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Sette 23V. Belletristische DienSkags-Bcilagc zu de» „Dresdner Nachrichten". Nach dem Loliper drängte er zum Aufbruch. Am Ann seiner Iran nahn» er von der Spanierin Abschied, die Beiden mit gewinnender Freundlichkeit die kleine, weißbehandschuhte Rechte hinstreckte und: „Aus Wiedersehen! Aus recht baldiges Wiedersehen!" znflüsterte. Melanie von Rosenberg stand mit Briefen in, Gespräch unmittelbar neben ihnen; es war. als ob die Beiden die Verabschiedung hätten belauschen wollen, wenigstens schien es Ewald so und er krauste unniuthig seine Stirn. Aber Briescn trat rasch und mit unbefangenem Gesichtsausdruck aus ihn zu. „Das war das erste Mal, Kamerad," sagte er ln sonderbarem halblauten Ton unmittelbar an seinem Ohr; „wenn Sie schon heute die Wette verloren geben, sind Sie von allen weiteren Verpflichtungen rntbunden." Ewald gab chm keine Antwort. Er dachte seht wieder daran, welche! Gründe ihn Hergetrieben hatten, und ein Gefühl des Widerwillens wallte in! chm auf. So verbeugte er sich kühl vor der Tochter des Hauses und zog sich zurück. Als sie Beide drunten vor dem Hause ihren Wagen befliegen hatten und durch die Nacht ihrer Wohnung zurollten. floate die Gräfin, die sich fröstelnd in ihrem Pelze zusammenkauerte: „Was hast Tu mit Briesen, Ewald?" Und da er nicht gleich etwas erwiderte, setzte sie hinzu: „Je öfter ich ihn sehe, desto unsympathischer wird er mir. Ich fange beinahe an, mich vor ihm zu fürchten. Seine Augen sind so falsch und doch liegt etwas so Drohendes in ihnen." »Er hat Dir ja redlich den Hof gemacht!" fiel Ewald gähnend ein. Sie unterdrückte eine Entgegnung, die ihr auf den Lippen schwebte, und .. " "" ' " " einmal sehr ernstlich um mir oft davon. Jetzt, sie werden zu einander Vossen und sind einander werth." Er sah überrascht auf. „Melanie von Rosenberg?" fragte er. „die wird schwerlich erhören. Uebrigens. weshalb sprichst Du so bitter von ihr? ^ an nannte uns Beide schon einmal verlobt und vielleicht wäre es wirklich dahin gekommen, wenn ich s nicht verschworen gehabt hätte, eine Ballfee zu heirathen — pah! Was reden wir davon? Das sind alte Geschichten. Und wenn Briesen Dir den Hof macht: an rsvieot touiours u. s. w. L xroxos, Wie gefällt Dir die Spanierin, von der alle Welt >o schwärmt?" „Ich glaube, ich werde niemals Sympathien für sie empfinden können. Ewald." „Warum nicht?" „Ich habe an die Schlange im Paradiese denken müssen, als ich sie Merst sah." Er fuhr betroffen auf. Sie glaubte, ihn verletzt zu haben, unbesetzte rasch mit zaghafter Stimme hinzu: „Irgend ein altes Bild muh mir im Sinne gelegen haben. Die Schlange hat Weibsgestalt aus demselben, und ihre Augen, io schön, so versühreriich sie auch sind —" „Du schaust den Menschen ja sonderbar tief in die Augen. Kind." fiel er mit halbem Lachen in s Wort, „das ist gefährlich. Die Spanierin ist eine Schönheit für Männer, nicht für Frauen; aber wir wollen ihre Augen aus Sem Spiele lassen und nur ihrem Wesen gerecht werden. Um Frauen kennen m lernen, muh man sie im Hauskleide sehen, nicht in der Ballrobe und nicht beim Gaslicht. Nächster Tage wollen wir zu ihr gehen; aber was ist Dir, Kind? Du zitterst ja." „Nichts, nichts." wehrte sie ab. „nur die ungewohnte Hitze im Saal, das Tanze», die vielen Menschen — und die Nacht rst so kalt, die Wagenfensler schließen so schlecht." fuhr ihr leicht mit der Hand über das Gesicht hin. „Tu glühst ja " sagte er in besorgtem Ton, „es ist aut. dah wir zu Hause sind. . . Ruhe nöthig und bist solche nächtlichen Vergnügungen nicht gewohnt, llnsereinem sind die Nerven abgestumpft durch lange Uebung — komm'!" Ter Wagen hielt vor ihrer Wohnung und Ewald legte seinen Arm fest um den Leib der jungen Iran, um sie die Treppe emporzuführen. Er mußte sie beinahe tragen. io schwer hing sie an ihm. Droben im Zimmer wurde sie rissiger und sah ihm mit dankbarem Lächeln zu. wie er sich emsig um sie mühte. Aber hin und wieder rüttelte dennoch ein Froslschauer an ihr. Dabei versicherte sie ihm immer wieder, dah ihr ganz wohl zu Muthe sei, verbot, dah er einen Arzt kommen lasse und erklärte den ganzen Zufall für eine nervöse lleberreizung. die nicht das Geringste zu bedeuten habe So gingen sie zur Ruhe. Als aber auch am Morgen die Hand, welche die Gräfin ihrem Manne entgegenslreckte, noch fieberheiß war, ließ Ewald den Arzt rufen, der zwar keine bestimmte Krankheit diagnostiziren konnte, aber die höchste Ruhe und Schonung anempfahl, um eine solche zu vermeiden. Er wrach von der schwächlichen Konstitution der Gräfin, welche der zartesten Rück sichtnahme bedürfe, deutete an. dah jede nervöse Erregung von ihr ferngehalten werden müsse, da sie ihr unter Umständen vcrhängnihvoll werden könne, und Verbot den Besuch größerer Gesellschaften und Tanzabende. förmlich," Du Hafts Geplauder, das ihm stets so wohl gethan und ihn an sein Heim «fesselt hatte. Tie Gräfin schlief. Tie übermüdete Natur verlangte ihr Recht. Ewald langweilte sich. Er hätte in die Kinderstube hinübcrgehen können, aber er scheute heute den Lärm der Kleinen. Unruhig schritt er im Zimmer hin und wider, nahm ein Buch vom Gestell und warf es wieder fort. Eine sonderbare Rastlosigkeit trieb ihn umher. Endlich verlieh er das Haus wieder; er wollte unter Menschen sein. Als er die Straße hinuntcrschritt, dachte er daran, daß Eisbahn ans dem Strome fei und alle Welt sich dort tummeln werde. Er war lange nicht dort gewesen. Laura konnte keinen Geschmack am Schlittschuhlaufen finden und scheute jede Berührung mit der großen Volksmenge. Für sie existirten nur das Kinder zimmer und die Küche. Früher hatte Ewald es eben so selten wie wohlthuend gefunden, daß sie sich von all' den lärmenden Vergnügungen des Ingy like zurückzog und ihren einzigen Wirkungskreis im eigenen Heim suchte, jetzt, da n daran dachte, erschien es ihm peinlich und unfaßbar. Wie hatte er diese Hausbackenheil so lange und geduldig ertrage»? Seine eigeneUcbersättigung an dem Lebe» der großen Stadt, «eine Unempsänglichkeit allen früher er schöpften Genüssen gegenüber hatten ihn diesen Gegensatz in seinem Dasein angenehm empfinden lassen, er hatte sich in diesen, Frieden seiner eigenen Häuslichkeit ausgernht. Aber nun fühlte er auch, daß die Ruhe ihn für das schäumende Leben, aus dem er überreizt geflüchtet war. auf's Neue empfäng lich gemacht habe und daß er noch lange nicht für immer auf die Freuden seiner Stellung und seines Alters verzichten wolle. Weil er so früh an gefangen. sein Leben in brausenden, Ungestüm anszukosten, war er auch früh bis an den Punkt gelangt, wo ihm Alles ekel und schal geworden war. — das Spiel, die Trinkgelage, die Liaisons mit schönen Frauen: — aber die lange Enthaltsamkeit hatte ihn abermals lüstern gemacht und er wurde sich mit Genugthuung seiner Kräfte bewußt, die ihn neu in den Strudel des Lebens forllockten. Wozu lebte man im Grunde, wenn es anders war und das Dasein keine Reize mehr bot? Noch war es an der Zeit, bevor das Alter kam. einen letzten, tiefen Trunk aus dem Becher der Lust zu thun, und Graf Ewald wollte nicht zögern. In solchen Gedanke» war er durch ein Gewirr von Gassen bis an das Ufer des Flusses gekommen und blickte über das bunte Treiben hi», das sich auf der spiegelglatten Eisfläche desselben entfaltete. Die Schlittschuhläufer stoben vereinzelt und in Schwärmen pfeilschnell über den schiinmerndcn Krystall, schellenklingelndc Pferde zogen die eleganten Schlitten stromabwärts fort, dazwischen drängten sich die Fußgänger, knallten die langen Peitschen und riesen die zahlreichen Verkäufer von Eßwaaren und wärmenden Ge tränken ihre Handelsartikel aus, während lärmende Kinder sich jagten und ihre kleinen Holzschlitten unermüdlich von den künstlich angchäuftcn Schnec- bergen niedHglciten ließen. Ewald hatte kaum die sreigesegtc Hahn in der Mitte des Stromes betreten, als er sich auch schon von verschiedenen Seiten angerufen und begrüßt sah. Kameraden, mit ihren Damen Hand in Hand, liefen in kunstvollen Bogen und Windungen an ihm vorüber, aus vorbei sausenden Schlitten ertönten Helle Scherzworte bekannter Stimmen.»z Er wandelte, von dem frohe» Gewoge um ihn angenehm erregt, eine Strecke weiter fort, als plötzlich dicht hinter ihm Peitichengeknall und ein warnender Zuruf gleichzeitig laut wurden. Er hatte kann, noch Zeit, zur Seite zu treten, als ein hocheleganter, zweisitziger Schlitten mit einer einzelnen, pelz- verhüllten Gestalt darin haarscharf an ihm vornberstob. nach kaum zwanzig Schritt Entfernung aber durch ein encnergischen Ruck des Kutschers die Pferde desselben zum Stehen gebracht wurde». In der nämlichen Minute bog sich die Insassin des Schlittens nach dem Fußgänger zurück, wie um zu sehen, ob er auch wirklich unverletzt davongckommen fei, hielt überrascht inne und grüßte mit lebhafter Handbewegung nach ihm zurück. Ewald erkannte Frau von Esponceda, die im Schlitten des spanischen Konsuls und reichen Handelsherrn Arana mit de» stadtbekannten, beiden Jsabella-Ponies die Eisbahn befuhr. Er trat raschen Schrittes näher, um sich zu entschuldigen, daß er auch nur minutenlangdie Dame erschreckt habe. Aber Frau von Esponceda fiel ihm hastig^in's Wort: „Sie kehren den Sachverhalt um, Graf. Es ist an mir, Sie um Ver zeihung zu bitten. Mein Kutscher hat — ans meine Weisung hin — die vor- gezeichnete Schlittenbahn verlassen, nur um rascher vorwärts zu kommen, und wenn Sie gefährdet waren, trage ich allein die Schuld. Wie kann ich sie sühnen? Am besten ist's. Sie steigen zu mir ein und wir jagen gemeinsam den Fluß hinab. Nach meinem Geschmack giebt es nichts Wonnigeres, als so stürmisch die kalte, srischklare Luft zu durchichneiden, als würde man von Fittigen getragen. Für mich, die ich Aehnliches früher nie gekannt oder er fahren, lregt ein unbeichreibbarer Reiz darin, ein weit größerer, als im Tanzen, denn wir tanzen daheim feuriger und gluthvollcr. Nun, wollen Sie?" Sie hatte den Schleier von ihrem Antlitz zurückgeschlagen, das durch die Lust heiß geröthet war. Ihre "Augen funkelten zu ihm herüber und zwischen de» vollen, lächelnden Lippen schimmerten ihre kleinen, weißen Zähne hervor. ,,Sie sind überaus giftig, gnädige Frau, ich nehme an!" i 8? sie schlug die Pelzdccke des Schlittens zurück und ließ ihn neben sich niedersitzen. Dahei hatte sie ihm ihre schmale, in pelzbesetzten Glace handschuhen steckende Hand entgegengcreicht, die Ewald ergriff und küßte. „Und nun vorwärts, Kutscher," rief sie, „immer weiter hrnaus." Dann wandte sie sich mit einem bezaubernden Lächeln an ihren Nachbar und sagte: „Sie müssen wissen, daß ich nicht aus Muthwillen die eigentliche Schlitten bahn verlassen habe. Tie Nothwendigkcit zwang mich. Ich war dort um- lchwärmt von Schürten und Schlittschuhläufern, sollte mit Jedem konversiren, für Jeden ein freundliches Wort haben, mich für alle Welt interessirt zeigen, das hätte mich um mein eigenes Vergnügen und den Zweck meiner Ausfahrt gebracht. Ich rief deni Kutscher zu. die Reihen zu durchbrechen und auf's Geratkewobl in fliegender Hast davonzusausen, koste es, was es wolle. Nun. und ich habe meinen Zweck erreicht. Sic werden Alle bittere Glossen hinter mir drein machen, aber was kümmert's mich? Ich bin frei, ich lache ihrer, ich segle, wie der Vogel, durch die Lust." „Sie zeigen niir nun esst vollends, wie groß die Gunst ist, deren Sie mich gewürdigt haben, gnädige Frau," fiel er ein. ohne seine bewundernden Blicke von ihr abwenden zu können. „Nicht doch," erwiderte sie und sah plötzlich ganz ernst aus, „mißverstehen Sie mich nicht. Ich liebe das Alleinsein nicht, ich bin unglücklich, wenn ich allein bin. Aber noch schlimmer ist's, den Mittelpunkt einer großen Gesell schaft zu bilden, die uus anstarrt und feiert und umschwärmt, — nur weil wir fremd sind und anders als Alle. Ich bin es herzlich satt, wie ein Wunder thier begafft zu werden und täglich neue, immer fadere und beleidigendere Schmeicheleien anhören zu müssen, nur well mein Teint dunkler und mein Haar von brennenderem schwarz ist. als es in Deutschland üblich. Oder glaubt man im Ernst, ich könnte eine» Gefallen daran finden und stolz sein ans das Lob, das man mir spendet und das im Gmnde doch nur meiner Nationalität gilt? Für wie beschränkt muß man mich halten! Sie ahnen nicht. Graf, wie ich zuweilen nach einem ehrlichen, trockenen, nüchternen Wort ans dem Munde eines von ihrem Gesthlccht lechze!" Belletristische DicnstagS-Bcilagc zu den »Dresdner Nachrichten". Seite 231. „Und diesen Einen hoffen Sie in mir gesunden zu haben, gnädige Frau?" „Ich lasse cs aus den Versuch ankommen, Graf." „sie nmthen mir da eine ebenio undankbare, wie schwierige Rolle zu. gnädige Frau." ^ „O nein, sie sind der vielbeneidete Gatte einer schönen, licbenswetthen Frau: waren, wie man mir erzählt hat. der verzogene Liebling der Frauen und müssen alio ein gerechtes, unparteiisches Urthcil haben." Ewald nnlwortete nicht gleich, propos", fuhr Frau de Esponceda fort, „wo ist Ihre Frau? Wie kommt es, daß man Sic allein sieht? Man sagte mir, daß Sie Beide unzertrennlich seien." „Man sagt so Vieles," warf er unmulhig ein. „Meine Frau ist leidend, ihre Gesundheit ist zu zart, als daß sie die Bälle besuchen dürfte." „O. wie schade! so wird man sie also nie mehr sehen und das Meteor taucht schon wieder unter? Ihre Frau ist reizend, Graf, ich habe in Deutsch land noch kein entzückenderes Frauenbild gesehen, — keine Madonna von Mnrillo, aber eine Madonna des Carlo Dolce, süß und anbetungswerth. Und muß ich nun auch aus Ihren Besuch verzichten, den sie mir gestern an- gekündigt haben? Das wäre grausam! — Wissen Sie was, Gras? Ich ent führe Sic mit mir, ich bin heute Abend allein. Oder müssen Sie den Krankenpfleger Wielen? Giebt man Ihnen keinen Urlaub ?" Sie lachte ihn fast herausfordernd mit ihren brennenden Augen an. so daß seine Blicke unsicher, halb forschend, halb verwirrt über ihr Antlitz hin- glittcn Dann aber setzte sie plötzlich, den Kopf answersend, ais ob sie sich auf etwas besinne, hinzu: „Ah. ich begreife, ich begreife. Ich habe da wieder einen recht dummen streich gemacht und Sic sind zu taktvoll, um mir's vorznhalten. Mein südländisches Naturell hat mich wieder einmal hin gerissen. Meine Einladung ist^eine Formlosigkeit, ein grober Verstoß gegen die Etikette, wenn nicht gar schlimmeres, — ich verstehe das Alles, auch wenn sie mir's nicht sagen. Aber da nennt man nun uns wohl gar ein Volk, daß die Etikette liebt und Sie — Sie sind die steifsten Barbaren des Nordens, Reden wir nicht mehr davon!" Frau von Esponceda vergrub ihre beiden Hände in ihren kleinen Muss aus Zobclpelz, als ob sie damit symbolisch andeuten wolle, daß sie sich jetzt zurückziehe. Ter Schlitten war inzwischen weiter in's Land hinaus gejagt, einsamer und immer einsamer wurde es um sie her. Die User waren ganz öde und verlassen und fern hinaus, soweit der Blick reichte, dehnten sich die weiten Lchneeselder, aus denen nur hier und da ein einzelner Baum mit kahlem, bereiftem Astwerk in den grauen Januarhimmel hcraufgriff. Kein Laut war vernehmbar, als das mißtönige Gekreisch der Krähen, die von den Zweigen schwerfälligen Fluges davonstoben, wenn das Knallen der Schlitten peitsche oder das Schellengeläut der Pferde sie ausscheuchtc. Ewald warf einen halb verwunderten Blick um sich, Er kam sich Vor. wie mitten in einer fremden Welt. Und aus ihr heraus klangen jetzt auch seine Worte, als er sagte: „Vielleicht haben Sie recht, gnädige Frau. Wenn eine Landsniännin eine ähnliche Einladung hätte an mich ergehen lassen, ich würde mich gescheut haben, sie auzunehmen. Ihnen gegenüber bin ich aber in einer glücklicheren Lage. Für uns gelten die Gesetze Ihres Landes, das auch mir kein fremdes Land rst. Und da ich den Abend hindurch gerade so einsam sein würde, wie Sie, — für meine Frau ist absolut Ruhe als einzige Arznei verordnet. — so haben Sie über mich zu bestimmen. Ich bin der Ihre!" „Ah!" machte sie sichtlich erstaunt, „das ist über Erwarten, das ist schön, das ist erfreulich. Einmal elnen ganzen Abend allein mit einen: Manne, der Spanien kennt, der sich von allen Vorurtheilen und Engherzigkeiten seiner Nation sreimachen will und mich für die schalen Schmeicheleien der Andere» durch ein ehrliches und aufrichtiges Wort entschädigen wird! Sich einmal gehen lassen dürfen, sich geben, wie man ist, nicht, wie man nach fremder Satzung sein sollte! Einmal nur der Eingebung des Augenblicks, der Stimme seines Inner» folgen und an die Welt und an die Menschen nicht mehr denken, gerade, als wäre man in dieser Welt der einzige Mensch und könne sich selber seine Gesetze geben. O, wie ich damach gelechzt habe, wie ich mich immer sehnte, einmal wieder ganz Spanierin sein zu dürfen! Sehen Sie, wir sind auch wirklich ganz allein hier im freien Felde und außer den Krähen ist kein lebendes Wesen mehr zn gewahren, als wir! Weshalb sollten wir nicht ohne Rücksicht aus die Anderen thun, waS wir wollen, und unsere kon ventionellen Fesseln einmal gewaltsam sprengen? Später, später wollen wir uns dann wieder fein gehorsam ducken und fügen." Sie sprudelte das Alles hervor, wie in Plötzlich erwachter, übermüthiger Laune und wars einen sprühenden Blick um sich in die beginnende Dämmer ung hinaus, die Alles in ihren grauen Schleier einzuipinncii anhob. „Mir konimt da eine vortreffliche Idee." fuhr sie fort, „ich habe unlängst bei einer meiner Fahrten hier herum ein Tors gesehen und ein kleines Gasthaus hart am Ufer, unter dessen jetzt schneeüberglitzerten Bäumen im Sommer die Städter des Abends rasten mögen. Sollt' es uns nicht für heute Unterkunft und ein bescheidenes Mahl bieten? Was sagen Sie zu dem Einfall? Ich denke mir's köstlich, da io zu Zweien in der ländlichen Stille zu soupircn, weit, weit ab von der großen Stadt und den Menschen und all' ihrem Ge räusch und Gelärm und Geschwätz, und dann durch die sternenklare Winter nacht über den schimmernden Krystall des Stromes heimwärts fliegen bis an das funkelnde Lichtmcer der Häuser. Ein Einfall, wie er Einem sonst nur unter spanischem Himmel kommen kann, nur daß er sich so eigenartig, so märchenhaft schön dort nicht verwirklichen läßt. Und nun sagen Sic nicht: nein, Graf, seien Sie nicht pedantisch, nicht kalt, nicht — deutsch! Gehen Sie einmal auf meine Laune ein! Denken Sie sich, es wäre uni die Karne valszeit in Madrid und wir könnten uns Beide einen amüsanten Maskenscherz erlauben, ohne daß sich irgend ein Mensch in der Welt darum zu kümmern hätte. Im Grunde sind es ja auch lauter Masken, unter denen wir da drinnen cinberwandeli», unser Gesicht in ehrbare Falten ziehen und die althergebrachten Gesellschafts-Phrasen mit erheucheltem Emst murmeln: wir aber, wir wollen uns einmal keck demaskiren und — Menschen »ein. Wollen L>e <" „Es hätte Ihrer hinreißenden Bercdtsainkeit gar nicht erst bedurft, um mich für diese köstliche Idee zu begeistern, gnädige Frau." siel er ein, „und wenn mich nicht Alles täuscht, sind wir bereits am Ziel. Ohne Zweifel haben sie das kleine Wirthshaus „Zum Eichenkranz" im Sinne, das sich dort drüben zwischen den alten Bäumen mit einem hell erleuchteten Fenster heraus hebt. Wir werden nicht ganz so gut speisen, wie im „Hotel Eontinental," aber wir werden uns ein amüiantcs Abenteuer bereiten und eine herrliche Rückfahrt haben." „Noch eins," setzie sie plötzlich in srauzösischer Sprache hinzu, „ich denke, wir «enden unicren Schlitten heim und lassen uns später durch ein Fuhrwerk des Wirthshauscs zurückbefördern. Es ist nicht nöthig. daß mein braver Arana erfährt, wo wir geblieben, was wir getrieben und wann wir heim- gelommen. Er ist schon so ganz deutsch geworden, der gute Me." Sie hieß den schlitten halten, erklärte dem Kutscher, daß er he im sah reu könne, da sie hier erwartet würden und nachher mit anderer Fahrgelegenheit den Rückweg antrcten wollten, ließ ein Geldstück in seine Hand gleiten, das ihn zu einem hastigen Adressen seines Hutes und dem verwirrten Stammeln zahlloser Dankcsworte veranlaßte, und nahm Ewalds Arm, um sich von ihm den Uferweg empor bis an das Gasthaus führen zu lassen. Sie wurde dabei nicht müde, über ihren Einfall und ihrer beider rmprovisirten Karnevalsscherz in der ungezwungensten Art zu lachen und zu plaudern, und sagte, dem zurück- jagenden Schlitten nachblickend, dessen Schellengeläut nur noch weit ans "Nacht und Nebel geisterhaft zu ihnen herübcrscholl: „Wie sonderbar! Jetzt ist's gerade, als wären wir von der Welt abgeschnitten!" Sie sah ihn nicht dabei an, aber sein Heiz schlug laut in der einsamen Stille, die sie Beide umgab, und das Blut in seinen Ädern kochte. Er zog ihren Arm fester in den leinen, ohne daß sie es hinderte, und es war ihm. als übe der Tust, der aus ihren Haaren und Kleidern zu ihm hcrüber- strömtc, eine schier betäubende Wirkung aus ihn aus. Selbst das Knistern ihres Gewandes, wie sie so neben ihm herschritt, brachte seine "Nerven in stürmische Errregung. Eine Weile standen sie Beide unter den bereisten Eichen vor dem Gastbause und schauten in die däminerumwobenc Gegend hinaus, die einer unermeßlichen Schnecwüste glich, aus der nur hin und wieder ein paar dunkle Baumstämme fast gespensterhaft aufragten. Wie der eisige Athen, des Todes lag es darüber, unter dem Alles erstarrt und ver stummt. Auch sie schwiegen Beide und schweigend wandten sie sich, um in s Haus zu treten. Das Ausklinkcn der Thür ries aus dem zur ebenen Erde belesenen Gast zimmer den Wirth aus den Borstur heraus. Er zog angesichts der unerwartete» Gäste hastig seine Mütze und fragte diensteifrig nach ihrem Begehren. „Nun, das ist in aller Kürze ausgedrückt", erwiderte Frau von Esponceda in schnell wiedcrgewomienem llebcrmuth, „ein behaglich durchwärmtes Zimmer und oas Beste an Speise und Trank, was Ihr „Eichenkranz" zu dieser Winterszeit bietet! Wir sind furchtbar durchgckäktct, hungrig und durstig und müde. Thun Sie also Ihr Bestes, um uns wieder zu normalen Menschen zu machen. „Der Wirth verbeugte sich einmal über das 'andere vor der vornehmen Erscheinung der Sprecherin. ..Ga»; zu Ihres und des Hörrn Gemahls Diensten", entgegnete er mit vcrbindftchem Lächeln. „Die Herrschaften wollen natürlich allein sein ? Ich räume Ihnen unser eigenes Wohnzimmer ein, das am besten geheizt ist. Dann sollen Küche und Keller ihr Acußcrstes thun, um Sie zu befriedigen. Bleiben die Herrschaften auch zur Nacht?" Frau von Esponceda lachte laut aus, während Ewald rasch und init einiger Verlegenheit einsiel: „Nein, nein, wir rechnen nachher auf Ihren Schlitten zur Rückfahrt in die Stadt. Aber Ihre anderen Anerbietungen nehmen wir an. Wir sind vermuthlich die einzigen Gaste?" „O nein, es sind noch ein paar Liebeslcute drinnen in der Gaststube, die ganz zu Schlittschuh hierhergclausen sind, aber ich denke, die werden auch lieber allein bleiben. Herr — Herr Major. Darf ich Sie bitten?" Er nahni die Oellampe, die an der Wand des Hausflurs mit mattein Scheine glomm, in die Hand und leuchtete de» Beiden voraus. Aus dem Zimmer, ru das er sie geleitete, ergriff bei ihrem Eintritt eine junge Frau mit einem Säugling aus dem schoß eilicrtig und mit einem unteldrückten Aufschrei die Flucht. „Das schadet nichts, das schadet nichts", sagte der Wirth mit leisem Schmunzeln, als ,zrau von Erponccda ein bedauerndes: „Ah!" hören ließ, „wir haben da hinten noch ein Kämmerchen für uns. und iür Zwei, die sich gern haben, ist der kleine Raum eben groß genug. Wollen die Herr schaften sich hier gefälligst nicdcrlassen? Ja. wie es so kommt, gnädige Frau. — da haben »vir letzt mit einen» Riale drei >ungc Paare im Hause und jedes will für sich bleiben." Er lachte behaglich vor sich hi», sah nach dem Ofen, schraubte die Flamme der Lampe höher hinaus und hastete diensteifrig auS der Thür. Die beiden Zurückblcibendcn sahen sich einen AnacnbUck hindurch stumm in's Gesicht. Dann lachten sic Beide ungezwungen aus. „"Nun. das ist »vahr- hastig ein Karnevalsschcrz. wie wir ihn nicht besser hätten ersinnen können", sagte Ewald. „O, es ist köstlich!" siel sic ein. „ich habe mich nie so gut amüsirt. Und wie angeiiehm warm es liier ist! Es strömt einem »a förmlich »vie Feuer durch die erstarrten Glieder' Helsen sic mir mich ans meinem Pelz heraus, hier ist's wohl sein, hier muß man sich's gcmifthlich machen!" Ewald nntcrskütztc sie dabei, ihren kostbaren Pelz abzulegcn. Darunter trug sie noch eine lange Redingotc ans Loiftie saiiimet, die sie sich gleichfalls abstreiste, um nun in einer eleganten stmßcntoilcttc aus lontresarbigkl Seide vor ihm zu stehen. (Fein,zun-