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-ß. Jahrgang, 499 Donnerstags 30. September 1929 Gegründer 18SS «»»UlaoIchrNI, »«»»lchl«, » N»r»I»r»«h»r - Somm»Inumm»r ^ LS 2^1. Our Ivr Nach>a«IprSch», SO 011. «»-»t-tlk-- o.m >0. d>» 30.s«pl,mb,k I»2d o», ,a,u jw»,nu>Ug«r 3»U»llunc> «au, OLAllgS'WLvUyt P,ftd«iu,^r«l» »k Niona« S»pl«md»r 1 A.ara «dn, Poftzust»lluns^»dü>»r. I^onu, Dt» 1lnt»ta»n w»rd»n »ach Gotdmar» Anzeigenpreise: ^" »tdmar» »„»chn«. dt» »»«paltzs« K) «m dr»tu Li« L L'VL-SL ALLSlKÄ." -us,»r«,->U SM PI«. OIs»rt»nq»dakr >0 Vlq. Au,«. AuNrUo»'«o»" V,rau»d«,-p> Sch»tM»chma und Lau»>,»>chüN«N»II»! Mari«,»»« „ ^S/»2. Druck u. D«rtao von >tt«»lck » «chch,»d> m Dr»»b»^ PolI!ch«ct>.LorUo 10SS Sr«d«L Dachdru-, nur mN d»»Mch»r vu»II»nnnnad» .Dr»»bner IlaNir." ruldMn. Unnrrlnnnl» S-dr>M«vch, «»rd»n nich m'vrmadrt. 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Was die Bevölkerung in dieser lange« Zeit gelitten hat, ist mit Worten nicht zu schildern. Trotz aller Friedens- und Bersöhnungsrcden, trotz Locarno und Gens ist das französische Besatzungs regime z« einer wahrhaften Geißel der Bevölke rung geworden. Die Stadt Germersheim namentlich ist der Willkür der französischen Truppen sei« langem machtlos preis« gegeben. Die Bürger find ihres Lebens nicht mehr sicher. Rebe» andere« wiederholten schwere» Verfehlungen «on Angehörigen der Besatzung sind fetzt in der Nacht zum A. September drei brave wehrlose Bürgersköhne der ruchlosen «nd kalt berechnenden Mörderhand eines fran zösische« Offiziers gänzlich schuldlos zum Opfer gefallen. Die aufs höchste erregte Bevölkerung der Stadt Germershcim erhebt vor aller Welt flammenden Protest gegen die sklavi» scheu, einer Sultnrnatio« unwürdigen Mißhandlungen seitens einer fremde« Macht. Sie macht de« Völkerbund verantwortlich für alle gegenwär tigen und zukünftigen Opfer. Die gesamte Einwohnerschaft fordert einmütig unbedingte Maßnahmen für das schändliche verbrechen an dreien ihrer Söhne. Sie fordert die sofortige Einsetzung eines unparteiischen Schiedsgerichts zur Untersuchung der Bluttat, und sic fordert schnellste Entfer nung aller französischen Truppen aus den Mauern ihrer Stadt. Berlin, 29. Sept. Dm 1. Oktober wir» der RetchS- minister für die besetzten Gebiete, Dr. Bell, sich nach Ger- merSheim begeben, nun sich persönlich Uber di« blutigcn Vor gänge zu Informieren. Ein blutiger Zwischenfall in Trier. Trier, 29. September. Vor einigen Tagen ereignete sich aus der Bitöburger Straße eine schwere Bluttat. Bier Rad fahrer waren in eine Spazicrgängcrgruppe hincingefahrcn und bei dem darans folgenden Wortwechsel wurde einer der Spazi..ganger namens Holstein aus Trier von einem der Radfahrer kurzerhand niedcrgcschosse«. Die Ver nehmung der vier junge» Leute, die gestern ermittelt nnd vorgesührt wurden, ergab als Täter einen Angehörigen der französischen Besatzung, der am gleichen Abend anf Veranlassung der hiesigen Kriminalpolizei durch die französische Gendarmerie in Haft genommen wurde. Er hat bereits e i n g e st a n d e n. die Schüsse abgegeben und die bei der Tat benutzte Waffe, eine Selbstladepistole, vor seiner Fest- nähme verborgen zu haben. lT. U.) Die Ehre -es Landes steht anf dem Spiele! Köln, 29. Sept. die volkspa rteiliche .Kölnische Zeitung" bemerkt heut« zu dem Fall in Germers!, ei in: „Diese Bluttat muß ein warnendes Zeichen sein, daß die Ehre eines Landes aus dem Spiele steht. Dessen muß sich die französische Regie rung bewußt werden, Miual, wenn sie, wie Poincarv noch in seiner letzten Red« ausfüHrte, stets auf die Verständigung mit Deutschland bedacht sein will. Diese Verständigung muß vor allem von einer gewissen Achtnng getragen sein, die man in der Behandlung dieses Falles durch die französischen Behörden nicht erkennen kann und die auch in der Fortdauer der Be satzung unter solchen Umständen wicht liegen kann. Da es anscheinend nicht möglich ist, sie so umstellen, daß sie für ein Volk mit einem Mindestmaß von Selbstachtung tragbar wäre, so muß ihre volle Beseitigung trotz des Buchstabens des FriedensvertrageS.» Der Berliner SuwelenrSuber verhaftet. Seine „Braut" mit einem Teil -er Beule entkommen? Berlin, 2». Sept. Nie eine Berliner Korrespondenz auS Nresla« erfährt, wnrde dort durch die Kriminalpolizei ei« Manu seftgenommen. bei dem sich ein Teil der in der Tauentzienstraße geraubten Juwelen befand. Der Mann ist geständig, die Tat gemeinsam mit seiner Ge liebten begangen z« haben, die aber mit einem Teil der er beutete» Juwele« über die Grenze geflüchtet ist. Wie die Kriminalpolizei dazu weiter mtttetlt, handelt eS sich bei dem verhafteten Juwclenräuber um einen 40jährigen Mann namens Johannes Spruch, geboren in Ratibor, zuletzt wohnhaft in Berlin, Koperntkusstraße 28. Seine Ge liebte lei mit einem Teil der gestohlenen Juwelen über Katto» witznachWarschau unterwegs. (W. T. B.f Wie -er RSirder verhaftet w«r-e. BreSla« 29. Sept. Ucber die Verhaftung des Berliner Juwel enräuberS werden folgende Einzelheiten berichtet: Die Breslauer Polizei hatte anf Grund der Mitteilung des Bcr- ltner Polizeipräsidiums besonders den Bahnhof und dessen Umgebung, daneben aber auch die kleineren Hotels überwachen lassen. Am Dienstagabend kam der Täter Spruch, den seine Geliebte, die Prostituierte Sonja Jgniatew. begleitet hatte, in der schlesischen Hauptstadt an und begab sich allein ln ein Hotel, wo er sich als Kaufmann aus Frankfurt eintrug. Spruch begab sich daun am nächsten Tage in die Stadt. In dem Augenblick aber schon, als er das Hotel verließ, wurde er von einem Vertrauensmann der Breslauer Polizei erkannt «nd verfolgt. Al« Spruch in eine ^Gastwirtschaft ging, wurde bereits die Breslauer Kriminalpolizei benachrichtigt. Das Lokal, in dem sich Sprüch aushtelt. wurde nnaussällig umstellt und der Kriminalkommissar Zimmermann setzte sich an den Tisch des Juwelenräubers Spruch ahnte offenbar gar «ich«, daß er umstell« war, den« er erschrak furchtbar, als der Beamte ihn plötzlich mit de« Worten anrcdcte: „Nun, Sic sind nicht weit gekommen. Folgen Sie mir ohne Aufsehen." Spruch, der leichenblaß gcword 'n war. ergab sich «nd sagte unr: „Wie haben Sie mich ,o schnell herausbekomme«?" Er folgte jedoch durchaus gutwillig und legte bei seinem Verhör im Breslauer Polizeipräsidium ein umfassendes und volles Geständnis ab. Spruch wurde sofort auf das genauest« untersucht und in «tue« Lederbrntel fand «an eine» Teil der v««te. «vldene «nd Platinnhre». Allerdings hatte Spruch nur de« geringere» Teil des RanbgntcS bei sich, während seine Braut «nit de« wertvollsten Stücken sich noch anf freiem Fntz befindet. Spruch erklärte, daß er die Tat mit seiner Geliebten allein auSgesührt habe. Syrisch, der sich in Berlin früher als Handelsmann bctLttgt lx»t, war schon seit längerer Zeit arbeitslos. Mit seiner Ge liebten, die unter Sittenkontrolle steht, zusammen will er die Tat bis in die letzte« Einzelheiten geplant «nd auSgefsihrt haben. Seine Brant hätte bei der Tat eine» seiner eigene« Anzüge angchadt. Da das Mädchen einen Bubikopf und ein« Sportmütze tief tnS Gesicht gedrückt getragen habe, sei auf der Fahrt nach der Taucntztenstraße niemand auf -en Gedanken gekommen, tu der Polin eine Frauensperson zu sehen. Auf di« Frage, wo sich die Mitverbrecherin jetzt aufhalte, erklärte Spruch, daß in Kattowitz Verwandte, und zwar ein Onkel von ihr, wohne. Sie wollte mit der Beute dorthin fahren, um Laim die Wert» sachen nach und nach zu Gelds zu machen. Di« Polizei nimmt aber an. daß die Mittäters« versuchen wird, nach Polen zu entfliehen. Man hat alle Maßnahmen getroffen, um ihrer habhaft zu werden. Von der Berliner Kriminalpolizei sind sofort Beamte nach Breslau gesandt worden, um wettere Nach, sorschungen anzustellen. Spruch wird wahrscheinlich noch im Laufe des Donnerstag nach Berlin übergeführt werden. Wie aus Berlin gemeldet wird, mißtraut di« Berliner Polizei sehr stark der Angabe, daß Spruch mit seiner Geliebten allein di« Tat ausgeführt habe. Es steht nämlich fest, -atz Spruch einen Freund besitzt, der unter dem Name« Harry der Polizei bekannt ist. Aus diesen Harry trisst die Beschreibung der Augenzeugen des RanbcS zu. Er wird seit Sonnabend von der Polizei vermißt nnd eifrig gesucht. Der Vater des Täters, Hans Spruch, hatte zu Hausbewohnern schon am Frei tag geäußert, daß sein Sohn ans einige Tage verreisen müßte. Ob der alte Spruch von dem Vorhaben seines Sohnes gewußt hat. bedarf noch der näheren Aufklärung. Mit dieser Verhaftung ist eines der eigenartigsten u>wd tollkühnsten Verbrechen aufgeklärt worden, das jemals tn Berlin verübt wurde. Tagelang stand di« Berliner Bevülke- rnng unter dem Eindruck dieses Verbrechens, das ausgerechnet am Tage der Eröffnung der Poltzeia»sstell»ng in einer der belebtesten Straßen Berlins ansgesührt wurde. Man hatte mit einer „Größe" der Verbrecherwelt gerechnet und ist nun erstaunt, einen 2Siährtgvn. wogen gemeinschaftlichen Diebstahls vorbestraften Arbeitslosen als den Täter Hennen zu lerne«. Die Lehre von Germersheim. Wie ein Blitzlicht, scharf und grell, hat die Bluttat vock Germersheim die ungeheure Kluft beleuchtet, die allen Be« mühungcn einsichtiger Staatsmänner zum Trotz immer noch zwischen Versailles und Thoiry klafft und die, mehr als alle sonst auftauchenden finanziellen und politischen Schwierigkeiten» das Werk der Verständigung hindert. „Heute haben wir die eine grobe Frage zu stellen, ob die Besetzung deutschen Gebiete- vereinbar ist mit der Lage, die geschaffen ist durch unfern Ein tritt tn den Völkerbund." Das waren die entscheidenden Worte Dr. Stresemanns in seiner vielbeschrtenen Rede vor der deutschen Kolonie tn Gens. „Keine Nation ist dem Friede« mehr zugetan als Frankreich, keine Nation hat mit mehr Initiative und größerer Begeisterung am Werk des Frieden» mitgearbeitet", so klang die Antwort Poincarcs von Bar-le« Duc. Und zur selben Stunde fast knallten in GermerSheim die Pistolen toll gewordener französischer Bcsatzungsofftziere, und zwei unschuldige deutsche Familienväter fielen als Opfer frevelhafter Siegcrlaune. Ein kurzer Wortwechsel, vielleicht aus einem Mißverständnis beruhend — und schon schießt'der Franzose auf den Deutschen. Freunde des Verletzten eile« herbei, um den Täter fcstzustellen, und müssen ihre Hilfsbereit schaft mit dem Leben büßen, weil der Franzose sich bedroht fühlt, wenn sich einige unbewaffnete Deutsche ihm nähern, weil der „Boche" in seinen Augen immer noch vogelfret ist und nicht das Recht hat. irgendeine Handlung des BesatzungSossizierS, und sei eS Mord und Totschlag, abzuwehren. ES ist nicht so von ungefähr, daß sich dieser blutige Zwischenfall in dem kleinen pfälzischen Städtchen Germers- heim ereignete, dessen Name nachgerade zum Symbol gallischer Soldatenwillkür geworden ist. Es ist noch in frischer Erinne rung. daß sich gerade hier vor den Genfer Tagen ähnliche Aus schreitungen der Besatzung absptelten, und wenn die Nach richten darüber zutreffend sind, dann ist der Mörder auch der Rädelsführer bei jenen Vorfällen gewesen, bei denen in der ersten Juliwoche die deutsche Reichsflagge herabgeriffen, mit den Füßen getreten und beschimpft wurde und bei bene« der heiligen Handlung eines GefallenengedächtnisseS eine ge meine Störung widerfuhr. Vielleicht konnte sich die jetzige Bluttat nur ereignen, weil jener Zwischenfall nie seine volle Klärung und Beilegung gefunden hat; denn damals sind die Schänder des deutschen Hoheitszeichens völlig straflos au»- gegangen, und sie mußten sich durch die ganze Behandlung der Angelegenheit zu neuen Taten, zu dieser Mordtat direkt er- mutigt fühlen. Die deutsche Negierung hatte zwar Protest ein gelegt und Bestrafung der Schuldigen verlangt, aber am Quai d'Orsay leugnete man, gestützt auf falsche Berichte der Militär- behörden, mit dreister Stirn alles glattweg ab und hatte sogar die Unverfrorenheit, solche „militärische Aufzüge", wie eine Gefallenen-Gcdächtnisfeier, für die Zukunft zu verbieten. Dle deutschen amtlichen Stellen aber drangen nicht weiter auf eine unparteiische Untersuchung und beruhigten sich bei dieser Art der Erledigung aus Gründen der Staatsräson, weil man die bevorstehenden Genfer Besprechungen nicht durch eine Zu spitzung dieser Affäre stören wollte. Das neue Verbreche« von Germersheim zeigt, daß dies nicht der richtige Weg war» um den jede Politik der Verständigung störenden Widerstand der Besatzungshcrrschaft zu brechen. Gerade im Sinne dieser Verständigungspolitik muß darauf bestanden werden, -aß dies, mal nicht wieder nach einigen papicrnen Protesten der Schleier des Bcrgessens über die neue Untat gebreitet wird. Das Be streben dazu zeichnet sich auf beiden Setten schon deutlich ab. Die Franzosen tun alles, um eine deutsche Untersuchung der Vorgänge zu verhindern und nehmen das Ergebnis ihrer eigenen Scheinuntersuchung vorweg, indem sie in ihren Be richten den Vorgang so darstellen, als hätten die französische« Offiziere nach einem Angriff durch Deutsche tn berechtigter Notwehr gehandelt. In Deutschland aber versucht die Links presse, obwohl die Empörung gleichmäßig das ganze Volk er griffen hat. die Bedeutung deS Ereignisses abzuschwächen durch eine lakonische Berichterstattung, die die wichtigsten Einzel heiten unterschlägt. Die Tendenz, alles zu verschweigen, was rauhe Wirklichkeit ist neben dem künstlich aufgeblasenen Ber- ständigungStaumel, ist offenbar. Wirklich politische Einsicht müßte aber sagen, daß bcr Sache beö Friedens nicht gedient ist, wenn wir auch den Germersheimer Mord wieder hinnehmen als etwas Unabänderliches und Unvermeidliches. Er muß un» vielmehr im Verfolg der Verständigungspolitik als Beweis dienen für die oben wiedcrgegebenen Behauptungen Strese- wannS,-baß die Besatzung heute ein Unding 'st, et« stete!