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71. Jahrgang, 18 dcr !»N »INwoch, IS. Januar 1«? Gegründet 18S6 LradlanIchrM: »achrtchi«, «r«»« g»rn,pr»ch«k-S<unm,tnumm«r. S»S-»l Nur >ür va»>a»IprLch«: SV 011. B-zugs.G-bühr WL:L!^»L7.-!LN «LM: KiL«.S.' a >»,»«»»«»»» >» rvW» SchrtM»tw«a und Lou,,g»ichLft»>I«ll»: »art«.I«ra >» SS a-i Drrut« u. Bering von t»«plch » Br,ch«r»I m Dr—d-v. P»NIche<t>-^on,o 1OSS Dr«»»«u Naiiidru» nur mn v»u.„ch»r vu-ll-nan-ad» .Dr»,on»r 4,a»r - wIMIi». Unvrrlannl» Sa>rMNUU>» wrr»»n n,»> -u>d»wadN. Automobil ^epsraturverkslsttu -Vertned 0r. Nsns Ssfksrcll k»Is«L S - Nu»: ,7197 HM wieder Ministerpräsident. Ein Kabinett der Mittelparteien mit Unterstützung der Deutschnationalen. Die Derhan-lungen Curlius' mit den Parteiführern. — Neue Uebersiille französischer Vesahungssol-aten. — Der Darmal-Prozeß. Kabinettsbildung unter Druck. Mit tu gegen 48 Stimmen bei zwei Enthaltungen ist der bisherige sächsische Ministerpräsident Heidt zum Chef des Ka binetts gcivähli worden, das die Parteien von den Demokraten bis zur Wirtichastöpartei ei,«schlickt und das fürs erste bei de» Deutschnationalen Unterstützung sinde» wird. Die NachmittagS- verhandliingcn des Sächsischen Landtages habe» damit ein Er gebnis gezeitigt, das man noch in den ersten Nachmittags,'tnn- den nicht sitr möglich gehalten hätte. War es ein Sieg? Viel leicht insofern, als eine Lösung gefunden wurde, die das ver hinderte. ums In Sachsen nicht wieder eintreten darf, wenn nicht alle Aufbauarbeit wieder eingcrissc» werden soll: eine erneute Herrschaft der Linkssoztalisten und Kommunisten Aber man wird sich vermutlich noch lange darüber streiten, wer eigentlich die Sieger sind. Ter Kommunist Böttcher wukte cs sofort. „Die Dentschnationalen sind die Sieger auf dcr ganzen Linie" verkündete er lauf bin Landtag. Bei den Dentsch nationalen wird man wohl anders darüber denken. Tie waren bisher fast die einzigen, die ans staatspolitischem Bcr- antwortungSbemuktscin Opfer gebracht haben, die unbedingt bis an die Grenze des für sic überhaupt Möglichen gegangen sind, und cö wird Kritiker genug geben, die diese Grenze bereits für überschritten halten. Sie haben damit ein Staats- verantwortnngsbewukt'sein an den Dag gelegt, das von keiner sächsischen Partei auch nur annähernd erreicht, geschweige denn Übertrossen werden kann. Am allerwenigsten von den Alt sozialisten die durch ihre übertriebenen Forderungen in bezug an! Ministersihc die künftige NcgicrnngSkoalilio» in ihre heutige lehr bedrängte Lage hincinmanövriert und bei den Tcuischnntionalc» eine nur zu berechtigte Atmon's'ärc des Arg wohns und Mißtrauens hervorgerusc» hatten. Sie tragen die Verantwortung an der Zuspitzung, die die lllegierungsbildnng in de» letzte» Tagen erfahren batte. Und ihr Abgeordneter Bcthke mag sich einmal klar machen, wie leicht die manchmal angebrachte taktische Spitzfindigkeit, mehr zu fordern, als man erreichen will — die Altsozialisten hatten bekanntlich drei Mi- nnterntzc gefordert, sollen jedoch zwei erhalten —. zu einer illonalcn -Handlungsweise werden kann, die das Gesamtziel in höchste Gefahr bringt. Das, diese Gefahr „och im letzte» Augenblick vermieden wurde, ist einzig und allein der st-aatS- politischen Haltung der Dentschnationalen zu verdanken, die die Hauptlast des Kampfes tragen, die aber trotz allen un erschrockenen Willens zu positiver Arbeit niemals so weit hätten gehen können, wenn sie sich nicht in der drückendsten Zwangslage befunden lstitten. durch ihre Haltung — gewiß »ich, die alleinige — wohl aber die Mitverantwortung dafür zu übernehmen, daß Sachsen ein linkssozlalistisch-koinmu- msti'ches Kabinett Meißner erhielt. Daß es zu diesem Entweder-Oder kam. ist die Folge der rech, eigenartigen Taktik der Bolksrcchts-sAufwcrtungs-s Partei die bekanntlich in dcr ersten LandtagSsitznng am Dienstag den Antrag gestellt und mit Hilfe dcr Linken durch- gcdrückt hatte, daß noch am gleiche» Tage ein zweiter Wahl gang staltsinden sollte. Sie haben damit gewiß die Ent scheidung io beschleunigt, daß nach fünffachen vergeblichen Be. mühnngcn endlich die Kabinettsbildung gesichert werden konnte. Aber sie haben cS mit den Ziele» ihrer Partei für vereinbar gehalten, für den Fall dcr Richtet,ilgung der bürgerlichen Parteien, die Stimmabgabe für Meißner in sichere Aussicht zu stellen. D-as war keine leere Drohung aus taktische» Gründen: denn hinter ihr stand die feste Ent schlossenheit. diese Drohung wahrznmachc» und damit die »raste dcr Zersetzung und des Klasscnkampscs ans Kosten dcr Gesamtheit t» den Sattel zu heben. Das muß festgestcllt werde», wenn man die gestrigen Vorgänge im Landtage ge recht werten will. Daran wird man aber auch nicht vorübcr- gcbcn dürfen wenn man über die Aussichten des neuen Kabinetts. das im allgemeine» wohl de», bereits bekannt- gegebenen Kabtnettsvorichlag dcr Mittelparteien entsprechen durste, klar sehen will. Ob das letzte Wort über die endgültige Zusammensetzung des Kabinetts bereits gesprochen worden ist. ist im Augenblick noch nicht genau z» übersehen. Es dürsten wohl bei der über stürzte» Einigung »och Besprechungen dcr Kvalittonsparteie» mit de» Dentschnationalen folgen. Wesentliche Acnderungen sind allerdings vorderhand nicht zn erwarte», wen» es auch als selbstverständlich angesehen werden kan», daß die Dcutsch- netionalcn nicht ohne Konzessionen dcr KoalittonSpartetcn ihre Zustimmung zur Wahl des Ministcrprästdcntcn gegeben habe». Mag man cö begrüßen, mag man befreiend aufatmen, daß tetz> endlich die ewigen. Sachsen tm ganze» Reiche lächer lich machenden Leerläufe der Ministcrpräsidcntcnwahlen ein Ende haben, eine Ideallösung sicht anders a»Sl Das neue sächsische Kabinett dcr Mitte ist ein Mind^rhcitSkabtnctt mit allen den aus dem R«ich- und aus sächsischen Erfahrungen heraus zur Genüge bekannten Mängeln — und noch einigen Mängeln darüber hinaus. Denn außerhalb des Kabinetts stehen nicht nur die Deutschnationalen, außerhalb stehen auch die beiden Nationalsozialtsten und die vier Abgeordneten der Volksrechtspartei. Man sicht: die Rolle des Züngleins an dcr Wage ist ein begehrter Platz in den sächsischen Parteien. Ursprünglich hatten sie die vier Alksozialistcn tune, die sich nach rechts oder »ach links schlagen und damit die Entscheidung »ach der einen oder andere» Seite hcrbciführen konnten. Sie sind letzt durch ihre beiden Ministcrposte» an die Regierungö- koalitivn gebunden. Ihren Platz aber haben die vier Volks- rechtlcr und die beiden Nationalsozialisten eingenommen. Und diese beiden Parteien, die schon dadurch, daß sie ihre Plätze neben der Linken beansprucht haben, gewisse Linksnetgungen znm Ausdruck habe» bringen wollen, bilden die heute noch recht »»sichere» Faktoren, von denen das künftige Kabinett abhängt. An der rein staatspolitischen Haltung der Dcutschnatio- nalen ist nach der unerwartet weitgehenden Entsagung, die gestern zutage getreten ist. nicht eine» Augenblick zu zweifeln. Insofern ist die Haltung dcr Dentschnationalen in Sachsen sogar ein lehrreiches Beispiel für die Linkspolitiker des Zen trums im Reiche, die noch immer mit Lügen über eine mangelnde staatspolitische Einstellung der Deutschnationalen krebsen gehen. DaS sächsische Kabinett dcr Mitte braucht aber für seine Vorlagen außer de» Dentschnationalen noch die vier Volksrechtler oder die beiden Nationalsozialisten. Die letzteren haben gestern im Landtage weiße Stimmzettel abgegeben. nachdem sie bereits zu den letzten interfraktionellen Verhand- lungen nicht mehr erschienen waren. Sie stehen also dem neuen Kabinett abwartend gegenüber. Tic vier Volksrechtler aber haben, obwohl offenbar zur Koalition gehörig, mit ihrer gestrigen Entschlossenheit, unter Umständen sogar für einen Flcißner zu stimmen, eine Probe politischer Zuverlässigkeit abgegeben, die für die Zukunft des Kabinetts höchst bedenk lich stimme» muß. Es ist darum schwer zn verstehen, daß man in der Koalition nicht alles anfgeboten hat, die VolkSrechts- partciler durch ein Ministerium — wie wäre es mit dem Finanzministerium? — a» die Regierung fest zn binde». ES ist ein offenes Geheimnis, daß bei einem Teil dieser Fraktion unverkennbare Tendenzen nach links bestehen, die unter Um stünde» noch manche Schwierigkeiten erwarten lasten. Eine spätere Erweiterung dcr Regierung nach links wie vor allem auch nach rechts wäre darum vielleicht dcr beste Weg. zu einer Regierung zu komme», die mehr Aussichten zu reibungsloser sachlicher Arbeit bietet als die jetzt in Aussicht genommene. Man wird gewiß abwartcn müssen, wie die neue Regierung arbeitet. Wenn man auch die Augen vor ihren Mängeln nicht verschließe» kann, so wird man, wie die Dinge liegen, doch zugeben können, daß sie bei der Einstellung dcr Parteien im Augenblick die einzig mögliche ist. Daß sie mangelhaft ist — das muß einmal gesagt werden —, ist aber nicht so sehr die Schuld der Parteien, die man vor ungeheuerliche Aufgabe« gestellt hat. sondern ist letzten Endes die Schuld dcr Wähler, die ihre Stimme» so wenig nach staatSpolitischcn Gesichts punkten abgegeben haben. Die enlschei-en-e Abstimmung. Dresden, den 11. Januar 1927. Dcr auf 4 Uhr festgesetzte Beginn der neuen Sitzung ver zögert sich um eine halbe Stunde. Präsident Schwarz eröffnet die Verhandlungen und äußert, daß aus der Tagesordnung stehe: „Fünfter Versuch zur Bildung einer Negierung."' tHeitcrkctt.) Abg. Renner (Komm.) wendet sich dagegen, daß angeblich eine Ansammlung von Arbeitslosen vor dem vandtagsgcbäudc von der Polizei anSeinandcrgctricben worden lei. Präsident Schwarz betont, daß er von dem Vorgänge vor dem Landtagögcbäudc nichts wisse, und daß über den Antrag heute nur abgestimmt werden könne, wenn niemand wider spreche. Ta Widerspruch erfolgt, kann dcr Antrag erst in der nächsten Sitzung beraten werden. Darauf wird zur Wahl des MinlskerprSsidenten geschritten. Abg. Böchcl (Soz i schlägt den Ministe« a. D. Flciß- ncr vor. Andere Vorschläge werden nicht gemacht. ES werden 9» Stimmzettel abgegeben. Davon erhält Hcldt 49 Stimmen. Flcißner 43 Zwei Zettel sind unbeschrieben. Präsident Schwarz er klärt. daß Held» zum Ministerpräsidenten gewLhlt sei. sZurufc während dcr Verlesung der Stimmzettel. Der „Krug" ist wohl zerbrochen? Der ist zum Brunnen ge gangen.) Die Verkündung des Wahlergebnisses wird mit Pfuirufen aus der Tribüne begleitet. Der Präsident verwarnt die Be sucher erst, nachdem er von bürgerlicher Seite darauf hin- gcwicsen worden ist. AIS der Abg. Böttcher lKvinin.) das Wort zur Geschäftsordnung bekommt und mit den Worten beginnt: „Die Wahl des AlhcitervcrräterS Held, . . ." ertönen ans der Tribüne Z». sttminnngörnse. Präsident Schwarz läßt daraufhin die Tribüne räumen und erklärt die Sistnng sür unterbrochen. Unter großem Lärme ziehen die Tribünenbcsncher ad. Abg. Böttcher (Komm.) protestiert nach Wiedereröffnung der Sitzung gegen die Räumung der Tribüne. Er erklärt: Die Wahl -cS Arbcttcrverrätcrö Hcldt sei das Ergebnis eines beispiellosen politischen Sch-achergcschäftS. Hcldt sei dcr Inptichc Vertreter des sächsischen Finanzkapitals. Seine Wahl sei die folgerichtige Fortsetzung der von der ADPD. be gonnenen und von dcr SPD. nntersttthten Bürgerblock. Politik. Die Dentschnationalen seien heute die Sieger ans dcr ganze» Linie. Hcldt sei ein Bnndesbruder der Schnwrz- Wciß-Rotcn. Al»g. Liebmann (Soz.) weist die Angriffe Böttchers auf den Präsidenten Schwarz wegen Räumung der Tribüne zurück. Sr lei sehr loyal verfahren. Dann wendet sich Lieb» mann unter großem Lärm der Kommunisten gegen den Abg. Böttcher. Dessen Vorwürfe seien der Ausdruck des Acrgers darüber, daß ihm infolge der zielklaren Haltung der SPD. in der Regterungsbildulvg die Felle davongeschw-oinme» seien. DaS neue Kabinett sei ein Kabinett des Verrats -er Arbeiter. Interessen. Herr Hcldt bestätige damit erneut, ivaS schon im Jahre 1924 gesagt worden sei: Das, das Kabinett eine Politik mache, wie sie von den Dentschnationalen nicht bester gemacht werden könne. Tie Answertungspartci sei jämmerlich um- gefallcn. Nach dem ersten Wablgairg büttcn die Herren seiner Fraktion erklärt: „Die Sache ist glatt. Wir werden Herrn Flcißner wählen." Die Regierung Hcldt werde die schärfste Gcgnersckxnt dcr Sozialdemokratischen Partei haben. Abg. Dr. Scyfert lDcm.) erbebt Einspruch gegen dies« Art der Geschäftsführung. Nach Erledigung der Wahl könne nur noch zur Geschäftsordnung gesprochen werden. Die Heiden letzten Rede» seien aber politische Reden gewesen. Das sei unzulässig. ... Abg. Göttling lVolksrcchtp.) erklärt, daß daS, was Lieb» mann über seine Fraktion gesagt habe, nicht wahr set. Dies« habe nach wie vor betont, daß sic mit den Altsozialisten »nd de» Deutschnationalen Hcldt wählen würde. Wenn Licb- mann ctivaS anderes sage, so sei das eine Lüge. sTer Präsident rügt den Ausdruck.) Abg. Licbmann lSvz.): Der Vorredner habe ein« ein seitige Darstellung gegeben. Abg. Tittmann lNatloz.) weist die Vorwürfe Böttchers gegen seine Fraktion zurück. Diese habe nicht für -Heidt gestimmt. Es folgt die Vereidigung des WinifierprSsidenlen. Als der Ncugcwählte den Saal betritt, wird er von der Linien mit Pfuirufen begrüßt. Die sozialdemokratische Frak tion verläßt den Saal. Präsident Schwarz nimmt die Ver eidigung vor, indem er dem Ministerpräsidenten die Worte nachsprechcn läßt: „Ich schwöre Treue der Landesverfassung.* Auch dieser Akt wird von den Kommunisten gestört. Böttcher ruft dem Ministerpräsidenten, während dieser die Eidesformel spricht, zu: Ich schwöre Treue dem Verbände Sächsischer Indu strieller. Der Präsident schlägt vor, die nächste Siftnng Dienstag, den 18. Januar, 1 Uhr mit der Tagesordnung „Entgegennahme dcr Regierungs erklärung" stattftndcn zu lasten. DaS HauS beschließt demgemäß, nach dem Anträge dcr Kommunisten, am Donnerstag den Auf lösungsantrag zu verhandeln, abgelchnt worden waren und die .Kommunisten ctnen MihtranenSantrag gegen Hcldt tn Aussicht gestellt hatten. Unzufriedenheit in Kreisen -er Wirlschafls- pariei? Dresden, 11. Januar. Ans sächsischen Wlrtschastskreisen erhält der Telnnion-Sachscndicnst eine Zuschrift, ans der her- vorgeht, daß die Kandidaten Wilhelm und Weber, die die Wirlschaftspartci sür die ihr znfallcnden Ministerposten in Aussicht genommen hat, keineswegs die Billigung der Wähler dcr Wirtschastspartet finde» würden. Die Wirt- schastskrcise Sachsens erwarten vielmehr mit aller Be stimmtheit von der Wirtschastspartet. daß sie namentlich für die Posten des ihr znfallcnden Wirtschaftsmintsteriums eine Persönlichkeit wählt, die selbst fest im Boden der Wirtschaft wurzelt und die «Fragen der Wirtschaft und die bestehenden und noch drohenden Schwierigkeiten zu be urteilen und einer Lösung cnigcgen-ufllhren vermag.