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Jer Handelsvertrag in Paris unterzeichnet. Die Zustimmung -er Aeichsregierung erfolgt. — Bokanowski nack Amerika abgereift. Sitzung »es Obersten Gerichtes über Sacco unt lSanzetli. - A«sschel»en deustchliberaler Senaloren aus dem Danziger Senat. Ein Kommunique in Vorbereitung. Paris. 17. August. Das deutsch-französische Handels- adkomme« ist heute vormittag 9 Uhr im französische» Handels- «iuistcrium unterzeichnet worden. Nachdem die ganze Nacht über verhandelt worden und ein grundsätzliches Abkommen zustande gekommen war, hatte die deutsche Delegation den endgültigen Abschluß des Abkommens von der Zustimmung der NcichSregterung abhängig gemacht. Diese Zustimmung ist im Lause des heutigen Vor mittags in Paris cingctrokse». DaS Abkomme» wurde darauf hin unterzeichnet. Ei» anosührlichcs Kvmmuniguö ist für die Mittagstunden in Aussicht gestellt worden. Handelsminister Bokanowski trat alsbald seine geplante Reise nach Amerika an. iT-.U.i Havas fügt seiner Bekanntgabe Hinz», die Unterzeichnung durch den Minister des Auswärtige», Brtand, und Bot schafter v. Hoesch würde sicher im Lause des Tages folgen. Der formelle Abschluß des Vertrages ist an sich als ein erfreuliches Ereignis zu buchen. Ei» sachliches Urteil ist aber natürlich erst möglich, wenn der Inhalt bekannt geworden ist. » Berlin, 17. August. Als die Handelsvertrags-Verhand lungen mit Frankreich im Jahre 1Ü24 ausgenommen wurden, hatte Deutschland gerade den katastrophalen Zusammenbruch seiner Währung nberstanden. Während der Verhandlungen erlebte Frankreich WähruugsstUrze. Erschwerend kam auch noch hinzu, daß Deutschland mit Frankreich niemals einen Handelsvertrag gehabt. Vom Jahre 1871 bis 1Ü14 waren die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern auf Grund deS Friedcnsvertrags von Frankfurt geregelt, der die b e i d c r s e i t i g c M c t st b c g ü » st j g » » g vorsah. Es fehlte uns also am Beginn der Handelsvertrags-Verhandlungen die praktische Erfahrung in der Erörterung dieser Dinge mit Frankreich. Erschwerend kamen weiter hinzu die Auswirkun gen der Grenzverschiehnngen. die der Versailler Vertrag brachte. Zu diesen mehr allgemeinen Schwierigkeiten gesellten sich in den Verhandlungen selbst noch solche, die vor allem ans französischer Seite lagen. Frankreich hatte bisher stets den Standpunkt vertreten, das System der Meistbegünstigung nicht zu gewähren. Der fetzt abgeschlossene Vertrag ist scdoch aus der Basis der Meistbegünstigung ausgcbaut. Eine weitere Erschwerung kam a»S den Verhältnissen im Saargebiet. Infolge all dieser Schwierigkeiten kam man i» den bisher gepflogenen Verhandlungen nur etappenweise vorwärts. Diese Etappen sind gekennzeichnet durch die Pro- visorien, die in der Zwischenzeit abgeschlossen wurden und die keine der beiden Seite», weder Deutschland noch Frankreich, recht befriedigten. Die nunmehr fcstgelegte Meistbegünstigung gilt für alle die Fragen, die im Tcxttctl des Vertrages ihre Regelung stu fen, ferner für die Z o l l t a r i f a b m a ch u n g e n. hier jedoch mit einigen Einschräilkunge». Die Meistbegünstigung tritt sofort ein für etwa »N Prozent der Hauptabmachungen. Rest los tritt die Meistbegünstigung ein mit dem 18. Dezember deS Jahres 1928. Von diesem Zeitpunkt ab fallen alle Diskrimi nierungen fort. Anch von deutscher Seite aus ist Frank reich nicht von Anfang an die volle Meistbegünstigung gegeben worden, sondern nur eine kistenweise Meistbegünstigung. So erkält in der Einfuhr von französischen Weinen Frankreich zwar die Meistbcgünstigungssiitzc. aber die Einfuhr ist nicht restlos gegeben, sondern nur für ein Kontingent von S8U 00» Doppelzentner im Jahre. Wichtig ist, daß Frankreich endgültig aus seine Rechte aus Artikel 18 deS Versailler Vertrags verzichtet hat. wonach cs den Ncparationsgläubigern frei steht, im Fall des Richteinkommcns der Reparationen deutsches Eigentum zu beschlagnahmen. Dieser Artikel hat schon in dem Londoner Abkommen Einschränkungen er fahren. Frankreich hat aber fetzt auch aus seine Rechte ans diesem Artikel verzichtet. Der Vertrag soll vom 6. September ab vorläufig an gewandt werden. Seine Anwendung macht aus Grund der vom Parlament der Reichsregierung gegebenen Ermächtigung die Zustimmung des Rcichsrats und des ständigen R e i ch s t a g s au s s ch u s s e s zur Voraussetzung. Sobald das Plenum zusammcntritt, wird der Vertrag diesem zur Genehmigung unterbreitet werde». Die erste reguläre Kün digung ist möglich am 1. April 1928, mit einer dreimonatige» Kündigungsfrist von beiden Seiten ist außerdem noch ein außerordentliches KiindigungSrccht Vorbehalten, für den Fall, daß cs Frankreich doch gelingt, eine Zolltarifnovclle in der Kammer unter Dach zu bringen. Dieses außerordentliche Kündigungörccht stellt einen der nmkämpstesten Punkte während der letzte» Tage dar. Man beurteilt auf deutscher Seite die Sachlage so, daß die alte K amme r, die im Mai nächsten Jahres ihrem Ende entgegen- geht, unter keinen Umständen mehr eine Zolltarisnovellc zur Erledigung bringen wird. Die neue Kammer wird nicht vor Anfang Juni des Jahres 1828 zusainmentreten und traditions gemäß schon am 18. Juli, dem französischen National feiertag, wieder die Svmmerserien beginnen, so daß sie in der kurze» ihr zu Gebote stehenden Zeit selbstverständlich nicht dazu kommen wird, eine Zolltarifnvvelle znstandc zu bringen. Dann beginnt die mehrmonatige Sommerpause, in der natür lich auch keine ZoNtartfnvvclle erledigt werden wird. Für Deutschland hat also die außerordentliche Kündigung in der Hauptsache nur theoretischen Wer«. Man glaubt nicht, daß während der Dauer dieser Verhandlungen von dem außer ordentlichen Kiindigungsrccht überhaupt Gebrauch gemacht werden wirb, ist vielmehr überzeugt, daß der Vertrag seine Zeit ablaufcn und darüber hinaus sogar noch weiter laufen wird. Man erblickt aus deutscher Seite in diesem Vertrag, obwohl er fast nur auf 22 Monate abgeschlossen ist. den end gültigen Vertrag, den man immer mit Frankreich an- gestrebt hat. Allerdings ist es nicht gelungen, sämtliche deutschen Wünsche durchzudrücke». Die deutsche HandclsvertragS- delegation wollte aber an diese» Schmierigkeiten den Vertrag nicht scheitern lasten. Für Waren- und Schiffsver kehr haben wir in Marokko erreicht was wir wollten, da gegen ist »ns das Nicdcrlastungsrccht für Marokko nicht zn- gcstandcn worden. ES ist scdoch von deutscher Seite der Vor- behalt gemacht worden, daß man in diesem Punkte keine Regelung für alle Zeit erblicke» kann und daß man erwartet, daß später hier den deutsche» Wünschen entsprochen wird. Be züglich Indochtna haben wir die grundsätzliche Zusaae. daß, sobald Frankreich de» s r a n z ö s i s ch -1 a p a n i s ch e n Vertrag über Jndochiua abgeschlossen hat, wir die restlose Meist begünstigung erhalten. Grundsätzlich Ist uns das Recht zu erkannt, daß wir bezüglich der Konsulate überall Meistbegünsti gung erhalten werden. Bezüglich Elsaß-Lothringen haben wir erklärt, von diesem Recht nicht ohne vorherige Ver ständigung mit Frankreich Gebrauch zu machen. Ein neuer Alpenweg nach Italien? Von unserem römischen Korrespondenten. Rom, den 12. August. Der deutsche Personen- und Warenverkehr nach und von Italien bedient sich heute fast ausschließlich der beiden großen Straßen über den Brenner und Uber den Gotthard; nur in weit geringerem Umsange können daneben noch der Simplo» und (für Waren überhaupt nichts die Albula- Bernina-Linie genannt werden. In Italien möchte man jetzt eine neue Linie bauen, die von Tirana idem heutigen End punkt der Vcltlinbahn, wo die Berninabahn i» sie mündet) nach Vormio hinaussteigen und. das Ortlermassiv in einem langen Tunnel durchbrechend, den oberen Vintschgan er reichen soll, wo die Bahn von Meran schon jetzt bis Mals geht; aber um der landschaftlichen Schönheit willen, die die ganze Länge des Comer Sees und die Glctschcrpracht des Ortler vereinigt, ist dieses Projekt gewiß nicht ausgcöacht worden. Tie treibende Kraft ist vielmehr keine andere, als der Wunsch, Südtirol mit einer neue» Klammer an die „dluöre Itrüia" zu fesseln, Truppen und Kriegsmaterial so rasch wie möglich an den Brenner werfen zu können: hierfür steht heute nur der Hauptweg über Verona—Trient und die klei nere Linie Belluno—Cortina—Toblach zur Verfügung. Die geplante Stilsser-Joch-Bahn (gleichgültig ob sie anfangs über Lecco oder über Bergamo geführt wird) verbände die Nord grenze unmittelbar mit der Lombardei und ihren Garni sonen und Schwerindustrieanlagcn. — Von diesen Gesichts punkten wird natürlich in der italienischen Presse, die sich in letzter Zeit zunehmend mit dem Projekt beschäftigt, kein Ster benswörtchen gesagt: vielmehr werden da die angeblichen wirtschaftlichen Vorteile der Stilfser-Joch-Bah» geflissentlich in den Vordergrund gestellt, indem man sie so gleich nach Norden weiterführt, wo sie bei Landeck den Inn und die Arl bergbahn erreichen und schließlich Uber Lermoos in Kempten in das große deutsche Netz münden soll. Der Mitwirkung Oesterreichs ist man (nach Uri. 321 des Vertrages von St. Germain) sicher: an die deutsche Adresse aber gehen phantastische Berechnungen, wonach München mit dieser Linie um 200 Kilometer näher ans Meer käme oder daß dieselbe 7» Proz. des Vrennerverkehrs an sich ziehen werde! Weit mehr dürste freilich der Gotthard betrossen werden und Schweizer Wirtschaftskreise, die sich wohl erinnern, daß Dcutichland nach dem Kriege freiwillig auf seinen Sitz im Vcrwaltungsrat der Gotthard-Bahn verzichtete, Italien da gegen nicht, sehen mit unverhohlener Sorge auf diesen neuen italienischen „Freundschaftsbeweis", der darauf auSgeht, das ganze mittlere Süddeutschland an die Stilfscr-Joch-Linie zu binden und so zur Rentabilität einer Bahn bcizntragcn, die in erster Linie als strategische Bahn gegen uns gedacht ist. Man soll nicht etnwenden, die Bahn sei ja noch gar nicht angefaugcn: es ist durchaus an der Zeit, sich damit zu be schäftigen, de»» wir stehen am Anfang einer höchstwahrschein lich sehr langwierigen und erbitterten Kampsperivde um die Tarife und damit letzte» Eudes um die Vorherrschaft zwischen Hamburg und Triest. Die Presse hat bisher sowohl in Deutschland wie in Italien kaum davon Notiz genommen, daß die im Juni in Marienbad geführten Verhandlungen auf dem toten Punkt geendet haben, nachdem die deutschen Dele gierten die Zumntung, das Ende dieses Jahres ablaufende sogenannte Hamburger Provisorium auf unbestimmte Zeit zu verlängern, znrückgcwiesen hatten: sie stehen mit Recht auf dem Standpunkt lund es ist interessant, daß die Tschecho- Slowakci ihn unter dem Druck der Tatsachen teilt), daß Italien, das das alte Oesterreich mit zerschlagen hat, das da mit naturgemäß auseinandergesallene alte Hinterland von Triest nicht durch künstliche Tarife Zusammenhalten kann. Ab gesehen von der tiefen Abneigung Benesch' gegen den Faschis mus denkt man in Prag gar nicht daran, den ideale» lkm- schlagplatz in Hamburg mit dem prachtvollen Großschiffahrts- weg der Elbe durch die 150 Kilometer längere, mit Zollgrenzen verbarrikadierte Bahnverbindung mit Triest beeinträchtigen zu lassen. Tarifkamps wie Stilsser-Joch-Bahn sind im Grunde nur zwei Vorboten des Italienischen Dranges nach einer Wirtschastskontrolle über Mitteleuropa: wenn Ungar» heute Anlaß hat, diesem Drang nachzugeben und Oesterreich ihn wohl oder übel über sich ergehe» lassen muß, so stehen wir in der berechtigten Abwehr keineswegs allein. Sowohl die Schweiz wie die Tschech »-Slowakei stehen, wie wir gesehen haben, diesen italienischen Versuchen ablehnend gegen über. und so sollte es uns nicht allzu schwer fallen, unseren Standpunkt erfolgreich z» verteidigen: Pflege guter Beziehun gen zu dem neuen Italien, aber nicht aus Kosten unserer natürlichen Wirtschaftsstelliing und iiiiserer schon ohnehin mehr als gefährdeten militärischen Sicherheit. Der Kreis der an dem Grotz-Alpenweg Kempten-Mailand Interessierten kann in Deutschland nicht über die unmittelbaren Anlieger htnansgehe»: sie werden sich den Notivendigkeiten der Ge samtheit zu fügen haben, die dieses Proickt nicht gutheißen kann. ES ist schon genug, wenn die Stilfser-Joch-Bahn «n- gehindert bis zum Inn Vordringen kann; aus unserem ent schlossenen Widerstand wird Italien lernen müssen, daß Süd- deutschland kein Albanien ist und daß eö bester daran tut. seine überqucllcnden Kräfte im Mitte lmeer z» erproben, wo es grobe Aufgaben vor sich hat. deren Erfüllung nicht im Wider- spruch zu deutschen Interessen steht, ja eine freundliche Hal tung des neuen Deutschland zur Voraussetzung hat. ». Sr. Eintreten des Papstes für Sacco und Banzetti. Neue Drohbriefe -er Anarchisten. Berlin, 17. August. Nach einer Meldung aus Rom hat der Papst aus ein telegraphisches Ersuchen des Vaters Ban» zettis, sich seines Sohnes anznnehmcn, den apostolischen Nuntius in Washington beauftragt, im Namen des Heiligen Stuhles im Verein mit den amerikanischen Karbinälen zu» gnnsten der beiden Verurteilten bei den amerikanischen Be hörden cinzutreten. — Aus Neuyork berichtet die Polizei, daß eine Anzahl führender Persönlichkeiten und Bereinigungen anonyme Androhungen erneuter Bombenanschläge erhalte» haben für den Fall, daß Sacco und Banzetti htngcrichtct würden. In einem Drohbrief wurde damit gedroht, daß ei» öffentliches Gebäude oder die Bahnhofsanlagc In die Lust gesprengt werden würde. Das Verlei-inungsNomttee ohne Kvffnung. Sitzung des Obersten Gerichts von Massachusetts. Reuyork, 17. August. Der Oberste Gerichtshof de» Staates Massachusetts trat gestern zusammen, um die Verteidiger Saccov und B a u z c t t t S anznhörcn. Der Hauptvertcidigrr Hill entwickelte i» einer mehrstündigen Rede all« Zwischen, fälle deS ersten Verfahrens, da« mit dem Todesurteil abschloß, und brachte zahlreiche Eiuwände vor. Seiner Ansicht nach wäre zu erreichen, daß die ganze Angelegenheit dem Bundes, gcrichtzu neuer Verhandlung überwiesen werde. Nach einem Fnnkspruch aus Stockholm hat der schwedische NechiSanwalt Branting non dem amerikanischen Sacco- Vanzetti-Bertcidigungskomitee ein Telegramm erhalten, in dem die Lage für die beiden Verurteilten als hofsnungS- loS geschildert wird. Eine gerichtliche Wiederaufnahme deS Falle» sei kaum zn erwarten, da man sich bemühe, eine öffent liche Diskussion zu vermelden. BombenaNenlal in Buenos Aires. Reuyork, 17. August. Nach Meldungen aus Buenos Aires wurde auf den Leiter der dortigen Kriminalpolizei ein Bombenanschlag verübt. Durch die Gewalt der Ex- plosto» wurde die HanSwand zerstört. Opfer an Menschen sind jedoch nicht zu verzeichnen. Die Polizei glaubt, den Anschlag in Zusammenhang mit dem Sacco.Banzetti-Fall bringen zu können. * Peori« (Illinois), 17. August. Eine schwere Explosion, deren Ursache zurzeit noch nicht scstgestellt ist, hat kurz nach Mitternacht de» an den Wcst-Vlusss gelegenen Stadtteil er schüttert. Die Einwohner der Häuser wnrdcn zu Boden ge schleudert «ud sämtliche Fenster zertrümmert. Weiter« Ein zelheit«» fehle« noch.