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71. Jahrgang. O 28» Abeiiö-Ausgabe Mittwoch, 22. Juni 1227 Gegründet 18S8 Dradtanickrttt! Muchrichtou Svovbev Fernwrecker-Gaiinnelnummeri 28 2^1 Nur iür Nachtaelvräch»! 20011 Bezugs-Gebühr Eia»el»u««ee 10 Vsenni, Di« ttnreiaen werden nach Doltzmark berechne« , dir etn>»al»«>»» » n Anzeigenpreise: ^ «^'SeÄ auherbalb 2S0Pfg. Offerlengebübr Z0P«a. Ausw.AuslrSae« l.SSML. S«drtiilei«una und LmwtgelckLfteKell« Marienttrak, 3S,42 Druck u. Verlag von Lteoitt»» St«ich»rdt in Dreeden Poitscheck-Kont» «OSS Dreeden Nachdruck nur ml« deutlicher Ouellenanaabe >.Dresdner Nachr."> ruliiMa. Unverlanai« Schriilktück« werden nicht auibewabri Sie Wirkung des Angrifsssignals Poincares. Das Fel-geschrei -er Pariser Aechlspresse: Kein Frie-en mit Deutschland — Bruch mit Rutzlan-. Die Eröffnung -es Industrie- und San-eisiages. — Dorbereilung neuer Ozeanflüge. — Ehamberlin und Levine im Wiener Run-sunk. Auch die Opposition schweigt nicht. Paris. 22. Juni. Das Blatt Caillaux', die „V v l v n t ö". macht die Pvtncarö-Nedc vom letzten Sonntag für alle wei teren Schwierigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich verantwortlich. Pvtncarü habe Stresemann angegriffen und Stresemann werde zum Gegenangriff übergehen. Damit beginne wieder jene Periode der deutsch-französischen Rededuelle, die die deutsch-französischen Beziehungen bis zur Bildung der Negierung Hcrriot so arg vergifteten. Die Lage Streseinannö und Briands werde immer schwie riger. Es setzte eine entgegengesetzte Entwicklung der seit drei Jahren befolgten Politik ein, die natürlich eine viel schnellere sei. So habe denn die Rede Poinearös ans beiden Seiten der Grenze alle die Elemente in Bewegung gesetzt, die aus Dummheit, ans Mißtrauen oder auS systematischem Pessimismus den Weg des Friedens durch Anhäufung von Hindernissen verlegten. Für die Rechtspresse bedeutet die Rede PoincaröS das Signal zum Beginn einer Kampagne, die auf die Ver werfung der deutsch-französischen Annäherungspolitik hinztelt. Wir haben keine Außenpolitik mehr, so schreibt das Blatt Mitterands. der „A vcni r". Nur die wiedcrerrtchtete Große Entente könne mit Hilfe der Kleinen Entente und Polen den » » e rs ä t t l t ch e n A n s p r ü ch e n des deutschen Volkes eine Grenze setzen. WaS parallel zu dieser Sprache in allen Blättern wiederkehrt, ist der Ruf nach dein Abbruch der Be» zichungen zu Rußland. In beiden Punkten: Verwerfung der deutsch-fran zösischen Annäherungspolitik und Abbruch der Beziehun gen zu Rußland, setzt die Rechte größtes Vertrauen in Poincarö. „Avenir" sagt bezeichnend: Begrüßen wir die Rückkehr zur Vernunft inmitten der verrücktesten Schwärmerei. Brian- bald wieder hergesielli. Paris, 22. Juni. Der Gesundheitszustand Briands wird als unverändert gemeldet. In seiner Umgebung erwartet man, daß er in einigen Tagen so weit hergestellt sein wird, daß er sich wieder seiner politischen Tätigkeit zü rnenden kann. (TU.) FranzöfifcheParleiführerzurRebePoinear^s Paris, 22. Juni. Ein Havaö-Mitarbeitcr hat den Pariser Abgeordneten Missofsc darüber befragt, was eigentlich in parlamentarischen oder Poineare nahestehenden Kreisen über die Rede von Luncvillc bekannt geworden sei. Dieser wett rechts stehende Abgeordnete bestreitet, daß eine Meinungs verschiedenheit zwischen dem Quai d'Orsav und dem Minister, Präsidenten bestehe. Er erklärte: Wenn Poincarö. wie zu unrecht behauptet wird, seine Rede Briand nicht mit» geteilt hätte, so l>ättc er trotzdem die vom Außenminister im Mtnisterrat vertretene These verteidigt, und er hat sich sogar ans eine schriftliche Note gestützt, von der Briand in Gens hat Gebrauch machen wollen. Der sozialistische Abgeordnete Fontanicr stellt dagegen in der „Volonte" fest, daß tatsächlich zwischen Nriand und Poineare eine g r u n d v e r s ch i c d c n e A u f f a s s u n a über die Politik besteht. Die Politik Pvincares wolle zweifellos den Frieden, aber sic betreibe seine Anfrechtcrhaltung durch Mittel, die wieder zum Kriege führen können. Die Kammer wird wohl begierig sein, zu erfahren, wer eigentlich. Briand ober Poineare, unsere Außenpolitik leitet. Der „Onotidicn" erklärt: Wir Franzosen wollen den Frieden, kein Staatsmann hat also das Recht, etwas zu sagen, was seine persönliche Ansicht ist. wenn es gegen Liese unsere Absicht ist. Der Umfang -es -euksch-franzöfischen Wirlfchaftspakkes. Paris, 22. Juni. Der offiziöse „Petit Parisien" will wissen, daß im Gegensatz zu den Pressemeldungen bet der Be- sprechung P o s s e - B v k a n o w s k i keine Rede davon gewesen sei. gelegentlich der Verlängerung des gegenwärtigen deutsch französischen WirtschastsprovisoriumS dieses auf weitere deutsche Industriezweige auSzudehnen. Posse und Bokanowski hätten lediglich Modalitäten besprochen, die in das Pro visorium ausgenommen werden sollten. Aber auch darüber seien bildende Erklärungen nicht abgegeben worden. Der In-uflrie- un- Han-elslag in Hamburg. Dr. Euriius über -ie Weltwirtschaft. Hamburg. 22. Juni. Im großen Saal der Musikhalle wurde heute die 47. Vollversammlung des Deutschen Industrie- und Handelstages eröffnet Zu der Tagung waren erschienen Ver treter der Reichsbehörden unter Führung des Reichswirt- l'chaftöministerS Dr. Curttus, des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg unter Führung deS Senatspräsidcnten Bürgermeister Dr. Pcterscn, der öffentlichen Körper schaften. der Auslandshandelskammern, der wirtschaftlichen Cpitzcnverbände und der Prelle. — Nach einer kurzen Be grüßungsansprache durch den Präsidenten Franz von Mendels sohn wurde zuerst die Wahl der Stellvertreter des Vorsitzenden vvrgenommcn. Es wurden gewählt zum 1. stellvertretenden Vorsitzenden Senator Witthöft (Hamburg), zum 2. stellver- tretenden Vorsitzenden Geheimer Kommerzienrat N e u s ch. Reichswirlschaflsmlnisrer Dr. Curttus nahm daraus das Wort zu seinem Vortrage über Weltwirt - schastsfragen, wobei er u. a. folgendes ansführte: Die Hanptgesahr für eine Währung, die Verflechtung mit den Finanzen des Staates, bestehe für Dentschland heute nicht mehr, nachdem eine grundsätzliche Scheidung zwischen der Noten bank und den Staatssinanzen vorgenommen sei. Auch von der anderen Seite der Reparationsverpflichtungen könne der deutschen Währung keine Gefahr drohen. Wenn die Organe des DaweS-Planes auch eine Reihe von Mitteln hätten, die politischen Zahlungsverpflichtungen Deutschlands hcrbeizuführen. so können sie daS doch nicht auf Kosten der deutschen Währung. Die Gefahr, daß die Währung durch eine kommerzielle Inanspruchnahme durch die Tatsachen einer passiven Handelsbilanz gefährdet werden könne, sei keine spezifisch deutsche, sondern eine allgemeine. VS sei sein Bestreben, so führte der Minister aus. den Ein» ström fremder Anleihen nach Dentschland nicht z« verhindern, soweit durch sie eine rationellere Produktion und größerer Ab satz gewährleistet werde. Wichtiger als die vorübergehenden Schwankungen sei die Feststellung der Tatsache, baß bei einigermaßen gleich, bleibender Einfuhr die A n S f u h r einen zwar langsamen, aber stetigen Aufstieg zeige. Solange die Landwirtschost den deutschen NahrunaSmittelbedarf noch nicht in größerem Um» ianae zn den olel-iien Preisen, wie sie das Ausland anblete, decken könne, bleibe die Einfuhr groß. Die sogenannie LnxnS» avSsnhr übe daraus keinen nennenswerten Einfluß a«S. Zu dem Problem der Bcrslechtnng Deutschlands in die Weltwirtschaft übergehend, bemerkte der Minister, daß Deutschland nach dem Krieg« und der Inflationszeit nicht mehr koukurrenz» fähig gegenüber dem Auslände gewesen sei. Der Minister beschäftigte sich dann eingehend mit dcnRichtlinien.die dieWel t- wirtschaftskonfcrenz für den Abbau des Zollnivcaus der Welt vorgeschlagen hat, und betonte, daß die Reichsregie rung mit allen Kräften zur Erreichung dieses Zieles beitragen werde. Bei dieser Gelegenheit erwähnte er, Deutschland habe sich nach Kräften bemüht, zu einer Einigung mit Frankreich zu gelangen und sich deshalb bcreitcrklärt, bei einer Reihe für die französische Wirtschaft wichtigen Positionen eine alsbaldige Erhöhung der geltenden französischen Minimaltarifc in Kauf zu nehmen und Ermäßigungen bestimmter autonomer Sätze sür die französische Aussuhrmirtschaft besonders inter essierenden Produkte z n z u g e st c h e n. Sollte Frankreich mit einem solchen Entgegenkommen nicht einverstanden sein, so falle ihm ein wesentlicher Teil der Verantwortung sür die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Europa zu. Zu dein Appell der Wcltivirtschaftskonfercnz be züglich des Zollabbancs übergehend, erklärte Dr. Eurtius, die Neichsrcgierung habe auch zu dieser Frage ohne Zögern und unzweideutig Stellung genommen. Es sei ihr Bestreben ge- wesen, einen Ausgleich zwischen dem industriellen und dem landwirtschastlichcn Zollschutz zu schassen. Sie habe sich jedoch entschlossen, einen solchen Ansgleich nicht dnrch die Erhöhung des landwirtschaftlichen Zollschntzcs hcrbeizusührcn. Die Erhöhung der aut»« nomcn Sartosselzölle und des Fleischzoll 8 sei nicht in dem Sinne z« bewerten, als wenn sic eine Bewegung znr Erhöhung deS landwirtschastliche« Zollnivcaus einleitc« sollte. Vielmehr sei damit nur ein Schutz des bäuerlichen Grund besitzes und der inneren Kolonisation beabsichtigt. — Die zur- zeit bestehende Ungleichheit zwischen den Industriellen und dem landwirtschaftlichen Zollnivcau solle möglichst bald aus geglichen werden, und zwar dnrch einen entsprechenden Abba« des industrielle« wirtschaftlichen Zollniveaus. Zum Schluß ging der Minister auf die Kritik ein, die daran geübt worden sei, daß die deutsche Regierung sich als erste bereiterklärt habe, ihre Wirtschaftspolitik entsprechend den Beschlüssen der Weltwirtschastskonfcrenz neu zu oricn- tieren. Das sei aus ganz nüchternen Betrachtungen der realen Interessen Deutschlands geschehen. Die Regierung wolle alles daran setzen, die Beschlüsse der Weltwirtschasts- konferenz soweit als irgend möglich zu verwirklichen» weil sie der Ueberzcngnng sei. daß die wirtschaftliche Rotlage der europäischen Staaten nur überwunden werden könne, wenn sie sich ans der engen Abgeschlossenheit der über» protektionistischcn Wirtschaftspolitik ans den freie« Kampfplatz Wirtschaftlich«« WettbcWerds hinansarbciten. Die Coolidge-Klniserenz. lVom Schweizer Korrespondenten der «Dresdner Nachrichten".) Genf, den 20. Juni. In Genf löst eine Konferenz die andere ab: Noch sind die Stühle warm von der Weltwirtschastskonfcrenz, von der Großen Internationalen Arbeitskonserenz, von der Nats- sessivn, und schon setzen sich Amerikaner. Engländer, Japaner an die gleichen Tische, um während voraussichtlich mehrerer Wochen die Abrüstung zur See zu beraten. Die Konferenz wird in Genf schlicht «I.n conkSrenco navals" genannt, — dieser Ausdruck ist aber auch alles, was an Konzessionen an das französische Idiom gemacht wird. Die Verhandlungen wickeln sich in englischer Sprache ab und von französischen Uebcrsctziingen der Verlautbarungen an die Presse ist nichts zu bemerken. Grund genug für die beleidigten Franzosen» bereits von einem Rcgtefehler des VölkerbunbssekretariatS zu sprechen. Die Degradierung der französischen «diplomati schen Sprache" erscheint als ein unerhörtes Ereignis. Wie man weiß, hat der Völkerbund mit der Eoolidge-Konferen- nichts weiteres zn tun. als daß er ihr seine Säle und — so weit als gewünscht — seinen bureaukratischen Apparat zur Verfügung stellt. Nicht einmal die Presse ist in der üblichen Vertretung da. Es überwiegen diesmal die amerikanischen Berichterstatter und vor ihnen die japanischen, die als ge waltiges Heer in die Schweiz eingezogcn sind. Sie alle be dienen sich der englischen Laute. Um den Sinn der gegenwärtigen amerikanisch - englisch- japanischen Abrüstungskonferenz zu verstehen, ist es not wendig, bis ins Jahr 1921/22 zurückzugehen, also in die Zeit des Washingtoner Abkommens, wie denn auch nicht vergessen werden darf, «ie sehr die neue Genfer Konferenz nicht bloß als Fortsetzung der Washingtoner Zusammenkunft angesehen werden darf, sondern als logischer Ausbau der in Amerika zustandcgckommencn Ucbercinkunft betrachtet werden mnß. Bekanntlich hat die Washingtoner Konferenz eine Begrenzung der Tonnage der Panzer- und Großkampsschiffe sowie der für die Unterbringung von KrtegSflugzeugen be- stimmten Fahrzeuge erreicht, indem eine den tatsächlichen Verhältnissen der in Betracht fallenden Länder entsprechende Verhältnisskala ausgestellt wurde: für Amerika und England ergab sich die BcrhältniSzahl 5. Japan 8. Frankreich und Italien 1,87, zu realisieren bis zum Jahre 1941. Auf Grund dieses Abkommens haben die Vereinigten Staaten 32 Kriegs schiffe mit einer Tonnage von insgesamt 842 000 Tonnen zer stört oder außer Dienst gestellt. England „opferte" 22 Fahr zeuge von zusammen 447 000 Tonnen, Japan 16 Schiffe <854 000 Tonnen). Insgesamt wurden, nach einer nnS vor- liegenden Zusammenstellung, 70 Schiffe ausgcgcbcn. von denen sich 53 in Dienst und 17 in Konstruktion befunden hatten. Die Wclttonnage wnrdc durch diese Uebercinkunst um 1 645 808 Tonnen verringert, effektiv «m S88 0VÜ Tonuen. da 715 080 Tonnen auf noch in den Werste» liegende Kricgsfahrzcuge entfallen. Allgemein und ohne tieferes Eindringen betrachtet, müßt« diese Vernichtung einer gewaltigen Abrttstungsverwirklichung entsprechen,' eindringlicher besehen handelte es sich aber auch bet dem Washingtoner Ergebnis mehr oder weniger praktisch um ein Fiasko, denn das äußerlich so großartige Uebcrein- kommen, dem eine nie gesehene «friedliche Zerstörung" folgte, beendete im Prinzip die Existenz einer Kategorie von Kriegs- schiffen, welche von den Admiralitäten aus verschiedenen Gründen ganz gern geopfert wurde. Es handelte sich um eine Kategorie, die immer mehr als nicht durchaus notwendig erachtet wurde, dank den Umstellungen der Technik, sondern lediglich dazu gedient hatte, die Rivalität der Seemächte zu außerordentlichen Leistungen anzuspornen. Dnrch die Aus schaltung dieser ungeheuren fahrenden Festungen wurden in be« Marincvoranschlägcn gewaltige Kredite frei, die nun mit Eifer dazu verwendet wurden. kricgStüchtigere Kategorien, die aus technischen und mehr noch politischen Gründen nicht ersaßt worden waren, in vermehrtem Maße z» bauen: Kreuzer, Unterseeboote, Minenleger. ES war die wirkliche Abrüstung wieder einmal mehr ack adsiirckum geführt. Seit Washington haben die U. S. A. 18 (120 000 Tonnen), Eng land 37 (285 000 Tonnen» und Japan 101 (340 000 Tonnen) neue Kriegsschiffe der nichterfaßten Kategorien beschlossen oder in Bau gegeben. So hat, meint auch das «Genfer Jour nal" richtig, das Washingtoner Abkommen eher einen Fort schritt ans dem Gebiete der Schifssbautechnik als der Ab rüstung verwirklicht. Die Weltmeere sind wirkungsvoller bewaffnet als je. Längst wirb als eine der nächsten großen Katastrophen die Auseinandersetzung zwischen zwei oder drei der größten Flotten bezeichnet. Auch in der Frage der Flottenproportionen hat Frank- reich versucht, die ganze Entwicklung der Unterhandlungen sowohl damals ln Washington wie in der Vorbereitung der jetzigen Genfer Konferenz auf den Weg einer Schein» abrüstung zu drängen. Dies dnrch die Forderung, daß bet der Festsetzung der Verhättniszahlen und damit der Flotten- stärken nicht nach einzelnen Kategorien vorgcgangen werde, sondern daß die gefundene VcrhältntSzahl auf die Ge samtflotten Anwendung finden solle in dem Sinne, daß jedes der beteiligten Länder dt« ihm -ugestanbene Gesausi»