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Rufsland. 85 Erörterungen den mit unferen ausführlicher entwickelten Anfichten vollftändig harmonirenden Auslaffungen eines durchaus unparteiifchen Engländers*), welcher durch lange Jahre in Rufsland gelebt und mit dem Scharfblicke eines praktifchen Gefchäftsmannes die Verhältniffe ftudirt und beurtheilt hat. Es ift unvermeidlich, dafs, wo fich eine grofse Reform vollzieht, fich bei der Ausführung Irrthümer mit einfchleichen, und auch die Emancipation ift diefem allge meinen Gefetze nicht entgangen. Galt es hiebei doch, den widerfprechendften Intereffen gerecht zu werden, und die Meinungen über die Mittel, welche ange wendet werden müfsten, um weder den Herren, noch den Leibeigenen zu nahe zu treten, waren fehr getheilt. Freilich fchwieg mit der Durchführung des Gefetzes die Oppofition dagegen noch lange nicht, und es find vornehmlich die Grundbefitzer, welche den immer fühlbarer werdenden Mangel an ländlichen Arbeitskräften ausfchliefslich auf die Aufhebung der Leibeigenfchaft zurückführen. Es ift aller dings Thatfache, dafs in manchen Theilen des Reiches dem Ackerbau zu gewiffen Epochen, namentlich zurZeit der Beftellung und der Ernte, die Arme fehlen; aber damit ift die Emancipation noch lange nicht zu verurtheilen. Ohne behaupten zu wollen, dafs die Seltenheit der Arbeitskräfte für den Gutsherrn ein Vortheil fei, geht doch daraus hervor, dafs der Bauer von feiner Freilaffung unmittelbar Nutzen zu ziehen verftanden hat, denn er weifs auf feinem eigenen Grund und Boden aus reichende Befchäftigung zu finden. Denn ein Müfsiggänger ift der ruffifche Bauer nicht. In keinem Lande trifft man fo wenige Bettler als eben in Rufsland. Wohl gibt es deren in den grofsen Städten wie in allen anderen gröfseren Städten Weft- europas, aber fie find hier profeffionell, das heifst, fie bitten um Naturalgaben, welche fie alsdann verkaufen. Die Haupturfache des Mangels an Arbeitskräften liegt (wie wir diefs an anderer Stelle begründet haben) in der immer gröfser werden den Ausdehnung des Bodens, welcher der Cultur übergeben wird. Die Emancipation der Leibeigenen hat vfele Grundbefitzer ungeheurer Einkünfte beraubt, die ihnen aus demObrok Hoffen, der perfönlichen Abgabe eines Leibeigenen für die Erlaubnifs- irgend ein Gewerbe auf eigene Hand betreiben zu dürfen. Sie haben naturgemäfs nun ihrem Grund und Boden eine gröfsere Aufmerkfamkeit zugewendet und fuchen dem- felben einen möglichft reichen Ertrag abzugewinnen. Wenn fie nun über den Mangel an Arbeitskräften fchreien und klagen, und dafs die Emancipation fieruinirt habe, fo ift das nicht richtig ; der wahre Grund liegt in der Schwierigkeit, eine ausreichende Zahl von Armen für den Anbau von Landftrichen zu finden,die bis dahin brachgelegen hatten und keiner Arbeit bedurften. So lange man nicht Mafsregeln ergreift, um eine fortdauernde Emigration zwifchen den Provinzen, wo Arbeitskräfte im Ueberflufs und denen, wo folche nur fpärlich vorhanden find, zu vermitteln, wird es in Rufsland immer an Armen fehlen. Es fleht feft, dafs der Ruffe, fo viel auch über feinen Hang zum Nomadenleben gefagt und gefchrieben worden ift, fich doch fehr fchwer zum Auswandern entfchliefst. Er verabfcheut dasVerändern feines Domicils, und Niemand klebtfefter an der Scholle als der Bauer. Der emancipirte Leibeigene hat das Gefühl feiner Freiheit; er begreift die Vortheile feiner neuen Stellung und fieht allmälig ein, dafs er es nicht nöthig hat, anderswo Arbeit zu fuchen, dafs fein Grund und Boden zu feiner Ernährung ausreicht. Die Eifenbahnen machen es ihm möglich, feine Prodiufte theuerer zu verkaufen ; die Reifen erweitern feinen Gefichtskreis, entwickeln feine Intelligenz und lehren ihn, den gröfstmögüchen Vortheil aus feiner Arbeit zu ziehen; er wird mit der Zeit ganz unabhängig und braucht nicht mehr für Andere zu arbeiten. Aus alledem geht hervor, dafs die Taglöhner immer feltener werden müffen, wenn man nicht die Bevölkerung durch Zuzug zu ver- gröfsern trachtet. Natürlicherweife wird damit eine Erhöhung der Löhne Hand in Hand gehen; fchon jetzt find diefelben in den Städten beträchtlich höher als auf dem Lande, und je leichter die Communication wird, um defto höher wird der Taglohn des Arbeiters fteigen. Immerhin ift von einem wirklichen fühlbaren ') Barry, „Das neue Rufsland“, 1873, S, 40 u. ff.