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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 01.04.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-04-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050401021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905040102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905040102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-04
- Tag 1905-04-01
-
Monat
1905-04
-
Jahr
1905
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Bezugs-Preis m der Hauplexpedition oder deren Ausgabe- siellen abfleholt: virrteljübrltch 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch. land u. Oesterreich vierteljährlich ./i 4.50, sür die übrigen Länder laut Zeitunqsvreisliste. I Diese Nummer kostet auf allen Bahnhöfen und III ^1(1 bei den Zeitungs-Berkäufern I * Ne-aktton unv vxpevttton: 453 Fernsprecher 222 Johannisgasse 8. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 34 (Fernsprecher Amt l Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin. CarlDuncker, Herzal.Bayr.tzofbuchhandlg, Lützowstraße 10 (Fernsprecher Amt VI Nr. 4603). Abend-Ausgabe. MiMcr TaMalt Handelszeitung. Amtsblatt des Honigt. Land- und des Königs. Amtsgerichtes Leipzig, des Aates und -es Votizeiamtes der Ltadt Leipzig. Nr. 1K7. Tonnabend den 1. April 1905. An zeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Familien- und Stellcn-Anzeigen 20 Finanzielle Anzeige», Keschästsanzeigen unter Text oder an besonderer Stelle nach Taris. Tie 4gewaltene Neklamezeile 75^. Annahmeschlug sür Anzeigen. Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Hrtra-Beilage» (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die vxpeditto» ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Pol; in Leipzig (Inh. I>r. B., R. L W. Klinkhardt). Herausgeber: vr. Victor Klinkhardt. 89. Jahrgang. Var WÄligue vsm Lage. * Der nationalliberale Reichstags ab geordnete Wallbre ch t-Hannover ist heute morgen gestorben. (S. Dtsch. Reich.) * Das Reichsgericht hat die Revision des Olden- kurzer Redakteurs Schweynert verworfen, der wegen Beleidigung des Ministers Ruhstrat zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt worden war. * Der Kriegsininister Pit reich ist nach Wien gereist, um vom Ministerpräsidenten von Gautsch die mili tärischen Konzessionen an die Kossuthianer genehmigen zu lassen. (S. Ausland.) * Der General Mischt sch en ko hat am 29. März die Japaner bei einer von ihnen versuchten Rekognoszierung zurückgeschlagen. (S. russ.-jap. Krieg.) ver Sruttcbe Kaiser in Langer. -s. Paris, 31. März. Vergleicht man die Aeußerungen der französischen Presse zur diesjährigen Fahrt Wilhelms II. über die Meere, so zeigt sich, daß ein sehr wesentlicher Unterschied zwischen den Kom mentaren von 1905 und den höhnischen Satiren besteht, die durch die Palästinareise hervorgerufen worden waren, und die, wie man weiß, in Deutschland zu Verfolgungen und Konfiskationen wegen beleidigter Majestät geführt haben. Während Heuer die ministeriellen Zeitungen in einer Art zurück getretener Feindseligkeit die enttäuschten Gefühle des Herrn Delcasss variieren, legt sich die nationalistische Opposition eine gewisse Sachlichkeit auf. Die Jahre, in denen das: „I. dk8 los LnFlisti!" Tagesschrei war, sind noch nicht in dem Sinne Vergangenheit, daß die Patrioten sich in die republikanische Geschäftsweisheit des englisch-französischen Abkommens gefunden hätten. Zu nennen ist etwa Dru- mont, der in der „Libre Parole" mit Karten Worten sagt, daß die Unternehmung Wilhelms II. in Marokko etwas nach ter Durchsetzung der französischen Plane ganz Selbstverständ liches sei Im „Journal" feiert Pierre Baud in, der frühere Arbeitsminister des Kabinetts Waldeck Rousseau, der neuerdings eine lebhafte Bewunderung sür Deutsch land an den Tag legt, „Wilhelm den Dogen". Aus drücklich erklärt er, daß dieser Titel nicht auf Ironie abziele: „Nichts liegt mir ferner, als die in hohem Grade originale Figur zu karikieren, die, zu geschickt ausgewählten Stunden, sich durch einen neuen Zug vervollständigt und — niemand täuscht sich mehr darüber — die Geschichte unserer Zeit zu beherrschen anfängt. Zur Herrschaft über ein neu gebildetes Reich berufen, das jedoch aus alten Königreichen und alten Provinzen zusammengesetzt ist, die mit größerer Eifersucht, als man glaubt, ihre politischen Formen und lleber- liefernngen zu wahren trachten, hat er früh seine Seele mäßigen müssen, um sie vom Absolutismus zugleich und von der Eroberung entfernt zu halten. Er fand seine Rolle nicht von vornherein fertig, wie gewisse Souveräne. In dem Moment, wo er zur Wahl berufen wurde, schwang in Deutschland noch jene Begeisterung nach, vie bei den ruhigsten Völkern auf glückliche Kriege folgt. Seine Jugend und seine militärische Erziehung gaben ihm die natürliche Neigung, vom Ruhme zu träumen. Es war dies eine schwere Gefahr in den Jahren, worin die Jngenv sich mit seinem Traume verbünden konnte. Jetzt darf man ihn loben, baß er die Gefahr von sich abgewandt hat. Nur die Form, den archaistischen Stil bat er mit hinübergenommen." Mir fließender Beredtsamkeit sucht Baudin dem Kaiser den Titel deS „Dogen" zu empfehlen, weil er den Besitz über das Meer kennzeichne, nach dem sein Wille ausschaue, seit ihn eine deutsche Handels flotte und eine deutsche Kriegsflotte dazu befähigten: „Das Handelsreich Deutschland hat keine andere Sorge als die Erhaltung des Friedens. Jedes Abenteuer wäre ihm ein unerträgliches Unwetter und die Idee, mit Aufgebot von Geld und Mannschaft eine Kolonie zu erobern, widerstrebt seinem gegen den Besitz gleichgültigen und einzig der Ge schäfte beflissenen Geiste." Baudin sieht die Bremer Rede als unerschütterte Maxime an: „Es ist nicht zu befürchten, daß diese Zusicherung durch die Ereignisse selbst im Verlaufe deS Besuchs in Tanger dementiert wird, der die europäische Oeffentlichkeit erregte. Nicht davon droht uns Gefahr. Und wenn die Begegnung unserer Flotte mit der eng lischen die Antwort auf diese kaiserliche Kreuzfahrt sein soll, daun haben wir zu befürchten, daß die Diplomaten, welche eine solche Demonstration veranstalten, entweder kurz sichtig waren oder hoffen, die öffentliche Aufmerksamkeit ab zulenken. Droht nun etwa die Eroberung Marokkos? Ganz und gar nicht. Die Unterdrückung des Hercroaufstandes hat in den Deutschen die Ueberzeugung befestigt, daß ihr nationaler Geist nicht für die Unterwcrsnng der primitiven Rassen unter die Werke der Zivilisation geeignet ist. Die Verluste an Mannschaften sind zahlreich genug gewesen, um Trauer und Unruhe in einer Menge deutscher Familien zu verbreitert. An eine militärische Aktion in Marokko kann der Kaiser nicht denken. Aber auf die marokkanischen Geschäfte die Hand zu legen, das ist ihm ein Spaß. Nicht erst heute richtet man sich darauf ein. Kaufmännische Reisende haben schon im Umkreis einiger zugänglicher Zentren den Weg ge bahnt. Deutsche Banken haben schon die Einrichtung von Nebenstellen versucht. Eine deutsche Schiffahrtsgesellschaft versieht dort regelmäßigen Dienst. Ein deutsches Postnetz entspannt sich gegenüber dem unsrigen und leitet durch Ab zugsröhren den Wechsel- und Depotverkehr nach den deutschen Banken. Und was haben wir angesichts einer so einfachen, so ^gewandten und so glänzenden Politik aufzuwcisen? Die unsicheren Maßnahmen kleinlicher Diplomatie und die Tendenz, mit Truppen ein Polizeiregiment ein- rusetzen. Nichts in dieser französischen, äußerst sranzösischen Leistung kann Deutschland schädigen. Im Gegenteil. Glück lich, das Land zum Frieden gebracht, organisiert, regiert zu sehen, wird eS zuverlässige Profite haken; unser jedoch sind die unbegrenzten Opfer. Zuweilen ermangelt die Politik des Dogen der Grablinigkeit. Mehr mals hat sicy das bewährt. Spricht man mit Herrn v. Bülow, seinem Kanzler, so ist er, Wilhelm, dadurch nicht verpflichtet. Aber wie bringt der Zwischenfall von Tanger die Verschiedenheit der beiden Methoden, ver französischen und der deutschen, zur Geltung! Die eine organisiert, pazisiziert und strebt nach politischem Besitze, die andere zirkuliert, handelt, macht Geschäfte und Profite, strebt nach der wirtschaftlichen Macht. Die eine arbeitet im Grunde wieder sür sich selbst, die andere im letzten Ente auch sür die übrigen." — Die Ankunft des deutschen Monarchen haben iu Tanger selbst die Reporter großer Pariser Zeitungen erwartet. Jean du Taillis schildert feinem Blatte das aus weißen Häusern aufgebaute Amphi theater, den ruhigen Halbkreis der Bai und die Fruchtbarkeit der Landschaft und nennt die Stadt wie das felsige, Schlachten gebietende Gibraltar einen der Hauptpunkte der Weltstraße. Nach der Vollendung des Panamakanals werben gemäß den Berichten Gibraltar und Tanger auf dem östlichen und auf dem westlichen Wege gleiche Distanz von Ostafien haben. Man begreift, wie nervös die Franzosen durch die Idee eines „französischen Gibraltars" jetzt gemacht werden müssen. Das Gebäude der deutschen Gesandtfchasl befindet sich nahe dein großen Markt, zu dem man von der Straße der Ehaggbin und ihren altertümlichen Toren kommt; auf der E,planade hocken die Krämer aus den Risfstämmen. Von dem in Bosketts versteckten deutschen Gesanotschaitspavillon geht die „Bergstraße", die an den Villen und Wohnungen der anderen Legationen sich vorbeizieht und nach dem Kap Spartet gerichtet ist. Zur Linken siihrt ein „Strandweg" zum neuen Onanier, woselbst täglich neue Häuser den Dünen entsteigen. Ans dem Gipfel des Grand-Socco, der den Platz. bieStadt und ihre Kasbah, die Bai von Tanger und die Meerenge von Gibraltar beherrscht, erhebt sich das Hotel der französischen Gesandtschaft. In jener Gegend begann die Straße nach Fez, als^ die Briganten sie noch nicht versperrt hatten. Ein Hoch plateau hinter der Kasbah ist zum Terrain er koren, woselbst Marokko dem deutschen Kaiser em Fest darbietet, bei dem weder Reiter mit leuchtenden Burnussen, noch Salvengeknatter, noch kosmopolitische Ver gnügen, noch endlich, wie Herr Jean du TailliS bemerkt, die Betrübnisse „einiger guter Franzosen" fehlen sollen .... Die Erklärungen Delcnsf« r. Das Wolffbureau läßt seiner ersten Meldung längere Auszüge aus der Rede, die Herr Delcasss gestern auf der Tribüne des Senats unv mit Benutzung seiner kleinen Manuskriptblältchen gehalten hat, wlgen; der einzige Passus, der nicht durchaus inhaltlos ist, lautet: „Aus Freundschaft für den Magstzen und in der richtigen Erkenntnis unserer Interessen haben wir es vorgezogen, ihm die Gefahren der Lage zu zeigen, die sich nur mit Hülfe Frankreichs bejchwören ließen, welches mebr als jede andere Macht ein Interesse hat zu wissen, daß Marokko der Autorität des Sultans unter steht. Meine heutige Sprache ist genau dieselbe, wie die, die ich früher auf der Tribüne geführt habe. Unsere Sprache in Fez ist ebenso freimütig, unv der Maghzeu hat bemerkt, daß er der Notwendigkeit unserer Mitwirkung Rechnung tragen müsse; er bat um unsere Mitwirkung mehrere Male nachgesucht, teils mündlich, teils schriftlich. Ich habe niemals daraus ein Hehl gemacht, daß es sich um ein großes und delikates Werk handele, daß Zwischenfälle kommen würden, um es zu durchkreuzen; aber ist das nicht das Verhängnis eines jeden großen Unternehmens?" Wie der Pariser Korrespondent des „B. T." ausführt, hat Delcassö weder auf die präcis gestellten Fragen des Vor redners geantwortet, noch Deutschland auch nur mit einem Worte erwähnt. Genau wie Graf Bülow von dem König von Spanien und dem Sultan von Marokko, aber nicht von Frankreich gesprochen hatte, behandelte Delcaffö Deutschland und den gegenwärtigen Konflikt scheinbar ganz nebensächlich. Er beschäftigt sich einzig mit dem Sultan und erklärte, daß der Sultan Frank reichs Absichten kenne, und daß Frankreich dem Sultan gegen über seine Betpsiichluugen geha.ien habe, so oft sich auch ein Vorwand ergeben hätte, diese Verpflichtungen zn brechen. Delcaffö betonte die Worte: „Der Sultan kennt gleichzeitig unser Wohlwollen und unsere Macht!" Zwischen diesen Er klärungen war wiederholt die Versicherung eingeflochten, Frankreich gedenke keinerlei Interessen zu schädigen. Der Artikel l des Vertrages sei ganz klar und schließe jede Möglichkeit eines Mißverständnisses ans. Die Schlußerklärung, raß Frankreich, ohne irgend welche Rechte anzulasten oder irgend welche Interessen zu verletzen, seine Aktion fort setzen werde, klang ziemlich energisch. Nachdem Delcaffö die Tribüne verlassen hatte, bildete sich um ihn eine Gruppe, in der man Elemeneeau und Poincarö sah. Clemenceau, Delcassös eifrigster Gegner, hatte mit dem Minister eine längere Aussprache. Der rlnfenthalt -es Aaiser» in Tanger. Neber den Aufenthalt des Kaisers in Tanger wird unterm 3l. v. Mts. ausführlicher gemeldet: Ein Empfang des Großoheims des Sultans, des Scheichs Abd-el-Malek, der ans dem Kreuzer „Friedrich Karl" vor gesehen war, mußte bei dem hohen Älter des Scheichs wegen der schwierigen Ausbootungsverhältnisse unterbleiben, da die See ziemlich bewegt war. Der Scheich be grüßte deshalb mit - den drei Würdenträgern den Kaiser an der Landungsbrücke. Hierauf begrüßte der Kaiser die an der Landungsbrücke versammelte deutsche Kolonie mit einigen Worten in deutscher Sprache, in denen er hervorhob, sein Besuch in Tanger solle dem Gedanken der Gleichberechtigung aller Nationen dienen. Die Ansprache wurde mit größtem Jubel aus genommen, wie überhaupt die Deutschen, Spanier und Engländer den Kaiser mit größterFreude und sympathischen Kundgebungen begrüßten. Viele Inschriften hießen den Kaiser willkommen. Die reichen Marokkaner hatten am Landungsplätze Pferde in größerer Zahl zur Verfügung gestellt. Der Kaiser mit dem Gefolge, hinter dem Kaiser die beiden Leibgendarmen im Adlerhelm mit der gelben und der roten Standarte, dann viele Gäste des Kaisers von der „Hamburg" iu ihren glänzenden militärischen Uniformen ritten in die Stadt; sogar die gesamte Dienerschaft konnte beritten gemacht werden. Der Weg ging vorbei an den alten Batterien, die engen steilen Gaffen hinauf, an der Moschee mit ihrem grünen Fayence-Turm vorüber über den Sokko zur Gesandtschaft. Malerisch-phantastisch gekleidete Reiter begleiteten den Zug. Die Infanteristen trugen rote Röcke und rotes Fez; ihre braunen Gesichter strahlten in Freundlichkeit und Heiterkeit, als sie ihre Gewehre älteren Modells präsentierten. Europäer und Eingeborene jubelten dem Kaiser unausgesetzt zu; Salven knatterten, Musikbanden machten einen ungeheuren Lärm, und arabische und maurische Frauen, auf flachen Dächern hockend, stießen ihre schrillen Begrüßungsrufe aus. — Auf der Gesandtschaft batte der Kaiser eine längere Unterredung mit dem Scheich Abd-el-Malek, dem Großoheim des Sultans, von welchem der Kaiser ein Handschreiben des Sultans entgegennahm und dessen längere Ansprache er erwiderte; hier begrüßte der Kaiser auch aufs freundschaftlichste den früheren Minister El Menebhi und den gegenwärtigen Minister Maclean. Später empfing der Kaiser das diplomatische Korps. Der Kaiser verlieb Abd-el-Malek den Kronen-Orden I. Klasse, den drei Würdenträgern den Roten Adler-Orden II. Klasse; auch viele angesehene Mitglieder der deutschen Kolonie, darunter Ingenieur Rottenburg, erhielten Ordensaus zeichnungen. Der Sultan verehrte dem Kaiser als Geschenk Seidenstoffe, Waffen nnd Schmucksachen. Die Stadt Tanger schenkte l2 Stück Rindvieh, etwa 50 Hammel, viele Kühe, eine große Menge frische Eier, frisches Gemüse, Früchte und Blumen. Das Großvieh wurde vom Kreuzer „Friedrich Karl" nicht ohne Schwierigkeiten an Bord genommen; die Blumen und Früchte wurden größtenteils sofort in den Kabinen an die an Bord beider Schiffe befindlichen Herren verteilt. Die deutsche Kolonie in Tanger überreichte dem Kaiser Aquarelle, die deutsche Kolonie in Fez brachte Seiden stoffe für die Kaiserin dar. Gegen 3 Uhr verließen die deutschen Schiffe unter dem Salut deS Forts und der fran zösischen Kriegsschiffe vie Reede und dampften bei trübem Wetter nach Gibraltar weiter. Von anderer Seite wird noch gemeldet, daß der Kaiser in seiner Antwort auf die Ansprache des Ingenieurs Rotten burg von der deutschen Kolonie erklärt haben soll, es geb« in Marokko keinen maßgebenden Einfluß. Deutschland müsse die gleichen Rechte erlangen, welche alle übrigen Mächte besitzen. Die Begeisterung der Eingeborenen sei ein Ereignis, das allgemein ausgefallen sei; sie finde ihre Erklärung darin, daß die Eingeborenen vom deutschen Kaiser erwarten, daß er ihr Land gegen die Feinde verteidigen werde. lieber die verspätete Ausschiffung des Kaisers coursiren »»kontrollierbare Gerüchte, wonach im letzten Moment aus Sicherheitsgründen seitens der fremden Diplomaten Bedenken austraten, insbesondere unter Hinweis auf das Attentat gegen den Korrespondenten der „Times", der es selbst aber nach einer dem Korrespondenten der „Frkf. Ztg." gegebenen Erllärung nur als die Handlung eines Opiumrauchers und frei von politischen Motiven betrachtet. Ein Gerücht ist jedoch besonders hervorzuheben. Darnach soll dem Kaiser Mitteilung davon gemacht sein, daß man ein politisches Komplott entdeckt habe. Darauf seien auch die für die Landung des Kaisers getroffenen außer ordentlichen Vorsichtsmaßregeln zurückzuführen. Auf der deutschen Gesandtschaft soll sich der Monarch nach dem Ver lesen des Schreibens des Sultans auf einige wenige, unver bindliche Worte beschränkt haben. Der Wortlaut der übrigen Unterredungen des Kaisers ist nicht näher bekannt geworden. Wie eine Korrespondenz meldet, Ware der Chef-Ingenieur des Sultans und Vertreter Krupps in Marokko auf beson deren Wunsch des Auswärtigen Amtes schon am letzten Sonnabend von Berlin nach Tanger abgereist, um bei der Ankunft des deutschen Kaisers dort zu sein. Von zuverlässiger Feuilleton. 6, - Möblierte Zimmer. Roman von Rudolf Hirschbcrg-Jura. Nachdruck verboten. Er suchte auch das Interessanteste ans. Aber sein Jntereße beschränkte sich heute ausschließlich aus die Leipziger Lokalpresse. Säintlick)e Leipziger Blätter hatte er neben sich aufgestapelt, suchte im Inseratenteil nach der Abteilung „Offene Stellen", und nachdem ec schon eine ziemliche Weile mißmutig und kopfschüttelnd gelesen, zog er endlich zum ersten Mal seine juchtenlederne Brief tasche hervor und notierte sich auf den elfenbeinfarbenen Blättern eine Adresse. Dieser ersten Adresse folgten jedoch bald und immer häufiger die nächsten. Ter Gedanke, fein freies Menscl-en- tum nun gegen schnöden Lohn vermieten zu sollen, er- füllte ihn zunächst mit eineni Gefühl der Erniedrigung. Tenn was iu den Inseraten verlangt wurde, aas gehörte alles nicht zu denjenigen Tätigkeiten, bei denen ein höheres Jutereffe der Kunst oder Wissensck;aft vorliegt. Es handelte sich allenthalben nur um eine gewissenlzafte, kaufmänuisckie Tagelöhnerei. Allmählig aber erfüllte ihn eben diese Tatsacl^c mit einem schmeichelhaften Märtyrer bewußtsein. Er kam zu der Ueberzeugung, daß er bisher, auch wenn er angestrengt fleißig gewesen nxrr, doch immer nur zu feinem Verguügen gearbeitet hatte. Jetzt trat ihm die Arbeit in ihrem vollen Ernst entgegen. Aus einem Dilettanten sollte er je nach seines Charakters Kraft und Begabung ein Künstler oder ein Knecht der Arbeit werden. Aber er war nicht, wie Adam und Eva, durch einen eigenen Sündcufall, sondern durch eine fremde Schuld dazu verurteilt worden, fortan im Schweiße seines Angesichtes sein Brot zu essen. Tas erfüllte ihn nicht mit Bitterkeit, sondern mit Stolz. Nicht nur der Arbeiter, auch die Arbeit selbst wurde jetzt in seinen Augen geadelt. Er unterschied nicht mehr vornehme und geringe Arbeit, sondern nur noch ehrliche Anstrengung und tändelnde Spielerei, und er beglück- wünschte sich, nunmehr in den Reihen der ehrlichen, müh seligen Arbeiter zu stehen. Sogar eine Art wissenschaftlicher Begründung machte er sich dafür zurecht, daß der echte Leipziger nicht zu ober flächlichem Genuß, sondern zu harter Anstrengung ge boren sei. Er stellte fest, daß Leipzig seine Größe und Bedeutung nicht der Laune eines Fürsten, nicht irgend welchen verschwenderischen Vorzügen seiner natürlichen Lage verdankt, sondern nur dem Fleiße und der geistigen Regsamkeit seiner Bewohner. Hier bat den .Handel kein stolzer schiffbarer Strom und die Künste nicht der glänzende Hof eines prachtliebenden Herrschers gefördert, hier hat nur die unermüdliche Tatkraft der Bewohner Stein auf Stein geschichtet und allmählich zum Not- wendigen das Girte und Schöne' gefügt. Dermaßen erfüllt sind Leipzigs Mauern und Leipzigs Luft von dem strengen Geiste der Arbeit, daß so mancher Mufensohn, der am Neckar und am Rheine eine paar Semester ver schwärmt und verbummelt hat, stracks nach Leipzig kommt, um hier in ein paar Arbeitsfemestern sein Examen zu bauen- In einer Stadt aber, wo jeder arbeitet, sogar die Studenten, wirkt ein Müßiggänger nicht nur verächtlich, sonder« geradezu stilwidrig. Bisher hatte Ewald sein Leben in der leichtfertigen Art eines genußfrohen Parisers gelebt. Aber als er jetzt das Eafö Merkur ver ließ, tat er es in dem stolzen Gefühl, ein echter Leipziger zu sein. Nicht ohne süße Rührung sah er sich beim Mittag- essen der Mutter und den Schwestern gegenüber, die noch am Morgen der Verzweiflung nahe gewesen waren, und deren Zukunft jetzt sorgenlos sicher gestellt war, weil er sich aus einer Trohne in eine Arbeitsbiene verwandelt hatte. Nach Tische kürzte er die gewohnte Mittagsruhe auf das allernotwcndigste Vicrtclstüudchen ab, warf eineu Blick auf die ersten, mit Adressen vollgeschriebenen Blätter seiner Brieftascl>e und ging aus, um sein neues Leben so rasch als möglich zu beginnen. Die Mehrzahl der Adressen führte ihn in die innere Stadt, und er wandte sich zunächst nach dem Viertel Hainstraße, Katharinenstraße, Reichsstraße und Brühl. Die ersten Stellen, nach denen er sich erkundigte, waren bereits besetzt, und er sah darin ein neues Zeickzen für die Betriebsamkeit von Leipzigs Bewohnern und freute sich darüber, obwohl es die Erfüllung seiner eigenen Wünsche verzögerte. Unterdessen ging er von .Haus zu Haus, durch breite Torwege, die von Zeitungsvcrkänfern und Postkarten händlern verengt wurden, oder auch in richtige kleine Läden verwandelt waren, und über lange gepflasterte Höfe, in denen die Nachmittagssonne einen trüben, heißen Dunst ausbrütctc. Hatte er dann endlich die Treppe ge sunden, deren in halber Dämmerung versteckte Stufen zu dem ersehnten Bureau oder Kontor hinauf führten, so erlebte er in den von Reflektoren mühsam erhellten Hinterzimmern immer neue Enttäuschungen, oder eigent lich nut geringer Abwechselung immer dieselben. Wenn die Stellung nicht schon besetzt war, so handelte es sich meist um eine Versicherungsagentur, und so ver lockend auch die aus Gehalt, Spesen und Provision sich ergebenden Einkünfte geschildert wurden, so war doch Ewald verständig genug, um nüchtern zu berechnen, daß er die dieser Schilderung zu Grunde liegende Zahl und Höhe von Abschlüssen kaum würde erreichen können, wenigstens nicht als Anfänger. Ja selbst bei günstigem und glattem Geschäftsgänge war das Einkommen, auf das er cs dann bringen konnte, wohl ausreichend, um für seine eigene Person auskömmlich davon zu leben, nicht aber, nm auch Mutter und Schwestern einigermaßen an ständig zu unterhalten. Bei weitem lohnendere Aussichten wurden ihm dort gemacht, wo von Fabrikanten oder Großhändlern ein kau» männischcr Reisender sür den Besuch der Zwiickxuhändler gesucht wurde. Hier batte der Verdienst, besonders die tvabrscheinlichen großen Ucberschüsse aus den Tages spesen, seinen Ansprüclxm wohl genügt. Aber hier genügte er den Ansprüchen nicht, die man an ibn stellte. Wenn er auf die Frage nach seiner bisherigen Stellung bekannte, daß er noch gar nicht kausmänniscb tätig gewesen sei und auch keinerlei kaufmännische Ausbildung genossen habe, 'o wurde ihm achselzuckend bedeutet, daß er dann einer derartigen Stellung dock, kaum getvachieu jein dürfte.
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