Volltext Seite (XML)
ihrem Lager, vor dem ihre weinende Mutter sie bewachte, m deren L)ekümmerniß der Zorn unter gegangen war. Bald lebten die (Ereignisse der verflossenen Stunden in ihrem Gedächtnis! wieder auf. Auö dein Munde ihrer Mutter erfuhr sic Datti'sta'ü Zustand, dessen Verwundung, nach Aus sage der Aerzte, nicht lebensgefährlich war, nnd auch Andreas trauriges Loos. Man hatte ihn gebunden in eine leere Scheuer des Gehöftes ge worfen und am nächsten Morgen sollte er an das Jnqnisitionsgericht zu Turin abgclicfert wer den, wo, wenn nicht der Tod, wenigstens die sichere Vcrnrtheilnng zu lcbcnswicrigcr oder lang jähriger Galccrcnstrasc seiner wartete. Heftiges Granen ergriff sie bei diesem Gedan ken. Ihr geliebter Andrea, der die blutige Hand lung mir ans unbegrenzter Liebe zu ihr began gen, sollte dieser schrecklichen Bestimmung anheim fallen, fortan mit den verachtctstcn Menschen zn- sainmengckettct leben und unter der Peitsche des Vogtes langsam und qualvoll den Athcm ver hauchen ! Das weibliche Herz ist unter Umständen einer größeren Entschlossenheit nnd eines festeren Mu- thes fähig, als das des starken Mannes. Raube der Mutter ihr Kind, und sic wird cs vcrthcidi- gcn wic dic Löwin ihr Junges. Sobald cs das einzige, das höchste Gut ist, das ein Weib ver lieren soll, vergißt cs seiner selbst nnd tritt in den ungleichen Kampf gegen die zehnfach über legene Gewalt. So bei Camilla. Andrea war ihr höchstes Gut geworden^ Er war cS, dem sie sich znm er sten und einzigen Male mit der ganzen Kraft der Liebe hingcgcben. Hatte sic ihm gleich entsagen muffen, so daß kein irdisches Band mehr sic an ihn fesseln durfte, so lebte doch die innigere Scc- lcnvcrbindnng zwischen ihren Herzen fort, die we der Zeit noch Raum, weder Gewalt noch Tod z» trennen vermochte. . Mit ihrer rnckkehrendcn Besinnung war ihr erster Gedanke der feste Entschluß zu feiner Bc- ftcinng gewesen. Sic sammelte ihre ermatteten Kräfte zur Ausführung nnd hatte bei sich die zwölfte Stunde der Nacht zur Beschützerin ihrer That erwählt. Jetzt lag sic auf ihrem Lager nnd zählte mit ungeduldigem Beben die Schläge der Dorfnhr. Sic flehte Gott um daö Gelingen ihres Planes ' an: sie fürchtete nicht dic Strafe, die im Falle dcS Mißlingens sic treffen mußte. Ihn retten oder untcrgchcn! Tann wollte sie allen Wün schen auf dieser Erde entsagen und sich willig Al lem fügen, was das Schicksal über sic verhängen würde. — Unterdessen lag And'rea gefesselt auf haktem Boden in seinem Gefängnis;, mir dumpfen Sin nen, dem Menschen gleich, der seine Rechnung mit dem Leben abgeschlosfen hat und gefühllos seinen Tod erwartet. Es tauchte wohl manche Vorstellung in seinem Geiste aus, dic einen neuen Reiz für das Leben in ihm erwecken konnte; al lein er unterdrückte sic gewaltsam. Er hatte ge liebt, er hatte sich gerächt. WaS setzt kommen würde, wußte er;, aber cs vermochte ihm kein Be ben abzugcwinncn. Der Sturm tobte durch dic morschen Fach werke der Scheune über ihn hin, als spotte er gleichgültig seines Looses, und die Nachtvögel, die dort ihre Nester bauten, kreischten ihre gellen den Töne, unbekümmert um die neue Genossen schaft. Die Thurmnhr verkündete Mitternacht, und gleich darauf vernahm Andrea ein leises Geräusch an der Thür der Scheune. Er schloß die Au gen, ohne darauf zu achten. Aber das Geräusch von außen nahm zu, dic Thür wurde geöffnet nnd in den weiten, dunkeln -Nanin trat eine un kenntliche Gestalt. „Andrea!" rief dieselbe mit leiser, zitternder Stimme. Wie vom clcctrischcn Scblage berührt, hatte Andrea den Kopf erhoben. Der Klang der Stirn- ' nie, wie ihr zitternder Ton, erweckte eine Atmung in ilnn, dic seine Fibern von der tiefsten Gefühl losigkeit zur höchsten Spannung aufreizten. „Andrea!" wiederholte die Stimme ebenso; — „bist Du schon todt?" Da schwand der letzte Zweifel in seiner Brust. „Camilla!" rief er mit verbaltcuer Stimme, „Gott im Himmel, Du hier?" Diese aber sank an des Gefesselten Seite nie der. „Ich bin's," rief sic schluchzend, — „ich bin's! Ich mußte Dich retten oder mit Dir ster ben! Könnt' ich Dich dorthin führen lassen, wo ein ärgeres LooS als der Tod Deiner wartet? Reiche mir Deine Hände, ich will Deine Bande zertrennen. Fliehe, fliehe weit hinweg, wo Nie mand Dick ereilt, — lebe und werde glücklich! aber vergiß nie Deine unglückliche: Camilla, der nichts mehr bleibt, als der Trost, Dich gerettet zu haben." Sie hatte seine Bande zerschnitten und aufge- richtct stand Andrea, die Weinende im Arm hal tend. Er vermochte nickt zu sprechen; dic drän gende. Gewalt der Gefühle lähmte seine Zunge; er preßte Camilla an seine Brust.