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Dresdner Nachrichten : 10.08.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-08-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189908100
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990810
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990810
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-08
- Tag 1899-08-10
-
Monat
1899-08
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 10.08.1899
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-IS Z-SZ S Z-S ^ s<s «LZLQI KZ WWW WWWWWWWWWWWMW»^»»» Seite 374. Belletristische Beilage »r» den »Dresdner Nachrichten". ,Jch «achte erst noch einen Weg durch den Wald," antwortete Richard ausweichend. .Ist der Vater noch aus?" ^ ^ ^ ^ Reiu. er ist schoa ru Bett gegangen. Aber waS thateft Du denn im Wald so spät? Man gcht doch nicht im November Abends um neun Uhr spaziere», besonders wenn mau weiß, daß man daheim erwartet wird. Du steh» erhitzt aus. Richard. Ist etwas passttt? Wie gebt es Ernst?" .Ems, ist wohl, das heißt, er war es heute Morgen, beute Abend habe ich ihn noch nicht gesehen. Ich gehe überhaupt nicht mehr auf's Gut." .Du gehst nicht mehr zu Buchow s." frug überrascht die Tante, .was ist den» das für eine merkwürdige Begebenheit? Und warum denn nicht?" »Der Medizinalrath ist zurückgelehrt und übernimmt den Fall selbst." »Hofer will das Kind selbst weiter behandeln? Höre. Richard, da muß doch ein ganz besonderer Grund vorliegen. Ein Maun in Hofer s Jahren, der Dich eben em zu seinem Vertreter gemacht bat. damit Du ihm einen Theil der Praxis abnebmen kannst, beschließt doch nicht mit einem Male, selbst jeden Tag vier heraus nach Burgdorf zu fahren, wenigstens nickt, wenn er gesehen, daß Du bisher Alles io vortrefflich gelhan hast. Nein. Richard. Du verbirgst nur etwas, das hat eine andere Ursache! Mir machst Du nichts weiß." .Wie scharfsichtig Du bist. Tante!" antwortete Richard lächelnd. »Nun ja. Dir will ich es gestehen. Du hast alle meine Geheimniste gewußt. Dir will ich auch dies anvertrauen. Aber Du mußt mir versprechen, mit Niemandem, auch nicht mit dem Vater davon zu reden, wenigstens nicht in den nächsten Tagen!" »Bin ich je eine Plaudertasche gewesen? Aber Du machst mich neugierig. Sind es gute oder schlechte Neuigkeiten?" »Wie Du es nimmst! Doch höre, daß ich einst Agnes Tillmann geliebt, wie nur eia Mensch lieben kann, weißt Du. daß ich in die Welt hinauszog, mit Gott und aller Welt zerfallen, als ich von ihrer Verlobung gehört, das weißt Du auch." »Und daß Tu in Agnes wieder verliebt bist, ist mir erst recht kein Ge- heimniß." unterbrach ihn die Tante Liefe. »Auch daß Dir das Bewußtsein am Herzen nagt, daß sie eines Anderen Frau. Das habe ich Dir längu vom Gesicht abgeleien, Frauenaugen sind gar scharf in solchen Dingen, bewnders. wenn sie ickoa sünsundsünfzig Jahre lang in die Welt gelugt haben. Auch habe ich Tick oft genug oben in Teurem Zimmer auf- und ablaufen hören, das thut in Deinen Jahren auch nur Einer, der Herzenskummer hat. Doch was ist nun die Neuigkeit?" »Ich bewundere Dich. Tante Liese! Doch hör' zu. Alles hat sich auf geklärt, Agnes ist damals getäuscht und betwgen worden, ihre eigene Mutter hat einen Brief, den sie damals an mich geichrieben, unterschlagen und hat sie überredet, den Baron zu nehmen, und da sie nichts von mir gehört und geglaubt, ich habe sie verlassen, ist sie dem Rath der Mutter gefolgt. Doch wir haben uns wiedergefunden, haben uns ausgesprochen und Alles ist wieder im alten Gleise." »Und der Baron?" »Ja. da sitzt eben der Haken. Er überhorchte uns beute Abend, als wir eben uns darüber klar wurden, daß nur ein böses Mißverständnis geherrscht, er muß durch irgend etwas eifersüchtig geworden sein, es kam zu einer heftigen Scene und ich habe schließlich das Gut verlassen, mit der Ankündigung, daß ich nicht wiederkommen würde." »Und war das Alles? Seid ihr nicht handgreiflich geworden?" »Nein, Tante, das nicht. Aber es ist doch selbstverständlich, daß Agnes nun nicht mehr unter seinem Dache zu leben gedenken wird. Sie hat heut' erst erfahren, wie schmählich sie hintergangen worden ist und sie hat es ihm in'S Gcncht gesagt, daß sie ihn verlassen will. Erst nur noch Emsts völlige Genesung will sie abwarten. Wohin sie sich dann wenden will, weiß ich nicht. Sie hat ja eigentlich Niemanden aus der Welt, zu ihier Mutter kann sie unter diesen Umständen nicht gehen. Auch weiß ich nicht, ob der Baron nicht arge Verleumdungen über sie ausstreuen wird. Ich gebe Dir mein Wort. Tante, nichts ist geschehen, dessen wir uns zu schämen brauchten, ich habe sie geküßt, wie ich das schon als Kind gethan, nichts weiter l Immer hin. die Leute werden vielleicht dem Schurken von einem Manne Glauben schenken und Agnes die Thür verschließen. Und da dachte ich, ob im Falle, Agnes käme zu Euch —" »O. ich verstehe Dich, Richard I Du willst, daß wir sie hier bei uns auf nehmen?" »Im Fall sie keinen anderen Zufluchtsott weiß. ja. das ist es, wamm ich Dich bitten möchte. Wenn sie hilseflehend zu Euch kommen, wenn die Welt sie vielleicht zurückstoßen, verachten sollte, wegen einer That, die sie nie begangen, dann ihr Schutz und Unterkunft zu gewähren, das ist meine Bitte. Du bist stets so gut und lieb gegen mich gewesen, nicht war. Du erfüllst mir auch diesen Wunsch, komm', versprich es." „Will sie sich denn scheiden lassen?" »Darüber haben wir noch nicht gesprochen." antwortete Richard aus weichend. »Im Himmel ist ihre Ehe sicher nicht geschloffen gewesen und wenn sie die löst, eine Sünde ist es nicht. Aber das hat überhaupt nichts mit meiner Bitte zu thun. Ich frage nur, wenn sie. eine Unglückliche, zu Euch kommt, werdet Ihr sie dann verstoßen?" »Nein. Richard, sicher nicht. Von unserer Schwelle ist noch nie eine Bedürftige unbefriedigt weggegangen. Ich will es Dir versprechen, mein Möglichstes zu thun, um ihr beizustehen. Aber der Vater?" »Auch er wird barmherzig sein. Wenn Du ihm sagst, daß eS mein einzigster Wnusck ist, dann wird er es schon nicht abschlagen, auch wenn ü selbst nicht da sein sollte. Wenn Du mir zu helfen versprichst, dann bin v schon beruhigt." . -Du weißt, daß ich Dir nichts abschlagen kann, mein Herzensiunge. wiw zwar viel staub aufwirbeln, wenn Frau von Buchow ihren Maun ver läßt und in s Pfarrhaus zieht, aber der Sturm wird sich wohl wieder aus- toben und schließlich kann es ja uns beiden alten Leuten nichts anthun, wenn man unser Handeln nicht eben billigt. Aber wirst Du denn nicht unter dem Allen leiden?' »Tante, meine Liebe zu Agnes gebt über Alles. Wenn ich zu leiden habe, dann geschieht es ihretwegen. Was auch geschehen möge, wer mich kennt und wer mich lieb hat. wirb keinen Stein aus mich werfen, ich Hab' ja nichts Unrechtes gethan. Doch es ist schon spät geworden, ich denke, ich macke mich auf den Weg." Damit stand er aus und zog seinen Ueberrock wieder an. „Nochmals meinen herzlichsten Dank. Tante Liese, für Dein Ver sprechen. Wollen's hoffen, daß sich Alles noch zum Besten wendet." »Wollen's hoffen. Richard! Geh' niit Gort, komm' wohl stach Hause." „Dank Tante I Gute Nacht und grüß' mir den Vater!" Damit verließ er das Haus. Noch einen Blick warf er hinauf nach dem Zimmer, wo sein Vater schlief, noch einen Blick hinüber nach den, Kirchhof, wo die Mutter ruhte, dann schritt er aus. Es war Richard leicht zu Muthe, nun wußte er Agnes auch auf alle Fälle geborgen. Und es war ihm lieb, daß er nichts von dem bevorstehenden Rencontre hatte zu sagen brauchen. Wenn es vorbei und er seine Liebe mit dem Tod besiegelt, dann würde die gute alte Tante Liese seine Sorge um Agnes' Zukunft erst recht verstehen und ihm zu Lieb seinen Schatz treu behüten. 25. Kapitel. Auch im Herrenhaus war noch Licht. Wie es wobl dort austah? Was mochte wohl gcichehcn sein, unmittelbar nachdem er Las Zimmer verlassen ? Ob der Baron sein gemeines Schimpfen fortgesetzt, ob er weitere Beleidig ungen aus Agnes gehäuft? O. wenn er doch an ihrer Seite hätte bleiben dürfen! Oder ob ne allein war, ob sie am Bette ihres Kindes wachte? Wie mußte auch sie leiden unter den Aufregungen des heutigen Abends! Sie hatte ja gehört, wozu der Wortwechsel geführt, sie wußte, was beoorstaiw, bald würden sich die beiden Männer mit der tödtlichen Waffe in der Hano aegenüberstehen, die beiden Männer, von denen der eine sie besaß, der andere Ire zu besitzen trachtete. Tenn das war >a eigentlich für ihn der Zweck des Duells. Im ehrlichen Kamvfe wollte er sich das Weib erkämpfen, das zwar dem Gesetz nach letzt jenem gehörte, das ihm aber ent durch Tücke und Hinterlist entrissen worden war. Es war ein blutiger Emst sin ihn, wer dürste ihn darob verdammen? Wenn er sich in eine bisher glückliche Ehe gedrängt, wenn er das Glück einer Familie zerstört, wenn er eine liebende Gattin durch Ueberredungskunst und Schmeicheleien dem Mann entfremdet, nie würde er daran gedacht haben, den Gegner wirklich auf's Korn zu nehmen, im Gegentheil, es würde seine Pflicht gewesen sein, ohne Zucken die Brust dem Rächer seiner Ehre als Ziel zu bieten und leine eigene Kugel in die Lust zu jenden, hier aber war er Derjenige, der Rechenschaft zu fordern hatte, ihm hatte der Baron sein Liebstes entwendet, durch Betrug hatte er sie zum Weib gewonnen und in unglücklicyen Ehefesseln schmachtete sie. er war es, der Genugthuung zu verlangen ein Recht hatte und nur über die Leiche des Barons hinweg konnte er zu seinem Ziel gelangen, konnte er Agnes wieder gewinnen. Ob er es erreichen werde? Es war schon oft vorgekommen, daß ein geübter Pistolenschütze von der Kugel des unerfahrenen Gegners nieder- gestreckt wurde, warum sollte es nicht auch ihm gelingen. Seine Hand war doch sonst sicher, wenn sie das chirurgische Messer führte, warum sollte sie zittern im entscheidenden Kampfe aus Leben und Tod? Aber selbst wenn er den Gegner überwand, würde dann Agnes sein werden? Warum nicht. Wer sollte ihn daran hindern? Etwa die Leute, die Welt? Er würde schon dasür sorgen, daß dann die Wahrheit aufgedeckt würde, daß Jedermann er führe. wie Alles gekommen, im schlimmsten Falle konnte er sich auf Ottos Zeugniß berusen. Nein, jeder rechtlich denkende Mensch maßte ihm Beifall rollen, seine Zukunft würde eine friedliche sein. Nur eine Person existirte, die ihm einst einen Vorwurf machen könnte. Emst, der Sohn des Barons, dessen Stiefvater zu werden er beabsichtigte. Aber auch der Gedanke schreckte ihn nicht. Er wollte ihn schon so aufziehen, daß er mit Liebe an ihm hing, an ihm, der ihm soeben erst das Leben gerettet. Und wenn das Kind einst ein Mann geworden und ihn zur Rede stellen würde ob seiner That, dann würde er ihm Alles erzählen, würde ihm sagen, wie es gekommen, was er von Buchow's Hand gelitten und wie das Schicksal entschieden hätte für ihn — gegen den Baron! Das Dunkel des Waldes hatte längst Richard ausgenommen. Er hatte auch jetzt einen schmalen Waldweg gewählt, der eine große Kurve der Landstraße abschnitt. Eben jetzt erreichte er die letztere wieder. Der Mond war bereits untergegangen, doch Millionen von Stemm leuchteten vom Firmament her nieder und erhellten die Straße genügend. Er schritt rüstig vorwärts. Es war still um ihn her, nur hier und da raschelte es im Moose oder das Geschrei eines Käuzchens und der Flngelschlag eines aufgescheuchten Vogels wurde hörbar. Dock halt! Was war das! Klang das nicht, als käme Jemand zu Pferde die Straße daher? Er blieb stehen und horchte. Ja. er tüuichre sich nicht, durch die Nacht hörte er deutlich Pferdegelrappel, das näher kam. Wer mochte so spät wohl noch unterwegs sein? Wie ein Blitz durchfuhr es ihn, Buchow! Er war wahrscheinlich noch nach Laupa geritten und jetzt kehrte er zurück. Niit chm zu dieser Stunde zusammenzutreffen, daran lag Richard nichts. Rasch sprang er über den Straßengraben und trat in den Schatten der Bäume. Das Geräusch kam näher, es war ein Pferd, er konnte deutlich die Tritte unterscheiden. Es schien in größter Eile zu sein. »Wenn es der Baron ist, dann hat er seine Ruhe noch nicht wieder erlangt, wie ich," dachte Richard. »Was der wohl thun würde, wenn er Dich plötzlich sähe?" Dann blickte er scharf vorwärts. Unweit von ihm machte die Straße eine Biegung, weiter konnte er noch nicht sehen. Richtig, jetzt bog ein Pserd um die Ecke, jetzt wurde es sichtbar. »Sonderbar, welch' rasender Lauf." Es kam näher und näher, schon hörte er das heiße Schnauben, das aus dm Nüstern brach, die Hufe hallten vom harten Boden wider. Jetzt war es dicht vor ihm. in vollster Carrisre sauste es vorbei, aber — die Steigbügel flogen klatschend an die Flanken, der Sattel war leer, es war reiterlos I Im M war es vorbei, wie betäubt, erstarrt schaute Richard dem davonjagenden Rosse nach. Belletristische Beilage zu de« »Dresdner Nachrichte»-. Seite 378. »Großer Gott, was soll das heißen?" flüsterte er. »ist das des Barons Pserd oder jemandes Anderen? Gleichviel, da ist ein Unglück vajsitt. Der Retter muß gestürzt sein. Wer es auch sein mag, ich muß schm, ob ich helfen kann." Und mit einem Satze war er wieder auf der Strafe. Mit der Rechten fühlte er nach, ob er seine kleine Verdandtasche bei sich trug. Dann eilte er vorwärts in der Richtung, woher das Pferd gekommen. Vorsichtig spähte er bald rechts, bald links, bisweilen blieb er stehen und lauschte, ob er nicht ein Stöbnen oder irgend einen Laut hörte, der ihm die Stelle verrieth. wo der Unglückliche lag. so war er wohl fünfzehn Minuten weitergeeilt, der Hufschlag des Pferdes war längst in der Ferne verhallt, da sah er unweit von sich einen großen schwarze» Gegenstand dicht am Straßengraben liegen. So raich er vermochte, eilte er hinzu, es war ein Mensch. Das Gesicht war dem Boden zugekehrt, eine Blutlache war rings um den Kopf, der noch von einer weichen Neitmütze bedeckt war. Richard beugte sich nieder, kein Laut war zu vernehmen, nur sein eigenes Herz klopfte laut und stürmisch. Er drehte den Körper um. seine Benmtthung war richtig, es war der Baron. Eutsent starrte Richard ihn an. Im fahlen Licht der Sterne waren die Züge nur ickwer zu erkenne», aber er täuschte sich nicht, er war es. tvdt. Er suhlte den Puls, kein Schlag war mehr zu entdecken, er hielt die Hand an den halbgeöffneten Mund, kein Hauch kam ihm über die Lippen, die Finger waren bereits erkaltet, steif. Richard war tief erregt. Offenbar hatte das Pserd hier vor irgend etwas gescheut und der Baron war gestürzt, er mußte dabei heftig auf den Boden oder auf einen Prellstein anigeschlagen sein, denn die linke Kopfseite mar ihm zerschmettert, fast bis zur Unkenntlichkeit. Doch was war nun zu thun? Sollte er zurücklaufcn nach Burgdorf und das Gut alarmirm ? Doch dann mußte er ihn hier liegen lassen in der einsamen Nacht, seine Gefühle sträubten sich dagegen. Vielleicht würde jemand Anderes noch dem rasenden Pferde begegnet sein, vielleicht auch Dieser oder Jener erwachen von dem Gcränich, das der Gaul machen mußte, vielleicht auch hatte er den wohlbekannten Weg zu seinem Stall eingeschlagen und würde so die Kunde von dem Ungtnck nach Burgdorf bringen. Ec beschloß, auf jeden Fall hier zu bleiben und dem neuen Tag entgegenzuwarte». in aller Frühe kamen jedoch Milchwagen und andere Geichirre des Weges daher, dann konnte für eine Ueberführung der Leiche rasch Zorge getragen weiden. Wie doch das schickwl seltsam es fügte. Noch vor ein paar Stunde» hatte er ihm gegenüber gestanden im heftigsten Streit, noch vor wenigen Minuten hatte er sich fest vorgenvmmcn, den Gegner nicht zu schonen, ihm, wenn möglich, über den Hansen zu schießen, und jetzt — jetzt hielt er an seiner Leiche die Todtenmacht. Aber bei allem Grauen empfand Richard doch ein Gefühl unendlicher Erleichterung. Er gestand es sich letzt, wie auch der Ausgang seines Zweikampfes mit ihm hätte sein mögen, es wäre doch stets ein Schatten aus seinem Leben gewesen, stets würde die Erinnerung an ihn zwischen ihm und Agnes gestanden haben! »Gott sei Dank!" flüsterte er vor sich hin, »daß mir das erspart worden ist. Das Schickiai hat entschieden, meine Hand ist rein von seinem Blute. Nun wird wohl Alles sich zum Beilen wenden!" Er mochte woh! eine Stunde so gesessen haben, als er plötzlich am anderen Ende der Straße einen Lichtschein bemerkte. Er konnte deutlich einen langsam fahrenden Wagen unterscheiden, dem Männer mit Laternen und Fackeln zur Seite gingen. Suchend lind prüfend schauten sie umher. „Ah." dachte Richard, »meine Bermuthung ist eingetrosfen, man hat das rciterloie Pferd bemerkt." »Hierher Leute," ries er dann, als er die Männer in Hörweite «»gekommen wähnte, »hier ist Der, den Ihr sucht!" Die Angerusenen stutzten einen Augenblick, dann eilten sie herbei. Es war der Herrschaftswagen von Burgdorf und Friedrich, der Diener, niit einigen Knechten. „Herr Doktor!" sagte Jener, sobald er Richard erkannt. ..Haben Sie den Baron gefunden?" „Jawohl. Friedrich! Hierliegt er! SchonübereineStundewacheichbeiihm!" „Ist er schwer verletzt? Haben sie schon nachgeseüen, Herr Doktor?" »Es ist nichts mehr zu thun. Friedrich. Er ist totst!" „Totst?" murmelte Jener entsetzt. »Wie schrecklich!" „Geben Sie mir 'mal 'ne Laterne!" wandte sich Richard jetzt an einen der Männer, die ihn umstanden. Dann leuchtete er dem Tobten in's Gesicht. Es war kein Zweifel, der Tod mußte augenblicklich eingetreten sein. Es war ein grausiger Anblick, die ganze linke Seite des Kopfes war eine blutige Masse, die Ncne und der Oberkiefer waren tief eingeschlagen, das linke Auge ganz aus seiner Höhle gerissen. »Schauderhast!" sagte einer der Knechte. »Ein Pferdcschlag mit dem Eisen!" sagte ein Anderer leise. »Ja. das wird's wohl gewesen sein!" meinte Richard, ein einfacher Sturz kann unmög lich solche Zerstörung anrichten! Habt Ihr eine Decke mit oder so etwas Aehnlichcs?" »Ja, eine Pferdedecke!" »Gut, da wickeln wir den Köcher hinein. Und dann mag Jemand das Kutschdach Zurückschlagen, damit wir mehr Platz haben, Sie. Friedrich und ich wollen uns hineinsetzen und die Leiche halten." Und sie stiegen in den Wagen, dann hob man den Köcher hinein, sie legten ihn quer herüber, Friedrich hielt die Beine, in Richards Schooß lag der umwickelte Kopf. Langsam fuhr das Gefährt zurück. »Weiß die Frau Baronin schon, daß ein Unglück passirt ?" ftug Nivard leise, nachdem sie eine kurze Strecke gefahren. „Sie denkt es sich!" enkgegnete Friedrich in demselben Ton. „Als der Hans ohne Reiter schweißbedeckt auf dem Hof erschien, da ahnten wir Alle Schlimmes. Die gnädige Frau war noch wach und ich theilte ihr unsere Befürchtung mit. Sie ließ sogleich die Schwester rufen und besprach sich mit ihr. Dann schickte sie uns aus, um den gnädigen Herrn zu suchen." ..Und wenn Ihr ihn allein gefunden hättet, hatte die gnädige Frau irgend Welche Bestimmungen getroffen, was dann geschehen sollte?" »Ja. sie sagte, wenn er am Leben, aber verletzt sei. dann sollte ich einen der Knechte nach Laupa schicken, um entweder d«n Herrn Doktor oder den Herrn Medizinalrach zu holen, zuerst sollte er zum Herrn Mttnzinalrath gehen." Den Rest der Fahrt legten sie schweigend zurück. Als man endlich das Gut erreichte, war das Portal bell erleuchtet. Die zurückgebliebenen Knechte und Mägde standen davor und schwanken. Als der Wagen langsam einfuhr. legte sich eine tiefe, erwartungsvolle Stille ans die Umstehenden. Die Schwester allein tmt vor an den schlag. »Haben Sie ihn gefunden, Friedrich?" flüsterte sic teile. »Ab. der Herr Doktor!" als sie Richard erblickte, »wie steht es? Ist er schwer verletzt?" »Er ist todt I" gab Richard eben so leis zurück. .Wir bringen nur seine Leiche!" »Großer Gott I Todt?" »Er muß vom Pferde gestürzt sein. Sehen Sie, ob Sie das Gesicht etwa- reinigen können, er siebt grauenhaft aus. Wo ist die gnädige Frau?'' »Oben an der Trcpve steht sie." »Ich gehe, sie vorzudereiten,' fuhr Richard sott. »Hatten Sie schon daran gedacht, im Falle er todt sei. was zu thun?" „Wir hatten in seinem Schlafzimmer ein Lager bereitet, ich denke, wkr legen die Leiche einsNveilen dahin." »Ja. lassen Sie das thun, ich gehe voraus." Oben an ihrer Thür lehnte Agnes. Bleich aber ruhig sah sie über dle Ballustrade herab, im Falle man ihr den Gatten schwer verwundet heim« brachte, wollte sie ihre Pflichten erfüllen, wenigstens Io lange sie seinen Namen trug. Aber überrascht blickte sie auf. als sie Richard erkannte. »Sie bier, Herr Doktor?" fmg sie halblaut, »haben Sie schon gehört, was geschehen. Wo kommen Sie her?" »Er ist todt, Agnes!" flüsterte Richard, „unser Streit ist zu Ende, eia Höherer hat sein Machtwort aejprochen!" »Wie fandest Du ihn?" frug Agnes ebenso leise. »Ich 'war bis nach elf Uhr im Pfarrhaus geblieben. Dann machte ich mich aus den Weg nach Laupa: als ich eben den Waldweg verlasse und die Straße erreiche, begegnet mir ein herrenloses Pferd, das in der Richtung nach hier lief. Ich eilte die Straße hinab, bis ich ihn fand. Er war todt. Er schwieg still, eben begannen die Männer den schweren Körper, der noch immer in der Decke eingewickelt lag. die Treppe herauf zu tragen. Schaudernd und doch von einem Gefühl unendlicher Erleichterung lehnte sich AgneS an Richard an. „Was gebt hier vor?" sing plötzlich eine Stimme dicht hinter ihnen. Es war Frau von Tillmann. die. durch den Lärm aufgeweckt, vom oberen Geschoß henintcrgekoiluiie» war. »Günther ist verunglückt, vom Pferd gestürzt» Mutter, man bringt ihn eben nach seinem Zimmer." sagte Agnes keile. „Günther? Verunglückt? Und da hast Du den Doktor Harrig holen kaffen?" srug erregt Frau von Tillmann, die soeben den neben ihr stehenden Richard erkannt hatte. »AgneS! Wie kannst Du so unschicklich sein. Nach dem. was heute Abend pai»rt, Günther wird sich schwer beleidigt fühlen!" »Der Herr Baron von Buchow hat keinen Arzt mehr nöthig, er steht vor einem höheren Richter I" sagte Richard ernst. Jetzt war cS an Frau von Tlllmaun, entsetzt aufzublickeu. Erbleichend starrte sie AgneS an. »Was ist das ? Um Gottcswillen, sprich. AgneS! Todt?" rief sie laut aus, „ist er todt?" .Zta. Mutter, eS ist so! Soeben bringt man seine Leiche herauf I" Frau von Tillmann war wie betäubt von der Nachricht. Sie konnte die Wahrheit zuerst nicht fassen. »Todt!" wiederholte sie em paar Mal halblaut vor sich hm. »Und wie fft es denn geschehen?" fmg sie dann mit einem scheuen Seiten blick aus Richard, »was ist denn die Ursache dieses TodeS?" „Der Hans kam auf den Hof gelaufen ohne ihn, man rief mich und ich schickte Leute ans, um ihn zu suchen I" »Und?" »Sie fanden ihn auf der Lanpaec Straße. Doktor Harrig wachte bei ihm I" »Ah. Doktor Harrig wachte bei ihm?" brach letzt mit einem Male ,>rau von Tillmann rückstchtslos hervor. »Dachte ich mir'S doch, daß er seine Hand im Sviel gehabt!" „Frau von Tillmann!" „Mutter!" Agnes und Richard hatten es gleichzeitig cnlSgerufen. Doch Frau von Tillmann fuhr unbeirrt fort. „Leichtgläubiges Ding, siehst Du denn nicht. waS für ein Märchen Dir er ausaebunden hat? Hinweg von ihm. dem Mörder!" Wäre unter die Anwesenden eine Bombe eingeschlagen, die grenzenlose Bestürzung und Verwirrung hätte kaum anders sein können. Todtenstille herrschte im Raunt, die Männer hatten ihre Last niedergcietzt. scheu, un schlüssig ließen sie ihre Blicke ans Frau von Tillmann. aus AgneS und von Agnes auf Richard schweifen. Richard war todtenblcich geworden unter der ungeheuerlichen Anklage, die ihm hier vor den versammelten Dicnsllcuten in'ö Gesicht geschleudert wurde. „Frau von Tillmann I Wie können Sie das wagen, wozu verstehen Sie sich!" kam es endlich abgerissen über seine Lippen. »Mutter! Wie kannst Du so etwas Fürchterliches behaupten," ries gleich zeitig entsetzt Agnes aus die »och immer an Richard's Seite stand. „Wie ich so etwas sagen kann,' siel ihr Frau von Tillmann in'» Wort, „wie ich so etwas sagen kann? Ist es denn nicht sonnenklar? Habe» wir denn nicht selbst gehört, wie er Günther heut' Abend beschimpft hat. wie sie in Streit auseinander gegangen sind? Das wäre doch ein sonderbarer Zufall, wenn Dein Gatte gerade heute Nacht vom Pferde aefallen und gerade heute Nacht ihn der Herr Doktor als Leiche gefunden. Nein, Angst hat er gehabt vor dem Duell, er bat gewußt, was ihm bevorstand, wenn er Günther negenübertreten würde und da hat er lieber ihn anfgelauert und ihn erschlage». Ein Mörder ist er, ein gemeiner, feiger Mörder. Aber wir werden cS nicht dulden, daß sie ihrer Strafe entgehen, Ihre Lügen werden Ihne» nicht» helfen I" (Forist-»ng Sonntag.)
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