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71. Jahrgang. ZK 66» Mittwoch, 22. Dezember 1926 Gegründet 18S6 Lradlanlchrifl, ««»»Mir» Drenke». gerniprecker-Sammelnummer S6S«1 Dur ckr Nacktgelpritche: SO 011. oom lü. vt»3l. Dezemver l»2t> d»> litqltch jwelmatwer gulteUuna >re> t>au» I.WMK. <)LüUuS*1VevUyl P,Nd«»ua»»r«>» -ur Mona, Dezember Z M»rk obn« Ponzuilellungs^evüd, S>»z»1»»«»rr w PI»»»«,. Dt, Dnzeiaen «erden nach Soldmark berechnet, dt« etmpallia, K) mm Anzetg-n-Pr-IIe: «rr«: SLS,' s oukerkald 200 P>-> Vftertenoedüdr w Pta. Duo«. Aultritq» nenen Doraurd »reite otine VI» Doraurdezak SchrINlellung und AauplqeschitlteNelle. «arten,Ir, .» SS 4 2 Druck u. Verla» oon Uteplch » Aetchardt in Dreeden. Polllcheck-Konlo lOSS Dreeke». DackdNick nur m» deu.Ilcher vuellenan-o», .Dresdner Dachr - mlittsta. U"v»rtan-Ie Schrtliftttck« werden n,ch> uwewakrt. 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Holzmann wegen »beleidigender Haltung" gegen über einem rNilgliede der Besatzung zu zwei Monaten Gefängnis mit Strafaufschub verurteilt, Matth es wegen »beleidigender Hal'ung" und Beteiligung an den Vorgängen in Sondernheim zu zwei Jahren Gefängnis, -echter wegen »beleidigender Haltung" und wegen Be teiligung an den Vorgängen im Last Engel zu sechs Monaten Gefängnis. Kögel wegen Beteiligung an den Vorgängen In Sondernheim zu drei Monaten Gefängnis. Arbogast wegen der Germershelmer Vorgänae zu sechs Monaten Gefängnis. Kegler wegen Beteiligung an den Germershelmer Vorfällen zu sechs Monaten Gefängnis. Urteil und Strafbemessung würben erkannt in folgendem Stimmenverhältnis: DaS Urteil wnrde vom Kriegsgericht in allen Häkle» ein stimmig gefällt mit folgende» Ausnahmen: Die Frage, ob Roucicr sich leichter Körperverletzung Holzmann gegenüber schuldig gemacht habe, wurde mit drei gegen zwei Stimmen verneint. < Au herb ein waren »och die Fragen ans Totschlag, schwere Körperverletzung mit tödlichem Ausgange und schwere Körperverletzung gestellt, die einstimmig verneint wurden.) Bei Holzmann. Kögel und bei Fechter, soweit bei ihnen die Vorgänge im Easö Engel in Frage kommen, wurden die Schtildsragcn mit drei zu zwei besaht. Die Strafbemessung ersolgtc einstimmig ausser im Falle Kögel lmit drei zu zwei- und im Falle MattHes mit vier zu einer Stimme. * Man ist von früher her von französischen KriegSgerichts- urtcilen mancherlei gewöhnt. In fast allen Verhandlungen einer Zeit schärfsten Gewaltrcgiments der französischen Be- satzungstrnplpen aber hat es sich um Prozesse hinter ver schlossenen Türen gehandelt, in denen foder Fall kritiklos im französischen Sinne frisiert werden konnte. Anders diesmal. Man hat in Landau nicht nur öffentlich verhandelt, die An klage nicht nur auf Eirund eines gewissen Zusanimenar-beitcns mit den deutschen Behörden erhoben, sondern den Prozess in einer Zeit geführt, in der die offiziöse Politik der beiden be teiligten Staate» im Zeichen der Verständigung steht und die vielen Versprechungen einer grundlegenden Aenderung der unseligen Methoden der nachkriegSzcitlichen Gewaltpolitik ihrer Verwirklichung harren. Und der Erfolg? In Landau hat sich ein französisches Kriegsgericht berechtigt gefühlt, einen französischen Offizier völlig sreizniprechen, dem -er Revolver so locker sitzt, dass ihm deutsche Menschenleben nichts gelten, -essen UmgangSsormen sich in Flegeleien erschöpfen und dessen Reitpeitsche wahllos dcntschc Bewohner einer mit einer ganz unverhältnismäßig grossen und über die Massen händel süchtigen Besatzung bedachten kleinen deutschen Stadt traf. Fm Beisein nicht nur der deutschen, sondern der Weltpresse wurde dieser Prozess geführt. Und dieses Urteil bedeutet eine unerhörte Provokation des wehrlosen deutschen Volkes, einen Schlag gegen die seit Jahr und Tag von Paris und Berlin proklamierte Politik vertrauensvoller Zusammenarbeit und eine unerhörte Verhöhnung fedcn elementaren Rechtsempfin dens. unabhängig davon, ob man nach französischem oder -eulichcm Recht Urteile spricht. Man braucht sich nur klar zu machen, dass der gloire- süchtigc Revolverheld Roucier von der französischen Anklagcbehördc unter Anklage gestellt werden musste trotz aller empörenden Machenschaften des Dolmetschers, der deutsche Zeugenaussagen durch Entstellungen in ihr Gegen teil verkehrte. Man braucht sich nur zn vergegenwärtigen, dass dieser Mann, den sogar ei» Teil der französischen Presse längst ab—schüttelt hat. von der sranzösischen Staatsanwaltschaft an geklagt war wegen vorsätzlicher Tötung — man nennt das im DMord — an dem Deutschen Müller und dass selbst die sranzöstiche Anklageschrift das Borlicgen einer Notwehr verneine» musste. Man muss weiter daraus Hinweisen, dass derselbe Leutnant Rvncter «»geklagt war wegen vorsätzlicher Gewalttätigkeiten an dem Deutschen Josef MattHes, der heute »och mlt einer Kugel im Kopf im Heidelberger Krankenhanse liegt, und wegen vorsätzlicher Gewalttätigkeiten an dem Deut schen Holzmann. Dann wird man die Empörung nur zu begreiflich finden, mit der sich der bekannte deutsche Verteidiger, Rechtsanwalt Grimm, gegen den Antrag des französischen Staatsanwaltes gewendet hat, der immerhin noch ein Jahr Gefängnis für den Rowdy in französischer Osfiziersunifvrin beantragt hatte. Und trotzdem ein Urteil, baS denselben Rvueier von alle» seinen Schandtaten völlig freispricht! Frei- spricht, obwohl der französische Sachverständige Stabsarzt Bonhet über den Leichenbefund einwandfrei bekundet hatte, dass kein Schuss aus naher Entfernung abgegeben worden sei, Notwehr also nicht Vorgelegen haben kann. Freispricht trotz den selbst von der französischen Verteidigung Rouciers nicht angefochtenen neuen deutschen Augenzeugen wie dem Fräulein Honccker, deren Aussage die französische Verteidigung in eine lehr ungünstige Lage gebracht hatte. Frcisprlch-t trotz der ent schiedenen und harten Verurteilung des Verhaltens NoucierS durch den französischen Staatsanwalt, trotz dessen Feststellung, dass keinerlei Beweis für Rouciers Behauptung erbracht worden sei, er sei am Ludwigstor geschlagen worden, trotz dessen scharfer Verurteilung des Peitschenhiebes gegen den minderjährigen Deutschen Willi Klein! Worte fehlen, um eine derartige Justiz in ihrer ganzen Erbärmlichkeit und Rechtsmissachtung zn kennzeichnen, Und mit den deutschen Pressevertretern, die nicht allein bleiben können und werden, protestiert heute das gesamte deutsche Volk bet dem verant wortlichen Leiter der französischen Aussenpolitik gegen den schweren Schlag, den seine Außenpolitik in Landau erhalten hat. Trotzdem ist Noueicrs Freispruch nicht einmal das einzige was uns an dem Landauer Urteil biS inSJnnerste provozierend trifft. Roucicr ist frcigosprochen. sämtliche Mitangeklagten Deutschen aber, die man in diesen Prozess nur hineingezogen hat, n», für die nötige Ablenkung zu sorgen, sind zu sehr empfindlichen Gefängnisstrafen verurteilt worden, obwohl ihre Vergehen zum Teil gar nicht tn Zusammenhang mit den Vcr- brcchcrtaten Rouciers gestanden haben, zum andern Teil aber bis zur Lächerlichkeit willkürlich konstruiert worden find. Man brauchte deutsche Herausforderungen, um den notwendigen Hintergrund für Rvueier zu schassen, und man hat ihn ge schaffen nach den bewährten Mustern einer Zeit, die seit Locarno endgültig hinter ums liegen sollte! Bei fast allen deutschen Angeklagten war die ^beleidigende Haltung" der Hauptgrund zur Verurteilung, und zwar eine beleidigende Haltung, die» wie bei Holzmann, darin bestanden hat, dass Holzmaiin Roucicr „ins Gesicht gesehen" hat. Diese -Haltung ivar beleidigend, obwohl cS dunkel war und wohl schwerlich in der Dunkelheit ein Blick derart gedeutet werden kann, nm ein derartiges Urteil zu ermöglichen, geschweige denn zu rechtfertigen. Das Urteil in Landau Ist ein politisches Urteil verhängnis vollster Art. Denn was dort zur Verhandlung stand, waren nicht Einzelhandlungcn eines wahnwitzigen französischen Offi ziers oder gar eine herausfordernde Haltung der gequälten deutschen Bevölkerung, zumal ein grosser Teil der deutschen An eklagten zu den Linkskrcisen gehörte. Zur Beurteilung stand ein seit Locarno, Gens und Thoiry vollends unmögliches Bcsatzungssystem, auf dessen Grundlage allein derartige Schandtaten wie der Mord des Unterleutnants Roucier und der unerhörten Störungen des KriegervereinSfestes in Germcröheim mit der Beschimpfung der deutschen Hoheits- zeichen erst erwachsen konnten. Das französische Kriegsgericht hätte es leicht gehabt, ein einigermaßen befriedigendes Urteil zu sprechen, wenn es die Taten des Händelsuchers Roucier als Einzclhandlungen bestraft und den deutschen Angeklagten Ge rechtigkeit hätte anaedeihen lassen. Es hat daS nicht über sich vermocht. Es hat sich vielmehr im Angesicht der ganzen Welt schützend vor das unmenschliche (Sowaltsystem am Rhein ge stellt und damit gezeigt, wie wenig von all den Versprechun gen eines SystemwechselS am Rhein zu halten ist, daS doch die erste Voraussetzung für eine deutsch - französische Ver ständigungspolitik sein muss. Solange jeder französische Soldat die Mordwaffe gegen unbewaffnete deutsche Bürger erheben kann, wenn er tn der Nähe angesehen wird, so lange ist, das hat der deutsche Verteidiger Dr. Grimm klar genug heraus- gearbeitet, ein Zusammenleben im besetzten Gebiete unmög lich. ohne dass sich dauernd Zusammenstöße wie die von Germcröhctm ereignen müssen. So lange werden sich die Minister In Genf oder anderswo vergeblich zusammensctzen und Programme ausarbetten, um eine neue Politik in Europa ins Leben zn rufen. Und wenn eS eine Lehre ans diesem empörenden Prozess von Gcrmcrslicim gibt, dann ist cS die, dass die Fortdauer der Besetzung des Rheinlanbes not wendig den Tod jeder deutsch-französischen VerständtgungS- bomühung bedenken muss. Schon einmal haben Schüsse t-n Ser Pfalz die Augen der gesamten Welt auf den Pfälzer Separa- tistenskandal gelenkt und den unerträglichen Folgen der fran- zöstichen Politik der Untcrs>Utzil,iig der Separatisten ein un rühmliches Ende bereitet. Wird endlich der neue französische In st t Mandat auch im Auslände zu der Erkenntnis führen, dass jede Befriedung der europäischen Politik unmöglich ist, so lange die sranzösischc» Truppen am deutschen Rhein ihr Unwesen treiben können? Protest der deutschen Pressevertreter. Landau, 21. Dez. Die deutschen Pressevertreter in Landau haben soeben an Brtand ein Telegramm geschickt, das folgenden Wortlaut hat: „Die anlässlich des sstoocrer-Prozcjjes in Landau anwesenden deuijchen Pressevertreter protestieren als Augen- und Ohrenzcngcn einmütig gegen das uner hör t c U r t c i l des Kriegsgerichts des 22. Armeekorps. Der Freispruch NoncicrS ist eine schwere Verlcsinng des Rechtsempfindens tcS dcntschcn Volkes und der ge samte» zivilisierten Welt." Die Plädoyers -er Derkeidlger. (Fortsetzung des Berichtes aus dem Abendblatt.) In seiner Verteidigungsrede führte Rechtsanwalt Dr. Grimm unter anderem aus: Holzmann, der zuerst der Körperverletzung angeklagt worden war, wird jetzt nur ein fache Uebertretung einer Verordnung vorgeworfen. Er soll eine beleidigende Haltung gegenüber einem Angehörigen der BesatzungStruppcn eingenommen haben. Es fehlen aber alle dazu nötigen Voraussctzungc», da Roucier in Zivil war und niemand ihn als Offizier erkannte. Schon ans diesem Grunde ist Holzmann freizusprechcn. Aber auch aus einem zweiten Grunde. Nach der Anklageschrift bestand die beleidigende Haltung darin, dass Holzmann Roucicr ins Gesicht ge sehen hat. Da cs dunkel war, hat diese Haltung aber nichts Feindliches und Beleidigendes an sich. Ter bedauerliche Vor fall am Lndwigstor, der Ausgang von allem, der Ursprung dieses grausigen Dramas, war nicht durch Holzmanns Schuld entstanden. Roucier war schnld daran, und nur Roucier allein. War er hcrausgefordcrt? Unserer Meinung nach nicht! Ta die Anklageschrift einen Angriff oder das Vorhandensein einer Gewalttätigkeit verneint und nnr Uebertretung einer Ordonnanz durch Holzmann unter Anklage gestellt hat, so geht logischcrweise daraus hervor, daß eine Herausforderung nicht vorhanden ist. Wie wäre im besetzten Gebiet ein Zu sammenleben möglich, wenn jede Militärpcrson, selbst in Zivil, ungestraft einen Zivilisten verwunden oder sogar töten könnte, wegen einer so unbedeutenden Handlung, wie die, ihn in der Nähe zn betrachten? Zum Falle Matthcs weist Rechtsanwalt Dr. Grimm darauf hi», dass cs nur eine Be hauptung Rouciers sei, Matthcs habe seine Hand in die Tasche gesteckt. Er habe weder einen Revolver noch ein Messer in der Tasche gehabt. Es könne also keine beleidigende Hand lung oder Herausforderung im Sinne des Gesetzes in Frage kommen. Der Kernpunkt sei, dass Matthcs ebenso wie Müller dem Roncler folgten, nicht nm ihn anzugrcifon, sondern um ihn. da er auf frischer Tat ertappt worden war. fcststclle« z« lassen. Es sei ein Gesetz bei allen zivilisierten Völkern, dass jeder, der auf frischer Tat bet einer strafbaren Handlung er tappt werde, von irgendeiner Zivilperson selbst mit Ge walt scstgehaltcn werden kann, wenn es nötig sei, seinen Widerstand zu brechen. Nach Darlegungen über die Frage der Notwehr sagte Dr. Grimm u. a..: Tic Ausführungen des Anklagevertreters über die Verneinung der Notwehr waren getragen von dem hohen Geist der Objektivität. Gerade deswegen war ich aber geradezu betroffen. Uber den Strafantrag: l Jahr Gefängnisl I Jahr Gefängnis für einen vorsätzlichen Totschlag! Ter An klagevertreter hat gesagt, dass Sie hier nur Richter seien, und dass Sic den Fall so beurteilen sollte», als ob hic^ keine ver schiedenen Nationalitäten wären. Wir würdigen Ihre Ge fühle. Das wird für Sic schwer sein: aber ich könnte mir denken, dass Sie sich sagen: Nicht nm der Deutschen, sondern um Frankreichs willen. Er ist einer der unseren, er ist schuldig. Man treffe ihn hart, gerade weil er einer der unseren ist! Man hat hier von Locarno gesprochen. Die vielen Zwischenfälle über Kleinigkeiten und das Drum »nd Dran dieses Prozesses waren aber für mich eine tiefe Enttäuschung. Das deutsche Volk ist zur Auuähcru»g bereit. Wir wollen Frieden nach allem Elend des Krieges. Wir sind keine händel süchtige Nation. Wir sind keine Nationalisten und keine Bande MattheS. Wir wünschen Frieden, aber wir haben auch unsere Würde. Man hat in Germershcim 1D2Ü bayrische Fahne» n»d die offizielle deutsche Reichsslagge besudelt. Man hat uns keine Genugtuung gegeben. Wiederholen Sie nicht denselben Fehler. Ein solches Urteil wäre eine Provokativ irl Nach Tr. Grimm beichästiatc sich in eingehenden iuristischc» Ausführungen der 1. Verteidiger Rouciers mit der Notwehr»