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Von der leipziger Frühjahrsmesse 1928 Sennrck« Vorführung neuartiger Transmissions - Taufkatzen auf der Technischen 2Nefse stsmm Ein kippbarer Lastkraftwagen, der ohne Hilfspersonen mittels Antriebes des ZNotors gekippt werden lann Aus Dresdens Lichtspielhäusern. Charlie Chaplin im Capitol. Das Zirkusmilieu hat von jeher für de,, Film ein beson ders dankbares Lchausclö abgegeben. Wieviel mehr aber erst, wen» Charlie Chaplin, der Unvergleichliche, im Mittel punkt aller Manege-Ereignisse steht! Das ist der Fall in dem neuen Chaplin-Film: „Zirkus", der seit gestern vor über vollen Hauser» im Capitol iPrager Straße ÜI> laust. Charlie als „Mädchen sür alles", das die wilde» Tiere füttert und mit dem Besen hantiert, Charlie als „Teils «nabe" in der Apsel- schust-Szeiie, Charlie als „Dvrsbarbier", Charlie als „Jongleur", Charlie im Löivenkäsig, Charlie als tvlpelhaster „Mitarbeiter" bei Zauberkuuststücken, Charlie als Seiltänzer — dies alles sind Episoden von zwingender Lustigkeit, doppelt wirksam, weil sie stets eine vollkommen unsreiwillige Komik Vortäuschen und so gar nicht nach der landläusigc» Clownerie schmecken. Chaplin wäre aber nicht der einzigartige Künstler und Menschendarstellcr, wenn er nicht auch in diese seine neue Zirkusrolle allerlei tiefer Berührendes, ja sogar eine gewisse Tragik jener Menschen, die an die Schattenseite des Gebens gebannt sind, hineingetragc» hätte. Scho» der Leidensweg, der ihn zum Zirkus hinsührt — crwerbs- und obdachlos irrt er in der Welt herum — bietet ihm die Gelegenheit zur Charakteri sierung dieser Kehrseite des Gebens. Wie er ans einem Rummelplatz »nschnldigrrweise in einen Taschendiebstahl ver wickelt und zur eiligen Flucht vor der Polizei genötigt wird, wie ihm im Zirkus der schneidige „König der Seiltänzer" die Angebetete seines Herzens abspenstig macht, wie er am Schlug -er Zirkus-Tragikomödie, nach Abbruch der Zelte und Absahrt der Wohnwagen, einsam »nd verlassen, abermals vw ä-vm <lo rion, aus einer znrüctgclassenen alte» Kiste sitzt und von dem dahingcschwundcnen Liebesglück vor sich hinträumt, — auch das entbehrt sicherlich nicht der Komik, und dennoch fühlt man unter der heiteren Maske immer das schmerzersüllte Herz eines vom Schicksal hartangesastten, wenn auch nicht ganz iinierziikriegen- öcn Menschen schlagen. Hierin liegt das »Geheimnis von Chaplins groster Kunst und von den starken Wirkungen, die von ihm ausgche». Selbstverständlich lasse» sich diese svrt- reiftendcn Cindriicke, die so getreulich das zwischen Aachen und Weinen hin- und hcrpcndclnde Leben widerspiegcln, nicht mit Worten schildern. Man gehe selbst hin und freue sich der erlisten Kunst, die ein Anserwählter in das Gewand erquicklicher Heiterkeit zu kleide» versteht! Kapellmeister W ilke und seine treffliche Kapelle bieten die neueste tragikomische Chapliniadc mit der schmissigen Wiedergabe der Ouvertüre zu „Orpheus in der Unterwelt". * Zenlrum sSecstraste Isis. Harrn Licdtkc und Maria Pa » öler beherrschen das neue Wochenprogramm, — und das sagt eigentlich alles. Fast ist cs gleichgültig, wie das neue Filmluftspiel heiftt, das sie mit ihrer heiteren Knust erfüllen. Aber gern sei feftgestellt. daft „Das Drago » erlie b ch e n" von Walter Reisch — dies der Titel des neuen Stückes — einer der nettesten Soldatenschwänte ist, die man in letzter Zeit ans der Leinwand z» sehen bekommen hat. Schauplatz der Handlung ist wieder einmal die alte Kaiserstadt an der Donau, wo die Offiziere des dritten Dragonerregimeuls als die schneidigsten Kavaliere, die besten Tänzer und die gefähr lichsten Herzensbrecher bekannt sind und von der Damenwelt vergöttert werde». Und der slottcste Dragoner von allen ist Oberleutnant Seppl Sterz jHarrn Liebt te), der allerdings insclge seiner nächtlichen Abenteuer den Tag über mehr gähn! als Exerzitien betreibt, weshalb er bei seinem Oberst v. Weid lingen t-Haiis F n n k e r in a n n> nicht gerade in hvber Gunst stellt. Das hat aber auch noch einen anderen Grund. Beide haben sich nämlich in dasselbe brave Mädel, die Niste Gisi lMaria P a n d l e r) verliebt, die Geschäftsführerin in einem slottgehcnden Krawattenladen ist. Der Oberst sticht schließ lich seinen Oberleutnant ans, indem er sich kurzerhand mit der niedlichen Giss verlobt. Und doch hat eigentlich der schneidige Seppl nähere Beziehungen zu dem sühen Mädel als der Oberst: denn durch eine Erbschaft ist er Besitzer des Krawattenladcns geworden und folglich Gifts Chef, und Gift hat eigentlich schon längst ihr Herz an den bildhübschen Prinzipal verloren. Aber Gift ist eisersüchtig ans eine schöne Tänzerin tHanni Weiftet, mit der ihr Ladeninhabcr, ob- schon der Geliebten überdrüssig, noch nicht ganz gebrochen hat. Zuletzt wird aber doch noch alles gut. Gifts Verlobung mit dem Oberst geht zurück: der schneidige Seppl zieht den bunten Rock aus und widmet sich fortan im Bunde mit der geliebten Gift ganz den Geschälten im .Krawattenladen. Das ist ein träglicher als die LentnanStagc und erschlicht ihm obendrein das Glück wahrer Liebe. Was den Wert und die Wirkung dieser harmlosen Liebesgeschichte ansmacht. ist weniger die etwas all tägliche Fabel. als ihre höchst ergötzliche Darstellung, um die sich auster den Genannten besonders noch, Frist K ampers als Lentnantsblirsche und Margarete Kupfer als Gifts Logis wirtin verdient machen, und die an hübschen Einfällen un gemein reiche Regie von R. Walter-Fein. — Landesschule. Am Schlich des Schuljahres hatte der Männer chor des Schulchors zu einer Musikaussührung cingcladen, der das Motto „Aus nordischer Sage und Geschichte" zugrunde lag. Ton schön und gut nuanciert brachte er unter Musikdirektor A. Honcrs slrasscr Leitung IZliöre von Bruch t'Ztvrinanneuzugt, Mair tSuomis Sangt und Grieg tLandcrkenuungt zu Gehör. Tie Baritonsoli Halle Kvnzerlsüiiger Walter B e r g st r ä s s e r übernommen, denen glän zende Stimmittel und packenden Bortrag man weiterhin in Odins MeereSrilt von Loeive und in einem schwedischen Volkslied hc- wnndern konnte. Ter zweite Satz aus der Biolinsonatc von Sjögren vvrgelragen von Tr. Hvssmann und Lotte Hossmann, die auch die schäre feinsinnig begleitete, sowie lSriegs Musi! zu „Sigurd Fvrsalsar", von den Sekundanern Füger und Guiza recht an erkennenswert gespielt, vervollständigten das Programm, z» dem der Primaner Krampe kurze, gut cinsührcude örlänicrungen gab. Tic wohlgelungenc Beraustaltung fand bei den zahlreichen Gästen lebhaften BeilaU. — Bismarck-Hochschule. Heute abend Uhr Winckelmannftr. 4: Schlust der Bvriragsreihe F. H. Schlender: Tas Deutichtum in den Bercinigien Staaten, in Latein-Amerika lmit Lichibildcrnl. Sillise Gestelle hsben E m grollen Mengen sm i.sgoc, lstsgon 8io llsnsch, wonn 3>e sino Luogsden dosohisglcen cvoüen. Srillsn-kTosIlix, Stalls 23 j Dresüvn-Weikef Nürek. ^ecien Lonnigs von 4—6.30 im Kuril3U8 Weiüvr Innr-Dee in cien DioossskstriLrotlen. küntiilt frei. § Hotel vellevue — hlgchinitlaßstee mit Konrerk — dlittsx- unck Fbencktskel im TerrssrensasI an cker ftlbe, bekannte vornehme Takelmusi'Ic § HUttvvock, und Sonnabend <-eseNs^»r»kts»b«n«> Persönliches von Sascha Schneider. A n l ä st l > ch der G c k» ä ch t n i S a u s st c l l u n g im Sächsischen K u n ft v e r e i n. Der jüngeren Gcnergkion, die die Zeit seines Weltrufes nichi mehr erlebte, ist Sascha Schneider säst fremd oder in der geistigen und technischen Art seines Schaffens gleichgültig, lieber seine merkwürdige und bedeutende Persönlichkeit ist nicht allzuviel betau»!. Man pslcgt in ihm den brillanten Gc- sclljchaster voller Wist und Geist, den Lportsmann. den „Pro fessor" zu sehe»: denn er war ein einsamer Mensch und kam wenigen nahe — auch diese» wenige» pflegte er, der Feind aller „Seelciibohreret". nie über sich und sein Innenleben z» reden. Man musste sich ih» sozusagen selbst konstrincren, aus seinen Acusterungen über Leben, Knust und Wissenschaft, und daö Tiefste in ihm intuitiv erlassen. Fand er jemanden, der das konnte, so bewahrte er ihm eine durch nichts zu erschütternde Freundschaft — bemerkte er aber das leiseste Mißverstehen seiner Person, so war in diesem Fall alles ans. Die Freund schaft verkehrte sich in eine, wenn auch unter seinen guten Formen verborgene Abneigung, die sich bis zur Fcindschgst steigern konnte. Denn er suchte immer und überall das Ab solute, Klare. Eindeutige — wenn er auch selbst ungeheuer kompliziert war: vielleicht gerade deshalb. In seinem Blut mischten sich sehr verschiedene Elemente. Er ist in Petersburg geboren. Lein Baker war Deiiischer. ans einer alte» Kavitänsiainilie, seine Mutier cbensatls deutsch, mit russischem »nd dänischem Blnteiiischlag. Die ersten vvn ihm bewahrten Eindrücke erhielt er in Finnland, >vv die Fa milie im Sommer ganz vrimitiv lebte: gern schilderte er die finnischen Wälder mit ihrem Nebersinst an Pilze» »nd Beeren, die zu suchen und ziiziibereiicn ihm sein ganzes Leben laug Vergnüge» mackste. Durch einen »»glücklichen Fall wurde ihm das Rückgrat verletzt. I» dev Jahren, da andere Kinder springen und toben, lag er zwei Jahre in einem festen GipS- panzcr aus dem Rücken. Es blieb ihm nichts übrig gls Leien, Malen und Zeichnen: vom Vater, der Lithogravh war, halte er das Zcichentalcnt geerbt Durch diese Leidenszcit wurde das russisch-grüblcriiche Element »nd zugleich der deutsche Wisscns- trieb in ihm gestärkt Er pilegic zu sage», dost er ohne diele Krankheit bestiinmI>Lchissskavftä>, geworden wäre. Aber da mit hatte er wohl nickst reckst, trotzdem das Meer und alles, was damit ziisammenhiiig, seine Leidenlchait war. An seinem Boot verstand er alles selbst z» machen und iah in Schissermütze. Sweater »nd Transtiefeln wie der rauheste Seebär ans. Jedenfalls waren beide Triebe, der Drang »ach geistiger und körperlicher Betätigung, gleich stark in ihm. Er hat neben seiner Kunst seinen Körper mit eisernem Willen zum Höchst mast des ihm Erreichbaren ausgebildet und nickst geruht, bis er seinen Geist ans dem Dunkel russischer Denkart mit deutscher Gründlichkeit zu Heller griechischer Lebensauffassung durchrang. DaS ist der Weg von seinem Bilde „Gefühl der Abhängigkeit" idas heute in Sowjetrustland ein beliebtes Aushängeschild des Bolschewismus ist) bis zu seinen Kriegern, Ringern und Epheben. Mag man zu diesen Bildern stehen wie man will, wer Schneider nahe kennt, weist, welch reiner Wille sic schuf. In späteren Jahren schon leidend, befielen ihn manchmal wie der die Albdruckvisiviien seiner Jugend: den Intimsten gegen über hat er diese als den Ursprung vieler seiner in den letzten Jghrcn entstandenen Bilder zugegeben: sein Herz aber gehörte der Körperschönheit, der Jugend und den rein männlichen Ideale» des RibclnngenlicdeS und der Ilias, Er war Mann durch und durch, trotzdem — sür unsere Zeit — Pazifist, da er den heutigen Kampf und seine technischen Mittel, die keine persönliche Gcstähltheit verlangen, verachtete. Englisch, Französisch, Russisch und Italienisch sprechend auster seiner Muttersprache, war er für internationale Berständi- gung: politisch weitblickend, hat er den Weltkrieg Jahre vorher prophezeit. Er wollte sich vor den zu erwartenden politischen Wirrnissen nach Schweden ziirückziehcn, um dort in Ruhe zu malen, zumal ihn die Erinnerung an seine Knabcnzcit in den hohen Norden zog. In den Stockholmer Schären hatte er be reits Häuser sür sich und eine befreundete Familie gesunden: während er nach Deutschland zurückkam, um die Ucbcrsicdliing vorziinchineii, brach der Krieg aus. So blieb er in Dresden, an dem er ans der Schüler, scr war Krcuzschüler) und Sludienzcit hing. Er ist viel gereist, in Acgnpten, Griechenland und der Türkei. Einen besonderen Glanzpunkt bildete eine Expedition mit Freunden in den Kaukasus. Das halbwilde Leben dort, daö kriegerische Durcheinander der Volksstämmc, Gefahr und grostartige Natur waren ganz nach seinem Herzen. Jahrelang hat er in Italien gelebt. Er verstand das italienische Volk und seine kindliche Art sehr gut und sprach die Dialekte. Die Gegenliebe war Heist, „il profea-nn-o" lebt noch heute in man chem Florentiner Bauer»- und Stciiimctzhcrzcn. Ans die volkstümliche Musik verstand er sich ausgezeichnet: er war von Grund ans musikalisch, spielte Guitarre und Mandoline, neben den italienischen Kanzoiie» besonders gern die melancholischen Lieder der Wolgaschisfer „nd die monotonen Tviifolac» ans dem Kaukasus. Lange bevor Fox und Shimmn Mode wurden, kannte er eine Menge Niggersongs mit ihren Llangterieii. Die Art, wie er sic mit Gesten, Grimassen und Geklapper vvr- führte, konnte sich im besten Variete sehen lassen. Wagner und die musikalische Romantik konnte er nicht leiden: schon ein groster Teil Beethoven war ihm zu grüblerisch. Mvzart aber liebte er und vor allem Vackstchc Fuge». Da fand er die Klar» heit, die er suchte. Tas LieblingSstück des „Heiden", als den er sich gern ausgab, war „Mein gläubiges Herze" aus der Pfingst- Kantate. Bezeichnend sür ihn: der Mann, der alle Kulturen durchsuchte nach Stützpunkten für seine eigenen Kiiltnrideale. der menschlich mistvcrstandcii, von der jungen Generation ab- gclehnt wurde, war im letzte» Grunde von einem kindlichen Glauben erfüllt, daß die Welt einst w werden würde, wie er sie sich erträumte. Dieser Glaube bestimmte auch seine Einstellung zu allem Modernen: er lehnte nichts ohne weiteres ab, uns wo er einen Schimmer sah, der ans eine Helle Zukunft deutete, war er glücklich. Er hatte viel Sinn für bas Patriarchalische und eine dem entsprechende Auffassung von Ehe und Familie: dast er selbst nicht geheiratet hatte, war die Folge seines körperlichen Lei dens. In der Frau schätzte er vor allem entwickelte Mensch lichkeit und Mütterlichkeit und hafte viele und dauernde Fraiieiifrcilndschasten. Ersatz für das, was ilim versagt war, fand er lange Zeit im Hause eines Freundes. Die Kinder dieses Hauses liebten ihn glühend. Er war unermüdlich im Arran gieren von Ausflügen, bei denen Pilze gesammelt und an riesigen Feuern gekocht wurden, im Verfertigen phantastisch bemalter Schilder, Lanzen und Holzschwerter. Bvotsahrten nach der nächsten Vachmündiing wurde» zu Riesciiexpeditionen. Aus Pappe und Papier versertigtc er prächtige Kulissen und Kostüme zum Theaierspielcn: er erfand und studierte „Or- chcsterniilfik" ein. Die zeichnerische Begabung der Kinder förderte und beobachtete er bis ins kleinste. Wehe aber dem, der sich krumm hielt, „albern" war, uiiacschickl etwas zerbrach oder Strasteiiiuiigenöworte brauchte — oder gar über andere Leute Herzog. Kein Mensch war dem Klatsch in jeder Form mehr feind als er. Auch den Kinder,; gegenüber verließ ihn nie die Idee des „Kalosagathos". Sein Dvd entsprach dem Urvcrbiindenen. das seine letzte Wesensart war unter allen Schichten, die es verdeckten. In einer Stiirmnacht auf hoher See starb er — bei der Musik, die ihm die liebste war. beim Heulen de? Windes und dem Krachen der Masten ist er sanft cingcschlaicn. Wer ihm je nalicstnnd, wird ihn nicht vergessen, nicht sein Wesen »nd nickst sei,, Gesicht: die klugen, guten Augen über der derben, slawischen Nase, und vor allem nickst seinen seinen Mund, der alle seine verborgene Lensibilitäl und seine unaus gesprochenen Leide» ansdrückte, L. IL.