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II. Das englifche Glas. Dem venetianifchen Glafe ftellen fich, wie das in der Einleitung aus einandergefetzt worden, das englifche und das böhmifche gemeinfam gegen über, infofern als fie ihre letzte Form durch Schleifung erhalten. Ihr Glas ahmt den klaren farblofen Kryftall nach, während das von Murano nicht das gleiche Streben hat, ja ein natürlicher Farbenftich ihm fogar ganz wohlthuend ift. Jene beiden fcheiden fich aber unter fich wieder darin, dafs vermöge ihrer verfchie- denen materiellen Zufammenfetzung das englifche Kryftallglas das Vermögen hat, bei kryftallinifcher, insbefondere prismatifcher Schleifung das Licht gleich dem Diamanten in die Regenbogenfarben zu zerlegen, das andere aber weifs bleibt, wie das Licht des echten Bergkryftalls. Hierauf gründet fich die eine Seite der künftlerifchen Behandlung des englifchen Glafes, welche es in charakteriftifcher Weife von dem bohmifchen fcheidet. Als das böhmifche Kryftallglas in feine Blüthezeit trat, etwa um das Jahr 1700 oder alsbald darnach, da waren feine fchönften Leiftungen faft durchweg facettirt und zugleich in Art der echten Kryftallgefäfse mit tief eingravirten Orna menten umzogen. Diefe Verbindung wäre künftlerifch unmöglich gewefen, hätte die Facettirung das Licht in Farben zerlegt, weil man alsdann nichts von der Gravirung gefehen hätte. Als nun die Engländer für ihre Induftrie das Flintglas adoptirten, welches brillantere Effedte, erhöhten Glanz darbot, da liefsen Ge die eingefchliffenen Ornamente fahren, und hielten fich an die andere Seite, an die farbige Lichtwirkung. Sowohl den Kryftall-Luftern, die, aus kryftallinifch geprefs- ten und gefchliffenen Stücken zufammengefetzt oder damit behängt, im XVIII. Jahrhundert in aufserordentlicher Beliebtheit ftanden, fowie auch dem Tafel- gefchirr wufsten fie damit einen Glanz, eine blendende Wirkung zu geben, welche das böhmifche Geräth nicht erreichen konnte. Diefe decorative Seite des englifchen Kryftallglafes hat ihm zwar feinen Ruhm verfchafft, nichtsdeftoweniger war fie bis in die neuere Zeit eigentlich nicht zum Princip erhoben oder wenigftens nicht in ihrer vollen Kraft ausgebeutet. Es kamen dazu höchft plumpe, fchwere Formen des an fich fchon fchweren Glafes, fo dafs das englifche Glasgeräth in der erften Hälfte diefes Jahrhunderts; von der äfthetifchen Seite betrachtet, keineswegs einen befriedigenden Anblick darbot. Es war Glanz und Schein, aber diefer nicht einmal auf die höchfte Potenz getrieben oder durch die Form des Gefäfses veredelt. Jene Eigenfchaft, die Strahlenbrechung und farbige Wirkung, ift nun allerdings in neuerer Zeit von den englifchen Glasfabrikanten auf’s fchärffte aus gebildet worden, indem die aus dickem Glafe beftehenden Gefäfse ringsum mit gefchliffenen Kryftall- oder Diamantformen überzogen wurden, fo dafs fie vortreff lich geeignet waren, die gefchmückte Tafel noch mit faibigem Licht zu über- ftrahlen. Von diefem Standpunkt aus war das, was die englifche Glasfabrikation fchon auf früheren Weltausftellungen vorführte, untadelhaft. Aber alles diefes Geräth hatte einen Fehler, den, dafs die Formen um nichts ihre plumpe und fchwere Art verloren hatten. Nun ift es allerdings überhaupt fchwierig, Gefäfsen, deren Contouren durch winklige Einfchnitte ftets unterbrochen, gewiffermafsen zerhackt find, edle Geftaltung zu geben, aber bis zu einer relativen Vollendung kann doch auch diefes Ziel erreicht werden. Die Gegenftände, welche die englifche