ausrufungen genüg gcthan hatte und auch die Großmutter, während sic allein waren, beharrlich schwieg, kam das Herz nicht recht z» Wort nnd Widerspruch, und als der Nachmittag verging, ohne daß Fritz Brennecke den Weg in die Thorgasse fand, warHelmchen geneigt, Alles zu glauben, das Schrecklichste und das Strafbarste. Sie litt bittere Fttih- lingsichmcrzeii und begrub ihren Glauben an dir Menschheit. Nach Rothenbeck aber wandette auf sommerlichen Pfaden, dem Schatte!» einer Lindenallee folgend, nach dem Schiitzcnhause. z Zu Sommeiszcsteil war daS Schützcnhans die Stätte kleiner intimer Ge schichten. die Quelle wirksamsten Stadtklmsches. Besonders am Sonnabend, wo die segensreiche Sitte des Burecillschciicriis herrschte, fand man hier allzeit willige rchstii nnd thätige Zungen der besten Gesellschaft. Auch heute saßen schon einige Knnstverelnlcr da. als Rothenbeck cintcak. nud sprachen mit behaglicher Nachmittagsfanlhcit vom Laufes Tages: voi» Schul- und Gerichtsftricn, von den glücklichen Zömmerreisenden nnd dem Bilde Robert Necs's. ^ „Ob das auch io einer ist?" sagte Rothenbeck «ud gab jedem einzelnen Worte einen kräftigen Truck. Er hatte auf de» Augenblick, wo er sein«» Neuigkeit wirkungsvoll anbringen könnte, gespäht, wie ein Jäger ous's Wild. „Was für einer? „fragte Gymnasialdircktor Brinkmann, der sich von Zeit zn Zeit ganz gern einmal init dem Rath ein wenig schraubte. Zeichenlehrer Küppers, Staatsanwalt Moernig und Regierungsrath Ober mann nickst» in Erwartung eines humoristischen Zwischenspiels näher. „Was sür einer?" fragte Brinkmann noch einmal, da. Rothcnbeck die Audc.cn hcranrückcn ließ, che er antwortete. „So einer wie Maler Chrestenftn. der meint, sein Talent gäbe ihm dm Freidries. Alles das zn Ihn», was Religion. Moral und Staat gleichermaßen verdammen." „Nun, mm! — Was giebt cs denn da?" ließen sich die Hcrangcrücktcr» säst gleichzeitig vernehmen, nnd Brinkmann fragte mit theilnehmendcr Bosheit: „Hat er wieder Schneemänner im Bcilchengrabcn gebaut?" Rath Rothenbeck ließ sich nicht irre machen, würdevoll zog er Carla Tnrtschiiiska's Brief aus der Tasche. Tie rnhiac Sachlichkeit fernes Vortrags stand diesen, Briefe sehr gut, sic erhöhte sein Wahrheitsgepräge und gab ihn» Las Anfthen beglaubigter Historie. Rothenbeck wurde nicht unterbrochen, nur Küvvers ries, als er zu Ende war: „Na. hören Sie 'mal, so eine Räubcrgeschichte!" Die Anderen faßen in Gedanken. - ° Als aber Rochenbeck auf Küppers Emwurj ruhig erwiderte: .^Fragen Sic unseren Herrn Staatsanwalt, was von der menschlichen Natur im All gemeinen zn halten ist. sobald die Fesseln der Sitte, die nicht fest genug liegen können, einmal abgestrcist wurden, zcrglicderte Moering d»c Räubcr- gcschichte schon i» ihre Thcile. als wolle er von Amtswcgen eine tödtliche An klage vertreten. Thaffachen und Motive gehorchten ihm, der Fall war llipA und klar." „Schade," schloß der Staatsauwalt seine Beweisführung, „daß den» Sünder vou Gesetzes wegen nicht beizukomnic» ist: venährr, ganz und gar verfährt. Sehr vorsichtig crfmidcn — wenn cs erfunden ist." „Ich hoffe, cs ist erfunden." sagte Obermann langsam, dieser Brie, ist doch eine häßliche Tcuunziatioil, dcrenglcichci» wir die Glaubwürdigkeit LcZ Angebers verdächtig macht." Ter Slantsamvalt hatte hundert Beispiele zur Hand, wo ein Spieß-- geselle den anderen verriet!), »veil sic sich entzweit hatten- — Gerade diese Leute sind die Denunzianten, die längst gesuchte Wahrheiten schließlich an'S Tageslicht bringen. -' > ; Obcrmann's Zweifel duckte sich vor der Vcrbrccherkenntniß des Staats- , anrvalts. '! „Aber, meine Herren." ries der kleine Zeichenlehrer empört, „die Gcschichiq ^ ist ja ganz und gar unmöglich!" „Unmöglich sind wiche Geschichten leider gar nicht: unsereiner weiß, »vaz 'Alles aus dem Kunst nnd Littcraturproletariat der großen Städte wird — selten giebt das Künstler, häufiger Zwitterwesen, manchmal Verbrecher." „Abcc die Angehörigen des Bestohlenen hätten doch von seinem Verdienst und »einen Absichten wiffcn muffen!" „Je min. dieser Marti» Helling soll Chrcsstuscn ja vcrzichen haben." „Ein trefflicher Ennvürj von einem M. >aelli»g hängt m Chrestensen O 'Atelier. Ein zweiter oben rm ersten Stock —" „Aha!" „Und die alte Dame, aus die der Brief hmwcist, die sie Großmauu» nennen, heißt auch Helling." „Tic Mutter." rici Moering, ..die'Mutier des Offfers!" „Wenigstens die Mutter jenes Malers, von dem Chrestensen sagt, «haha zu großen Hoffnungen berechtigt, sei aber ging gestorben." "ffissen Sie, wo?" cForyrtzimg?o»>!n4l»g--
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