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Dresdner Nachrichten : 05.09.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192609050
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19260905
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19260905
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-09
- Tag 1926-09-05
-
Monat
1926-09
-
Jahr
1926
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 05.09.1926
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Sonntag, 5. §ept. Mb Das Med. Ein« Eplsove von der. AiSne von H,a n s W a r m e r. ES war an der AiSne gewesen zwischen der,blutüeträl,tten Höhe 108 und der.Colära Farm. In mnhsc>>-er zäher Arbeit hatten die sächstschxn Grenadier« Ihxe.Stellnn^lst.'ven weiße» Kreidekalk htneinae'wMilt." ' Royatelanaerj .Gchkün» ünter steten Feurrübersälle» hatte die Nerven mehr ais ein kurzer, wenn auch anfs höchste mispeitschendtt Angrnfzerrüttet-'>Fm zeitige» Früblqhp ivtk tag die ll. Kompagnie-än etnhr der» übelsten Stelle» des RegimentSabschniites ntrann freund» »IrMwL, — unter tanhester Schale eifrigst verbarg. Selten i seinen sestgekniffenen Rippen ein iiberslusstge- »der s licheS, öfter dagegen ein derbes «nd jchimpfeiip.ü-,. Wirkt.' So war er bet seinen Leuten »och nicht grob beliebt und nur der rücksichtslosen »nd hohen Anforderungen wegen,.die er ebenso wie an seine Grenadiere an sich selbst zuerst zu stellen pflegte, wurde er im stillen doch von allen geachtet und geehrt. Dann kamen die Sturmtage In der Champagne mit ihrem Trommelfeuer auf den Aisnestellungcn Tageslanges, schwer fteS Feuer lag aus der Elsten in ihrer Wetterecke. Hinein geklammert i» weißzähen Kalk und Kreidcschlamm, mutzte sie auShalten, ohne selbst zu befreiendem Sturm lvsbrechen zu können. Die Verluste waren schwer, die Nerven der Ueber- lebenden glühten im zermarterten Körper. Der schrecklichste, bis dahin unbekannte Soldatentvd, das Lebendvcrschüttct werde», raubte zum ersten Male zahlreiche Opfer und die ent schliche Wehrlosigkeit gegen diesen Tod verbreitete Grauen. Stets der Hauptman» voran, mühten sich die Grenadiere, tm wüsten Feuer die verschütteten Stollen aufzngraben. Einmal hatten sie eine begrabene Gruppe fast erlöst, der erste Ver schüttet« wurde kalb wahnsinnig nach viclstttndigem Graben a»s dem tollen Gewirre zerteilter Minierrahmen und Kalk- sclSbrvcken heransgezogen. Da zerriß eine neue Gruppe französischer Granaten zwei Grenadiere vor ihrem Hauptman«, verschüttete den qualvoll sreigelegten Stollen, die sieben Grenadiere, die sich vom Tode für diesmal, schon befreit glaub- tcn, von neuem und in alle Ewigkeit begrabend. Weitere Rettungsarbeiten wurden vom feindlichen Feuer unmöglich gemacht. In dieser Stellung lag die Kompagnie die üblichen sechs Tage, dann wurde sie abgelüst. Bleich, zerfcht, mit Kreideschlamm überzogen, mehr nächt lichen Gespenstern gleich aks Menschen, wankte die Elfte im ersten Morgengrauen nach keuchend durchwanderter Nacht in die primitiven Waldbaracken, die seit Monaten die Ablösungs- guartiere der Grenadiere bildeten. Schlapp wie abgcpeitschte Tiere sanken die Ueberlebenden der Elften auf ihre Stroh» schütten. Am gleichen Vormittag stand die Kompagnie um 11 Uhr zum Appell. In den wenigen Stunden hatte sich daS bet der deutschen Infanterie immer wieder neu bestaubte Wunder vollzogen: aus zermürbten, verdreckten, abgerackerten, von Kalk und Lehm starrenden Bündeln waren wieder Soldaten geworden, saubere Grenadiere, sje lachten schon wieder, freuten sich der Stunde ohneTod und Granatgekrache und alle Unbill war überwunden. Dann trat der Hauptman» vor sie und sprach einige Worte über die Tage, die sie hinter sich hatten. Dies tat er eigentlich zum erstenmal. Und er sprach einfache, derbe, kernige Worttl Leine Schmuserei, die dem deutschen Soldaten 4»ns tief geborenem Gefühl für alles .Unechte von scher verhaßt war. Er sprach tiefe» Gefühles voll von den Toten, die sie draußen in der Stellung halfen znrücklasscn müsien. Und da dachten alle an die Verschütteten, die sie fast Hcrausgehvlt hatten, deren Hände sie schon fassen konnten durch den sreigelegten Tunnel. — Plötzlich sprang die Stimme des Oauptmanns um, die so soldatisch streng und scharf sonst klaua. ein Schlucken kam ihm in den Hals, nicht etwa, daß er geschluchzt hätte, nein, das wäre zu viel gewesen bei diesem Manne mit der harten Schale. Aber alle fühlten, es rauschte etwas Ungewohntes in ihm hoch und säst schien es wie eine Träne, die in den graue», kühle» Augen stand. Noch einmal dieses Schlucken, ein rauhes Räuspern, dann war es vorbei und mit gewohnter Stimme schlotz der Hauptman» seine kurze Ansprache. Die Kompagnie aber hatte verstanden, sie hatte plötzlich etwas Neues entdeckt i» jenem ungewohnten Ton in dcs Hauptmanns Stimme, etwas, bas sic bisher nicht geahnt hatte hinter der mürrischen, groben Art ihres „Alten". Die Nacht brach herein. In den Baracken war Ruhe ge worden. Ein feiner Regen streichelte die dunklen Kiefern, unter denen sich die Ruhestellung der Kompagnie verbarg, und verwandelte den längst abgetretenen Waldboden in zähen Morast. Der Haüptmann saß mit seinem Leutnant und zwei Vizes in der Offizjersbaracke bet einem Grog. Die Stim mung war düster. Der Haüptmann grübelte über den Ein drücken der letzten Tage. Die inngen Herren, die mit der dem Tasein im Felde beigemengten Bitternis leichter fertig wur den, hätten gern einen Skat gedroschen. Sie wagten es aber nicht vor der brummigen Miene des Alten. Born a»S der Stellung hörte man das Heulen der Granaten. Die Maschinen gewehre bellten peitschend dazwischen. Da erstieg plötzlich aus dem tropfenden Wald vor der Offi- ziersbarackc ein Gesang. Die Männer drinnen horchten auf. Leiie klang es an «nd schwoll auf zu reinem» starkem Ton, der das Dunkel der Nacht dirrchhallte: , , „Ich kenn einen Hellen Edelstein ." Einer der BizeS öffnete ans eigenem Antrieb die Tür, durch die ans der feuchten Nacht das schöne deutsche Lied Hereinklang. Der Hauptmann blieb sitze», er war tief ergriffen. Strophe um Strophe stieg der Gesang von treuen deutschen Herzen in die Nacht —. " . So dankte die Kompagnie Ihrem Haüptmann für die un erwartete Offenbarung seines eigenen mitempftndenden Herzens, das sie am Vormittag in ihm entdeckt hatte, und die wunderschönen Bande echt deutscher Tr?ue zwischen Mann und Din zier schlangen sich nm den Mürrischen Haüptmann und seine Elfte. Gemeinsame Not und geteilte.Gefahr trugen edle Frucht ln dieser schönen Huldigung. Die Kompagnie hatte de» Menschen in ihrem -Führer gesunden, undider Hauptmann die Herzen seiner Kompagnie. , » Das Lied verklang. Da erhob sich der Haüptmann und stieg hinaus, mit stummem Händedruck den Grenadieren zu danken. Doch die Sänger waren verschwunden in der schwatzen Nacht und monoton »nd letze tropfte der Regen von den dräuenden Kiefern. Es war. als ob auch die Grenadiere sich schämten, aus ihrem rauhe» Soldatentum'für die Dauer eines Liedes heranSgrtrcten zu seist. -- Das Lied aber blieb des Hauptmanns schönstes Erlebnis und Leitstern für den so lange noch währenden Krieg. Der TrSnenbrunnen. Von Dr. C u rt T r e i t s ch k e. Im „Garten der Mosensrcundin" der Dresdner Garten» bau-A»SstcllUng ist ein schlichter und doch-wirkungsvoller Wandbrunnen. Tropfenweise fällt das Wasser über drei kleine Schalen in das untere Becken. „Mutti, steh doch, der Nrnnnen weint," sprach neulich ein kleines Mädchen, das sich die Wasiertropsen über die Händchen rieseln ließ. „Nein, nein. Kind, ein Brunnen kann nicht weinen, nur Menschen können weinen." — Und doch hatte das Kind fein beobachtet. Tränen gleichen diese fallenden Tropfen. — Ich kenne einen Marmorbrnnnen in einem alten Tataren» schlosse in der Krim, etwa 85 Kilometer nordöstlich Sebastopol, den „Tränenbrunnen" oher , die „Tränenquelle" nennt. In einem wilden und, bizapven 'Felsental liegt Bachlschi-Ssaräi, d. h. Schloß der Gärten, bis 1783 di« Residenz der krimischen Khaye. Der Palast — Shap Ssarai — gleicht nnt seine» Moscheen, den weitläusigep. Gärten »und malerische» Häfen einem Märchenbilde aus TauseizdMheitier Nacht. Die kaiserlich russische Regierung hielt / den ^ Palqst dauernd in bestem Zustande. Als ich lost!, und lüliü,ihn! besuchte. waren di« Räume noch prachtvoll ansgestattet, die' Springbrunnen plätscherten in den ehemaligen Haremsgemächern,^ kostbarste Teppiche waren ausgebrcitet, in den Ggrtci^ rauschten die Fontänen und in den Krone» der Büsche leuchtete eS.vvm zarten Gelb der Orange- und Zitrvncnbllile biß'zstm brennen den Not der Granate. Ob auch die Sowjetregjerung in pietät voller Weise diese Mürchcninsel aus einer versunkenen und vergebenen Welt pflegt, weiß ich nicht. Bachtfchi-Ssarai ist noch heute der Mittelpunkt der Tataren der "Krim und mit seinen etwa Ist Moscheen das tatarische Mekka. - Ans der ein zigen, fünf Kilometer lange», aber sehr schmalen Hauptstraße wogt eine bunte Menge in beständigem Gedränge ans »nd ab: Russen in Nationaltracht, schlanke Tatarinnen, umschleiert vom Dschigcß, einem an beiden Enden mit Silberdraht, und, Seide gestickten weiße» Wolltuche, Türken mit rotem Fes oder weißem Turban. In knisternden seidene» Kleidern rquschen verschleierte Türkinnen vorbei und trippeln mit feinem bunt farbigen Schuhwerk über das entsetzliche Pflaster. In de,r. blumenreichen Sprache des Orients werden die Waren ast-z gepriesen. Reiter ans strnppistc» Pferden,. Eseltreiber, hoch-, beladene Kamele, Lastenlräger, Wasscrverkänfer mit demj Ziegcnschlauch und de» klappernden Trinkschalen. — Tritt! man durch das rundbogige, von einem Pavillon überbaute Tor in den Schlvtzhvf, so sieht man zur Liiiken die Moscheen und die Totengärten der Khane, zur Rechten den Palast der ehemaligen „Kaiser der Tataren und Tscherkcssen". An die Hofburg schließt sich eiste breite Gartentcrrasse an, die mit Weinlauben, Blumenbeeten und Fontänen geschmückt ist. Das Ganze ist ein berauschend'schönes, anmutiges Bild: weit vor springende flache Ziegeldächer, reich gegliederte pavillonartigc Bauten, Arkaden, gewölbte Durchgänge, durch die man Fon tänen ihre Wasser aufwärts schleudern steht, blühende Gärten — kürz der goldene Glanz eines alten' Märchens. „Und Wollust atmen hier noch immer die Gärten wie die öden Zimmer, die Mauer glänzt von goldnem Schimmer, der Springquell rauscht und Rosen blüh», Und sanft geschwellte Trauben glühn in Fülle von den hohen Ranken, Die frischen Grüns den Ban umschwankcn", so singt Puschkin in seiner „Fontäne von Bachtschi-Ssarai. — Wenn die Schatten der dunklen Zypressen durch die bunten vergitterten Fenster in die Gemächer fallen und die Sonnen strahlen glitzern in de» Springbrunnen, dann werden die Er innerungen wach an jene Zeit, als die Khane hier Hof hielten. Bon besonderer Schönheit ist ein Gartcnztmmer, halb in das Grün hinausgebaut, mit prachtvoller Wandmalerei und herr lichen Teppichen. Inmitten des Gemaches - zerschellt ein Springbrunnen seine Diamanttropsen im Marmorbassi». Hier lebte einst dcriKha» Mengli-Gerai. Er soll einer schönen Sage nach den „Tränenbrnnnen" geschaffen haben, der in einem der Höse steht. Ans dem obersten Becken fällt das kristallklare Wasser in 15 Halbschalen, die schwalbenncstartig in eine große Marmorplatte eingelassen sind. Wie eine kleine Quelle sprudelt bas Wasser in das oberste Becken und fällt schließlich aus den beiden untersteh Schalen, die wie Augen aussehcn, nur noch'als einzelne Tropfen. Sie sollen Tränen bedeuten. Als Symbol des Schmerzes soll der „Tränen brunnen" vor Jahrhunderten errichtet worden sein. Die Zarin Katharina II. hat vor säst 15U Jahren sinnend vor ihm gestan den. Die mit dem Brunnen verbundene Sage von der un glücklichen Liebe des Khans Mengli-Gerai zur schönen pol nischen Gräfin Maria Pvtvcka hat Puschkin dichterisch gestaltet. Aber reizvoller ist es, wenn uns der Märchenerzähler davon berichtet. Nur wenige Schritte vom Schlosse entfernt, dort vor dem einfachen Kasfeehause sitzt er, umringt von an dächtigen Zuhörern. Wir lassen uns auf einem niedrigen Schemel nieder, schlürfen ans feinen Schalen den stark duften den schwarzen Mokka mit. Zucker — scixnßetti — und nehmen mit dem mitgebrachtcn Nargileh-Mundstttck einige Züge aus der Wasserpfeife. Unvergleichliche Märchenerzähler sind die Orientalen. Immer wieder überraschen die orientalischen Märchen durch die Fülle von fein empfundener Poesie und reifer Lebensweisheit. „Kost der Erwachsenen" sind Märchen im Orient. Wir lassen uns die Sage vom „Tränenbrunncn" erzählen. Unvergeßlich bleibt mir, wie der Märchenerzähler im Anblick des Palastes von dem Glanz jener Zeiten berichtete, auf Mausoleum, Gärten und Gemächer hinzeigte, während die Springbrunnen rauschten. Da schließt man dann unwillkür lich die Augen, überläßt sich süßer Träumerei und ist ganz im Banne des Märchens.— - „Es war einmal ein großer und mächtiger Khan Mengli Gerat. Aus dem edlen Geschlechte der Gerai stammte er, das einst über das weite Land der Tataren gebot an der Wolga, in Samarkand, am Kaspischen Meer und in der Krim. Nur kuLzc Zeit waren sic Vasallen der türkische» Grvßsultane. Dann machten sie sich frei und empfingen königliche Ehren in Stambul. So groß und mächtig waren die Khane, daß nur sie das Recht hatten, sich i» Gegenwart des Großsnltaus zu setzen und mit ihm Kaffee zu trinken. Wenn das Hans OSyian der einst mal auSsterbcn sollte, kann nur ein Nachkomme aus dem Geschlecht der Gerai dann Padischah werden. Dort seht ihr, Freunde, zwischen hohen Zypressen das Grab unseres tapferen Dewlet-Gcrai, der bis Moskau zog. Neben ihm liegt Khan Mengli-Gerai. Noch heute weint der Brunnen um diesen ritterlichen und edlen Herrscher. Einst zog er »ach Polen und entführte die Gräfin Maria Potocka. Sie war von ungewöhn licher Anmut und Schönheit, von sittsamem Wesen und gar wohl belesen in den Büchern der Dichter und Weisen." Nun schilderte der Märchenerzähler, wie der junge Khan znr schönen Gefangenen in tiefster Liebe erglühte und. sie znr Frau be gehrte. Aber Maria ersehnte nur die Freiheit und Rückkehr ins Vaterland. Erlesenste Sklavinnen bedienten sie, euro päische Künstler richteten die prachtvollste» Gemächer für sic her, kostbarste Seidenstoffe, feinste Schlcicrtücher und kunst voll bemalte Linnen, Perlen, Dickmanten, feinstes Porzellan ans China und Japan wurden ihr geschenkt. Umsonst warb Mengli-Gerai. Nur Seufzer und Tränen waren Marias Antwort. Da trat eine tragische Lösung ein. Die frühere Liehkiygsfrau des Khan, eine glutängige Grnsiuerin. ward eifersüchtig Unter der Maske heuchlerischer Teilnahme ge wann sie die Freundschaft der Fremden. Eines Abends er dolchte sic die junge Polin »nd vergrub sic im Garten. Die Vergeltung des Khan nach Entdeckung des Mordes war grau sam. Die Grusinerin wurde von Pferden zerrissen. Seiner Maria aber errichtete der Khan ein herrliches Mausoleum und den „Tränenbrunnen" als Symbol seines und ihres Schmerzes. Gewiß, cs ist eine Sage. Geschichtlich steht fest, daß nicht unter Mengli-Gerai sondern unter dem Khan Bora-Gasi- Gerat eine weniger sittenstrenge Gräfin Maria Potocka in tatarischer Gefangenschaft gewesen ist und daß der Brunnen erst ejwa 150 Jahre nach Maria Pvtockas Tode erbaut wurde. Aber die schöne Sage hat sich bis anf den hentigen Tag er halten und unser Märchenerzähler beteuerte: „So gewiß, wie diese Quelle nie versiegen wird, die diesen Brunnen speist und wie diese Tränen hier ewig fließen werden, so gewißlich wahr ist diese Geschichte." — Es war einmal nicht mehr tragen konnten, weil die Last des Leides zu schwer ward. Man meint über gefallene Väter und Söhne, über ver lorenes Guj und verlorenes deutsches Land. Und die deutsche Erde nimmt alle diese Tränen, die über gramdurchfurchte Wängf» fließe», ans. Nicht umsonst fließen sie. Schmerz und Tränen aber sind nicht das letzte im Menschenleben. Tiefer als Schmerz und Tränen, ist der Glaube an den über uns thronenden unsichtbaren.Erzieher: der das Glück und das Leid sendet, ans daß sich unsere Seele gestalte zum Kunstwerk, Schaut auf das Schicksal der Sonne» und Welten —.wie klein ist dagegen das Schicksal'der Menschen!/ Auch in Deutschland gibt cS seit dem Weltkriege viele „Tränenbrunnen". Viele sanken wieder, weil die Knie sie Versuchung an sie heran, es aus dem Rahmen zu lösen. Do Das versiegelte Bild. Skizze von Freiherr v o n S ch l i ch t. Das Gong hatte bereits zum zweiten Mal zum Mittag, essen gerufen. Trotzdem stieg Aenn, di§ - letzthin neunzehn Jahre geworden war, nur langsam die Treppe zu-dem. im Erdgeschoß gelegenen Eßzimmer hinunter. Sie wyr wirklich nicht die Spur neugierig, den heule vormittag, glücklicherweise ngr für de» noch kurzen Nest seiner landwirtschaftlichen Lehr zeit. auf dem Gut ihres Vaters neu eingetrossenen Volontär, Herrn von Felsen, kennen zu lernen. Mit ihm würde es be stimmt. q»ch nicht anders werden als mit seinen Vorgängern. .Sicher wurde auch er leine Gelegenheit vorübergehcn lassen, mm ihr etwas von ihrer schönen, schlanken Figur vor- züschwärmen, von ihren großen schwarzen Augen und von allem', was ihm sonst noch an ihr gefiel. Dann würde auch er es NpMrlich versuche», einen Flirt, mit ihr anzufangen. Aber dle^LM dazu wollte sie ihm gleich von Anfang an nehme», schoß!durch die Art, wie sie ihm bei der erste» Begegnung höf- lich> und.^.liebenswürdig, aber dennoch zurückhaltend und ab- lehnchio-Äegenübertrat. . Däs. nahm sie sich jetzt noch einmal fest vor, bevor sie die Tür zrun Speisezimmer öffnete, wo sie bereits erwartet wurde. Aber, als die Mutter ihr nun den neuen Hausgenossen vor stellte. und als der, groß und schlank, dabei doch kräftig ge wachsen, ihr mit seinen sieben- oder achtnndzwanzig Jahrew mit seinen^ hübschen, klugen, bartlosen Gesicht und den großen, braunen Augen gegcnüberstand. mußte sie an sich halten, um nicht einen.'leisen Ruf des Schreckens und der Ueberraschung ansznstoßen.- Dieser Herr von Felsen war ja kein anderer als der, der -—- Dnnkefrüt stieg ihr plötzlich bas Blut in die Wangen, und sic war froh, als sie sich auf eine Bitte der Mutter hin noch einen Augenblick am Büfett zu schassen machen konnte, bevor man Platz nghm. Und sie empfand cs dann mehr als dank bar, daß sie sich an der Unterhaltung nicht zu beteiligen brauchte, Sic von dem Vater und dem neuen Volontär allein geführt wurde. ., - - > Während der ganzen Zeit dachte sie beständig: Ist er eS ober ist er es nicht? DaS wollte, nein, das mußte sie wissen. Und deshalb fragte sie plötzlich, als in der bisher geführten Unterhaltung eine kleine Panse entstand, mit einer Stimme» die zu ihrem eigenen Erstaune» gleichgültig und gelassen klang: „Sagen Sie bitte, Herr von Felsen, ich denke schon lange darüber nach, sind wir uns in unserem Leben nicht schon einmal begegnet, und zwar vor einem reichlichen halben Jahr aus dem Vcrlobungsfest meiner Freundin Elly Nettberg?" „Zn dem Fest war ich allerdings auch geladen, gnädige- Frä.ylein,".stimmte er ihr bei. Bis er nun nach einer kurzen Panse, in der er sie forschend und prüfend angesehen hatte, Mit dem Ausdruck ehrlichsten Bedauerns fortfuhr: „Seien Sic mir bitte nicht böse, gnädiges Fräulein, daß ich mich bei der große» Zahl der damals Geladenen der von Ihnen er wähnten Begegnung nicht mehr entsinnen kann. Allerdings besitze ich ein beklagenswert schlechtes Physiognomiengedächtnis» und das wird mir hoffentlich auch Ihnen gegenüber als Ent schuldigung dienen." - War er es oder war er es nicht? Die Frage beschäftigte sie trotz der Antwort, die er ihr eben gegeben, bei Tisch fort während weiter, und erst recht, nachdem sie sich wieder in ihr Zimmer begeben hatte. Da dachte sie an die kleine Szene, die schon so weit znrücklag, und die sie dennoch nicht vergessen hatte, und die sie eigentlich auch nicht vergessen wollte. In einer der vielen Tanzpauscn hatte auf jenem Verlobungsfest an dem herrlichen Svmmcrabcnd die ganze Schar der jungen Mädchen nnd Herren in dem großen Park hernmgetollt. Man hatte Greifen nnd Haschen gespielt, nnd sic selbst war vor einer lustigen Schar, die Jagd gnf sie mgchte, davongelaufen. Aber sic war flinker nnd geschmeidiger gewesen als ihre Verfolger »nd hatte in ihrem wilden Laus auch nicht inncgehalten, als die anderen die Verfolgung schon anfgegebcn hatten. Da war sie plötzlich gegen einen Herrn gerannt, der unvermutet aus einem Nebenweg vor ihr anftauchtc. Erschöpft hatte sie sich an ihn gelehnt und lachend »nd atemlos gebeten: „Halten Sie mich, ich kann nicht mehr, ich falle um." Da hatte er sie ge halten und dann — ja, auch heute vermochte sie sich nicht zu erklären, wie es eigentlich gekommen war, jedenfalls hatte er sie plötzlich anf den Mund geküßt. Einen Augenblick hatte sic ihn fassungslos angesehen, dann war sie davongelanfen. Der Herr aber hatte gar nicht den Versuch gemacht, ihr zu folgen. Er stand, als sie sich noch einmal umsah, wie angewurzelt da und starrte ihr nach. Auch im weiteren Verlauf des Abends hatte er sich ihr nicht wieder genähert, nicht ei» einziges Mal mit ihr getanzt, wohl weil er ihr gegenüber ein zu schlechtes Gewissen besaß. Deutlich stand der Abend wieder vor ihr. Der ihr damals den Kuß gcacben, weilte nun als neuer Hausgenosse in ihrem elterlichen Hanse. Immer vorausgesetzt natürlich, daß er cs war: denn seinen Name» Halle sie damals, als er ihr mit vielen andere» gemeinsam vorgestellt wurde, nicht verstanden oder wenigstens nicht behalte». Hinterher hatte sie nicht ge wagt, sich danach z» erkundigen, schon »m keinen Argwohn zu wecken. Nun, die nächste» Tage oder Wochen würden ihr ja Gewißheit bringen. Aber ihre geheime Frage: Ist er es oder ist er cs nicht? wurde durch keinerlei Andeutung von ihm be antwortet. Dafür fand sie die Erklärung, als sie eines Morgens während seiner Abwesenheit im Aufträge der Mutter mit dem Mätzchen znsgmmc» sein Zimmer betritt, »m dort einen kleine» Wunsch, de» er für die Einrichtung geäußert hgtte, zu erfüllen. Dg entdeckte sie gnf seinem Schreibtisch in einem cinfgchcn Holzrghmcn das Bsld . ejncS ^ geradezu blendend schönen jungen Mädchens oder ciüer junge» Frau. Nn» ver stand sic ihn, verstand sic alles. ' Er liebte'eine andere, »nd dar»»« konnte und durfte er sie natürlich nicht lieben, auch nie davon spreche», daß er sie,'wenn anch unr einmal, und noch dazu im Scherz, geküßt habe. Heiß »nd jäh flamiirtc die Eifer sucht in ihr anf. Wer war diese andere? Sic mußte eS missen. Nachdem sie das Mädchen mit einem Auftrag fortgeschickt, ver suchte sic, das Bild ans dem Rahmen zu nehme», nm eine Widmung z» entdecke». Doch die kleinen Klammern, die den Rahmen verschlossen, waren versiegelt. Es schien, als hätte der Besitzer des Bildes voraiiSgeschcii, daß neugierige Hände sich eines Tages daran zu schasse» machen könnten. Da schämte sic sich, daß ihr das Blut heiß in die Wange» schoß. Am Mit- tag bei Tisch wagte sic kaum, ihn anznschc». ES war das erste Mal. daß sie sei» Zimmer betreten halte, cS sollte auch für immer das letzte Mal gewesen sein. Aber etwa vierzehn Tage später mar wieder ei» kleiner Wunsch ge- äußert worden, dessen Aiissührnng die Mittler dem Mädchen nicht allein überlassen wollte. So stand sie abermals vor dem Bild, nnd »och viel stärker als bei dem ersten Mal trat d^
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