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Der Kapellmeister ging fröhlich auf ihn zu und reichte ihm, wie einem alten Bekannten traulich die Hand. — „Setzen wir uns da unter die Buche." — Es geschah und dbr Cantor mußte nun seinen Lebenslauf erzählen. In gewählten Worten ging dies vor sich. Nichts wurde verschwiegen, dem Herrn Kapellmeister wurde Alles offenbarr, selbst die Hauptsache , seine Liebe, sein höchster Wunsch: die Verbindung mit seiner Marie. „Acht Jahre verlobt?" rief Himmel. Ein Mann mit solchen Kenntnissen eine so geringe Stellung? Bei allen neun Musen! dies geht nicht und — Herr Cantor, ich will Euch eine bessere Stelle ver schaffen; nicht hier, in der Mark. Ich will Mor gen an den Kirchenpatron schreiben." „In die Mark!" flüsterte Wilhelmi, „dort, wo die dunkeln Fichtenwälder, in dem Sand der Mark. Verlassen mein schönes Elbthal!" — Wehmüthig blickte er hin über die Weinberge, als auf einmal der Freiherr an der Seite des Kapellmeister Nau mann die beiden Orgelvirtuosen überraschte. „Aha, Herr Kapellmeister, Sie wollen mir doch nicht etwa meinen Schulmeister entführen?" ließ sich der Baron vernehmen. „Leicht möglich!" entgegnete Himmel und ging dem Herrn Patron entgegen. Jetzt sah Wilhelmi, wie sich der brave Kapell meister, mit dem Freiherrn unterhielt. Sie gingen langsam den Gang hinauf-. Der Cantor folgte mit den Augen jedem Schritt, jeder Bewegung, und nach dem Wege, welchen Beide nahmen, mußten sie wieder an der Bank vorbeikommen, auf welcher Wilhelmi sitzen blieb. Welche Unruhe, sein Herz klopfte, vielleicht wurde jetzt seine Zukunft ent schieden. Noch ehe die Spaziergänger wiederum die Bank erreicht und vielleicht npch zwanzig Schritte davon entfernt waren, winkte der Freiherr gnädig mit der Hand. Ein Abenteuer in London. „Ich wurde", erzählt der junge Baron S.., der Sohn eines der reichsten Banquiers von W.., „im Jahre 184, während- meines Aufenthaltes in London mit einem Manne bekannt, der sich Lord L.. nannte und, wie er sagte, in sehr naher Ge schäftsbeziehung mit meinem Vater stand. Er schloß sich schnell an mich und schien überhaupt ein sehr verständiger und gebildeter Mann zu sein. Eines Tages lud er mich zu sich zum Thee ein, welcher Einladung ich auch den nächsten Tag Folge leistete. "Lord L. war nicht zu Hause und man führte mich zur Lady, die ich noch nicht kannte, In ehrerbietiger Stellung stand der Schulmeister vor seinem Patron, der jetzt sehr mild und freund lich gestimmt war. — „Hör' Er, Wilhelmi, hier, der Kapellmeistr hat für Ihn das Wort genommen, ich habe mir die Sache überlegt, Euer Wunsch soll in Erfüllung gehen. In Hinsicht des vortrefflichen Orgelspiels und sonst guter Conduite, soll Euer Gehalt um das Doppelte erhöht werden, habe auch Nichts dawider, wenn Ihr heirathen wollt Mei netwegen schon Morgen. Die Hand auf das Herz gelegt, denn Worte gab es nicht her, dankte er seinem Herrn, dann aber erfaßte er die Hand des Kapellmeisters, der sie ihm herzlich drückte und Heil und Segen wünschte. Hinaus! hinaus! durch die Hintere Gartenthür, wo die Strahlen der Sonne das Laubwerk des Buchenwäldchens rötheten.^ Da zwitscherten die Vögel so lieblich und Schulmeisters Herz, es zwit scherte mit: Vierviertel-Takt, Achtel- und Sechs zehntheile. — Sonntag! Ja! das war der Tag des Herrn, der Ruhetag. Wilhelmi's Gemüth, all die heißen Wünsche, sie waren beschwichtigt. Eilen den Schrittes ging er hinüber nach dem Dörfchen, das über der Elbe lag. Einen Glücklichem hatte der alte Fährmann noch nicht über die Elbe ge setzt, als heute. Mit den Worten: „Maria! ich bin der Deine!" stürzte er seiner Braut in die Arme und Freuden- ' thränen perlten aus seinen Augen. Hier, lieber Leser, laß mich enden. Wo das Reich der Worte aufhört, beginnt das Reich der Töne. Ich bin nicht Tonkünstler, ich bin ein schlichter Schriftsteller und um das Ganze so zu beschreiben, waS jetzt die beiden glücklichen Herzen empfinden, da müßte ich das sein, was der brave Cantor auf der Orgel war — ein Virtuose. die indeß auffallend freundlich und zuvorkommend mir entgegen kam, was man sonst bei Engländer innen gegen Fremde nicht findet. Sie lud mich ein, bei ihr auf dem Sopha Platz zu nehmen und ließ Thee und Confedt Herumreichen, lieber das Ausbleiben ihres Mannes schien sie sehr erzürnt; überhaupt lobte sie denselben nicht sehr, sondern schilderte ihn wir als einen Trunkenbold, der sie hart behandelte. Dabei ergriff sie ganz gerührt meine Hände und beklagte sich über den Stand der Frauen in England überhaupt, gegenüber dem des weiblichen Geschlechtes in Deutschland. Es schien ihr Trost zu gewähren, endlich einen Freund ge funden zu, haben, dem sie ihren Kummer mittheilen