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Dresdner Nachrichten : 07.05.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189905072
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990507
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990507
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-05
- Tag 1899-05-07
-
Monat
1899-05
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 07.05.1899
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Seite 214. Belletristische Sonntags-Beilage ,u den „Dresdner Nachrichten" zu vergleichen. Sic schenken ihren Kindern Leben und dies« wiederum sind nur geboren. ich niemals heirathen. sie es nun. Herr!" Denn Äonen sind mit diesen Thieren . unter Hunger nnd Schmerzen das um dir gleiche Last zu tragen. Deshalb will es das ist. worauf sie angrspielt. so wissen Z Er war überrascht durch die ruhige Ueberlcgnng und Beobachtungsgabe, welche sich ist ihren Worten verrieth. Es dünkte ihm ein Wunder, ein Wesen unter all' diesen Leuten mitleidsvoll von einem Thiere reden zu hören, zu vernehmen, wie man Parallelen ziehe zwischen Thieren- und Menichenloosen. Es befremdete ihn auch die gerade Antwort, welche er erhalten, denn er wußte. Latz dieielbe dort zu Lande selten üblich ist: mit der Hand hmüber- weiiend nach einem goldigen Streifen, der sich im Westen zeigte, sprach er: »Dort drüben. Mädchen, wo jener Lichtstreisen herüberlcuchtet. liegt Rom: mehr denn Einer, welcher von einem Bancrnweide geboren worden, sah dort als Stellvertreter Gottes auf goldenem Throne und Kaiser und Könige knieten nieder, um seine Fühl zu küssen. Welches Weib kann wissen, was für eine Höhe dermaleinst das Krnd erreicht, welchem sie das Leben schenkt!" Sie sah nach der Richtung hinüber, welche er ihr wies, aber sie verstand Ihn nicht. Bon Rom hatte sie freilich schon reden Horen, aber sie verband keinen anderen Begriff damit, als daß es das Reiseziel vieler Veiurini sei. »Ter Weg ist wert und die Kluft ist tief, welche die Gebildeten von den Unwissenden kennt. Das Eine spricht zu dem Anderen in einer Sprache, die gegenseitig nicht verstanden wird." Er wuhte, daß sie den schwachen Trost, welcher in seinen Worten lag. nicht erfaßt habe,- tiefes Schweigen folgte seinen Worten, man vernahm nichts, als das Geräusch ihrer Sichel. -Weshalb bleiben Sie hier?" fragte sie plötzlich und ganz unvermittelt: ,«S ist ia doch nicht Ihr Heimathland, nicht wahr?" .Nein, das ist es nicht." »Haben Sie keine Freunde?" »Ja. viel. aber hier nicht." »Sie sollten zu Ihren Freunden gehen l" »Wollte Gott, ich könnte cs!" ^Varum sollten Sie es nicht können?" Er schwieg. Wie sollte er ihr seine Lage begreiflich machen. Noch immer auf dem Boden knieend. blickte sie mit plötzlich erwachender Theil- nahme zu chm empor. -Haben Sie einen Menschen getödtet?" fragte sie leise. Es war dies die einzige Veranlassung, weshalb Menschen zuweilen von Le Sclve flohen. -Nein, ich that Schlimmeres." cntgegnele er ernsthaft: „ich versuchte Menschen zu lehren und sie wollten nicht unterrichtet sein. Meine Vorgesetzten sahen meine Handlungsweise als ein Verbrechen an; sie schleppten mich in's Grsängniß, ich aber entkam Nun bin ich hier." Marcella sah zu ihm empor. „Sie trachten auch hier die Menschen zu unterrichten" — sprach sie nach einer Weile; „man wird Tie hier nicht in's Gefängmß schleppen, aber Ihnen Ihr Grab bereiten. Alle sind gegen Sie eingenommen: die Leute verdienen «S nicht, daß man ihnen Besseres lehrt. Es wird Ihne» auch nicht gelingen, sie zu ändern, und wenn Sic sich abmühcn, bis Ihr Haar ergraut!" ttslm ^ meinem Brotherrn und diesen Leuten gegenüber meine Pflicht „Sie sind ein gerechter Mann, aber Jenen gelüstet es nicht nach Ihrer Gerechtigkeit; sie wollen all' das thrm können, was sie immer thate», sie vollen so sein, wie sie immer gewesen. Wildschweine lieben den Morast; sie empfinden nicht das Bedürfniß, das Stroh aus den, Stall zu räumen." Cyrillo schwieg. „Ich habe immer geglaubt." dachte er. „daß man den Armen nur den rechten Weg zeigen müsse, damit sie denselben frendigst gehen, daß man ihnen nm das Wasser weisen müsse und sie gerne bereit wären, sich in demselben zu waschen, ich fange aber an, zu befürchten, daß ich mich getäuscht habe." Laut aber sprach er: „Wäre ich auf meinem eigenen Grund und Hoden, so würde es meine Sache sein, mich zu Grunde richten zu lasse», wenn es mir Vergnügen^ bereitet, obzwar dies nicht Wohlwollen gegen die Anderen, sondern sträfliche Schwäche wäre. Hier aber bleibt mir keine Wahl; ich bin der Diener Anderer, ich muß Das durchführen, was ich als recht anerkenne." „Man wird Sie lobten." „Mag man cs immerhin! Bedrohte Menschen leben aber gewöhnlich lange." -Nicht immer und hier nicht." Sie setzte ihre Arbeit fort und fügte erst nach einer längeren Pause zögernd hinzu: „Wer Sie zu Bode» schlägt, wird doch uic hcrausgefunden werden. Ei» Jeder wird gemeinsame Sacke mit ihm machen, wird auf seiner Seite sein und Alles für ihn auf Las Spiel setzen, wenn uöthig, den Schuldigen in seinem eigenen Bette verstecken nnd bei der Madonna und allen Heiligen falsche Eide schwören. Alle werden ihn lieben, es werden zu seiner Sicherheit von Haus zu Hans, von Sri zu Ort. von Provinz zu Provinz Zeichen gegeben werde». Die Behörde wird seiner niemals habhaft werden. Ter Haß gegen die Ausländer ist bindender als jeder Eid." „Mädchen, warum theilst Tu diesen Haß nicht!" törichte Cyrillo befremdet Mid bewegt zugleich. Warum? Das wußte sic nicht zu sagen. Sie hatte sich nie eine solche Frage gestellt. Freilich hätte sie auf der Seite ihrer Leute stehen sollen und nicht aus der seinen. Warum war dies nicht der Fall ? „Sie sind im Recht," sprach sie einfach. „Und Sie stehen allein. Hunderten gegenüber." Ich bin mit meines Vaters Angcbörigen niemals einig gewesen. Meine Mutter war ein Weib aus Viterbo; ich lebte dort bei ihr, dis sie starb. Sie war von meinem Vater gegangen, weil er hart und grau sam gewesen. Sie war gut. so gut! Sie lehrte mich, zu begreifen, daß die Wege, welche sie hier cinjchlagen. döse sind. Es sind schlechte Menschen wie auch mein Vater es war. Sie lieben nicht einmal den Wald und Sic lieben den! Nun leben Sie wohl! Es wäre besser, die Leute sehen Sie nicht hier, sie glauben sonst, daß wir gemeinsam Bisses gegen sie im Schilde führen." Sie rasste das geschnittene Heu zu einem Bündel zusammen, hob es auf den Kops nnd entfernte sich, hoch aufgerichtct. mit sicheren Schritten. So waren vor ihr die Weiber von Etrurien und von Latium durch diesen Wald geschritten. Der Ackerbau ist die einzige Arbeit, welche die Zeiten nickt wesentlich ändern: sie bleibt, wenigstens in Italien, vornehm, schön und einfach. Er blickte ihr nach, wie er etwa eine Statue angesehen hätte, die dem Erdboden entwachsen war -, in seinen Augen war sie ebenso geschlechtslos wie eine Statue. Er trug den eisernen Panzer einer vcrzwciflungsvvllcii, ihn ganz gefangen nehmenden Leidenschaft, tue ihn weder Sinn noch Ver ständnis; hegen ließ für flüchtige, vorübergehende Empfindungen. Sie hatte ein Versländniß für seine Lage und Vereiniaminlung an den Tag gelegt, welches ihm dovpelt wohlthätig war. weil er bis jetzt Niemanden begegnet war. der ihn auch nur im Geringsten verstanden halte. Er fühlte sich ihr deshalb zu Dank vcrvflichtet. Er fand die Intelligenz heraus, welche sich hinter ihrer scheinbaren Unwissenheit verbarg, und er wusste den Math zn würdigen, welcher sie veranlaßte. Jenen stete Opposition zu machen, mit Veiten sie ja doch leben mußte. Ihre Warnungen beeinflußten fei» Benehmen in keiner Weise, aber er wußte, daß dieselben sich auf eine genaue Keimtniß ibrer Umgebung stützten. Er war zu sehr Fatalist, um in seinem Leben irgend eine Aenderung eintretcn zu lassen; überdies war er durch das Unglück apathisch geworden gegen jede Gefahr. Wenn man Alles verloren hat bis auf das nackte Leben, ist es schließlich von geringem Werth, auch dieses verlieren zu sollen. Er war nun seit achtzehn Monaten in diesen Wäldern, sah nichts als feindliche Bauerngesichter um sich, konnte nie ein Wort mit Mensche n wechseln, die auf einem höheren Grade gesellschaftlicher Bildung standen. Marcella war freilich ebenso unwissend wie die klebrigen, aber sie verstand ihn mit dem Herze», wenn nicht mit dem Geiste, nnd er fand Erleichternug darin, Anklängc an Gewesenes in ihrer Gegenwart zu berühren, an Tinge, welche in himmel weiter Ferne zu liegen schienen, obzwar es in Wirklichkeit noch gar nicht so lange her war. daß er selbst sie erlebt. Es that ihm wohl, die Vergangen heit wieder beraufzubcsckwören. im Geiste sich die Gestalten zn vergegen wärtigen, welche ihn im täglichen Leben umgeben hatten; er streifte dadurch jenes Gefühl des Unwirklichen ab, das ihn in der Einsamkeit manchmal zu übermannen drohte. Einmal sprach er sogar von dem Weibe, welches er liebte, ohne ihren Namen zn nennen, und nackdem er seine Scheu einmal überwunden, that er es wieder und wieder, schilderte er ihre Erscheinung mit Worten der Be geisterung, stieß er sich damit einen Dolch in die Brust. Marcella aber lauschte erbleichend seine» Motten, und nach und nach war es ihr, als schwebe eine Heilige ihr vor. welche der Mann anbetete, mit dem sie sprach. Sie wußte selbst nicht, 'weshalb sie sich die Fremde als ein lichtumflossencs Heiligenbild vorstellte, ober daß dem so sei. ließ sich nicht in Abrede stellen. Ihm kam es gar nicht in den Sinn, daß er eine Grausamkeit begehe, indeni er ein armes ungebildetes Landmädchen anrege. sich so sehr für ihn zu intcreisiren -, er gedachte ihrer kaum, er sprach niit ihr. weit er Ehrlichkeit und Theilnahme in ihrem Blick las, weil er Hnndetreue in ihrem Geinüthe ahnte,- er sprach mit ihr. weil er der langen, stummen, sreundlosen Einsamkeit müde war. „Sie werden zurückkehren," sagte sie ihm eines Tages, als der Schmerz, welcher an seiner Seele nagte, seinen Math zu brechen drohte, nnd sie sah, wie große Thränen in seine» Augen standen. „Niemals!" cnlgegnete er mit einer Gedecke tiefster Niedergeschlagenheit. „Doch — Sie werden zurückkehrcn, ich weiß, ich fühle es." „Armes Kind, was kannst denn Tu wissen ?" „Ich weiß freilich nichts, aber ich bete für Sie." Er neigte das Haupt. „Ich danke Dir. mein Kind." Sie sah ihn an mit einem traurigen, sehnsuchtsvollen Blick, welchen er nicht beachtete, weil leine Gedanken nicht bei ihr waren. „Ich wecke immer für Sie beten," fügte sie nochmals hinzu. „Ich bin gewiß, es wird der Tag kommen, an welchem Sic in Ihr Hrimathsland zurückkehreu können." „Das sagst Tu mir, uni mich zu trösten. Jene, welche ich beleidigt habe, verzeihen niemals." „Kann ihnen das Nachgeben nicht vielleicht doch in's Herz gelegt wecken ?" „Eher lernt jener Eickenbaum dort drüben die Kunst des Gehens." Obzwar seine gesunde Vernunft ihn, sagte, es könne keine Heimkehr stir ihn geben, besaß ihr Glaube doch etwas verführerisch Bestrickendes, nnd er ließ sich gerne durch denselben beschwichtigen. Außer dem Tode gab es ia doch nichts, was völlig hoffnungslos war. Er konnte noch manche Wandlung erleben, er war imig genug, als daß er den Sturz einer Dynastie, als daß er Revolutionen hätte mitmachcn können. Freilich wagte er den Traum kann, nuszudenkeii. welcher ihn, die Rückkehr in die Hcimatl, hätte ermöglichen können, und dock war dieser Traum sein liebster Gesährtc in mancher dunklen, stürmischen Stacht. Die Hoffnung, welche in einer anderen Brust lebte, war ihm thener; er konnte sie nicht theilen, ober sie schützte ihn doch vor Verzweiflung. „Sic werden in Ihr Heimathland zurückkehrcn," versicherte Marcella, und der Klang ihrer Stimme war seinem Ohr willkommene Melodie, wenn auch das arme Mädchen kann, wußte, wo die Heimath sei, von welcher sie mit jo viel Zuversicht sprach. 8. Kapitel. Ter religiöse Glaube war in Marcella, wie in den meisten Frauen ihres Standes, sehr stark ausgeprägt, aber unklar. Derselbe war eine gebietende Macht, blind und unvernünftig, die keinen Zweifel kannte, dabei aber doch harmlos und ohne klare Begriffe war. Die ersten Jahre ihrer frühesten Kind heit waren für das Mädchen sehr glücklich vergangen, denn die Mutter war MM Belletristische Souoiags-Beilage zu de« „Dresdner Nachrichte«-. Sette 213. eine ante, warmherzige Frau gewesen, und io kam cs. daß der Aufenthalt in Viterbo auch in spätere» Jahren, in der Erinnerung Marccllas von hellstem Sonnenglanze umflossen schien; ihr dünkte der Ort geheiligt, denn ihre Mutter ruhte dort auf den, Gottesacker. Ter Gedanke, einmal einen Pilgcrgang nach Viterbo anzutrete». setzte sich imnier mehr und mehr in ihrem Geiste fest; sie wollte dort zu den Heiligen nnd znm Erzengel stehen, daß die Heiligen und der Erzengel den Wunsch des Fremden gewähren mögen. Ter Gedanke war großmnthig, selbstlos, fast heldenhaft zu nennen, und er wuchs mit ihr und entfaltete sich zu immer größerer Tcutlichkclt. Sic war nie mehr über die Wälder der Gandolso's hinausgekonimcn, seit dem heißen Julitaae, da man sic. als sie zehn Jahre zählte, zu den Verwandten des Vaters gebracht, aber sie wußte ganz gut. wo ihre Geburtsstättc lag, von Le Selve nach Nockost hinüber. Jahrhundertelang waren Pilger unablässig aus dem Wege nach Rom durch Viterbo gezogen, hatten die Päpste es alljährlich ausgesucht. Jetzt aber waren diese Zeiten vorüber und tiefe Stille herrschte dort, wo es einst reges Leben gegeben: daß Viterbo sich einst einer gewissen Berühmtheit erfreute, wußte Marcella nicht: es kümmerte sie auch nicht, sie sah darin nur die Stätte ihrer Kindheit: was bekümmerte sie die große, die erhabene Vergangenheit! Sie liebte Viterbo. weil sie dort die Liebe einer Mutter kennen gelernt hatte, weil dort das Grab ihrer theueren Tahingcschiedenen war. Während der langen Stunden des Neberlegens reiste der Entschluß in ihrer Seele. Viterbo dünkte ihr unermeßlich weit fort, so weit wie der Mond vielleicht. Von Schäfern erfuhr sie aber doch den Weg. welchen sie einzu- schlagen habe, um nordwärts ans die Heerstraße zu gelangen. Neun Meilen weit ging sie, über Hügel uns über Brücken, um endlich den Postwagen zu erreichen, der von Ronciglione nach Viterbo fuhr. Sie hatte nm wenige Heller in der Tasche, der Erlös eines Stückchens selbst gewobener Hanfleinwand: sie besaß aber nebstbei ein Stück Schwarzbrot und etwas Knoblauch, auch war sie an schmale Kost gewöhnt. 'Als sie den ginnen Schatten des Waldes verließ, dünkte ihr der Staub auf der Straße, die granen Mauern der Häuser in den Ortschaften sehr düster und unfreundlich. Die Stadt, an welche sie sich aus ihrer frühesten Kindheit erinnerte, kam ihr. als sie endlich erreicht war. ganz anders vor Zwölf Jahre hatte sic diese Straßen nicht gesehen, und ihre nackten, an moosige Wege gewöhnten Füße schmerzten sie. während sie über das Straßenpflaster schritt. War der Geist Gottes hier eher zu finden, als unter Len mächtigen Kronen der Bäume des Waldes? Zwölf Jahre, seit sie hier gewesen! Nnd was hatte ihr Herz an Vereinsamung gelitten, seit sie zuletzt die Straßen der Stadt geschaut! AVer de» Toni fand sie doch wieder, den vnomo ci> Sau Iwronro. rn welchem sie als kleines Kind an der Seite ihrer Mutter gekniet, während die Klänge des Lvttc- N elson himmclwütts rmvorstiegen. Tiefe Stille herrschte in der Kirche, als sie den schweren Ledcrvorhaug. welcher den Eingang verdeckte, zur Seite schob. Der Tag ging zur Neige, da und dort nni Bosen kniete eine einsame Gestalt. Sie begab sich nach einer Seite»kapelle, welche sie gut kannte, da sie dort immer mit der Mutter geweilt: ein Kirchendiener huschte mit leisen Schritten aus und nieder: er zündete da und dort die Kerzen an: müde, bestaubt, erschöpft kniete auch sie vor einem Muttergottesbilde und betete mit heißer Inbrunst; vielleicht frommte es zu nichts, aber schaden konnte es auch nicht. Ob Gott ihr Gebet erhörte ? Jedenfalls that sie, was in ihrer Macht gelegen war. Sie betete so inbrünstig, wie die Frauen für ihre Kranken in Loretto und Louckes zu beten pflegen. Am Altar brannte eine Silberlampe. sie schwang sich hin nnd her. Marcella neigte das Haupt bis zur Ecke und bedeckte das Antlitz mit der Hand. „Ihr Heiligen, nehmt das Einzige, was ich besitze," flüsterte sie - ..ich bin arm und unbedeutend, aber erhört meine Worte. Ich gebe und opfere 'Alles, was ich habe, nur erfüllt ihm seinen Herzenswunsch." Nnd sie löste ein kleines 'Achatherz von ihrem Halse. Es hatte ihrer Mutter gehört und sie trug cs an einer Schnur von grauen Haaren am Halse. Näher an den Altar tretend, legte sie es unter die Silberlampe; es war ihre einzige Kostbarkeit; sie besaß nichts außer diesem einen Wetthgegcn stand, und dieser sah klein und unscheinbar ans. während er vom matten Lichte der Lampe beleuchtet dalag. Sie aber dachte, die heilige Gottesmutter wecke diesen ihren einzigen Schatz nicht von sich stoßen; sie mußte ja wissen, daß er Alles sei. was sie besaß. Nach einer kleinen Weile prangte die Kirche in vollem Kerzenichnmck. die Vesper nahm ihren Anfang. Sie erhob sich aus ihrer knieendcn Stellung und kehrte in das Schiss der Kirche zurück, das Achathcrz und die Schnur, welche aus dem Haar ihrer Mutter angescrtigt war, zmücklassend. Ihr that der Kopf weh vor mühsam zuiückgcdräirgten Thränen. Die 'Nacht verbrachte sie in einem ärmlichen Schlupfwinkel, weichen sie in der Stadt kannte: beim Morgengrauen fuhr sic dann irr einem Gciellschasts- wagen, zwischen Weibern, schreienden Kindern und Körben mit Geflügel cirr- aezwängt, bis zu der Kreuzung des Weges, welcher »ach Le Sclve führte. Ihr war es mit einem Male, als belaste ein Bleigewicht ihr Gcmüth. jetzt, wo sic das Amnlct der Mutter nicht mehr am Halse trug, aber sie bereute trotzdem nicht, was sie gcthan. In kurzer Zeit waren die Mauern und Thürine von Vitcrbo^ihrcn Blicken entschwunden, nnd sie loh wieder das dunkle Ge wässer des Sees von Vico und die Kastanien- und Eichenwälder, an die sich ihre Blicke nun längst gewöhnt hatten. Zn Fuße verließ sie Ronciglione und begegnete einem Reiter, der bei ihrem Anblick sein Pferd znm Stehen brachte. „Hast Tn an das gedacht, was ich Dir in der letzten Woche angetragcnl?' forschte Faustino, denn er war es, welcher da mit einem Male vor ihr ans- tanchrc. „'Nein!" cntgegücte Marcella barsch. „Wie lange wird cs wahren, bis Du Dir's überlegst?" „So lange, als die Erde alt ist." „Ich bin ein böser Gegner, Marcella " „Aber wobt ein noch schlimmerer Liebhaber" „Ich gebe Dir eine Perlenschnur und eine ganze Kiste voll Kleider." „Hede Dir die Perlen für Deine Braut auf und gicb die Kleider eine» Bettler. Reite immerhin zu Deiner Braut nach La >storfa uud bekümmere Dich nicht um mich." „Mädchen, wo bist Du gewesen?" „Das kann Dir einerlei sein." „Tu siehst müde und angegriffen ans." „Ich bin frisch genug, uni Dir die Ohren klingen zu lassen, wenn D» mich behelligst; geh Du nur zu Deiner Braut!" Fausto runzelte die Stirn und stieß seinem Pferd die Sporen in die Flanken. Er war an Widerstand nicht gewöhnt. Sie betrachtete ihr Spiegelbild in der glatten Fläche des Sees und fragte sch, was denn Fausto an ihr so Begebrcnswetthes finde. Sie sab an sich selbst nichts Hüwchcs, nur die sonnengebiännte Haut, die braunen Anne und Hände, die von den moosigen Wegen nassen Füße. Fansto mochte sie schö» finden und sic mit den lüsternen Blicken verfolgen, sic aber fand nichts an sich, was des «ehens werth sei. Nach einem langen, ermüdenden Marsch erreichte sie endlich ihr Heim, und da der Aufseher Fansto sie gesehen, machte sie auch weiter kein Geheim» niß ans ihrem Marsch nach Viterbo. Sie waren Alle zornig, daß sie ihnen nichts mitgebracht, sonst aber hatte die Angelegenheit kein Interesse für sie. Sie wahrte ibr stilles Hoffen in tiefster Leele und wartete. Wenn cs den Heiligen paßte, würden sie ihm schon die Freiheit wicdergeben. „Tu verblühst, Mädchen. Was fehlt Dir?" forschte der Oheim. „Leiste ich nicht meine tägliche Arbeit?" „Wir behaupte» ja nicht, daß Tn im Fleiße nachläßt." „Was kümmert Euch Alle dann mein Ausiehen?" Sie duldete weder Fragen noch Einmengung; sie wußte, daß sie ihnen viel niehr werth war als das. was sie für sie verausgabten, und ihre An- gehörigen wußten auch, daß sie mehr für sic arbeitete, als irgend eine andere es gcthan hätte. Wenn die Männer sorgsam gewebte Hemden trugen und die Kinder so viel Brot hatten, als sic nur irgend essen konnten, so dankten sic das in erster Linie ihr. „Wenn sic sich mit den: Fremdling in eine Liebschaft einlaffen will, was geht das uns an?" meinten die Weiber achielzuckend. „Sic würde besser daran thun, den Fausto zu nehmen," sagten dir Männer. „Wir könnten ihm dann doch jeden Winter ein Schwein abbetteln." warf Alcide lachend ein. Sie würden cs Alle gern gesehen haben, wenn sie die Werbung des Römers mit geneigter Miene hingenommcn. Er ivar ein Mann nach ihrem Sinne, der kaufte und verkaufte, log und betrog und seine Zeit anszuuutzen verstand. „Sie mag ihr Leben einrichten, wie es ihr am besten bchaat, wenn sie aber an uns zur Berräthcrin wird, soll sie es bereuen lernen!" sagte sich Alcide nnd schickte sich an, sie zu bemachen. Es war dies keine schwierige Aufgabe, denn an jedem Morgen, wenn sie ausging, kannte man ihre Tagesarbeit; dieselbe war, der Jahreszeit ent sprechend. fast immer die gleiche. Ein- oder zweimal sah er. wie sie mit Cyrillo sprach, aber er eu.deckte dabei nichts, was ihm wie eine Liebcs- Epiiode vorgekommen wäre: er glaubte deshalb, um desto sicherer sein zu sollen, dag sie nach der Weisung des Fremdlings Spionendienste leiste. „Wir haben einen Kuckuck groß gezogen," sagte er zu seinem Weibe; dieses aber, schlauer als er. ciitgeznete: „Wir haben sie nicht groß gezogen, sie ist schon halb erwachsen zu uns gekommen nnd sie ist nicht aus icncm Stoffe, aus welchem man Spione groß zieht." Alcide jedoch blieb bei seinen eigenen Anschauungen und Lucio lhellte dieselben. Wenn ein Mann und ein Weib, Beide jung an Jahren, nicht von Liebe mit einander redeten, wovon sprachen sic dann, wenn sie beisammen waren ? Natürlich nur von Anderen. Lncio war ihnen einmal nahe genüge um zu hören, was sie sprachen, nnd nm zu sehen, daß sie nicht ganz nahe der einander standen. Der Fattorc war angeritten gekommen und hatte sich aus dein Sattel geschwungen: Marcella kmetc am Bode» und mähte ihr Gras. „Das ist ein Blaukehlchen," sprach der Bcrwalter. als ein kleiner B Pom Boden aufflog: „gied Acht, Mädchen, dort nicht zn mähen, wo sie Nest gebaut haben." „Ich sehe bas Nest," enkacqnete sie, „es ist wie ein kleines Körbchen gestochten. Wir habe» viele solcher Vögel in hiesiger Gegend." „Tie Beiden muffen Anderes meinen, als sie sagen " dachte der Horcher und blieb auf seinem Lauscherpostcn. Er hörte aber nichts als die harmlosesten Worte, verlor endlich die Geduld und entfernte sich, als er sah. daß der Reiter Miene machte, sich wieder in den Sattel zu schwingen. Jener Theil des Waldes, in welchem sich sumpfiger Morast befand, war viel tiefer gelegen und dehnte sich hinüber bis zu dem Vico See ans: dort wuchs mannshohes Binscnkrant, dort flatterten die Wildenten in ungestörtem Behagen umher. „Ich wundere mich nur. daß der verfluchte Nordländer uns nicht auch noch zwingt, das Binsenkraut zn bezahlen, welches wir abschneidcn," bemerkte Lucio, plötzlich hinter dem hohen Schilf bervortretend. „Von Keinem wird mehr gefordert, als recht ist." cntgegnctc Marcella ms. „So lange man das Bimenkrant nur. zur richtige» Zeit schneidet» ädigt man damit >veder den Boden, noch irgend eine Men'chcnfeclc." Lucio zuckte verächtlich die Achseln. „Wer in des Teufels Namen hat sich ie an irgend einen Zeitpunkt gehalten, wen» er Schilf schneiden wollte ? Der Snmps ivrnigstens ist uns frei gegeben und wir haben ebenso viel Recht an demselben, wie die grasend« Kuh nick das weidende Kalb." Er wies bei diesen Worten aus eine Anzahl Thiere, welche eben an ein« Pfütze Wasser schlürften. «F»rt;-tz>mg DiNNag.)
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