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Lradtanlchri»: Nachrlchl»» Dre»d»o. g«nspr»ch»r-Samm«lnumm»r 22 241 Nur für Nachlqclprllche: 20011. >» Dresden und Vororten bei täglich zwsinialiaer Julraguna. durch die Poll -ööM95^v8ö!)Üt)k liiglich zweimaligem Berland moualllch 7,72 AI., uierlcllädrlich 23,25 M. .. , „ Die einlpallige 37 »»» breite Nelle 2,5» M. Aus I^amillenanzeige,,, Anzeigen unter Nniplllvn-Ktppiip Stellen- u. Woluningsmarkl. t spalllge An- u. Vertiitufe 25»/». Porzugspliitze laut LUt,^t^jeiI-4)I1.l^. »^-uen Austräge gegen Vvrausbezadlung. «lnzelnumnier lU Ps. Schristleilung und Kauplgelchäftsstelle: Warlrnltrotze 3S/40. Druck u. Verlag von tleplch L «elchardt ln Dresden. Postscheck-Itvnto 1OSS Dresden« Nachdruck nur mit deutlicher Quellenangabe <,.Dresdner Nachr.-) zuliilsig. - Unverlangte OchrisllMcke werden nicht ausdewadr». Geh. Hofrat Dr. CrwLn Reichardt f Am 14. Oktober ist der Verleger der „Dresdner Nachrichten" und Chef der Firma Liepsch K Reichardl, Herk (Sch. Hosras Dr. Erwm Reichardt, im Mer von 61 Jahren verschieden. Einem persönlichen Wunsche des Verstorbenen entsprich! es, wenn diese traurige Kunde erst heule, nach erfolgter Bestallung, bekaniitgegeben wird. Von Bad Oeynhausen, wo er Linderung seines jahrelang an ihm zehrenden Leidens erhossle, kehrte er Ende August als ein Schwerkranker nach Dresden zurück. Nach einem überaus schmerzvollen, mehr als siebenwochigen Krankenlager hat ihn hier ein sanfter Tod von allem Irdischen erlöst. Dr. Erwin Reichardt, dessen Lebensgang wir an anderer Stelle dieser Nummer wiedergeben, begann nach gründlicher akademischer und journalistischer Vorbildung seine Tätigkeit in der Redaktion und im Verlag der „Dresdner Nachrichten" am 15. Juni 1885 und arbeitete zunächst gemeinsam mit seinem Vater, Herrn Kommisjionsra! Julius Reichardt, dem Begründer der „Dresdner Nachrichten". Nach dessen im Jahre 1898 erfolgtem Tode hat er als alleiniger Leiter des Verlags und der Schristleilung den „Dresdner Nachrichten" Weg und Richtung gegeben. In treuer Pflege der altbewährten Tradition des Blattes trug er den ständig wachsenden Bedürfnissen einer modernen Tageszeitung Rechnung und ließ sich den redaktionellen und geschäftlichen Ausbau der „Dresdner Nachrichten" bis ins kleinste angelegen sein. Er war es, der im Jahre 1900 das zweimalige Erscheinen unseres Blattes einführte und damit in Dresden das erste großstädtische Zeilungsunlernehmen schuf, das dem Leser den aktuellen Tagesstosf in einer Früh- und einer Abendausgabe bot. Als Leiter der „Dresdner Nachrichten" hat Dr. Reichardt jederzeit am politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Leben von Stadt und Staat den regsten Anteil genommen. Bei seiner Stellungnahme gegenüber den politischen Problemen suchte er auf streng nationaler Grundlage zwischen rechts und links vermittelnd und ausglcichend zu wirken und unabhängig von jeder Partei dem allgemeinen vaterländischen Interesse zu dienen. In solchem Geiste hat er rastlos und unermüdlich auf die Gestaltung der politischen Verhältnisse in unserer engeren Heimal sowohl wie im großen Vaterlande einzuwirken gesucht und sich dadurch erhebliche Verdienste, erworben, die durch persönliche Auszeichnungen wiederholt anerkannt wurden und die das Gewicht und die Bedeutung der „Dresdner Nachrichten" als eines maßgebenden Organs der öffentlichen Meinung weit über die weiß-grünen Grenzpsähte hinaus zur Geltung brachlen. Bei seiner vielseitigen verantwortungsvollen Tätigkeil kam ihm sein ausgezeichnetes Gedächtnis für Tatsachen und Personell sehr zu statten. Ganz besonders war dies der Fall bei den Hunderten von Nachrufen, die er im Laufe von drei Jahrzehnten in den „Dresdner Nachrichten" hervorragenden Persönlichkeiten aller Stände bei ihrem Hinscheiden gewidmet hat. Auch in den Jahren schweren Siechtums war Dr. Reichardt ein Vorbild treuer Pflichterfüllung bis zum äußersten. Während der schweren, durch die Kriegsnöle besonders belasteten Jahre hat er sich noch Tag für Lag oft im wahren Sinne des Wortes in sein Arbeitszimmer in der Macicnstraße geschleppt und die Ent scheidungen in allen wichtigeren Angelegenheiten des Verlags und der Schristleilung getroffen. Es ehrt den Heimgegangenen, daß eine beträchtliche Anzahl der Angestellten uiü) Mitarbeiter in allen Teilen des Betriebes der „Dresdner Nachrichten" ihm und der Firma in langjährigem gemeinsamem Wirken die Treue bewahrt haben. Sein Andenken wird in der Geschichte des Blattes unvergessen bleiben. Die nationale Bedeulung ösr Berliner Wahl. Am vergangenen Sonntag haben in Berlin die Wahlen zur Gemeindevertretung stattgcfunden, Heren Ergebnisse allenthalben tm Reiche und über Hessen Grenzen hinaus mit Spannung erivartet wurden. Durste dvch mit Recht an- iienommen werden, das! das parteipolitische Bekenntnis der Reichs Hauptstadt mit ihrer Millionencinwohnerschaft ge wissermaßen ein Spiegelbild dafür abgeben würde, welchen Standpunkt die Massen der Wählerschaft zu den bedeutungs vollen politischen Geschehnissen der letzten Vergangenheit und der Gegenwart einiichmen. Dementsprechend waren die nun Wochen und Monate zurückreichenden Vorbereitun gen für die Wahl auf allen Seiten besonders intensiv »nd sorgsam betrieben worden. Am nachdrücklichsten aber hatten sich die sozialistischen Organisationen aller Schattierungen in Wort und Schrift rastloser Werbetätigkeit gewidmet, und :vcr diese Vorarbeit allein in den drei führenden sozia listischen Zeitnngsorgaiien Berlins verfolgte, der wusste, hast eS die Sozialdemokratie, vom radikalen bis zum gc- mähigten. Flügel, ans eine groste Schlacht mit dem Bürger- iurn, auf einen augenfälligen Beweis ihrer Macht angelegr hatte. Nacki dem Wahlsieg in Grostthüringen, der „alle Rückwärtser der kapital Wichen Reaktion schwindeln" machte, sollte der »och größere, bedeutungsvollere in der „Hoch- bürg der Arbeiterbewegung" folgen und zeigen, hast „die Internationale in Deutschland von Triumph zu Triumph inarschiert". So »nd ähnlich, in tausendfältiger Lesart, lauteten die propagandistischen Ergüsse in den Blättern der Linksparteien vor der Mahl. Bei diesem Aufgebot von »traft, das aus jeder Ueinen lokalen Zufälligkeit einen Erfolg des heilsamen Wirkens sozialistischen Geistes zu maciien verstand, Hütte man in der Tat annehmen und befürchte» dürfen, dast der überwiegende Teil der Berliner Bevölkerung, besonders die über eine Million zählende Arbeiterschaft, seine Stimme einer der sozialistischen Palleten geben würde. Das ist aber ganz und gar nicht her Fall gewesen. Tic bisherigen amtlichen Berechnungen und Beröffentlstlnuigeii der Berliner Wahl- bureaus zeigen i»> Gegenteil ein nickt unwesentliches lieber- wiegen dar bürgerlichen Stimmen, deren Zahl mit 815 773 angegeben wird, während die drei sozialistische» Parteien zusammen 8W 740 erhielten. Es ist im Rahmen dreier Be trachtungen belanglos, die Gewinne und Bcrlnstc der ein zelnen Parteien bis aus jedes Ltimmeudutzend sein»legen. Nur so viel stst hcrporgehobe», dast die Melirhcits- soztalisten rund nnooo Wähler im Vergleich zu dcml Stande von 1UA» hinzngewannen. die Unavhängigen dagegen den ungeheuren Vertust von über All! stich Wählern zu buchen haben. Die stärkste bürgerliche Partei in Grost- Berlin sind die Derrlschnativnalcu geworden, die eine Stimincnznnahine von reichlich IststststO, daS lind 7i>,5 Proz. des Standes ihrer Wählerschaft vom Vorjahre, verzeichnen dürfen. Die Deutsche Bolkspartci hat einige lausend Wähler verloren, die Demokraten haben gegen sechstausend g» Wonnen. Zn Mandaten ausgesprochen, dürften nach diesen allerdings »och nicht endgültigen Verlautbarungen die sozia listischen Parteien nicht weniger als 3-l Sitze im Sladtvcr- ordnetenloileginm verloren haben, während die errechnet!: Mehrheit der Bürgerlichen sich ans nenn beläuft. Aus alledem geht einwandfrei hervor, önst die „groste Schlackst", ans die sich die drei sozialistischen Parteien vor bereitet hatten, von ihnen verloren worden ist und dag der so gefürchtete „Ruck nach Rechts" Wirklichkeit idurdc. Die Gründe für diese Tatsache sind mannigfacher Art. Zunächst mögen sic lokaler Natur gewesen sein. Die mistlichen Ver hältnisse im Berliner Siadtparlcnnent waren bereits sprich wörtlich geworden. Skandal- und Prügclszcucn int „Roten Hanse" gehörte» in letzter Zeit nickst mehr zu den Setten,, heilen. In- deutlicher Erinnerung stehen die widerlichen tät lichen Angriffe einer radikalen Horde gegen den dcntsch- nakionalen Stadtverordneten Kimbel, der cs gewagt hatte, die Hunderttniisendmarkspende der Stadt Berlin für die Hungernden in Svwietnistland als unwichtiger zu bezeich nen, als die von den Unabhängigen nahezu > urstgerlen zehntausend Mark zum Besten des obcrschlesiichen Hilss- werkes. Die Radikalen sprangen Lein Redner an die Gurgel und prügelten ihn, Geschrei übertönle alle Ordnungsrnse, der Oberbürgermeister mitsamt dem Magistrat verliest de» Saal, und selbst der nnavhäligige Stadtverordnetenvorstelier Weyl musste bekennen, dast „die Würde des Hanfes »ich: gehörig gewahrt" worden sei. Neben solchen ans die Dauer selbst den überzeugtesten Proletarier anwiderndci, Prügel- szeneii, die ja doch letzten Endes alle ein Ausfluss der Lehre von der Gewalt und von der „Diktatur des Pro letariats" sind, mögen die Finauzinibwirstschast. die Betiern- hcrrlichkeit, wie sie oft genug auch i» Berlin dokumentier: wurden, den Berliner Wähler dazu bestimmt haben, die bis herige Vormachtstellung der sozialistischen Sachwalter uichi wieder zu stärken. Aber alle diese Klcingründe, die begleitet und In ihrer Bedeutung verstärkt werden mögen von der allgemeinen wirtschaftlichen Unzufriedenheit der breiten Massen, müssen als vornehmlich lokale Miststimiiiuiigen angcsprochen wer- , den. Gewi,; haben sic dazu betgetragen, den bürgerlichen jSieg in Berlin zn ermöglichen, den Ansschlag aber haben sie nicht gegeben. Die hauptsächlich treibende Kraft, die den Erfolg herbeisührte und deren Wirksamkeit den Berliner Wahlen snmptomatische Bedeutung für das ganze Reich zu sammen lässt, lag und liegt in der sich immer weiter ver breitenden Ueberzenginig, dast die sozialdemokratische Lehre nicht die Richtschnur ist, die nnser Volk aus dem Elend heraussühren kann. Als die Sozialdemokratie mit den: Umsturz im November 1N8 die Herrschaft antrat, versprach sic den Massen Brot, Arbeit, Freiheit, und verstand es, ans der Kriegsmiidigkeit und KriegSverärgernng gewisser Kreise Kapital zu schlagen. Hnnoertiausende, die aller Politik fern standen und deren Unzufriedenheit sich ans ganz persönliche und ganz materielle Dinge erstreckce, liefen ihr in die Anne, weil sie ihnen baldige Beiieruna ihrer kleinen Leiden »sagte. Andere Hnuderttansende. bereu politische Anteilnahme grösier gewesen sein mag, stellten sica a»s den „Boden der gegebenen Totsachen" und wurden Sozialdemokraten in der Erwartung, dag die soziAistischcir Parteien, je stärker sie würden, desto rascher Ruhe, Ordnung und lebcnswürdige Verhältnisse Herstellen könnten. Alle diese Erwartungen haben getrogen. Am Ende des dritten Jahres ihrer Herrschaft fielst sich die Sozialdemokratie berg hohen Schwierigkeiten gegenüber, die sich mit einer kon- seanenten Verfolgung ihrer Theorien und mit Gennnungs- tnchrigleit nicht überwinden lassen. Nicht nur, bau sie der: Massen weder Brot, noch Arbeit in dem erforderlichen Maste zu verschaffen oermvchie, sie bat ihnen anch nicht im entferntesten die versprochene Freiheit geoen tonnen. Das deutsche Volk, das vor den Wassenstiilsigno-. und Friedens- Verhaudlungei: sein Schicksal noch selbst bestimmen tonnte, ist unfrei, ist Knecht der Entenlestanie» geworden: jeder Arbeiter srondct im Eulentejoch. Eitel Spiegelfechterei wäre cs, diese Tatsache nach den: Muster sozialistischer Wahl- versanunlnngsredner restlos den: ungünstigen KriegSaus- ga»g znschieben zu wollen: die Hauptschuld an diesen: Zu stande trägt vielmehr die rückhaltlose, auf ihren internatio nalen Irrlehren sich anfbanende Ersüllungs- und Ber- söh'lnnüspolitit, wie sie die Beauftragten der Sozialdemo kratie vom ersten Nachkriegslage a» getrieben haben. Die wachsende Einsicht in diese Z»sam»:enhä:ige beginnt die Massen zu belehren. Sic spüren die Einflüsse der änsicren Politik Deutschlands ans das Wahl und Wehe der Einzcl- existenz, und weil sic, wie der „Vorwärts" sagt, „von der sozialistische» Arbeiterbewegung keine positiven Leistungen in: Interesse der Gesamtheit und ihrer sozial leidenden Schichten mehr erwarten", deswegen gehe:» sie ins andere Lager über, das sic bisher bckäinpsen halfen. Man darf den Wert dieser „politischen Ueberläufcr" nicht überschätzen,