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Dresdner Nachrichten : 27.04.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-04-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189904270
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990427
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990427
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-04
- Tag 1899-04-27
-
Monat
1899-04
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 27.04.1899
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Teile 1S8« Belletristisch« Tonnerstagö Beilage zu den „Dresdner Nachrichten . Carla sah das plötzlich Alles mit den Ragen eines Fremden und scuztc tief auf — sie hatte doch wenig Glück gehabt mit ihren Freundschaften, recht wenig. -Ja.' sagte sie langsam, nnd das Blatt siel zrrissen zu Boden, „ich kann die Geschichte so erzählen, und ich will es auch — Ihnen zu Gefallen " Jetzt errötheie Eine; ein heißer Strom drängte sich vom Herzen zun« Kopf- „sie wollen!" — ihre Hände streckten sich denen Carlas entgegen, fotzten sie und schlossen sich zum Tankesdruck. — »Trotz Zorn und Rachegestrhl wollen Sie gut sein I" Carla wurde verlegen und ungeduldig; Gemüthsbcwcgungcn waren nicht ihre Sache, Alles in Allem war dies hier ein Geschäft — wenn die Chrestcn- scn dam Empfindungen brauchte, ko muhte sie die allein aufbringen. »Nein, nein." sagte sie hastig, »nicht weil ich Zut bin. sondern weil Sie fing sind — kurz, iverl ich mutz. Und nun sagen sie mir schnell: Wie soll H S machen?" Eine hatte ihren festen Platz Welt und Dingen gegenüber wieder ge wonnen. sie fand seht genug innere Ruhe, mit Anthe«! und Mitleid den schädigen Luxus dieser Wohnung, die Schäden des üppigen Morgenkleides, die einfache Frühkost zu betrachten, nnd begann schon im Stillen zu überlegen, wie man hier bessern könne, ohne zn verletzen. Währenddem sie sagte: »Ich weiß nur den einen Weq: Sie müssen noch einmal nach Bieberseld komnrcn und mit Frau Helling sprechen " Carla seufzte. »Ja — etwa-Z unbequem, aber das Einzige. Ich komme." »Gleich?" Sie schob die Schultern in die Höhe «uid stöhnte. Es mutz wohl sein, also gleich." »Um drei geht ein Zug." »Barmherzigkeit! Gönnen Sie mir Arhemholen, Zurcchrlegen. Ter Rachtzug allenfalls, mit ihm ist man morgen gegen Mittag im Siebeneck, und in drei Tagen zu imserem Künstlerfest kann ich zurück sein." „Ich möchte nicht noch eine Nacht von den Kindern weg bleiben." sagte Erne zögernd. Eana lachte. »Wollen Sic mich an der Kette hinbringen? Das ist Nicht nöthig. mm bin ich Ihnen sicher." Erne hatte einen anderen Grund für ihre Ucbcrieaung gehabt, sie fuhr weit lieber allein nach Hause, so erwähnte sie nun mit zartfühlender Sorge, dah dieseülieise in fremder Angelegenheit dem Fräulein natürlich zu den Un bequemlichkeiten nicht noch Kosten aufcrlcgen solle, und daß sic Höste, cintrctcn zu dürfen. „In der That." antwortete die Turtschinska und brachte lebhafte Bckümmer- Uitz zum Ausdruck, »ich bin nicht in der Lage. Ihnen diese Bitte abzuschlagcn." Erne bedankte sich mit ihrem sonnigsten Lächeln, holte ihr Taschenbuch bor. schob^ was sie entbehren konnte, in einen Umschlag nnd legte das Geld aus die Schreibmappe. Geben und nehmen war ein schweigender, kurzer Augenblick. Tann suchten Erncs Augen die Thür. — Tie ..Kinder", sagte sie. »das Haus steht allein — ich fahre um drer. Aus morgen Mittag." Sie faßte bei den letzten Worten Carlas Hand mit festem Druck, so fest, Latz diese ihn bis in s Innerste empfand und feierlich zustimmte: »Aus morgen." Tann war Erne draußen und ging mit einem Gefühl völliger Leere Lurch die Straßen, bis sie eine geschlossene Droschke fand. Ta stieg sie ein. lehnte sich in die Ecke zurück und ließ die Thronen strömen. 28. Kapitel. Mitternacht kam Erne wieder im Siebeneck an und fand Alles wohl verwahrt. Auch eine Karte Chrestcnsen's wartete ihrer: .Liebe Frau, ich bin gesund, die Ausstellung hat gelohnt, morgen Nachmittag komme ich heim." »Morgen schon! Aber er war gesund, und vielleicht war bis morgen Nachmittag dem Guten die Thür geöffnet — vielleicht, ach vielleicht." Sie legte sich zu Bett und schnei auch ein: aber sie träumte und quälte sich, hoffte und verzweifelte in dieicm Schlaf, bi» Tinni s Zupfen und.Kläffen sie weckte zu einem angstvollen Warten ans Carla Turtschinska. »Wenn sie nicht kam? Wenn sie sicher, der Mahnerin ledig zu sein, ihr Versprechen in den Wind »chlug und sich mit dem Reisegeld irgendwie ver gnügte. so würde das mit Chrcstenjen » 'Anschauung von ihren« Charakter nur zusammenstimmen. Erne wollte nicht argwöhnen, sie sagte sich, daß Jeder, der nicht ganz verdorben sei. besser werde dadurch, daß inan ihm Gutes zutraut — sie hielt sich Alles vor. was sie von der Mcnschemianrr Tüchtiges glaubte, und was sic bei Carla an ehrlichen Regungen entdeckt zu haben meinte, aber der Zweifel schlick^ sich doch immer wieder lähmend an sie heran und endlos dehnten sich die stunden. »Wenn sie dennoch nicht kam — was dann?" Bei Zeiten meldete sich Doktor Grund, lobte Ottos Befinden und ging zur Großmutter hinaus, die nicht hcrabgckommen war. weil ihr Marie von der Rückkehr der Frau gesprochen hatte. »Die alte Dame hat wieder unregelmäßigen Pulsschlag". berichtete Grund unten, »gestern war ich zustieden mit ihr." Erne kamen die Thräncn in die Augen. »Um meinetwillen!" Trotzdem wagte sic sich hinaus und stand nun lcheu und hilflos ün Zimmer. „Ich bin wieder da. Großmama." »Die Kinde» waren brav und sind wohlauf." »Ich danke Dir. Aber Du? Bist Tu krank?" »Ich denke, Luftveränderung würde mir gut khuu, ich möchte reisen." Erne erblaßte- „O Großmama— Sie wollte bitten, verstummte aber vor den« Ausdruck von Schmerz und Kanipsesmüdigkeit in dem alten Gesicht. Als Erne schwieg, fuhr Frau Helling ruhiger sott: »Wir reden noch davon, heutt Abend, morgen — alte Leute werden nicht >o schnell fertig mit ihren Ennchli!'e i Bitte, schick mir Marien ' Marie mußte den altersschwachen Holzkoffer herbclschast'en. der beim Einzug au« den Boden verwiesen worden war, mußte das rostige Schloß ölen und den Staub abwischen, von dein er sich nickt wieder hatte trenne,« wollen. Mit diesem Koffer und ihren Rcisegedankcn blieb Frau Helling allein. Erne sah ihn an sich vorübcrträgcn nnd ihr Herz klopfte heftig. — Ter Koffer, mit dem sie damals zu uns kam. das Einzige, was sie mitgcdracht hat. als sie bei uns ihr neues Leben ansing! Erne sah nach der llhr; es war erst um zehn. Langsam schlichen die Stunden; sie hing Trepp aus und ab. musterte Boden und Keller. Vorrotliskammcrii und Bücherei. Atelier und Gaststube, als gälte es. vor einem wichtigen Lebensabschnitt Alles in Schick und Ordnung zu dringen. Zwücheudurch sah sie nach den Kindern, lauschte an Großmntters Thür, sprach eine Anordnung in die Küche hinein, vermochte aber nicht, sich auch nur aus fünf Mumien an ihren Fensterplatz zu setzen und eine Arbeit in die Hand zn nehmen. Als die zwölf lmigiaiucn Schläge der großen Siadtglocke in's Siebeneck klangen, ging sie in den Garten hinaus. Sie schritt von Beet zu Beet, sie blickte von Knospe zu Knospe, befühlte die Bohnen, prüfte die Kirschen, sammelte Jalläpfcl. Tic Sonne brannte auf ihr braunes Haar und blendete ihre Augen, ohne sie zu verscheuchen: sie wandcrtc immer aus und nieder. Es viertelte, es schlug halb — sie blieb stehen und sagte laut: .Jetzt kommt der Zug ans Berlin." Sie stand ein paar Minuten mir vorgcneigten« Haupt, als könne sie sein Pfeilen hören, dann ging sie in die Hausflur und sah Lurch s Fenster die Straße entlang, nnverivandt den alten Erker in« Auge, unter dem die vom Bahnhof Kommenden in die Thorgasse biegen mußten. Lange stand sie ohne Regung, Kinder liefen draußen hin und her, Arbeiter gingen nach den Fabriken zurück, die Michaelsglocke schlug dröhnend eins. Zngvmpätung? Tic Gasse wurde lebendiger, eine Droschke fuhr vorüber, der Nachbar kan» mir einer Hand buche um die Ecke geschlendert. Aber sic konnte Gepäck zu besorgen habe», unbeholfen sein. Bekannte treffen — sie konnte — sie konnte — da schlug drinnen in der Halle die kleine, Helle Stutzuhr zwei Mal. oben im 'Atelier folgte die Glockenuhr mit dem silberklaug und von der Michaelskirche kam die Bestätigung: Eins, zwei. Mit einem schluchzenden Seufzer trat Erna vom Fenster zurück, strich mit der Hand über die Augen und wandte sich in die dämmernde Hausflur. „So muß ich cs selbst versuchen." Mit einer Mattigkeit, der cs schwer wurde, die flachen Stufen zu über winden, ging sic hinan«, aber ehe sie die Thür der Großmutter erreicht hatte, wurden unten die Klingel gezogen, der Diener öffnete, und Carla Turtschinska wagte nach der gnädigen Frau. Ernes Kniee zitterten, einen Augenblick lang mochte sie sich am Trcppen- cländcr halten, dann war die Schwäche überwunden, «md sie stieg eilig rnab. „So. da bin ich " sagte Caria. -als sie zusammen in die Halle traten, »und nun hätte ich's gern schnell hinter mir. Wenn ich um Fünf wieder aus diesem hinterwäldlerischen Nest hinaussahrcu kann, soll mir's nur recht sein. Die Gassenbuben scheinen hier wenig zu erleben, da ihnen mein Hut schmerzen macht." Sie nahm den großen, fliederfarbenen Schwinger vom Kopf und mH ihn mit emporgehobenen Augenbrauen prüfend an. „Keiustadtgcsindel!" ^ In Erne zitterte noch die Spannung und die Enttäuschung der letzten Stunde!« nach. Hoffnung und Bangen des Augenblicks rüttelten an ihr. der Hut verursachte ihr Pein, Carlas Stimme hallte wie Klopsen au dröhnende Eiienröhlen in ihren Ohren: sic konnte nicht reden. Gedankenlos drückte sie auf die Klingel, und erst als der Diener in der Thür stand, besann sie sich auf die Frage: „Was Lars ich Ihnen zur Erfrischung anbietcn?" »O — danke — ich habe einen Bissen an« Bahnhof gegessen — vielleicht wenn wir fertig sind — setzt möchte ich — das los sein", wollte sie sagen, endete aber mit einem Blick aus den wallenden Diener: „Zn Frau yelling." „So decken Sic einstweilen drüben — für zwei Personen," sagte Erne nnd schritt »ach Großmutlcrs Zimmer voraus, gefolgt von Carla, die über'm Ariisctzcn ihres Fiiedersarbencn nichts von Erncs Zögern bemerkt batte. Droben stand der alte Koffer geöffnet mitten in« Zimmer: allerlei Tinge waren ausgcpackt und auf dem Erdboden übereinander, nebeneinder geschichtet. Zeichcnmappen häuften sich — Erinnerungsblätter an Bmdcr Martin. Kinder- schuhchcn standen in rührender Unbcbilflichkcit auf den Skizzen, als stäken noch kleine, ungeschickte, nichtsachtende Füße dann; ein altmodisches Rüschcn- Häubchcn guckte zwischen mißhandeltem Spielzeug hervor, Erne meinte, noch frischgcsallene Thräncn darauf schimmern zu sehen, aber die Großmutter stand trockenen Auges an« Fenster und sah über den Garten hinaus, über den Vcilchcngraden hin in's mlttagsdnnstige Lcnid — in die unbekannte Zukunft hinaus, für die sie nicht das leiseste Hoffnunasbild hcrvorzuzaubern vcrnwchLe: fort — ohne Eme, ohne die Kinder, ohne Liebe — irgendwohin. Sie wandte sich erstaunt nach der Tlsiir nnd erwartete ohne Regung, was da kommen solle. Erne nahm sich gewaltsam zusammen, und ihre Stimme klang fest, als sie sagte: „Großmama, hier «st Fräulein Turtschinska, die Dame, von der Rath Rothenbeck erfahren hat. was er Dir am Sonntag erzählte." Frau Helling s Augen richteten sich groß und starr ans die Dame mit dem fliederfarbenen Hut. Turtschinska — sic hatte dm Namen nur einmal gehört, aber so. daß sic ihn nie mehr vergessen konnte. Das war sie also, die Stimme aus der Vergangenheit? Das? Und sie drängte sich auf ihre Schwelle? War diese Fran nicht schuld an ihrem Elend? Wenn sic geschwiegen hätte, ihr daS Glück der Unwissenheit gelosten — nicht doch, weshalb sollte diese fremde Iran schiveigcn? Chrestensen war schuld, kein Anderer — er allein: um ieinZ schlechten Gewissens willen hatte er ihr Liebe geheuchelt, hatte Weid nnd Kind angelernt zu demselben Betrug, und nun brach mit dem Lügengebäude auch das Feierabendglück ihres Lebens in Trümmer — mtzwci — dahin I Belletristische Tonuer«1aüs-B«ilage zu den »Dresdner Nachrichten". Leite ISS. Sie wollte nichts mehr von diesen Dingen hören, dieses Weib vor allen Menlchcn der Welt nickt sehnen, und doch quoll etwas in ihr aus gegen ihren Willen, ein unweigerliches Verlangen und Sehnen: za prüfen, zu forsche», Jemand zn vernehmen, der damals dabei gewesen war. die Fragen, die sie quälten und peinigten, von einer lebendigem Stimme beantwortet zu hören, einer Stimme, die rücksichtsloser antworten konnte als Hclmar Chrestensen. Als daher Carla Tnnichinska ans Ernes Einführungäworte hin schnell in das Zimmer trat und vom 'Anblick des alten, müden Gesichts gerührt mit natürlicher, gedämpfter Stimme sagte: „Gnädiqe Fran. wenn Ihnen irgend etwas von damals wenhvoll zn wissen «st, so fragen Sie mich, ich will Ihnen ehrlich antworten, ich bin deshalb noch einmal gekommen. Letzthin war ich in rachsüchtiger Stimmung; Herr Chrestensen hatte mir unangenehme Sachen gesagt, mich schlecht behandelt, das mag wohl Ton und Farbe meiner Geschichte ein bischen beeinflußt haben, wenn ja auch die Sache selbst sich ungefähr so zugctragen Hai, Darf ich Ihnen erzählen, wie ich Ihren Herrn Solm und seinen Freund Chrestensen nach und nach genau kennen lernte ? Großmutter neigte zustimmcnd den Kops, Das „Bitte, sehen Sie sich." war sehr leise gesprochen, aber Erne schob die Stühle zurecht, sperrte den Svmienstreiscn hinaus, der die Großmutter blendete, und schob ihr ein Kisten unter die Füße. Tann ging sie nach der Thür. „Nein." sagte Iran Helling plötzlich, „bleib hier. Erne, ich will Dich dabei aniehen, Tein Gesicht ist Wahrheit." Sic blieb Erne. nnd Carla erzählte, erzählte noch einmal Helniar Chrestcnscn'S Geschichte, bezwungen von Ernes Augen nnd den« blassen, tamvsmnden Greisuinenantlitz — nnd diesmal war es dieselbe Geschichte, die Helmar seiner Fran gebeichtet Patte, diesmal berichtete Earla ihren eigenen 'Anthcil an Martin Helling s Schiffbruch ehrlicher, als er ihr je bisher selber zum Bewußtsein gekommen «vor. Schuld blieb bestehen, es bliebe» Leichtsinn und Ausgleiien ans schlüpf rigem Pfade, aber es blieb auch Chrestenscn's Bestreben, wiedcr gut zn machen, und der Ausstieg zur Höhe neben Martin Hellings schwäche, Arbeiisunlust und bequemem Wciterschlendern ans den« vom Freunde ver lassenen Irrweg. Obgleich Carla dem Todteu in neugeborenen« Zartgefühl häßliche Worte ieriihielr, mußte Großmamas Ehrlichkeit doch den Zusammenhang der Tinge begreifen. Ihr blieb nur der eine bittere Schluß: »Wenn mein armer Jung« so schnell zn Boden fiel, ohne wieder emporzukommcn, würde er auch anderswo nicht fest geblieben sein? Hclmar Chrestensen's Schuld an Martins Verderben wurde dadurch sehr klein. Daß Fran Helling zu diesem Schluß kam, war Carlas Verdienst: daß sie so schnell dazu kam, das «nachte die Liebe, die nach der Möglichkeit schmachtete, zn verzeihen, die nickt länger hungern wollte, sondern leben, glücklich sein. Friede geben und an Gegenliebe glauben. An Liebe,glauben! — Verzeihen durfte sie, ohne dein Sohne Unrecht zn thm«. o. daß ne auch hätte glauben können, daß Helmars und ErncS Herrlich keit, ebenso wie die ihre, ans reiner 'Neigung geboren sei! Je kleiner leine Schuld war. desto geringer blieb die Röthigung zur Sühne, desto größer milßtc die Liebe gewesen >ein, die ihr Alter mit Glück umhegt hatte — daran wollte sie sesthalten, das war der Stab, an dem sic weiter wandern konnte. Mir einer Gcnugthuunch über die sic selber erstaunte, sah Carla den Kamps in dem allen Gesicht sich mildern. Es kränkte sie nicht, wie z» jeder anderen Zeit unfehlbar, daß sie kein Blick der fragenden Augen suchte; die hingen unverwandt an Erne — Blick in Blick — bittend die einen, «ragend die anderen wie vorher, mir daß die fragenden jetzt nicht mehr die Antwort zurückwicäen, sonder» verlangten — immer dringender, immer heftiger. Und dann fragten plötzlich die Lippen: „Erne, seit wann kennst Du dies Stück Vergangenheit?" „Letzten Sonnabend, als Ernst Rothenbeck um dieser Geschichte willen in's EchnÜchloß verbannt wurde, hat sie mir Hclmar erzählt." „Am Sonnabend?" Fran Helling drückte die Stirn in die Hände. Wann war den» Sonnabend gewesen? Was wußte sie jetzt vom Lause der Woche. Ivo die Zeit mir auS bitteren Tagen und qualvollen Mchten bestanden hatte ? Und doch! Vom Sonntag «vußtc sie — nach dem Glockengeläut war Rothcn- bcck gekommen, mit den« Gesangbuch in der Hand. — Also am Tage vorher. Damals erst? — Nickt früher? 'Nicht schon lange? Nicht von Anfang an? Ihr Denken war laut geworden, «md Erne schüttelte veineinend den Kops zu ihren Fragen, 'Aber Frau Helling wollte hören, laut und deutlich von Lippe zu Ohr. „Tn wußtest nichts von Allen«, was Chrestensen «m Guten und Schlimmen an mich band ? — Er sagte Dir nicht: Sc« gut mit ihr — ich bin ihr dies und das schuldig geworden?" „Nein." Ein Stöhnen entrang sich Frau Hellings Brust. „Nein, nein, nein," — sagte sie — „nein, nein, nein!" — Sie streckte Erne die Hände entgegen «md zog sie an sich. „Nicht Schuldgefühl, nicht der Wunsch zu sühnen — Dn hattest mich lieb." »O, Großmama!" sie hielten sich umfangen, eine zitternde Hand strich über Ernes Haar, heiße Lippen küßte» ihr Stirn und Augen. Dam« sah die Großmutter zu Carla hinüber, die halb zufrieden, halb ver legen an ihrem Schirmknaus drehte. , „Du hast «nir auch diese Helferin geholt — o still, ich Iveiß es — nur Tn ! llnd Dn hast mir mit ihr das rechte Heilmittel gegeben. Ich habe Euch Ivieder und weiß, daß ich Martin kein Unrecht thue mit meiner Liebe." Hell klang die Flurglockc hinter dielen Worten drein, und Erne machte sich ans den umschlingenden Armen frei. „Laß mich sehen — Helmar kommt heute zurück — er muß «Men —" sie eilte hinab zu ihm, der noch am Eingang der Halle stand und er staunt dem Bericht über die fliederfarbene Dame zuhürte, den Anton mit den Leiden Gedecken. Ottos Genesung und der Reise der gnädigen Fran etwas Limt dnrckeinaiiderinff'ckle rl" it ein paar Schritten treppauf war er bei ihr. ließ sich in's Atelier ziehen, lnnfaffen. beschauen wie nach mokiatelangcr Trennung, küssen und von Tcnche, Hut und Schirm befreien — sprechen konnte Erne noch nicht. „Kind," rief er endlich aus, „was ist'L? Sprich, mach' mich nicht verhütt!" Sie nickte, zog ihn auf den Divan und berichtete in flüchtigen Wottcrr. was seit seiner Abreise geschehen war. „Eme. Du! — bei der Turtschinska!" war das Erste, was ihm enrnchr. dann swckte er. psist gedehnt vor „ch hü« und schüttelte den Kopf. Sic be nutzte das und sprach weiter von dem Erfolge droben, und daß cs bei Grotz- müiterchens Fluchtgedarikcn die höchste Zeit gewest«« sei. „Also deshalb mußte ich fort," sagte er endlich. „Meine Selbstgcrechtig- keit hatte schiffbruch gelitten, die Weiberweisheit mußte cm's Steuer um» lenkt nun das verfahrene schiff. Arme Eme. so schlimm stand cs, daß Du dies Schwerste für mich thun mutztest?" Er hob den Kopf und lanlchtc. „Sie geht —" Carlas Schritt klang die Treppe herab, an der Thür vorbei nnd hielt unten am Eingang der Halle still. , Ich muß zu ihr!" flüsterte Eme. „Nnd ich hinaus!" setzte er hinzu. „Ten Rest werde ich -och nun be zwingen töniicn, ich Stümper." Unten bewirthcte Eme inzwischen Carla Turtschinska. Die Dame 'war angenehm erregt, sie saß hier als Chrestciistn's Gast, es schmeckte ihr «zur, sie fühlte sich edclmüthig und allen Lobes wcrth, sie hatte eine hübsche Summe von ihre:» Reisegeld übrig behalten und sich eine hilsteiche Gönnern« sür kommende Unfälle erworben. Aber bleiben wollte sie nicht. Ter Fünf-Uhr Zug war noch immer das Ziel ihrer Wünsche, und während Eme draußen Anton nach einer Droschke schickte, um den Fliederfarbenen vor Gaffenbubentritik z» schützen, kam Hclmar die Treppe herab. Hellen AugeS nickte er Eme zu. »Marie ist bei ihr, sie will schlafen. Hier «st 'Alles gut — ist besser als vorher — ich danke Drr." Tann laS er von Ernes Gesicht, daß es noch etwas gäbe, und eltt Schatten ging über seine Stirn. »Nein, Eme." „Ich bittie Dich," sagte Eme, nnd nach kurzem Kampfe fragte er: „Wo ?" Ihr Blick antwortete. Während sic draußen ihre Anordnungen stak, trat er in die Halle und stand Carla gegenüber. Im ersten Augenblick blitzten sich ihre Augen feindlich an, dann besannen sich Beide. Carla senkte den Blick nnd sagte fast zaghaft: „Es thut mir leid, daß die Geschichte da oben so viel Unheil angcnchtet hatte." Mit derselben Beherrschung antwortete er: „Sie haben ja wiedcr gut gemacht." „Ich bin stob, daß «nir's geglückt ist." Ihre knappe Redeweise, die Veränderung in Ton und Ausdruck machten ihn verlege!,, er trat einen Schritt näher, sah seitwärts in die Baumwipfel hinaus nnd begann endlich: „Sic deuteten mir lrtzthin an" — Carla schwieg l«nd svieltc mit dem Schirm. Er sah es. ohne sie anznsthcn und begann noch einmal: „Wem, Sie augenblicklich in Verlegenheit sind — ich bin bereit zu — leihen, was sie brauchen — auf ganz beliebige Frist — Ihre Reise — wir stehen in der Thar in Ihrer schuld.' Carla lächelte. Er also auch l Aber sie nahm nun doch lieber von seiner Frau, entschieden lieber. Eine theatralische Pose konnte sic sich hier auch nicht Verlagen, sie streckte ihr Rechte abwehrend nach ihm aus nnd wrack) mit voller Stimme in sein'Anerbrercn hinein: „Nicht doch, nicht so! Um Ihrer edle« Fran willen kam ich her." 29. Kapitel. Heimchen Rothenbeck war unter die Unglücklichen gegangen. Drei Tage lang, nach jener schlimmen Begegnung, hatte sie unter Hcrzenskämpst» das Fenster gemieden zu den Stunden, wo Fritz Brcnnccke vorüberkommcn konnte, am vierten Tage stellte sich bei einer Schießhausbcgcgnnng heraus, daß er dies theils nicht bemerkt, thcils sür Zufall gehalten hatte, und in des ersten Zomcs Hitze über solche Mißachtung drehte sie ihm schnippisch den Rücken. Brennecke faßte den heldenhaften Entschluß, sie schmollen zu lassen, und Hclmchcn ging seit dieser Stunde umher reuevoll, liebeSheiß und verziveiscst. Ach, und kein Emst war ihr zur Seite! An« dritten Tage wurve das Dulden nnetträglich, und sie beschloß zu handeln. Handeln nannte sie cnrsgchbercit in der Hausstur stehen und auf Doktor Grund warten. Doktor Grund ließ sich vielleicht eine Nachricht über Leben und Tod des Kaufmanns Fritz Brennecke entlocken. Grund kan« und ging grüßend, den Kopf voll weit ablieaendcr Ge danken. an Hclmchcn vorüber, ohne etwas von ihren sich zu verlegener An sprache bewegenden Lippen zu sehen. Heimchen stand regimgs-und fassungslos fünf Minuten lang aus der untersten Treppenstufe, dann schlich sie. ein schluchzen erstickend, aus die Gasse, gerade in den« Augenblick, als Carla Turtschinska mit ihrem Fliederfarbenen nach dem Siebeneck ging «md das Brautpaar Birnhagen. Visiten fahrend, den Weg der Fremden kreuzte, wobei der Bräutigam mit etwas stockichtem Athen« sagte: „Da geht die Schmach des Male,?." Hclnichcns erster Blick iu's Hell« traf die Gefürchtete von der Kunst vereinstreppe. Also nicht abgercrst. sondcm mit tamenfältiger Gromtadt- gewandtheit bereit, ihren Fritz zu umstricken! — Dann freilich war Alles erklärt, aber auch Alles aus- Heimchen wußte ihren Wetth im Bicberwlder Preis recht Koch zu rechnen, aber gegen so eine siiedcrsarbeue Weltdame Mlle sie sich winzig und machtlos. ck-I'.l» ScE,.»
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