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93. Jahrgang. SSI Dienskag. S. September 1924 Drodtanlchnjl: L-chricht«, Dr««»«e, gernlprecher-Sammelnummer 2S 241. Dur >Ur Dachlgrlpriiche: 20011. Gegründet 1858 ». I. di, l». s»»t«md,r IV24 bei Ik,l. kel Flau» 1.50 «oldmark, ^"gttgs -Ia>tzvUl)r Poslbejui-prei» I. «onal Seplemder I «vldmark. Li»,»l»«»»r l» <S,I»»Ie»nI,. Di« lUnzelaen werden nach woldmark derechnel: di» «tnIpaUige ZV mm drei!« Anzeigen-Preise: -LL-nk/'^'L' auherkald M Psg. Offerlengedudr IVPlg. Duiw. Auftriig« ,egen Borausde,ai>l. Dachdruch nur mit deullicher auelenangad» t.Dresdner Dachr.-> »uliiistg. — Nnverlanal» SchrlIMück« werden nichl auldewahrt. Schrtftleilung und Flauplgeschiitlsstell«: MarienIIroh» SS/40. Druck u. Deriag von Uieplch 5- Aeichardl in Dresden. Pos»check-j>vnlo 10SS Dresden. ^eurieti Müsei erslvn kksngvs ^ui.ius ^euirien pisnoksnctluns 6. m. b. t-I. Verksufrlolial: PrAAvr Ltrsüv S (klngsng ^»»ikksu» Sock) krstsn krsngss ^euriek pisnos Zer schwierigere Teil von Gens. Die Abrüstungskommission berät die Einigungsformel Macdonald—Herriot. Die Gehelmbehan-lung -er Kriegsschuldsrage in Versailles. — Schwere Zusammenstöße mit Slahlhelmleulen in Braunschweig. Der Streik -er Kleinen um -as Erbe -er Großen. Kens, 8. Sept. Die Resolution Herriot —Mac- üonald kam deute im dritten Ausschub der Vülkerbuiids- versammlun-g lAbrüsinngssrageni zum ersten Male zur Sprache. (Gleich bet der einleitenden Debatte über die ein- zuischlckgeuden Vcrlmndluiigsmcthvden zeigten sich Eiegensätze. Der Präsident der Kvmniissiv-n Duca-Rnmäiiien be antragte zunächst eine Verteilung des Stoffes, wäh rend der italienische Delegierte, der frühere Außenminister Lchanzer, vor Eintritt in die Einzelheiten eine generelle Debatte über die gesamte Sicherheitssrage verlangte. Lord Parmoor erlwb nachdrücklich Einspruch dagegen, das, die Resolution unter den Puiilt der Tagesordnung „G aranttc- pakt" gebracht werde, da der Garantiepakt durch di« Reso lution erledigt sei und die drei Fragen, Schiedsverfahren, Sicherheit und Abrüstung zur Debatte ständen, an deren Spitze das Schiedsverfahren gestellt mer-en müsse. Der zweite Vorsitzende der Kommission Politis-Griechenlanü forderte dagegen, dah entsprechend der Reihenfolge, in der die einzelnen Fragen in der Resolution angeführt wurden, zu nächst di« Regierniigsantwvrten auf den Garantiepakt und die rm Völkerbnndspakt enthaltenen Garanttemöglichkeiten er örtert würden und beantragte, das, ein besonderer drei gliedriger Ausschub unter Mitarbeit des Vülkerbunds- sekretariats als Grundlage zur Aussprache eine tabellarische Uebersicht über den Eiaranticpakt-Cutiours, die Einwendun- gen der Negierungen, andere Pakt-Entwürfe usw. aiusarbeitc. Schanzer gab Lord Parmoor gegenüber zu bedenken, dab doch die Antworten der Regierungen zur Debatte ständen und der Garantiepakt selbst besprochen werden müsse, und forderte für die allgemeine Aussprache unbedingte Freiheit für all« Delegationen, »neingeschränkt ihre Gesichtspunkte zur Sicherheitsfrage gellend zu machen. Parmvor stimmte hierauf einer zwanglosen allgemeinen Aussprache zu, der aber dann eine methodische Etnzclbcratung folgen müsse. Den Antrag PolitiS wollte Alleir-Neuseelaiid durch Einbeziehung neuer Garantiepnkt-Projekte ergänzt wissen, während von ttarnebcck-Hollaiid bei der Verteilung deö Stoffes di« llntersuchung des Vöbkerbnndspakted selbst an die Spitze gestellt zu sehen wiinscht«. Ans Vorschlag des Prä sidenten wurde beschlossen: 1. Eine allgemeine Debatte abzuhalte«. 5. Einer von PolitiS präsidierten dreigliedrigen Kom mission gemeinsam mit dem Viilkcrbundösckretariat die Klärung der von PolitiS angeregten Vorbehalte zn über tragen. Nunmehr wurde auf Antrag von Bcncsch (Tschecho- Slowakcil die allgemeine Debatte eröffnet, in der als erster Redner Schanzer das Wort ergriff, um ausführlich die italienischen Einwändc gegen de» Garantiepakt, bcsvndcrS gegen die Sonderabkom men und die starken Befugnisse des Rates darznlcgen, wobei Sü-asrika sür Deutschlands Beitritt zum Völkerbund. Genf, 8. September. Die VölkerbnndSversaminluiig nahm die in den letzten Tagen unterbrochene allgemeine Aus sprache über den Bericht des Rates unter geringer Be teiligung der Delegierten und der TrtbUiienbcsnchcr wieder auf. Der frühere schweizerische Bnndespräsident und Präsident des Internationalen Roten KrenzcS trat mit aller Entschiedenheit für den S ch i e d S g c d a n k e n ein und er klärte, wenn die Gros, Mächte als Erste das obligatorische Schiedsverfahren annchmcn, dann wäre ein Schritt von großer Bedeutung getan. Als Vorbild für den Ausbau verwies er auf die SchicdSvcrträgc, die von der Schweiz mit Deutschland, Schweden und Norwegen ab geschlossen wurden. Der schwedische A»s,cnminifter überbrachte die Zustimmung seiner Regierung zum Anöban des Schiedsgedaiikcns. Er unterbreitete der Versammlung den R e s o l u t i o n s e n t w » r f, demzufolge die Vertreter der Regierungen im Völkerbünde nnfgesvrdcrt werden, die Probleme aus dem öffentlichen und dem Privatrecht zur Kenntnis zu geben, die nach ihrer Ansicht in iiitcrnatto- naicil Abkommen oder anderen internationalen Instrumenten ntedrrgelcgt werden können. Hofmeyr sSüdasrikas gab sodann eine Erklärung über Deutschlands .Hiiizn- ziehung ziim Völkerbund ab. Die Erklärung hatte etwa ivlgcnden Wortlaut: Wenn Deutschlands Aufnahme eine er ans der unantastbaren Souveränität der Völkerbunds- mitglieder bestand und gegen die überstaatlichen Befugnisse des Völkerbundes Einspruch erhob und strenge Jnnehaltung des Völkcrbundspaktcö forderte. Schanzer betonte, daß an gesichts der vielen ablehnenden Antworten auf den Garantic- paktentmurf die Debatte völlig neu eröffnet werden müsse, und faßte die italienische Auffassung folgendermaßen zusammen: Die Rüstungsbeschränkung ist nicht möglich, wenn man einerseits nicht dem Völkerbund die Möglichkeit gibt, die Gerechtigkeit durch andere Mittel als durch militärische Gewalt dnrchzusetzen, und wenn anderseits kein Weg gefunden wird, um gegen Bedrückungen und Zwangsmittel Sicherheit zn geben und nm widerspenstige Staaten zur Jnnehaltung der von den Organen der inter nationalen Justiz gefüllten Entscheidungen zn veranlassen. Diese erste Debatte über die Resolution Herriot—Mac- dvnald hiiiterlicß im wesentlichen den Eindruck, daß cs außer ordentlich schwierig sein wird, aus dem ungeklärten und widerspruchsvollen Material, das der Kommission zugeschoben wurde, einhcitlicl-e Gesichtspunkte herauszuarbciten, und dah die weitere Diskussion sich äußerst aufreibend gestalten wird. lW.D.B.» Winkelzüge -er französischen Delegation. Trotz Parmoors Einspruch suchen die Franzosen auf den Garantiepakt in seiner alten Form zuzukonimen. Gens, 8. Sept. Die heutige Beratung in der Ab- rüstiiiigskommissivn der Vülkerbiuidsversammlnng zeigte be reits deutlich die Tendenz zahlreicher Delegierter, den von den Engläirdcrn als erledigt betrachteten alten Garantiepakt-Entwurf trotz her durch die Reso lution Herriot—Macdonatd gcschassencn Lage in wesentlichen Gründen bc iz u b e ha l ten. Diese Absicht entspricht ans jedem Fall den Richtlinien, in denen die französische Dele gation an die wichtigen Arbeiten dieser Kommission hcran- tritt. Die Auffassung der französischen Delegation, der die Kleine Entente sich anschliestt, geht dahin, daß die Kommrssion die Kontinuität mit den Arbeiten der letzten und vorletzten VölkcrLnndsversanrmlnng airfrechterhalten muß. Der Garantiepakt sei von der Mehrheit der Staaten nicht abgelehnt worden. Er behandle auch nach den Reden Herrivts und Macdonalds die Grundlage des Siche rn» g s s y st e m s, das die Versammlung ansarbeiten soll. Er müsse selbstverständlich infolge des eigenartigen Ge dankens des Schiedsverfahrens abgcändcr.t werden, aber ge rade dieses Schiedsverfahren werde es anderseits gestatten, vielen bisher erhobenen Einwänden gegen den Pakt die Spitze abznbrechen und dadurch das Snstem des Garantie pli ktcö als solchen beizubehalten. Die wesentlichen Acnde- rnngen des alten Garantiepakt-Projektes würden darin liegen, daß an Stelle des Vülkerüniidsratcs eine richter liche Entscheidung den angreiscndcn Staat feststellen soll. An anderen wesentlicinni Bestimmungen des alten Ekrranticpakt-Entrvnrfcs scheinen die französischen Kreise da gegen sestznhaltcn, so vor allem an den Sonderabkom- m e n , die man als von den alten Vorkricgsbündnisscn gänz lich verschieden bezeichnet. wesentliche Voraussetzung für die Lösung dieser Frage ist, so mögen die Ministerpräsidenten von Frankreich und Eng land. die kürzlich der Förderung des wirtschaftlichen Wieder aufbaues Europas so grobe Dienste leisteten, ihren ganzen Einfluß daran setzen, Deutschland dazu zu veranlassen, um seine Aufnahme nachzusuchcn. Südafrika wird Deutschlands Beitritt zum Völkerbund >»erzlichst begrüßen, wie es den Bei tritt aller anderen Nationen begrüßen wird, die insolac ihrer hervorragenden Stellung in der Welt längst den drohenden leeren Platz, ans den Macdonald in ko bedentiingsvollcr Weise angcspielt hat, eingenommen haben sollten. EalvananSkas - Litauen dankte dem Bölkcrbundsrat zunächst für seine bisherige Hal tung in der litauischen Angelegenheit und sagte weiter, diese müßte unbedingt wieder durch den Völkerbund aufgcgrisseii und tm Sinne der Gerechtigkeit gelöst werden. Auch die Mcmclner Lösung befriedigte Litauen nicht in allen Punkten, wenn sie auch als erledigt betrachtet werben könnte. Die StnsleUung Äerriols und Wae-onalös zn Rutzlan-s Aufnahme in den Völkerbund. London, 8. September. Die „Moriiingpvst" meldet ans Genf: Mährend -Herriot sich sür die Aufnahme Deutsch lands in den Völkerbund erklärte, ging er über Rußland mit wenigen Worten hinweg. Das ist eine gewollte Zurück haltung gegenüber der Ausnahme Rußlands durch Herriot. Die „Morntngpost" schreibt weiter: Macdonalds Ein treten für Rußlands Völkcrbundbeitrttt war. politisch unklug, denn es schasst Macdonald in England nene Gegnerschaft der Unionistcn, die in den Bolschewisten immer noch eine Gesellschaft von Verbrechern sehen Koloniale Morgenröle un- Dölkerbun-. Rriegsschuldlüge und Kvlonialraub: beide sind Ausflüsse des selben erpresserischen Geistes, der Deutschland inBersaillcs in das Fangnetz eines unerhörten Eiewaltdiktats verstrickte und sich vermaß, eine blühende Knlturnativn in ewige Schuldknccln schast zu stürzen. Es hat lange genug gedauert, bis n i, die Wahrheit durch den Wust der Verleumdung, der in de», Schund- und Schmachartikel 231 des Versailler Vertrages a» gehäuft ist, durchzubohrcn vermochte, und bis sich endlich d.c verantwortlichen Männer an der Spitze des Reiches unter dcm Drucke der öffentlichen Meinung dazu aufrafftcn, offiziell gegen die falsche. Anschuldigung Deutschlands auf den Plan zu treten. Nun drängt die Entwicklung mit genau der gleichen zwingenden Folgerichtigkeit, wie in der Frage der Kriegsschn i lüge, dahin, auch Sie künstlich in der Kolonialfrage von unseren ehemaligen Kriegsgegnern zusammengebraui, n Nebel zu zerstreuen, daß sie in zcrflatternden Fetzen vor der Sonne dcr Wahrheit davonstiebcn, und ebenfalls auf diesem Gebiete ein amtliches deutsches Vorgehen in die Wege zu leiten, und zwar im Anschluß an die zusehends lebhafter » l> gestaltenden Bemühungen, Deutschland zum Eintritt in bei, Völkerbund zu veranlassen. Eine derartige Aktion, die sich gegen die Koloniallügc richtet, daß Deutschlands angeblich grausame Behandlung der Eingeborenen seine Unfähigkeit zur erzieherischen Beherrschung farbiger Völkerschaften er wiesen habe, und die das deutsche Recht auf den Besitz eigener Kolonien wieder zur Geltung bringt, darf aber nicht wieder in so verworrener und zielloser Weise in Szene geict-t werden, wie es bisher leider mit dem Verfahren in der Krieglsschuldfrage der Fall gewesen ist, das verzweifelte Aehnlichkett mit dem Hinnndher in der Dortmunder Nän- miingsfrage aufweist. Nach den ersten Meldungen über die ,wischen dcr Neichsrcgieruiig und den Deutschnationalcn ge troffen« Abmachung mußte notwendig der Eindruck entstehen und herrschte auch allgemein die Erwartung, daß nnverziig lich die Abscndnng der verheißenen Erklärung an die Entenle rcgicrungen erfolgen werde. Dann verging aber geraume Zeit, ohne daß etwas geschah, bis man schließlich die drän gende nationale Ungeduld durch den Hinweis zu beschwich tigcn suchte, daß dcr Abgang der Note an die Alliierten ,,n» mittelbar" bevorstchc. Damit hatte es einstweilen wieder sein Bewenden, bis der deutschen Oeffcntlichkcit eine merkwürdige Ueberraschung über Nacht zuteil wurde: Ans Paris, nicln etwa aus Berlin, kam die von dortigen Blättern vcrbrcitcie Nachricht, daß der Reichskanzler zwar noch nicht die Pro klamation dcr Reichsregiernng, welche die KricgSschiildlüge förmlich und feierlich zurückwciscn soll, veröffentlicht, aber an die Premierminister von Frankreich. England und Bel gien einen Brief gerichtet habe, worin er zum AnSdrnct bringe, daß er „nun nicht länger mit der Veröffentlichung warten werde". Daraufhin habe dann Herriot in Berlin io fort den „schlechten Eindruck" dieses Briefes zur Kenntnis gebracht. Wirklich, wenn man das hört, kann man nicht um hin, des alten römischen Dichterwortes zu gedenken: „Es ist schwer, keine Satire zu schreiben". Von einer auch nur halb wegs zielbewussten Politik kann bei einem derartig forcierten Wanken und Schwanken, Zagen und Zandern überhaupt keine Rede mehr sein. Wie sagte doch einmal dcr „Kladderadatsch"? „Entweder konseaucnt oder inkonseancnt, nur nicht dieses ewige Schwanken." Ankündigen, verzögern, dann erst noch einmal drohen mit dcr „sofortigen" Veröffentlichung und schließlich immer noch wieder warten: das ist denn doch ein bißchen zuviel des Guten tm Punkte des Halbwollcns Allerdings, die Briesgeschichte wird durch das offiziöse Ber liner Telegraphische Bureau als „unrichtig" bezeichnet, aber das Dementi macht im ganzen einen sehr gewundenen Ein druck und kann die Tatsache, daß die interalliierten Bot schafter in Berlin den gegenwärtigen Zeitpunkt für die Ab- scndling der Note gegenüber einem Staatssekretär des Aus wärtigen Amtes als ungünstig bezeichnet haben, nicht ab leugnen. Das Empfinden der öffentlichen Meinung, daß cs in dcr Sache an dcr nötigen Zielsicherheit fehlt, erscheint also nur zu wohlbcgründet. So darf es auf keinen Fall noch einmal gemacht werden, wenn dcr Eintritt Deutschlands in den Völkerbund ernstlich in Betracht kommt und damit zugleich die Kolonialfrage anf- gcrollt nstrd. Der koloniale Wiederaufbau Deutschlands ge hört zn den dringlichsten Ausgaben der nächsten Zukunft, da er ein wesentliches Hilfsmittel zum heimatlichen Aufbau bildet. Wenn wir wieder Kolonien besäßen, könnten wir von dort einen erheblichen Teil unserer Rohstoffe und Lebensmittel beziehen und zugleich unsere Fabrikate dahin ciiisühren. Dcr letzte Reichskvlviiinlministcr Dr. Bell hat iingst mit Recht daraus hingewiesen. daß wir ans solchem Wege einen doppelten Vorteil gewinnen würden, indem wir Das Völkerbun-swerben um Deulschlanö.