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71. Jahrgang. AL 427 Sonnkag, 11. September 1SL7 Gegründet 1SSK Drahtanschrift, StnchBchteu D»».»»» F»rn>or,ch»r-Smmn«Imi»m»r i 2S S41 Nm tür Nachlartvrich», SS 011 vom l. dt» r». Srptbr. t»N da, lüaltch »wrimallarr 8uft«Uun, tr«, Lau» l^0M». P»ktb„u,»vr«t» mr Monal Sevlembn ^ Mar» »bn« Post,uft«lluna»aebübr. OK»».»»««««» 1» Vtennia Schrtftlrftnna und Lauvta«ichStt»Srll« Dr»ch u. Brrta, von Vtontch Z, «»tch.vdt tn Drridrn Boftlchrch-Kont- 1OSS Dre.da« Rachdruch nur mtl druttichrr Qu«ll«nanaade >.Dr«»dn«r Nachr.'' mlStlta Unverlanvt» LldrUlftück» werden mcd> autdrwadrt. Vruektaeken für Handel un6 bewerbe ^chnekk« Lieferung 2 2 Deet« ^ueMrung VueiillrurLevei kepfüi L Rrietarät Aerneprreklnummer 25241 — — Klarienetra^e Mr 38/42 ^slifesseksu r«nn»»g 7-10 VNr Nonrsrt d^Unnsrcttare» (^ake Hülkerl praxvr 81raüe, keke 8!6onien8traüe. Rach Stresemann spricht Briand. Auf zum Frieden durch Schiedsgerichtsbarkeit! — Die Wolken sind verschwunden. Die Besoldungsordnung im Reichskabinett. — Deulscke Äilse sür Belgiens Kehkrieg. — Der Wehrwoljiag in Potsdam. Fortsetzung -er Generaldebatte. Gens, 10. Sept. Zu Beginn der heutigen Vormittag», sitzung beschloß die VülkerbunbSversammlung auf portugiesi schen Antrag, alle die Mandatsgebiete betreffenden Fragen dem politischen VersammlungSausjchuß zur Beratung zu überweisen. Nach Wiederaufnahme'der Generaldebatte schil derte der österreichische Delegierte Graf MenSdorss die Lei stungen des Völkerbundes auf dem Gebiete der internatio- nalen geisttgen Zusammenarbeit unter Betonung ihrer wer- benden Wirkung für den Völkerbund. Hierauf besteigt unter dem lebhaften Beifall de» vollbesetzten Hauses Briaad dte Skednertrtvtine. Er äußerte sich zunächst Wer den Eindruck, den die bis- herige Debatte -er Vollversammlung auf ihn gemacht habe. Der allgemeine Eindruck wäre zufriedenstellend. Das alte Vertrauen tn den Völkerbund habe nicht erschüttert werben können, obwohl die Stimmung zu Beginn der Tagung drückend war. Rach der gestrigen Debatte sei eine allgemeine Erleichterung eingetreten, die Wolken haben sich zerstreut. Vriand betont, er müsse feststellen, daß die erste Ursache hierfür in der Rede Dr. Stresemanns gelegen habe. Er müsse der Rede Dr. Stresemanns alle Ehrerbietung er» weisen und insbesondere dem Mut, eine solche Rede z« halten. Vriand sagte: Wer hätte noch vor zwei Jahren angenommen, daß Deutschland und Frankreich gemeinsam tn einer Institu tion zusammensitzen und gemeinsam die schwierigsten, ihre Länder unmittelbar berührenden Probleme erörtern werden? Er habe die Rede Dr. Stresemanns noch einmal eingehend gelesen und sei überzeugt, daß alle Schwierigkeiten, die gegenwärtig noch zwischen de« beiden Völkern bestünden, eine nach der anderen ver schwinde» werden. Den« wir find von der gleichen Auf richtigkeit durchdrungen und wollen gemeinsam den gleichen Weg gehen, nm das gemeinsame Ziel der Ver ständigung zu erreichen. Briand hob weiter die Bedeutung der Ergebnisse der Weltwirtschaftskonserenz hervor und wandte sich sodann den Debatten der letzten Tage zu. Letzten Endes seien alle Schwierigkeiten behoben «nd die pessimistische Stimmung verscheucht worden. Die Debatte habe gezeigt, daß alle Vülker- bundstaaten sich als Mitglieder einer großen Familie fühlten. Gemeinsame Pflicht aller sei es, das tiefe Vertrauen zum Völkerbund mit allen Mitteln auf- rcchtzuerhaltcn und zu stärken. Niemals sei den Vertretern der Großmächte der Gedanke gekommen, die Kompetenzen des Völkerbundes auf irgendeine Weise einzuschränken. Im Gegenteil, ihr einziges Ziel sei gewesen, die Schwierigkeiten im Völkerbund aus dem Wege zu räumen. Bor sechs Monaten habe die Gefahr eines Krieges über Europa geschwebt. Damals hätten die Vertreter der Großmächte sich zusammen, gesetzt und beschlossen, den Vertretern der beiden Nationen die Möglichkeit zu geben, durch direkte Verhandlungen den Kon flikt zu lösen. Hierin liege die Erklärung für die geheime« von der Ocffentlichkcit vielfach beanstandeten Berhanblungen der Großmächte. Die freie Anssprache auf der Tribüne des Völkerbundes sei das Mittel, um auf allen Gebieten Mißverständnisse zu be- fettigen und Vertrauen zu schaffen. „Die Tatsache," so rief er a»ö, „daß wir für unsere Beschlüsse die Bildung einer Ein. stimmigkeit brauchen, ist die stärkste Stütze für das Wachsen, für die Festigung, für die Schaffung des Vertrauens in den Völkerbund. Dieses Vertrauen haben die Völker be reits. Sie verlangen mit Recht, baß unsere Debatten nicht Schetnmanöver sind." Geschickt ironisiert Briand dann die vorgebrachten Bedenken gegen Konventikcl einzelner Rats- Mächte. Es sei ganz falsch, die Großmächte deswegen zu ver dächtigen, so baß sie schließlich sich dafür entschuldigen müßten, daß Ne Großmächte sind. Dann kam Briand auf die Abrüstung zu sprechen und erklärte: Frankreich kenne die Bedeutung aller Verpflichtungen, dte eS durch Unterzeichnung des Bülker- bundspaktes auf sich genommen hätte, und sei fest entschlossen, sie burckzusühren. SS sei zwetsellvL nicht leicht, daS in Art. 8 des Pakte» sestgelegt« Ziel »er Abrüstung dnrchznführen, aber um dieses Ziel zu erreichen, würden alle militärischen „Refor men" der nächste» Zeit diese« Gedanken gewidmet sein. Pflicht sei es, so lange durchzuhalte», bis der Artikel 8 völlig durch geführt sei. Im Namen Frankreichs könne er erklären, daß fein Land entschlossen fei, den Weg der Abrüstung weiter zu gehen. Frankreich könne nicht alles vergessen, was in der Vergangenheit geschehen sei, habe jedoch den aufrichtigen Wunsch nach Frieden. Briand wandte sich dann ««gen den juristischen Skep tizismus von Politis und Scialojo. Mit bloßen Worten sei es nicht getan. Man müsse wirken und in der feste« Ueber- zcugnng wirken, daß schon die nächste Tagung des vor bereitenden Abrüstungsausschuß Erfolg haben werde. Auch die Marineabrüstungskonferenz sei kein Mtßererfolg ge- gewcsen, sondern lasse Spuren zurück. „Wir sind alle an dem selben Karen gespannt, alle, alle!" so rief er aus. Ironisieren auf diesem Gebiet ist billig. Ob der Schrei nach Frieden juristische Form annimmt oder nicht: Schreie« wir so oft «nd überzeugt, bis die mvftisch« Kraft des Wortes Friede« sich auswirkt an die wir glauben! Frankreich und die französische Regierung sei vollkommen bereit, jeden Schritt zu machen der dazu beitragen könne, so erklärte er weiter, in bezug auf den polnischen Antrag, dem er im Namen der französischen Regierung zustimmte. Die Differenzierung deS Angreifers sei nicht so schwierig, wie Scialoja denke. Der erste Kanonenschuß sei immerhin ein Mittel. «« feftzuftelleu wer friedliche Mittel verschmähe, und eine Ablehnung der Aufforderung des BölkerbunbsrateS, die Feindseligkeiten einz« stellen, zeige kein sehr lebhaftes Berlange« «ach Frieden. Eine Erklärung, wie die gestrige von Dr. Strefemann, wonach sich Deutschland auf die Anwendung friedlicher Mittel zur Lösnng von Konflikten beschränkt, die Unterzeichnung der fakultative» Klausel deS Art. öS, seien starke Knudgebungen des Willens zum Frieden. Die gegenseitige Abhängigkeit der Völker sei uns allen mit glühendem Eisen ausgebrannt, und es sei nichts weniger als eine Schande, bei Unterwerfung unter die Schiedsgerichtsbarkeit, wie das ja Frankreich noch in diesen Tagen geschehen sei — hier spielte er auf den Lotos-Kall mit der Türket an —, tn einem Prozeß Unrecht zu bekommen. Die oft von Beifall unterbrochen« Red« gipfelte tn dem Ausruf: „Auf zum Frieden durch Schiedsgerichtsbarkeit!" Der Genfer Formelkrieg. Die diesmalige Genfer Rebe Dr. Stresemanns. wie immer eine von lebhaftem Beifall begleitete Offenbarung seiner un- bestrittenen rhetorischen Meisterschaft, bewegt sich stark in All gemeinheiten. DaS ist eine Folge der Unklarheiten, Undurch- sichtigkeiten und Gegensätzlichkeiten, von denen die politische Atmosphäre zurzeit erfüllt ist. Im Rahmen der allgemeine« grundsätzlichen Darlegungen aber hat der Reichsaußenminifter in ebenso geschickter wie bestimmter Weise dte besondere» Punkt« hervorgehoben, dte für Deutschland ins Gewicht falle«: das überragende deutsche GicherheitSbebürfniS, das in der Ent waffnung Deutschlands begründet ist, sowie die Notwendigkeit der allgemeinen Abrüstung, dte allein die Sicherheit sowohl Deutschlands wie -er übrigen Mächte wirksam zu verbürgen vermag. Ueber allen auf das Ziel der europäischen Be friedung gerichteten Bemühungen schwebt als Leitstern der ehrliche Bekständtgungswille des deutschen Volkes, den der Reichsaußenminister ebenfalls nachdrücklich unterstrich. In solchem Geiste betätigt Deutschland auch seine Mitarbeit an der jetzt tn Genf begonnenen Suche nach einer neuen Frie- dens-, Sicherheits- und Schiedsgerichtsformel oder wie mau das noch nicht geborene Kind sonst benennen will. Der Genfer Formelkrieg bietet nicht durch den Aufwand an juristi- schein Scharfsinn zur Auffindung einer allgemein annehmbaren Fassung des Textes höchstes Interesse, sondern durch den sach- lichen Hintergrund, auf dem er sich abspielt. Dieser Hinter, grund ist das seinerzeit in der Versenkung verschwundene Genfer Protokoll, das in der Sitzung des Völkerbundes vom 3. Oktober 1024 allen Regierungen zur Annahme emp- fohlen wurde, aber an der strikten Ablehnung England» scheiterte, so baß eS nicht zur Tat gemacht werden konnte. Der holländische Vertreter in Genf hat in seiner Begründung des Vorschlages seiner Regierung darauf hingewiesen, baß der Augenblick gekommen erscheine, um die in dem genannten Protokoll aufgestellten Grundsätze aufs neue in Erwägung zu ziehen. Jenes Dokument, bas dazu bestimmt schien, im Staube der Völkerbundsregistratur für immer begraben zu bleiben, ist dadurch unerwartet wieder ans Licht gezogen worben. Es ist ein sehr lange» Aktenstück, das man seinem Charakter nach bezeichnen kann als den ersten Versuch zu einer umfassenden Ausführungsverordnung für das Statut des Völkerbundes, soweit eS sich auf die Verhinderung von Kriegen und aus die Mithilfe der Bunbesmitglieber bet der Exekutive gegen vertragswidrig handelnde Staaten bezieht. Der Krieg ist danach nur in zweierlei Form gestattet: zur Abwehr eines Angriffes und wenn er gemäß den Vorschriften des Völkerbundes oder des Protokolls zur Erzwingung eines gesetzlichen Verhaltens gegen ungesetzlich handelnde Staaten geführt wird. In 21 Artikeln werden alle einschlägigen Fragen genau geregelt. Besonders wichtig sind diejenigen Artikel, die sich auf die Begriffsbestimmung des Angreifer», auf das obligatorische Schiedsgericht und auf die Sanktionen gegen den Angreifer beziehen. Als Angreifer gilt nach Das Wo der Rede Stresemanns. Geteilte Ausnahme in Berlin. Berlin. 10. Sept. Die Rede Stresemanns in Genf findet t» der Berliner Presse, soweit sie dazu Stellung nimmt, ge teilte Ausnahme. Die „D. A. Z." mißt die Hauptbedeutung tn der Rede Dr. Stresemanns der außerordentlich prägnanten Herausarbeitnng des Gedankens zu, daß dte moralische Ext- steuz des Völkerbundes davon abhängig ist, ob die feierliche Verpflichtung der Mitgliederstaaten zur Abrüstung ebenso durchgcführt wird, wie Deutschland entwaffnet wurde. Der „Lokalanzetger" nennt sie eine politische Ent täuschung, weil man sanfter als Dr. Strefemann wohl keine Kritik an der Unzulänglichkeit deS Völkerbundes üben könne. Dte „Deutsche Tageszeitung" bedauert, daß Dr. Strefemann e» versäumt habe, der Unzufriedenheit Deutsch lands mit den Auswirkungen der von ««» in Loearn» für den Friede« der Welt gebrachten einzig dastehenden Opfer tn klaren und entschiedenen Worten Ausdruck zu verleihen, und baß er nicht mit aller Deutlichkeit auf die wahre Friedens gefährdung hingewiesen habe. Die .Hreuzzettung" vertritt dte Auffassung, daß die Rede eine Reihe gerade der wichtigsten Punkte hinsichtlich der deutschen Wünsche und Forderungen unerwähnt lasse und da. wo sie die deutschen Interessen wahrntmmt, nicht von der nötigen Schärfe und Klarheit sei. Dr. Strefemann habe sich, wie eS scheine, wieder einmal die Initiative auS der Hand nehmen lassen. Die „D entscheZeitung" erklärt, daß Dr. Stresemann in Gens groben Beifall hatte, baß aber befürchtet werden müsse, daß dieser Beifall tn nationalen Kreisen Deutschlands nicht so groß sein werde, da man mit aller Bestimmtheit er- wartet hatte. Stresemann würbe diesmal tatkräftiger und selbstbewußter dte deutschen Forderungen Vorbringen. Di« „Vossische Zeitung" sieht einen Vorteil darin, daß dte Red« positiv gewesen sei und kein« Vorbehalte ent- halten habe tn Dingen, von denen heute jedermann wisse, wie das deutsche Volk über sie denke. Der „Vorwärts" sagt. Dr. Stresemann habe un zweifelhaft durch diese Rede Deutschland «inen Dienst er wiesen. Artikel 10 jeder Staat, der unter Verletzung der im Bölker- bundsstatut ober im Protokoll festgesetzten Verpflichtungen zum Kriege schreitet: als Kriegshandlung gilt auch der An. griff gegen eine entmilitarisierte Zone. Sind Feindseligkeiten ausgebrochen, so wirb ferner als Angreifer behandelt jeder Staat, der sich weigert, den Streitfall vor daS SchiebS- gericht zu bringen, wie jeder Staat, der sich gegen eine der vom Bölkerbundsrat innerhalb seiner Zu- ständigkeit verfügten provisorischen Maßnahmen vergeht. Kann der Rat sich über den Angreifer nicht unser- züglich einig werben, so proklamiert er einen Waffen- sttllstanb, dessen Ablehnung oder Verletzung jede Partei zum Angreifer stempelt. ES ist also möglich, daß beide krieg, flthrende Parteien bei unerlaubtem Verhalten in den Stan des Angreifers versetzt werden. Artikel 8 verpflichtet alle Signatarstaaten, dte Gerichtsbarkeit des ständigen Inter- nationalen Gerichtshofes im Haag als obligatorisch anzu- erkennen. Dies ist gegenüber dem Bölkerbundsstatut «ine wesentliche Neuerung. Artikel 11 enthält die Sanktionen, die gegen BölkerbunbSpakt- und Protokvllverletzer zur An wendung kommen sollen, und die sowohl militärische wie ein schneidende wirtschaftliche Maßnahmen umfassen. England lehnte damals daS Genfer Protokoll kategorisch ab, weil e» ihm untragbar schien, seine Flotte unter gewissen Umständen dem Völkerbünde zur Verfügung und unter die Oberhoheit