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01-Frühausgabe Dresdner Nachrichten : 16.05.1928
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1928-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-19280516010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-1928051601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-1928051601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1928
-
Monat
1928-05
- Tag 1928-05-16
-
Monat
1928-05
-
Jahr
1928
- Titel
- 01-Frühausgabe Dresdner Nachrichten : 16.05.1928
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Nr. 230 Seile 2 — »Vresdner Nachrichten" — fehlung des Z w e i k l a s s e n s y st e m s. An sich ist ein« solch« Reform als gesund, zeitgemäß und wirtschaftlich zu begrüben. Wenn aber die Verwaltung diese Maßnahme in der Weise durchführen will, daß die bisherige vierte Klasse, die künftig in Verschmelzung mit der dritten Klasse die einheitliche Holzklasse bilden soll, im Preise erhöht, die bisherige zweite Klasse dagegen, die fortan als einheitliche Polsterklasse in Aufsicht genommen ist. verbilligt wird, so ist daS eine durch aus unsoziale Belastung deS Planes, die nicht dazu bei trage» kann. Im Publiknm für die Neuerung Svmpathien zu erwecken. Kommt aber die Reform des heutigen Vterklassen- sysremS mit seinen starken Unzuträglichkeiten nicht zustande, so ist die für diesen Fall vorgeschlagene allgemeine Taris- erhöbnng von lÄ Prozent noch viel weniger geeignet, die er hebliche Veniirnhigung. die der Schritt der Verwaltung ver ursacht hat, zu beschwichtigen. Vermehrt wird das Unbehagen der Oeffentlichkeit durch die geradezu rigorose Behandlung, die man den SchnellzugSzuschlägen angedeihen läßt, durch die Einrichtung einer vierten und sünsten Zonen» stasfelnng — jetzt gibt es nur drei Zonen — und durch die unbillige U e b e r t e u c r ii n g d e S S ch » e l l z u g S n a hver- kehrS, wodurch beispielsweise der Zuschlag für die Holz- klassc sür die Strecke Dresden—Leipzig genau aus die Höhe des jetzigen Zuschlags sür die zweite Klasse hiiiaiifgcschraubt wurde. Eine besonders einschneidende Zumutung stellt die Forderung dar, daß auch die Eilziige zuschlagSvslichttg ge macht werden sollen, uuter gänzlichem Fortfall beschleunigter Persone nziige. Alles in allem also eine recht unerfreuliche Bescherung, welche die Reichc-bahnverwaltuug dem deutschen Volke ser viert. ES wird einer sehr sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung seitens der Neichsregiernng, deren Zustimmung ja erforderlich ist. bedürfen, ob der ln der Denkschrift auf gestellte Leitsatz, „daß trotz günstigen Einnahmen die ge steigerten Mehrausgaben nicht mehr zu bestreiten seien", unter volle» Beweis gestellt erscheint. Bis znm Nachweise des Gegenteils muß es als anSgclchlvsscn gelten, daß die Mehrlast der 250 Millionen jährlich ohne eine allgemeine Preissteigerung im Anschluß an die Tariferhöhung auf. gebracht werden könnte. Die Annahme der Verwaltung, daß die Wirtschaft die Maßnahmen ohne eine entsprechende PrciS- welle zu tragen vermöchte, erscheint zunächst als ein unbe gründeter OptimiomuS. Deshalb bat auch der Groß, industrielle Dr. Silverberg ans der Tagung des Reichsver bandes der Deutschen Industrie nachdrücklich vor einer Tariferhöhung gewarnt. Man muß auch die Frage stellen, warum denn jetzt mit einem Male durchaus eine Ver teuerung der vierten Klasse um 12 Prozent beim Zweiklassen, stillem oder um l.'> Prozent bei Wetterführung des Vier« klassensiillcms erforderlich sein soll, während zuerst i m in e r n u r v o u 5 P r o z c u t die Rede war. Bei alledem läßt sich freilich nicht verkennen, daß die öffentliche Kritik einen wesentlich gefestigteren Standpunkt einiichmcii würde, wenn nicht die Berufung der Verwaltung aus die Milliardcnlast des DaweSplaneS da wäre. Der Hinweis der Denkschrift daraus hämmert jedem einzelnen deutschen Staats- bürger und insbesondere auch dem deutschen Arbeiter die Er kenntnis ein, waS sür ein fürchterlicher Blutsauger der Dawesplan ist, der uns allen, und gerade den wirt schaftlich Schwachen am meisten, die kostbarsten Lebenssäfte raubt. Solange dieser Unhold am Werke ist, wird die Masse unseres Volkes nie wieder befreit aufatmen, nie wieder auch nur annähernd auf einen Wohlstand hoffen dürfen, der, wie ehemals im kaiserlichen Deutschland, über alle Schichten seinen Segen ausgießt. Die Revision des Dawesplancs muß daher neben der völligen Befreiung deutschen Bodens das oberste Ziel der deutschen Diplomatie und Politik für die nächste Zukunft sein. Rer das begreift und erreichen will, darsamLO. Mai nicht links wählen, weil er sonst der entgegen gesetzten Entwicklung Vorschub leisten würde. Sämtliche öeulschen Iugen-oereirre in Siidlirol ausgelöjl. Bozen, 15. Mai. Durch ein Dekret des Präfekten von Bozen wurden mit sofortiger Wirkung in Südtirol sämtliche deutschen Vereine aufgelöst, die derErzieh u n g und dem g e- s e l l i g e n Zusammenschluß der deutschen Jugend ge widmet waren, darunter befinden sich die Gescllciivercine und Iugendvercine von Bozen, Meran, Brisen, Kallern und anderen Orten. Der Faschismus will dadurch die Bahn frei machen für seine Jugendorganisationen, deren Werbung um die deutsche Jugend bisher so gut wie erfolglos war. Milde Slrafe für französische Schandbuben. Ludwigshafcn. 15. Mai. Wie die „Neue Pfälzische Landcs- zeitung" meldet, bcsaßte sich das französische Kriegsgericht sür die Pfalz in Ludwigshafeu dieser Tage unter strengem Aus schluß der Oeffentlichkeit mit de» beiden im März vorgekom- mencn S i l t l i ch k e i i S v e r b r e ch c u französischer B e s a tz u ng s s o l d a t e n. Es handelt sich um das Notzucht- verbrcchen vom -1. März in Lndwigshasen und den Ludwigs hafener Zwischenfall vom 12. März, an dem zwei französische Soldaten beteiligt waren. Die drei Angeklagten wurden zu je einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die Donez-Assäre ein Schauprozeh. Moskau, 15. Mai, Nach Mitteilungen der Sowjct- prcllc wird der Lchachtq-Prozeß als Schanprozeß ausgemacht werden. Rührend der Berhandlnngsdauer sollen täglich 15110 Einlaßkarten sür Arbeiter ansgcgcbcn wer den, wovon aus die in- und ausländische Prelle nur etwa 100 entfallen. Der Gang der Berbandliina soll gefilmt, die Nerhandlnng im Rnndsnnk verbreitet werden. Der Prozeß bericht soll der Oeffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Tie unveröffentlichten Auszüge aus der Anklagesch ist verantwortet K r u l e n k o w, der Erste Staatsanwalt der Sowjetunion, der seinerzeit in dem Prozeß gegen de» deut schen Studenten K i n d c r in a n n die Anklage vertrat. Deutschland interessiert in erster Linie die schwere Velch.'ld'- gung, deutsche Firmen hätten eine sogenannte konterrevolu tionäre Organisation unterstützt. Dafür fehlt bisher ' oer Beweis. Demgegenüber muß man tragen: Renn der Unter suchungsrichter von der Beweiskraft dos Materials so über zeugt ist, warum wnrdcn dann der „schwerbclastetc" AEG.- Direktor Blcimann und Ingenieur Wcgoner nicht verhaftet? Rarnm ließ man sic ungehindert ansreißcn? 29 Sowiek-Kriminalbeamle verhaftet. Kowno, 15. Mat. Wie aus Moskau gemeldet wird, hat die G. P. ll. in Smolensk 2!» Angestellte der Kriminalpolizei ver haftet. In die Räume der Kriminalpolizei drangen Mann- schäften der G. P N. ein und »ahmen eine eingehende Unter suchung der Akten vor. In Moskau solle» die Berhafteten vor ein Sondergcricht gestellt werde». Es soll sich »m Ber» untreaungen von einigen Millionen Rubel handeln. Ein be- sonderer Ausschuß ist aus Moskau eingetrvsfen, um die An gelegenheit zu untersuchen. Earol komml nach Belgien. Brüssel, 15. Mai. Der belgische Aiißenminlstcr H»ma»S erklärt, daß er nichts gegen den Auscnihalt des rumänischen Erkronrninzen Earol in Belgien einznwcndcn Hütte. Ex- kronprinz Earol wird, wie verlautet, in Ehauteau d Ardeuues, einem früheren Wohnsitz der königlichen Familie in der Um- tzetbung von Namur, seinen Wohnsitz nehmen. Stresenllmns krkrankung sehr ernst zu beurteilen Zerrüttung -er inneren Organe. iDiahimeldang anierer Vrrline»«chr1l«leitung.» Berlin. 1». Mai. Die letzten Nachrichten über da» Be. linden de» Außenminister» Dr. Stresemann lauten dahin, daß eine sehr gründliche Untersuchung der Aerzte nur hat feststellen können, daß eine Verschlechterung im Besinde« seit gestern abend nicht eingetrete« ist. Die vorläufig noch sehr ernst zu beurteilende Erkrankung des Außenministers muß die weitere Oeffentlichkeit ziemlich überraschen, da nur in keiner näheren Umgebung seit längerer Zeit bekannt war, daß die Gefahr einer schweren Erkrankung in der letzten Zeit stark zugenvrnmen halte. Dr. Stresemann hat seit etwa vier Jahren gegen eine Gchtlüdrüsenkraiikhett und schwere Grippe- anfälle zu kämpfen gehabt. Er hat mehrfach in jedem Jahr einen längeren Urlaub antreten müssen, um für die außen, politischen Verhandlungen in Gens gesundheitlich gerüstet zu sein. AuS Gesundheitsgründen hat Dr. Stresemann auch seit etwa zwei Jahren seine Tätigkeit als Führer der Deur- schen Volköpartei aufs notwendigste beschränkt. In seiner näheren Umgebung wurde schon bei Beginn des letzten Winters eine Zunahnie der ersten Anzeichen sür eine starke Schwächung der Niere, des Herzens und auch anderer Organe beobachtet. Die Dr. Stresemann ständig begleitenden Aerzte. insbesondere sein HanSarzt Dr. Schiilemann, gaben dem Anßeiimtiiister den Rat. einen Urlaub von mehreren Monaten zu nehmen und diesen Urlaub im Winter zur Wiederherstellung der Niere und auch der Atmungsorgane in Aegypten zu verbringen. Dr. Stresemann glaubte aber, baß er an der Riviera, wo er im Jahre 1027 sich ziemlich schnell erholt hatte, auch in diesem Jahre seine Gesundheit wenigstens für die Zeit des Wahlkampfes und bis in den Sommer hinein wieder Herstellen könne. Während des Ans. eiithalts an der Riviera kam in Berlin die Regiernngskrtsis. Es kamen auch einige schmierige außenpolitische Fragen, so daß Dr. Stresemann keine vollständige Ruhe finden konnte. Er war schon wenige Tage nach der Rückkehr von der Riviera bei den diesjährigen Märzverhaiidliingen des Völkerbuiids- ratS in seiner Gesundheit wieder geschwächt. Trotzdem glaubte er, die körperliche Kraft sür die Ucbcrriahme des Mandats in Oberbanern-Schwaben und für einen sehr ans. gedehnten Wahlkampf mit Reisen durch ganz Deutschland aiifbringeii zu können. Es zeigte sich aber schon nach der Münchner Rede, daß Dr. Stresemann sein Programm sür die Wahlen stark beschränken mußte. Nach der Heidelberger Ehrenpromotion hielt sich Dr. Stresemann zwei Tage in Baden ans. Als er dann in Mainz sprach, bemerkte man in einer engsten Umgebung bereits eine kehr starke Ab- gespanntheit, so daß Dr. Stresemann der Rat gegeben wurde, nunmehr einen längeren Urlaub anzntreten. An einem 50. Geburtstag am vergangenen Donnerstag, mußten bl« Empfänge bereit» abgesagt werden, weil am Abend vor. her sich «in schwerer KrankheitSanfaL im Darm heraus stellte. Die Aerzte schlossen zunächst aus «ine yletschvergistm, vor allem weil sich am Freitag wieder eine leichte Besser»,, zesgte. Am Sonnabend und Sonntag konnte aber Dr. Streß mann keinerlei Nahrung aufnebmen und am Montagnas, mittag stellte sich dazu starke» Sieber rin. Sine numiie!, vorgenommene «Ingehend« Untersuchung durch Pros. Zoni, ergab auch noch eine Nlerenaffektion. Durch ein« nochmal», Untersuchung wurde dann festgestellt, baß bie paralnph» ähnliche Magen, und Darmerkrankung nicht aus einer Fleii Vergiftung, sondern aus einer Zerrüttung ber inner Organe beruhte »nd daß die Nterenasfektton recht ernst „ beurteilen ist. Die Aerzte haben vor allem die Sorge, das Her» bet dem durch die lange NahruugSverwetgerm, stark geschwächten Körper zufriedenstellend weiterarbeitc, wird. Heute abend gaben die behandelnden Aerzte folgend, Mitteilung: Im Befinden des ReichSaußcuminister D Stresemann ist iusoseru eine Beriinderun, eingetreten, alsd Magen- und Darmerscheiaungen sich ge besser haben. Indessen hält bie Störung der Rierentcittgkcil an Nbendtcmperatur »7,6, Puls 80. Der Charakter der Erklär, kung muß auch heute noch als ernst angesehen werde, gez.: Prof. Dr. H. Zondeck. SanltätSrat Dr. GisevinS. Dr Schulmann. Teilnahme ln London «nd Paris. London, 1k. Mai. Da» Befinden de» NetchSmintsters dcc Auswärtigen Dr. Stresemann erweckt hier allgemeine Anteil nähme. Es wird der ausrichtigen Hossnung Ausdruck gegeb«, daß eine baldige Genesung Dr. Stresemann instand setze,, wird, sein hier stets mit Bewunderung verfolgte» Wirke» ü„ Interesse der europäischen Verständigung mit der gewohnte, Energie sortzusetzen und dle Früchte seiner staatSmännijche Politik voll reifen zu sehen. Der britische Minister des Au. wärtigcu Sir Austen EhamberlaIn erkundigte sich ln, dem deutschen Botschafter Sthamcr eingehend nach dem Bc- sinden de» ReichSmintsterS de» Auswärtigen und drückte den herzlichen Wunsch nach Besserung seine» GesunbheltSzustandec und rascher Erholung an». Paris, l5. Mai. Auch die Pariser Presse berichtet In großer Aufmachung über die Erkrankung Dr. Stresemann^ „Paris Midi" schreibt, daß man die Ftebertemperatur, »st Montag abend 8» Grad betragen habe, ber Oesfentltchketi vet hcimlicht habe. Man habe so oft davon gesprochen, daß bjc beidcu Namen Briand und Stresemann unlöslich mit, einander verbunden seien. Nun verbinde sie durch ihre Er krankung auch ein gemeinsames Schicksal. ES sei nun zu hoffen, daß ebenso wie Herr Briand auch Stresemann genese. Beleidigung des deutschen Namens in Kalmar. Vernehmung des Kronzeugen Becker. — Provozierende Aussagen des Polizeispitzels Riehl. - SMrmischer Sitzungsveriaus. Kalmar, 15. Mai. In seiner weiteren Vernehmung suchte der Zeuge Becker iiachzuiveisen, daß die aittonomistische Be wegung und deren Führer die Zuriickilihrniig Elsaß-Lothrin gens an Deutschland als ausschließliches Ziel verfolgt hätte. Seine Aussagen bewegen sich in Gcdankcngängen. die für die ganze Atmosphäre dieses Prozesses nur allzu kennzeichnend sind. Er spricht unentwegt von Germanismus, deutscher Pro paganda, deutschen Ideen, deutschem Einsluß. DaS Beweis- material. das er vorbringt, ist von einer derartigen Diirsüg- keit, daß cs tatsächlich kaum wiederzugchen ist. Becker wirft dem Maler Solveen vielerlei Beziehungen zu Deutschland vor und sucht den Nachweis zu. erbringen, daß Solveen durch seinen Almanach A r i, der übrigens in Paris mit dem ersten Preise ausgezeichnet worden war, sowie durch Theatervor stellungen und durch literarische und künstlerische Beziehungen die Loslösung Elsaß-Lothringens von Frankreich angestrebt habe. Einen großen Raum in den Schilderungen nimmt das Wissenschaftliche Institut in Frankfurt ein, das als Ausgangspunkt der gesamten deutschen Propaganda gelten müsse, da in ihm die Waffen sür den Kampf um die Erhaltung des Deutschtums zwischen Rhein, Mosel und den Vogesen ge schmiedet würden. Auf die Frage des Rechtsanwalts Four- nier, ob ihm bekannt sei, daß die Mitarbeiter des Instituts in enger freundschaftlicher Zusammenarbeit mit einer Reihe namhafter französischer Geschichtsforscher stünden, erklärte Becker, er wisse, baß alle diese Professoren große Gelehrte seien. Er wisse aber auch, daß sie ebenso große gelehrte Vor kämpfer des Deutschtums im Auslände und besonders unter den deutschen Minderheiten seien. Tie weitere Vernehmung Beckers nimmt einen äußerst stürmischen Verlauf. Aus die Frage der Verteidigung, ob er p c r s ö n l i ch an der S i tz u n g des Heimatbundes teilgenommen habe, in der an geblich der Beschluß gefaßt worden sei, die Formel „im Rahmen Frankreichs" falle» zu lassen, verweigert Becker zu nächst die Antwort. Da springt plötzlich Ross» anf und erklärt, baß Becker sich während jener Zeit in der Toilette aufgehalten habe. So habe er nur zeitweise, wenn die Tür ansgemacht worden sei, einzelne Worte hören können. Seine Aussagen ent sprächen daher nicht der Wahrheit. Die gleiche Er klärung gibt auch der Angeklagte Stürme! ab. Auf Drängen der Verteidigung richtet dann der Vorsitzende nach anfänglicher Weigerung an den Zeugen die Frage, ob er in der Toilette gewesen sei, gibt ihm jedoch dabei den Hin weis, daß er unter Berufung auf sein Dienst geheimnis s!) die Antwort verweigern könne, welchen Wink Becker auch sofort befolgt. Die Verteidigung gibt jedoch nicht nach, und als der Vorsitzende nach erneuter Aussage- veriveigerung Beckers dessen Vernehmung fortsctzen will, wird er von der Verteidigung unterbrochen, die auf Beantwortung ihrer Frage besteht. Als die Verteidigung den Beweis sür erbracht bezeichnet, daß die Erklärungen Beckers unwahr seien, unterbricht der Vorsitzende unter großer Unruhe die Sitzung. Nach Wiederaufnahme der Verhandlungen richtet die Ver teidigung an den Zeugen die Frage, ob die Bilder SolvcenS tatsächlich aiitvnomistische Ziele verfolgt hätten. Als der Zeuge bejahend beantwortet, bricht im Saal schallendes, lang an haltendes Gelächter ans. Dieses steigert sich noch, als Becker auf eine Frage, ob auch der Maler A l b r c ch t Dürer wegen autonomtstischcr Bestrebungen von der Polizei ver folgt worden wäre, da Abbildungen von ihm in dem von der Polizei so beanstandeten Knnstalincinach enthalten seien, er widerte er, daß dies leider nicht möglich sei, da Albrecht Dürer sich in Berlin aiishalte. Als dann der Zcngc auf eine Frage der Bertcidigung erklärt, Antonomismno sei ebenso wie Separatismus eine antinationale Bewegung zur Trennung von nationalem Boden nnd Ucbcrweisung an einen anderen Staat, erheben sämtliche Angeklagten und Ver teidiger stürmisch Einspruch gegen diese Gleichstellung. Auf Fragen der Verteidigung nach der Tätigkeit der Straßburger Polizei bet den Heimatbund- Versammlungen verwekgerte Becker die Aussage. Der Vorsitzende kam wiederholt dem in die Enge getriebenen Zeugen zu Hilfe. Er stellte die Gefährlichkeit des PasiorS Hirtzel damit lest, daß in dessen Büro Bilder von Hindcnbnrg und Bismarck gehangen hätten. Am Nachmittag wurde der Polizeispitzel Riehl trotz schärfsten Einspruchs der Berteidi-«»» -och vereidigt. Riehl schilderte dann bei seiner Vernehmung, wie er sich in das Büro der „Zukunft" etngeschltchcn habe. Ein äußer» provozierender Brief Riehls kam zur Vcrlesunn. dessen Inhalt sich in gehässigster Weise gegen Frankreich wendet. Unter dem Eindruck diese» Brieses verlangt der Verteidiger Berthon, ber Vorsitzende sollte diesem Zeugen seine ganze Mißachtung aussprechen. Der Anwali fuhr dann wörtlich fort: „Der Zeuge Riehl hat in seinen AnSsührnngea mehrfach das Wort „Boche" verwendet. Es muß ausdrücklich festgcstcllt werden, daß der Gerichtspräsident gcgen dieses Wort des Zeugen nicht eingeschritten ist. Hierin liegt eine schwere Beleidigung und Verletzung des deutschen Namens, wogegen mlt alle« Misteln protestiert werden muß." In deutschen Journalistenkreisen ist man über das Ver halten des Gerichtspräsidenten aufs äußer sic e inpür t. Riehls Beziehungen zur..Zukunft". Kolmar. 15. Mai. Der Verlag „Erwinia" in Straßburg, in dem die verbotene „Volksstimme" erschienen ist, Hai an k»c Pressevertreter eine Broschüre verteilen lassen, die eine An zahl non Briefen des Belastungszeugen Riehl eiikliäli. In einem Briefe heißt es u. a.: Im Maihefte der „Elsässücken Hcimatstiminen" fand ich schöne Artikel über unsere Lage. Diese Zeitschrift sollte mau überall verbreiten. Denn ibrc Tendenz ist die inisrige, was gewiß manche erstaunen laßt, d» diese Hefte in Deutschland erschienen. ES wäre eher anzu nehmen, man kämpfe in Deutschland sür die Wiedervereini gung des Elsaß. DaS ist aber in dicter Schrift nicht der Fall Man unterstützt unseren Standpunkt und findet unser Zicl „Autonomie im Rahmen Frankreichs" ganz vernünsii«. Politische Einflüsse. Die Ausnahme der Kalmarer Blamage in Paris. Paris, 15. Mai. Der Kolmarer Prozeß gibt dkm „Avenir" Anlaß, wieder einmal kräftig gegen Deutschland z» Hetze». Das Blatt Millerands macht sich über Briand lustig, der an den Friedenswillen Deutschlands glaube. Die deutsche Regierung erkläre nllerdingS, daß Deutschland vollkoiiinic» friedliebend geworden sei und nicht einmal an Elsaß-Lotli- ringcn denke. Hintenherum pflege Deutschland aber Vc- zichn»gen zn dem elfässischen Heimatbnnd, dessen Mitglieder von ber Wilhelmftraße durch Vermittlung de» Hcimatdicnstcs finanziell nnterstützt würben. Die Unterbrechung der polnisch. litauischen Verband, lnngen veranlaßt den „Avenir" zu ber Behauptung, das Woldcmaras erneut seine Unnachgiebigkeit und schlechte» Willen bewiesen habe. Gestützt auf Sowsetrußland und Deutschland, widersetze sich Litauen dem Völkerbund. * Man sieht, baß der „Avenir" mit den für daS amtliche Frankreich recht blamablen Ergebnissen üeö Kolmarer Pn» zcsses sehr unzufrieden ist. In seiner Verärgerung greift das Blatt min einfach zu lügenhaften Verdächtigungen des Auswärtigen Amtes, an die aber daS Ausland nicht inelu glaubt: Die „Basler Nachrichten" schreiben heute, es sei nicht anziinchmeii, baß irgendein deutsches Reichsamt, geschweige ggr das Auswärtige Amt, in elfässischen Angekcgciihcitcii konspiriere. Der beste Beweis sür den ehrlichen Friedens willen Dentschlgnds ist doch wohl in letzter Zeit gewesen, daß Berlin die Kelloggschen FriedenSvorschläge vorbehalt los aiigcilvmmcn hat — im Gegensatz zu Frankreich. Daß im übrigen auch In Frankreich der Kolmarer Prozeß als zum mindesten nicht ganz einwandfrei angesehen wird, zeigt die folgende Meldung au» Paris: DaS sozialistische „Oeuvre" verlangt vom Staats anwalt in Kolmar. daß er endlich mlt seinem Beweismatericil herauürückc. Man verstehe nicht, wozu der Staatsanwalt noch zaudert, nachdem die gesamte französische Oefsentlichkcii das Bewcismaterial mit Ungeduld erwarte, um zu sehe», daß sich die französische Justiz in eine schlecht begrün det c Anklage eingelassen habe. j c>k>ül.Ms-<u.cici(
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