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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.05.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-05-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050505029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905050502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905050502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-05
- Tag 1905-05-05
-
Monat
1905-05
-
Jahr
1905
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BezugS-PreiS i» drr Hauptexpedttio» oder der« A«»aab«. stelle» abg«holt: vterleljührltch 3.—, bet zweimaliger tigltcher Zustellung in« Hau ell 3.7k. Durch die Post bezogen für Deutsch« land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut Zritunq-preisliste. Diese Nummer tsftel aus allen BahnhSsen and III '1^ I bet deu Zeitungä-Beriänsern Aedaktton und Expedition: 153 Fernsprecher 222 JohanniSgasse S. Haupt-Filiale Dresden: Mariensiraste 34 (Fernsprecher Amt 1 Nr. I713I. Haupt-Filiale Berlin: EarILu > <1 rr, Herzg l.Bayr.tzofb uchbandlg, Lüyowstrab« 10 (Fernsprecher Amt VI Nr. 46031 Abend-Ausgabe. MiWgrr TagMM Handelszeitung. Ämtsökatt öes Honigt. Land- und des Hömgk. Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Votizeiamtes der Ltadt Leipzig. Nr. 227. Freitag dm 5. Mai 1905. Anzeigen-Preis die -gespaltene Petitzeile LS Familien- und Stellen-Anzeigen SO Finanzielle «nMtßen, Geschäftsanzeigen unter Dezi ov«r an besonderer Stelle »ach Taris. Di» 4 gespalten« Reklamezril« 75-^. Au»«tz»rschUltz für Sn;eiae«l Xb«nd-AuSgab«: »onaittagS 10 llhr. Morgru-AuSgab«: aachmMag« « Uhr. Anzeige» sind stet» an dir Expedition z, richte». Ertra-Vrilaae« (nnr mst der Morgen« An-gabe- nach besonderer Vereinbar»»-. Die Expedition sii Wochentag« »»unterbrochen geässnot von früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck und Vertag vo» G. Pot« tu Leipzig <J»H. I-r. L, N. AW. »linkdardtl Herausgeber: -vr. Birdor Mtnkhardt. 99. Jahrgang. Vas Aicdtigrte vom läge. * Heute tritt in Berlin die Konferenz zur Reform der E i s e n bah n ve r s o n e n t ar ife zusammen. Ueber die Betriebsmittelgemein- schäft werden am 23. Mai und 14. Juni weitere Kon ferenzen stattfinden. (S. Deutsches Reich.) * In Warschau wurde gegen eine Patrouille eine Bombe geschleudert, die nicht explodierte. In Odessa, Melitopol. Simferopol und Niichni-Nowgorod haben neue Krawalle beaonnen. (S. den Artikel.) * Das dritte russische Geschwader bat heute morgen 5^/2 Uhr Sinaaporc passiert. (Siebe russ.-sap. Kwieg.) 2ur kricMinsttrrrlsrm. In offiziösen Blättern wird setzt verkündet, im Herbst wolle der Freiherr von Stengel eni-gültig mit den Ge pflogenheiten brechen, die das Deutsche Reich hinsichtlich feiner Finanzwirtschaft von dem unrühmlich bekannten Pumpus von Perusra entlehnt hat. Nun ist zwar die trägt den Staat wie eine Last, hat Hebbel gesagt, aber der Satz lässt sich wohl dahin ausdehnen, daß die Zah- lunpspflichtchen stets unzufrieden sind, in welchen Kreisen sie auch leben mögen. Der Laie wird vielleicht fraaen, wozu denn die Einzol- staaten da sind, die ia doch bekanntlich Rdatrrkularblitrape zahlen sollen. Aber gerade das Verhältnis der Einzel staaten zum Reiche läßt die Reform so dringlich erschei nen. Ter Gesandte a. D. und Professor an der Univer sität Heidelberg, Dr. Eugen von Iagemann, liat eben setzt in einer „Zur Rcichsfinanzreform" betireltcn Bro schüre (Heidelberg, Karl Winters Universltätsbuchhand- lung) dies Verhältnis durch ein treffendes Beispiel illustriert. Ein Vater hat seinen Söhnen und veil-ei- röteten Töchtern Zuschüsse versprochen und diese Haden ihre Lebenshaltung danach eingerichtet. Nach ein aec Zeil stellt aber der Herzensvava die Zuschüsse nicht nur ein, sondern verlangt, daß die Kinder ihn alimentieren sollen, un'd wenn ein Betrag hierfür vereinbart ist, so er. k.ärt er ihn nachträglich für unzureichend und fordert Er- Höhung: Ganz so ist es den Emzelstoalen ergangen. Dre Franckensteinsche Klausel wies ihnen den grämen Teil der Reichseinnahnien zu und dieses Danaergeschenk ver führte sie zur Ueberspannung «ihrer staatswirt- schaftlichen Kräfte. Bald aber mussten die Einzel staaten denn Reich mehr zuschießen, als sie nach der Frvnckensteinschen Klausel empfingen. Außer dem aber war es ihnen unmöglich, ein festes zweite Aufgabe ist die, dein Verhältnis des Reiches zu Len Gliedstaaten einen neuen staatsrechtlichen Boden zu bereiten, denn die heutige Ordnung ist auch von ihren Begründern nur als provisovcsch aufgefaßt worden. Vie MaroMvttage. Vie Aenferenze« Eduardo VH. mit Balfour. Aus London wird gemeldet: In hiesigen politischen Kreisen beschäftigt man sich eingehend mit den Konferenzen, die König Eduard in Paris mit Loubet und Delcasss gehabt, zumal den König bei der Rückkehr Balfour und Lansdowne zur Konferenz erwarteten. Man glaubt, daß der Gegenstand dieser Konferenz die Besprechungen des Königs mit Loutbet und Delcasss waren. Der König habe sich keineswegs v e rg n ü g u n g s ha l b e r in Paris a u f g e h a l te n. Der Bescheid de» Sultan». Dem „Matin" wird aus Fez gemeLet: Der Sultan hat, nachdem er durch den französischen Gesandten über die Notwendigkeit der Reformen überzeug! worden ist, erklärt, er wolle zur Durchsetzung dieser Reformen nur die Mitwirkung aller Mächte und nicht dieienige Frank reichs allein onnchmen. Frage der Nsichsfinanzreform fest etwa zehn Jahren nicht mehr aus der wissenschaftlichen Erörterung ver- schwuntden, in weiteren Kreisen aber ist doch immer noch die irrige Vorstellung verbreitet, es handle sich hier mehr um eine technische Pedanterie, als um ein wichtiges Interesse der Volksgemeinschaft. Ein kurzer Rückblick auf die finanzielle Entwicklung des Reiches wird dar- lsgen, daß diese Anschauung irrig ist. Als das Reich entstand, war cs schuldenfrei. Es be- gann 1875 zu loihcn, erreichte 1891 schon 1(H Milliarden und batte Ende 1902 bereits einen Schuvdonstand von 3 Milliarden überschritten. Der jährlichen Zinsenlast von jetzt rund 130 Millionen stehen verschwindend wenig rentierende Anlagen gegenüber. Von den jährlich zu zahlenden Zinsen bat Las Reich keinerlei Vorteil. Zudem findet eine regelmäßige Schuldentilgung wie in Preußen beim Reich nicht statt, so daß der Sckmldzuwachs rapild erfolgt. Wir befinden uns in einem chronischen Defizit: der Änleihebedarf für 1905 beträgt 344 Millionen. Wollten wir aber jährlich ungefähr 300 Millionen neue Schulden aufnehmen, so würden sich ini nächsten Dezen nium 3 weitere Milliarden an Schulden aufsummen. Aus diesen Zahlen ergibt sich mit Notwendigkeit, daß >-as Reich sich neue Einnahmen schaffen muß, denn die Aus gaben steigern sich dauernd und die Einnahmen halten keineswegs mit ihnen Schritt, obwohl der Reichstag schon nicht selten die Zukunft eskomptiert und die Anschläge im Etat hinausgesetzt hat, ein Verfahren, das der Finanz- Politiker Koppe mit dem naiven Mittel verglichen hat, hohe Wärmegrade durch Anhauchen des Thermometers erzielen zu wollen. Ein dauerndes Mißverhältnis von Ausgabe und Einnahme führt zur Aktionsunfähigkeit, zur Versäumnis von Kulturfortichrittcn uird in Zeiten wirtschaftlicher Krisen oder im Kriegsfall muß eine so mangelhafte Finanzwirtschaft sich schwer rächen. Tie einzig wirksame Kwr würde die sein, in Zukunft keine rege mäßig laufenden Ausgaben ohne eigene Teckung des Reiches zuzuilassen: als an lei he begründend nur solche Ausgaben anzuerkennen, welche sich finanziell renti-oren oder in der Tat vereinzelte Anlässe von ganz außer ordentlichem Charakter und bleibender Nachwirkung dar- stellen, endlich in iedem Etat auch oine <vumme zur Schuldentilgung, mindestens 1 Prozent des Schulden stands — alo gegenwärtig schon zwischen 30 und 40 Millionen Mark jährlich — unter die ordentlichen Aus- gaben aufzunehmen. Zu diesem Zweck aber wird cs not wendig sein, dem Reiche neue Einnahineguellen zu er schließen. Diese Aufgabe ist ja allerdings unpopulär, denn zwischen einem Steuergesetz und einer Bonbonniere wird immer ein Unterschied bleiben. Der gemeine Mann Budget aufzustellcn, weil sich die Schwankungen des Neichsedats nicht vorausseben lassen und weil z. B. ein größerer Nachtragsetat des Reiches alle Berechnungen wieder umwirft. In Baden boisvw.'swoisc hat sich im Verlauf »weniger Jahre die Urmvandlmrg vollzogen, daß cs 1879 für 5 Millionen Rdatvikularbeiträgc effektiv zahlungspflichtig Uxrr, dagegen 1889 rüm 3'/4 Millionen Uebcrweisungen erhielt: das bedeutete also für ein Land von etwa 2 Millionen Eimvohnern in eirwm Dezennium eine Verschiebung der Renten- oder Lastenbilairz nm 8l4 Millionen. Tann aber folgte allmählich wieder der Uebergang von jährlichem Empfang von 3(4, Millionen zur effektiven Hingabe von Millionen. Insbeson- Lere in den Kleinstaaten, weiche Bismarck mit Recht <As den Mörtel zwischen den Quadern bezeichnete, ist die Finonzfrage zu einer Existenzfrage gewovden. Allerdings übt das Reich die Befugnis, feinen Bedarf aus den Glied, staaten herauszuschlagen, fast nickst mehr aus, weil diese selbst zumeist infolge der Bedürfnisse des Reiches ihre Wirtschaftsbedürfnisse so ausgedehnt haben, daß sie so mrt wie nichts mehr abgeben können. Wo nichts ist, hat eben auch der .Kaiser fern Recht verloren. Indessen diese Praxis der Schonung stellt doch nur ein tatsächliches Ver- hältnis ohne staatsrechtliche Garantien dar und 'die Ein zelstaaten sind immerhin der Möglichkeit ausgesetzt, daß ihre Beftvagspflicht bei ungünstiger Konsunktur doch wieder in höheren: Maße angeiprochen wevden kann. Sie sind aber auch, sola-nge die Reichsfinanzreform nickst durchgesührt ist, an einer gesunden Entfaltung ihrer etwa vorhandenen weiteren Steucrkraft behindert, da sie fa die Richtung dieser Reform nicht kennen und ihre Arbeit unter Umständen vergeblich sein würde. Die Rücksicht auf die Einzelstaaten hat nun den Reichstag zu 'der Heu- tagen kstncn AnKeihepraris verftibrt. Es ist also not wendig. -en Kurs der Zukunft so zu wählen, «daß man Wader die Deckung auf die Einzelstaaten abschiebt, noch eine unsolide Leihwirtsckaft einrcißon läßt, sondern die mittlere Linie wählt. Dies ist der gerade, aber unpopu läre Weg, das, was nökig ist, durch das Reich von den Volksgenossen erheben zu lassen. Dabei darf aber die Rücksicht darauf nicht vergessen werden, daß dem Einzel- staat die finanzielle Selbständigkeit und die letzten Rcscr- txm seiner Steucrkraft, ohne die er fick nicht fortcnt- wickeln kann, nicht aen-ommen werden dürfen. Zwei Ziele also muß d'e Reichsfinanzreform verlolgen. Sie muß neue Einnahmen »schaffen, und das ist, wie auch Graf Bülow einmal ini Reichstage betörst hat, nur eine Frage 'des Wollens, nickt des Könnens. Die neu"-n Ein- kommensguellen aber müssen so gewählt werden, daß das Finanzwesen der Einzelstcraten nickst geschädigt wird. Die Der „T»meo"-A»rrespond««t in Tanger telegraphiert seinem Blatte: Ein marokkanisch« Beamterteilte mir die französischen Vorschläge für dre Finanz, re form Marokkos mit. ES wird voraeschlagen, eine marokkanische Staatsbank zu errichten, oie olle Fragen des GÄdumlouscs regulieren und die Frage des fremden Wechselkurses endgültig lösen soll. Dre marokkanische Münze soll aus Parttvert mit der französischen und eng lischen Münze gestellt werden. Die Bonk, die tatsächlich das Schatzamt in Marokko werben würbe, solle die Zahlungen alle Beamten und an das Heer übernehmen, die Steuer, und Zolleinnahmen in Empfang nehmen und dabei das Reckt behalten, sich dem zu widersetzen, daß der Mag Hz en Geld dielen Fonds enstiehe. All« marokkanische Regierungsdesitz soll von Lieser Bank verwaltet und der Einnahmeüberschutz des Besitzes der Moscheen zur Gründung und Erhaltung von Schulen für die Äerbreitungderfranzösischen Sprache verwendet werden. Der Mackyzen soll sich ver- pflichte», Anleihe» nur von dieser Bank zu nehmen. Die Banque de Paris et des Pays-^Äas, so wird weiter vorge schlagen, wird um ein Gutachten ersucht werben, ob die Bil dung der marokkanischen Bank jetzt angezeigt sei. Zur Er- Höhung der Staatseinnahmen wird vovgHchlogen, von allen Personen, die Marokko betreten, ein« Steuer zu erheben, und den Paßzwong einzusüyren. Die Engländer in Algier. In der „Libre Parole" schreibt Herr Drumont: Die Oberflächlichkeit, mit der unsere regierenden Englandsreunde die Interessen Frankreichs beurteilen, macht ein« Klarstellung der tieferen Ursachen des Marokkostreites ganz unmöglich. Man sollte sich doch endlich klar machen, daß England die Herrschaft über ganz Nordasrika anftrebl; daß es aber die Eroberung und die kulturelle Vorbearbeitung der nordafrikanischen Länder den anderen Völkern überläßt. Wir mußten Aegypten erobern und den S-uez-Kanat bauen, damit sich England in das fertige Nest setzen konnte. I n Tripolis sollen die Italiener diese Arbeit machen:, aber schon jetzt haben sich dort die Engländer alle wichtigen Punkte gesichert, um von dort aus nachher die Italiener Hinaus wersen zu können. In Marokko sollen die Franzosen für England dieselbe Arbeit machen, wie in Aegypten. Das wichtigste ab« ist, daß sich die Engländer bereits in Algier häuslich einrichten. König Eduard hütete sich wohl, den noch unbearbeiteten Boden Marokkos zu betreten: aber in Algier konnte er sich an dem Anblick der reichen Zukunfts kolonie Englands laben. Dort konnte er die ver- stänbnisvollen heimlichen Blicke austauschen mit den Hunderten von englischen Unternehmern und Kaufleuten, welche sich immer mehr zu den Herren des wirtschaftlichen Lebens in Algier machen. Vorläufig spielen sie sich dort als Helfer und Freunde der Franzosen auf; aber wenn es England gelingen sollte, Frankreich noch einmal zu einem unglücklichen Krieä zu treiben, so würde sehr bald die britische Flagge auf den Forts von Algier wehen. I Vst wirst st lstrrlana. In Warschau. Von den Verwundeten des 1. Mai sind, wie aus War schau gemeldet wird, noch 11 gestorben, so daß die Gesamt zahl der Getöteten nunmehr 42 beträgt. Der General streik gilt alZ teilweise mißlungen. Die Fabriken und Druckereien ruhen, die Zeitungen erscheinen nickt, doch waren die Handelsgeschäfte bis mittag geöffnet und erst nach mittag geschlossen. Der Tramwaybetried ist nur vorüber- geheno gestört. Man siebt wenig Droschken auf den Straßen. In der Warschauer und der Loschnostratze wurde eine gröycrc Menschenmenge mit blanker Waffe vom Militär zerstreut, wobei einige Personen Säbelhiebe und Bajonett st iche erhielten. Um 10 Uhr abends wurde in der MarschalkowSkajastraße von unbekannter Hand eine Bombe unter das Pferd des berittenen Obcr- polizeimei st er ge Hülsen Zeyfarth geschleu dert. DaS Projektil explodierte, war aber zu schwach, so daß kein Schaden angerichtet wurde. Nach mittags 5 Uhr sollten einige weitere Opfer die im H 0 s p i t a l verstorben waren, unter großem Geleit begraben werden, die Menge wuchs jedoch in so bedrohlicher Weise an, daß die Polizei, um jeden Anlaß zu Ausschreitungen zu vermeiden, die Bestattung auf den nächsten Morgen früh 7 Uhr ver- schob. In der Grzybowskajaaasse wurden Kosaken vom Publikum verhöhnt, woraus sie mit der Peitsche ein schritten. Vermehrung der Arawallplätze. In Czenstockau veranstalteten gestern 700 Personen, darunter angeblich auch Soldaten, Demonstra- tionen. Auf den Fabrikschornsteinen steckten rote Fahnen. Die Stadt wird militärisch scharf bewacht. Im übrigen herrscht im Grenzgebiet Bendzin Ruhe. Die Arbeit rm Bezirk Sosnowice und Dombrowa ist vorläufig nirgends unterbrochen. — Aus Odessa meldet ein Tele gramm: In der Deribassow-Straße wurde gestern eine Per son verhaftet, die eine Sprengbombe bei sich trug. In der Semskam-Straße wurde eine W a ff e n n i ed e r l a g e entdeckt. — Nach einer Meldung aus Melitopol lGou- vernement Tauriens kam es dort am letzten Montag zu Un ruhen, wobei Juden gemißhandelt und indisches, aber auch christliches Eigentum zerstört und geplün dert wurde. Eine Reihe von Buden wurde verbrannt. Die Ordnung wurde von den Truppen wiederheraestellt. — In Simferopol fanden antisemitische Krawalle statt. Häuier und Läden wurden geplündert. Auch in Mariampol und Molitovol fanden solche statt. In Nischni-Nowaorod kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Volk und Militär, ber denen mehrere Personen getötet, zahl reiche verwundet wurden. Die Altgläubigen. Im Zusammenhang mit dem Toleranzerlaß hat der Zar, wie bereits gemeldet wurde, dre Kirchen der Altgläubigen aui dem Rogoscyki-Frrcdhof in Moskau wieder öffnen lasten, die seit 49 Jahren geschlossen waren. Es geschah nach einem Bericht der „Nowoie Wremsa" in Gegenwart des aus Peters burg entsandten Generaladjutanten Fürsten Galizyn und des Stadthauptmanns. In der großen Sommerkirche, die nicht geheizt werden durfte, hatten sich die Malereien sehr gut erhalten; an einigenStellen war der Stuck abgesallen. Auch das altertümliche und kostbare Kirckengerät hatte sich gut er halten, wenn auch alles mit einer dicken Staubschicht bedeckt war. Nachdem es bekannt geworden war, daß die Kirchen ge öffnet worden seien, versammelten sich aus dem Friedhöfe große Mengen von Altgläubigen Während die Türen ent siegelt wurden, weinten viele, andere beteten laut, wieder andere äußerten Gefühle des Tankes für den Kaiser. Während des Gottesdienstes lvar die Kirche überfüllt. Die Altgläubigen verbeugten sich tief vor den Abgesandten und baten, dem Kars« ihre tiefe Dankbarkeit zu übermitteln. Graf Schuwalow. Der neuernannte Stadtkauptmann von Moskau, ein Sohn des ehemaligen russischen Botschafters in Berlin, Graf Paul Schuwalow, war lange Jahre hindurch Hofmeister des er mordeten Großfürsten Sergius und intimer Freund dieses Oheims des Zaren. Vor ungefähr vier Jahren bekleidete er den Posten des Stadthauptmanns von Odessa, wo er wegen brutaler Unterdrückung der seinerzeit vielbesprochenen Ar beiterunruhen sich sehr unbeliebt machte. Er mußte bald darauf den Odessaer Po st en verlassen und ist dem Ministerium des Innern zur Dienstleistung zugeteilt worden. Feuilleton. Ni Möblierte Zimmer. Roman von Rudolf Hirschberg. Jura. Nachdruck verdaten. „Schön. Ich erwarte also, daß Sie mir baldigst Bescheid geben." Ewald ging und war über den hoffnungsvollen Um schlag seiner Verhältnisse in der glücklichsten Laune. Bisher hatte er in seiner Erregung das Uebergehen oder Hinousschieben der gewohnten Mittagsmohlzeit gar nicht bemerkt. Jetzt überkam ihn der Hunger mit doppelter Gewalt. Nasch ließ er sich im Wartesaal des Berliner Bahnhofs ein Mittagessen servieren und trank eine Flasche Wein dazu, deren Marke ihm der Bedeutung des heutigen Tages würdig zu sein schien. Mit wohlwollender Neugier musterte er die Reisen den, die nur in geringer Zahl an den anderen Tischen deS Saales saßen. Sie hatten alle ernste oder gar finstere Mienen und waren doch offenbar alle im Begriff, eine Reise anzutreten, die sie rasch einem ersehnten Ziele näher bringen sollte. Sonderbar, daß sie so sauer dazu sahen. Ewald war viel vergnügter. Freilich diese Leute sollten in den nächsten Minuten die rußige Lust der schüttelnden Eisenbahnfahrt schlucken; er aber saß jetzt im Wartesaal des Hellen, sonnigen Glück», und jeden Augenblick konnte ein Engel eintrcten, mit einer kleinen Himmelsglocke klingeln und ihm freundltch zurufen: «Einsteigen!" Um noch in Ruhe eine gute Zigarre zum Kaffee zu rauchen, war cs leider zu spat. Ewald mußte sich eilen, um noch zu seiner Nachmittagsarbeit zurecht zu kommen, und er war voll der besten Vorsätze, seinen Dienst recht aufmerksam und gewissenhaft zu versehen und den Chef dadurch zu einer früheren Entlassung geneigt zu machen, als er sie rechtlich beanspruchen konnte. Leider war er vor lauter Glück nicht imstande, seine guten Vorsätze zu betätigen. Aller fünf Minuten starrte er von seiner Schreiberei auf in die Luft und gab sich träumerischen Zukunftsbildern hin, und als er zum Schluß dem Chef ein paar Briefe zur Unterschrift vor legte, warf er ihm da? Tintenfaß um. Damit war dessen Geduld erschöpft: „Herr Permoser", rief er zornig, „Ihre Unachtsam keit ist unerträglich. Ich bin schon längst nicht mehr mit Ihnen zufrieden und hatte mir von Ihnen als einem gebildeten jungen Manne in jeder Beziehung west bessere Leistungen erwartet. Am liebsten entließe ich Die jetzt auf der Stelle." Ewald frohlockte im stillen über diese zornige Auf wallung, die feinen Wünschen so entgegen kam, und er- widerte bescheiden. „Ich l-abe leider auch das Gefühl, bei Ihnen nicht an meinem rechten Matze zu sein, und wäre durchaus ein verstanden, wenn Sie unsere Beziehungen sogleich lösen wollten." „Aber mit Vergnügen! Geben Die auf der Stelle! Gehen Sic an die Kaste und machen Die dort Ihre Ab rechnung. Gehen Die. Gehen Die!" Eine halbe Stunde später stieg Ewald mit vollem Portemonnaie und vollem Herzen die Treppen zu seiner Wohnung empor. Denn seit einiger Zeit aß er wieder sparsam zu Hause. Klara stand in seinem Zimmer und war beschäftigt, ihm den Abendbrottisch zu decken. Sie hatte seine zeitigere Rückkehr nicht vermutet und war im Begriff, das Zimmer mit einem Wort der Entschuldigung zu verlassen. Ewald fühlte sein Herz von glücklicher Stimmung überschwellen. Gern hätte er Klara zur Vertrauten seiner frohen Neuigkeiten gemacht. Aber als er dem kalten Ernst ihrer schönen Züge und dem ruhigen Blick der kühlen blauen Augen begegnete, fand er zu einer ver traulichen Anrede keine Worte. Einen Augenblick schwankte er. Dann sagte er: . „ES tut mir leid, Fräulein Klara, daß Sie sich heute umsonst bemüht haben. Ich esse heute abend nicht hier. Ich will zu meiner Mutter gehen." „Ich werde den Tisch wieder abräumen, wenn Sie gegangen sind", antwortete sie und entfernte sich. Ewald wusch sich rasch Gesicht und Hände, meldete sich durch einen kurzen Brief für den nächsten Morgen znm Antritt seiner neuen Stelle an, und ging nach der Weststraße. Mama war entzückt, ihn endlich einmal wieder deS Abend? bei sich zu hoben. Denn da» war lange nicht vorgekommen. Und sie freute sich seiner heiteren Stimmung, die sie ebenfalls lange nicht an ihm beobachtet batte. Gerda hingegen konnte die boshafte Vermutung nicht zurückhalten, daß Ewald nur gekommen sei, um das entgangene Mittagessen nachzuholen. Ewald lachte und erwidert«: „Oh nein! Ick, bin nicht gekommen, zu empfangen, sondern mitzuteilen. Nicht der Hunger, sondern das mitteilungsbcdürftige Herz und der sogenannte Familien sinn haben mich nach Hause getrieben. Gegessen habe ich heute Mittag ausreichend, liebe Schwester, und, ohne deiner Kochkunst damit zu nahe treten zu wollen, es hat mir so gut geschmeckt, -sie seit langem nicht. Aber zur Strafe für deinen kränkenden Argwohn werde ich Euch beute von den angenehmen Nachrichten, die ich für Euch habe, nur zum Kosten ein wenig knabbern lassen und die volle schöne Wahrheit einstweilen noch für mich be halten. Also: ich habe von morgen an eine andere Stelle, und es werden in unser aller Leben sehr bedeut same und erfreuliche Veränderungen eintreten! Was sagt Ihr nun?" Zu seiner Ucberraschung erregte zwar diese Mit- teilung mehr Unglauben als Neugier. Aber er nahm die Enttäuschung nicht schwer, und als er sich zu Tisch setzte, belustigte ihn der Gedanke, daß die Tag«'dieser Pension nun bald gezählt sein würden. Er bemitleidete mit einem heimlichen Lächeln die Tafelrunde, die hier so warm und sicher zu sitzen wähnte und nicht wußte, daß sie auf einem Vulkan saß. Dieses Mitleid verstärkte noch seine gute Laune. Er fühlte sich verpflichtet, den armen Leuten die letzten Tage noch möglichst angenehm zu machen, erschöpfte sich in allerhand Liebenswürdigkeiten, und bald war die ganze Pension von einer solchen Vergnügtheit erfüllt, wie sie sonst nur LaS Vorrecht de» alten gichtigen Fräulein Mangold zu sein schien.
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