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71. Jahrgang. ^ SSS Abe«--«i»gade Dienstag, IS. Juli 1»27 Gegründet 1838 DradtantcbriNi Nachricht»,, De««»»« Eernivrecker-Sammelnumm«: LS 241 Nm tür NachtaolvrLch», 20011 Bezugs-Gebühr »i«,rl»»«n»rr 10 «vlennta Schriitlritun» und AauvtaeiLSit»8»ll»! Maetentteatz« »2 Druck, u. Verlag von Vtevtch L Sketchaedt in Dr««d«n Poftickeck-Konto 1OSS Dees»«« Nachdruck nur mil deutlicher Quellenangab» i.Drrediier Nachr.'l »uläiftg. Unverlanaie Sckriilstücke werden nicki auidewalirt. «W Wien nach Abbruch des Streiks. Gegensätzliche Kommentare -er Berliner un- Wiener sozialislischen Presse zur neuen Lage. Keine Veröffentlichung -es Notenwechsels mil Brüssel. — Das erste Plauener Urteil bestätigt. Wien beschönigt, Berlin übt Kritik. Berlin, 19. Juli. Der Streikabbruch in Oesterreich wird in einer Extraausgabe der „W t e n e r A r b e t t e r z e t t u n g" damit begründet, „daß der technische Streik, über dessen äußerst ticfwirkende Folgen für das gesamte Wirtschaftsleben fick, die leitenden Körperschaften der Arbeiterbewegung durchaus im klaren sind, feine Wirkung getan habe. Die Gefahr einer Aus nützung des blutigen Dramas vom Freitag und Sonnabend im Interesse der Reaktion sei schon abgewcndct. Dies haben die Proteste und der technische Streik erreicht. Er habe die Stärke der Arbeiterklasse gezeigt. Nicht geschwächt aehc die Arbeiterklasse aus diesem Kampfe hervor, den sie aus Rücksicht auf daS Gesamtwohl und auf die Erhaltung ihrer Kampfkraft abbreche." Die deutschen Sozialdemokraten sind offenbar anderer Ansicht. Der „Vorwärts" schreibt: Der erste Eindruck des Streikabbruchs ist natürlich für die Arbeiter schaft und die mit ihr Snmpathiesierendcn nicht erhebend, zumal der Bundeskanzler, wie es scheint, irgendwelche Er klärungen. die geeignet waren, die Besorgnisse vor einer AuS- nützung der blutigen Ereignisse zu reaktionären Zwecken zu zerstreuen, nicht gegeben hat. — Aus einer Wiener Korre spondenz des „Vorwärts" geht übrigens hervor, daß es wirk lich nicht die Rücksicht aus „das Gesamtwohl" war, die zum Streikabbruch führte, sondern die Angst vor den Heimatwehren. „die a«S den gegen die Arbei«erschaft verhetzten Bauern burscheu besteht, deren Einmarsch in die Provinzstädtc die schlimmsten Folgen haben und den Bürgerkrieg entfesseln könnte". Der „Vorwärts" bemerkt dazu: „Man darf nicht ver gessen, daß diese Heimat wehren dasselbe sind, wie bei uns der Stahlhelm, und daß ihr Einmarsch in die Prootnzstädte, an Wien ist natürlich nicht zu denken (Warum nicht?) — die Arbeiter zur Abwehr geradezu aufrcizen mußte. Das tatsächlich erfolgte Auftreten bewaffneter Hcimativehren in Tirol, wo sie mit der Landesregierung znsammen- wirken und den Erfolg ihrer Terrors gegenüber den zahlen mäßig bedeutend schwächeren Arbeitern für sich haben, in Unterstetermark und in Kärnten, sowie auch im Salz burgischen. signalisierte die Gefahr des Bürgerkrieges." — Der Unterschied war eben der, daß die Heimatwehren für Ordnung gesorgt haben, und es ist ihnen das gelungen, ohne daß es auch nur im entferntesten zu ähnlichen Vor kommnissen gekommen wäre wie in Wien. In Wien scheint übrigens nicht nur das Militär, sondern auch die Polizei durchseucht gewesen zu sein, wenn auch bet weitem nicht in demselben Maße. Im „Vorwärts" wird berichtet: SS sind nicht wenige Staatspolizisten, die nach dem Drama unseren Genossen versichert haben, daß sie selbst nicht anf ihre Mitbürger geschossen haben. Der „Vorwärts" ist übrigens auch der Ansicht, baß man den Abbruch des Streiks nicht ernstlich mißbilligen könne. Wir wollen nicht vergessen, sagt das Blatt, daß das starr köpfige Durchhalten bis zum äußersten Ende die englischen Bergarbeiter und die gesamte britische Arbeiterklasse dahin gebracht haben, daß sie heute zu größeren materiellen Auf wendungen unfähig ist und sich sogar eine empfindliche Einschränkung der Gewerkschaftsrechte hat gefallen lassen müssen. Scharfe Sprache Roms gegen Seipel. Nom, 19. Juli. Zu den Vorgängen ln Wien schreibt der faschistische „Teve r", die christlich-soziale Regierung in Oster- reich sei unfähig, große Probleme zu lösen. Selbst wenn sie heute noch einmal Herrin der Situation bleibe, so werde Oesterreich in einem weiteren Jahr unter der Negierung Seipel entweder zum Anschluß oder zum Bolschewismus kommen. Die Großmächte, besonders Italien, müßten darauf dringen, daß solche bestialische Experimente einer christlich-sozialen Negierung am delikatesten Punkte Europas aufhürten, Experimente, die nur einer krankhaften Mentalität einer gewissen vatikanischen Diplomatie entsprächen. Auch das „Giornale d'Italic»" macht die österreichische Negierung und die christlich-soziale Partei für die Vor gänge in Wien verantwortlich, die man allerdings nicht als Revolution, sondern nur als kommunistische Stratzendemon- stration bezeichnen könne. Doch bewiesen die letzten Ereig nisse, wie in gewissen Wiener politischen Kreisen die destruk tiven Kräfte hätten wachsen können. Regierung und Christ lich-Soziale sollten einmal darüber Nachdenken, daß nur ein unabhängiges Oesterreich, das im Zentrum Europas ein ruhiges wirtschaftliches Leben führe, ein Element des euro päischen Friedens sei. Landeshauptmann Seik schuldig. Die Großdentsche Volkspartei zu dem Wiener Blutbad. (Durch F » nkspru ch.s Wien, 19. Juli. Die „Wiener Neuest. Nachr." melden: Die Abgeordneten und der Parteivorstand der Großdeutschen Volkspartei haben gestern in einer Vollsitzung zu den Wiener Ereignissen Stellung genommen. Der Partcivorstand spricht der Bundesregierung das volle Vertraue« aus und dankt der Sicherheitswache für ihre heldenmütige Pflicht erfüllung. Weiter heißt cs: Die volle Verantwortung für die so viele Menschenopfer fordernden Ereignisse trifft ausschließlich jene politischen Kreise, die bisher eine hem- mungslvse Verhetzung weiter Bevölkerungsschichten gegen die Regierung und ihre Organe betrieben haben, sie trifft insbesondere den Bürgermeister von Wien als Landes hauptmann, der durch sein Versagen in entscheidender Stunde es verhindert hat, daß durch ein rechtzeitiges Einsetzen aus reichender Kräfte dem Blutbad vorgebeugt wurde. <W. T. B.j Der Kamps um die Seeherrschast in Gens. Von Korvettenkapitän a. D. v. Abendroth. Seit Wochen tagt die Flottenabrüstungskonferenz der drei größten Seemächte Amerika, England und Japan in Gens. Die Oefscntlichkett erfährt nur einen Teil der Verhand lungen: denn nicht minder wichtig wie die öffentlichen Sitzungen sind die Besprechungen hinter verschlossenen Türen. Immerhin lassen die Programme der beteiligten Regie rungen. ihre Ergänzungsvorschläge und die Einwendungen, die erhoben werden, den Schluß zu, daß die Besprechungen weniger dem allgemeinen Weltfrieden dienen, als vielmehr dem Machtstreben der beteiligten Staaten. Die stärkste Stellung in diesem Ringen hat Amerika, dessen Präsident die Konferenz einberufen hat. Die Ver einigten Staaten sind dank ihrer Lage, dem Reichtum ihres Landes, das über alle Hilfsmittel verfügt, dank ihrer hoch, entwickelten Industrie und ihrer Bevölkerungszahl so gut wie unangreifbar. Gefährdet sind nur die Philippinen und einige andere Inselgruppen, deren Besitz für Amerika keine Lebensnotwendigkeit ist. Die Flotte ist für die Amerikaner ein Mittel der KUstcnverteidigung und im übrigen ein In strument ihrer Handelspolitik. Ganz anders ist die Lage für England und Japan. Das g r o ß b r i t a n n t s ch e Reich er- streckt sich über die ganze Erde, seine einzelnen Teile können nur durch die Aufrechterhaltung der Seeherrschaft mitein. ander in Verbindung bleiben, England selbst ist ohne die Einfuhr über See in wenigen Wochen dem Hunger preis- gegeben. Japan muß sich ebenfalls die Zufuhr vom asia tischen Festland offen halten, die einzelnen Inseln, aus denen das japanische Reich besteht, können nur so lange verteidigt werden, als sie Verbindung miteinander haben. Durch ihren Reichtum sind die Amerikaner in der Lage, sich der Größe und technischen Beschaffenheit nach -te besten Scliisse zu leisten, hingegen sind ihnen in bezug auf das Personal Grenzen gesetzt, da bei den vielfachen Ver- dienstmoglichkeiten die Anwerbung wirklich brauchbarer Leute in großer Zahl Schwierigkeiten macht. Dementsprechend ging der Vorschlag der Amerikaner dahin, das Stärkererhäldnis der Grvßkampfschiffe von 3:5:3. wie es in Washington 1932 festgelcgt war, auch auf die Kreuzer, Torpedoboote und Unter seeboote auszudchncn, die Gesamttonnenzahl für die Schiffs, klaffen festzulegen, aber nicht die Größe des einzelnen Schiffes und seiner Bewaffnung. Bestimmend für den amerikanischen Vorschlag war ferner, -aß England sich durch die große Zahl seiner Kreuzer ein erhebliches lieber- gewicht gesichert hat. Findet der Vorschlag Amerikas An nahme, so müssen entweder die Engländer die Zahl ihrer Kreuzer cinschränken. oder Amerika kann auf Grund der „Abrüstungskonferenz" neue Schiffe bauen. Ein- wände gegen die Bewilligung solcher Neubauten würden durch den Hinweis entkräftet, daß man in Genf seinen „guten .Willen" gezeigt habe, aber gegenüber dem Imperialismus der anderen nicht durchgedrungen sei. Diese Beweisführung verspricht bei der Einstellung des amerikanischen Volkes sehr starke Wirkung. Die Vorschläge der Engländer zeigen, baß dieses Reich nicht mehr über unbeschränkte Geldmittel verfügt: Eng land will die Altersgrenzen der Schiffe hinaufsetzen, die Größe der einzelnen Schisse und ihrer Bewaffnung verringern. Dringt England mit seinem Vorschläge durch, so werden seine Rüstungsausgaben vermindert und wird die Ueberlegewheit der Amerikaner auf technischem Gebiet wenigstens teilweise ausgeschaltct. Den Engländern scheint die Konstruktion schwerster Geschütze Schwierigkeiten zu bereiten, sie sind in den Jahren nach dem Kriege in der Vergrößerung der Kaliber nur zögernd gefolgt. England betonte während der Verhand lungen mit Recht, -aß die Notwendigkeit, viele Seewege zu schützen, eine große Anzal Schiffe erfordert, verschwieg aber, daß diese Schisse nicht nur zur Verteidigung, sondern auch zum Angriff auf den feindlichen Handel verwendet werden können. Japan will für sich eine bessere Verhältniszahl für leichtere Streitkräfte, und zwar k statt 3, erreichen. Es wünscht völlige Freiheit im Ban von Fahrzeugen unter 7M Tonnen, d. h. Booten, die zur Küstenvcrteidigiing geeignet sind und deren Wert bei der Gestaltung der japanischen Küske nicht unterschätzt werden darf. Das Bestreben, ebenfalls den Bau von Flugzeugmutterschiffen bis 10 VM Donnen von den ein- schränkenden Abmachungen auszunehmen, zeigt, welche Be- deutung Japan der Luftrüstnng beimißt. Bisher sind diese gegensätzlichen Meinungen nicht aus geglichen worden. Und es müßte stark überraschen, baß es trotz der bisher sehr zurückhaltenden Politik der Japaner in Genf zu einer grundsätzlichen engltsch-sapanischcii Einigung gekommen ist, durch die Amerika zunächst isoliert und unter einen starken Druck gestellt wirb. Sollte diese Einigung be reits ein Ergebnis der Ankündigung sein, daß künftig weniger die militärischen Sachverständigen als vielmehr die Politiker sprechen sollten? Vielleicht deutet diese Nachricht darauf hi», daß man, um zn einer Einigung zu kommen, auch andere pvli- tische Machtfragen zum Ausgleich heranziehen wirb. Ob und inwieweit die jetzige englisch-japanische Einigung auch polt tische Auswirkungen haben wird, steht noch dahin. Man wird Der deutsch'belgische Notenwechsel bleibt geheim. Aus Wunsch -er Brüsseler Regierung. Brüssel, 19. Juli. Die neue Note, welche Belgien dem deutschen Gesandten in Brüssel in kürzester Frist auö- händigen wird, soll ans Wunsch der belgischen Regierung ebenso wie die bisher gewechselten Note« nicht vcrösscntlicht werden- Dieter Verzicht der deutschen Negierung wird ihr aber durch die Haltuna eines Teiles der belgischen Presse sehr erschwert. So behauptet der „Sotr". die Antwort, die in deutscher Sprache erfolgt lei. lei in einer Form abgcsaßt, die wenig erfreulich sei. Es komme darin der dcutschc Ton vor de« Kriege zum Ausdruck. Der neue Grenzverlrag mit Frankreich. Versailles greift anf 1879 zurück. Berlin. 19. Juli. Dem Reichstag ist vom Auswärtigen Amt der Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich über di« Festsetzung der Grenz« zur Verabschiedung zngcgangcn. Durch Art. 37 und 81 des Vertrags von Versailles ist infolge der Abtretung Elsaß-Lothringens an Frankreich die dentsch-französische Grenze in der Weise festgelegt worden, daß die Gren^ vom 38. Juni 1879 wieder hcrgestellt wird und die Bestimmungen der Berträge Uber die Grenzführung vor 1871 wieder in Kraft treten. Damit ist. wie in einer Denkschrift an den Reichstag, die dem neuen Vertrage belliegt, ausgeftthrt wird, ein« Revision der zwischen Frankreich einerseits und Preußen. Bauern und -Baden anderseits ab geschlossenen alten Grenzverkräg« notwendig geworden. Bei der Nachprüfung -er Grenze, die von einer deutschen und einer französischen Kommission gemeinsam vorgenommen wurde, stellt sich die Notwendigkeit heraus, ben ganzen Mrenzverlauf neu zu vermessen und teilweise neu zu vermerken, neue Pläne anzufertigen, sowie einzelne Unklarheiten zu be seitigen. die über den Grenzverlauf bestanden. Die Arbeits ergebnisse der beiden Grenzkommtsstonen führten im Spät- herbst 1928 in Paris zu Verhandlungen, hie ihren Abschluß in dem neuen Grenzvertrag« fanden, der an Stelle der Einzel- verträge treten soll. Der neue Vertrag umfaßt 33 Artikel und regelt die PLaterie in sechs Tabellen. Militärischer Ungehorsam in Frankreich. (Durch Funk spruch.) Paris, 19. Juli. Laut „Journal" weigerten sich gestern in Cherbourg etwa INN aus Paris kommende Matrosen der Reserve, die für sie bestimmten Lastautomobile zu besteigen, und zogen unter dem Gesang der Internationale und dem Ruse „Gebt unseren Frauen Brot!" durch die Stadt. Zwei die Matrosen begleitende, aus Paris stammende Eisen bahner wurden wegen Aufreizung von Milttärpersonen fcst- gcnommen. Bei dem einen wurde ein Paket mit anti- militaristischen Flugschriften beschlagnahmt. In BlotS wur den, der „Humanitö" zufolge, 11 Soldaten fe st genom men, weil sie am 14. Juli auf der Kaserne eine rote Fahne gehißt haben sollen. Demselben Blatte zufolge weigerten sich tn einem Reservelagcr des 302. Artillerie- Regiments die Reservisten, einen Befehl des dienst habenden Offiziers auszuführen, worauf der Befehl zurück- genommen wurde. (W. T. B.) Sin Spionageprozeh in Paris. Paris, 19. Juli. Vor einer hiesigen Strafkammer begann heute ein Prozeß gegen neun Komm» nisten wegen Spionage. Zwei von ihnen, -er Siadtrat Cremet von St. Cyr und seine Sekretärin, sind flüchtig. Die Untersuchung hat ergeben, daß die Angeklagten unter russischem Auf träge Dokumente entwendeten, die die französische Militär, luftfahrt, die Bewaffnung «nd die neuen franzv«"^en Explo sivstoffe betrafen. Auf vorgedruckten Fragebogen waren über diese Dinge eingehende Berichte geliefert worden. Die Verhandlung findet wegen Gefährdung militärischer Fragen unter Ausschluß der Oefsen-tlichkeit statt.