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88. Jahrgang. Ar 299. Mittwoch. 29. Oktober 1913. Bezug«-Gebühr »leiiellidrl. lüe Dre». »en de! mgNch ,w»t- mall.rr ,Zu>ia»un> <». Ex»»- und Montagen nue einmal» L.llv M, doi<I>,u.n>t>rl>g«Xoni. milnondee di» li.lii» M. Bei einmaliger Z». IleUung durtl» di« Paft !iM.<vh»e«eIieiige>d>. N u » I a n d Ok>ler< reich-Ungarn Nr-, Tchwetj d.«!> Fel»., Jiaiie» 7,17 Lire. — Nachdruck nur mit deutlicher Quallen- angad» «„Dre.dner Nachr."»z»Wlg. Un- »eriangie Nlanuskrivi« »eid.nichlauldtunchrl. Telegramm-Adresse: Nachrichten Dresden. Samnielmcmmer für fämtl. Telephonanschlüsse: 25 241. Nachtanschlust: 1t. Druck und Verlag von kiepsch dc Reichardt in Dresden. üagrünck.i I»S2 »1. Sruno KLZrsLM b I* St Ul 1 HFL LZ Ik s l Imüm-Ü.. ssWMVk !ll?liö ri vtlriliii-t.. tainüelliillitl iiiiil kiMMUs. wusle. Katalog bitla vn riangn Anzeigen-rarif. Annahme von Ankün- dtfluiigen d»» nachm !l Uhr. Lonnlasfv nur Marteniliabe nun 11 bi» '/»! UI,r Di, einilialtiqe Zeile <ctwa tt Ltlbenl :io P> . dt, zwktivaltige ^eile aui 4,Llskite 7V Pf., dl, zuicijplilt. Neklamtieile Udo M.. Kamillen Nachrichten nur. Tre»» dc« die cinjpalt. Zeile '2.'. Pf — Zn Nun,, mern nach Sonn und Feiertagen crhühier Darif. — Auswärtige Austrüge nur gegen Boraur>dezahiung. — Jede»Bel,gbl2tl10Pf. au-tgeschSfrsstelle: Marceiistraste :i8 4ü. eisige Leser?. Mutinastliche Witterung: Wechselnde Bewölkung, mild, kein erheblicher Niederschlag. Der König svlgt am 8. November einer Einladung dcS Kaisers zur -Hossagd in K ü n i g s iv u st c r h a u s e n. Der Kaiser trifft dem Vernehmen nach heute zum Besuche des Prinzenpaares E r u st Augu st in Nathc - n o w ein. Die Einweihung des K a i s e r - W i l h c l in - In st i t u t s für experimentelle Therapie wurde gestern in Dahle m durch den Kaiser vollzogen. Die Erledigung der bäurischen Königsfragc und die B e c n d i g ii n g der Regentschaft ist für Ende nächster Woche zu erwarten. Dir nächstc Sitzung des Reichstags ist ans den 25. November einbcruscn worden. Die Ressoriberatungen über den Reichsetat sind so weit gediehen, dast man ihren Abschluss noch im Laufe dieses Monats erwarten kann. Die I-l e i s ch c n a u c t c k o m m i s s i o n trat gestern unter dem Vorsitze des Staatssekretärs Delbrück zu der Schlnstsitz u n g zusammen. Der mecklenburgische Landtag lehnte die Berfa ssnngsvortagc mit SM gegen ISS Stimmen ab. Die italienischen Wahlen brachten eine Nie derlage der republikanischen Partei: bis Montag abend waren 4 3 6 Ergebnisse bekannt. Der türkische M i n i st e r r a t nahm die Vortage über die Neuorganisation der deutschen Militär - Re form-Mission an. Ae Privilegien der Reichstags- Abgeordneten wädrendderBertagung. Zu dem in der llebcrschrift benannten Kapitel wird uns aus parlamentarischen Kreisen geschrieben: Es ist jüngst von nationalliberaler Seite als eine Unsreniidlichkeit des Reichskanzlers gegen den Reichstag bezeichnet worden, dost er den Wunsch nach Ausdehnung der freien Fahrt der Abgeordneten auf den Bahnen nicht längst erfüllt habe. Wir bedauern umgekehrt, das, der Reichskanzler nicht schon dieses Verlangen abgelehnt hat. Denn die verlangte Mastnahme ist nicht so harmlos, wie sic ausstcbt. Die deutsche Nelchsvcrfassung stand auf dem Grundsatz der reinen Ehrcnamtlichkcit des Reichstagsmandats: die UnentgMlichkeit des Mandats sollte zugleich ein Gegen gewicht gegen das demokratische Wahlrecht sein. Lediglich um dem Abgeordneten den Verkehr mit der Heimat zu er leichtern, wurde ihm eine Freikarte für die Bahnen ge geben, die dann auch auf die Strecke von Berlin nach dem Wohnort beschränkt wurde. Als im Reichstag Diäten gewünscht wurden, verhielt sich die ReichSregierling zuerst ablehnend: der Staatssekretär Graf Posadowskn erklärte damals einmal, dann müsste der Reichstag eine Kompen sation bewilligen, wie Heraufsctzung des Alters für die Wahlberechtigung. Unter dem Fürsten Bülow wurde jedoch ohne jede Kompensation die Verfassung geändert und das Diätcngcsetz verabschiedet: dabei wurde zugleich die Frei- fghrlarte ,nif ganz Deutschland ausgedehnt. Die Gültig keit der Freifahrkarte erstreckt sich jedoch nur auf die Sessionödgucr. Der Gedanke hierbei war, cs solle dem Abgeordneten, solange er sein Mandat tatsächlich aus übt, solange der Reichstag versammelt ist, eine gewisse Beweglichkeit im Reich gesichert sein. Die F-reifahrkarte bezieht sich sonach noch immer auf die parla mentarische Tätigkeit des Abgeordneten. Es war nun wohl blost ein Versehen, dast die Fassung des Gesetzes nicht deutlich zum Ausdruck brachte, die Frci- sahrt fallt selbstverständlich auch weg, wenn der Reichstag durch kaiserliche Verordnung vertagt ist, also in dieser Zeit gar nicht sich versammeln kann. Eine solche Vertagung hat einzig und allein den Zweck, die bisherigen Kom- mtssionsarbciten nicht zu verlieren. Würde bestimmt werden, dast der Reichstag mit Zustimmung dcS Bundes rats beschltestcn kann, dast hinsichtlich dieser oder jener Vor lage die bisher geleistete Arbeit auch für die nächste Session gelten und die bisherige Kommission fortbcstchcn soll, so bestände überhaupt kein sachliches Bedürfnis für eine Ver tagung. Das Hütte aber noch einen ganz anderen Vorteil. Durch die Fiktion, wonach der Reichstag während der Vertagung, obwohl er sich nicht versammeln dars, doch als versammelt gilt, wird der sachlich ganz unberechtigte Zustand geschaffen, dast auch die Strafverfahren gegen die Ab geordneten in dieser parlamcntssreicn Zeit nicht fort gesetzt werden können und Beamte, die Abgeordnete sind, obwohl das Parlament sic gar nicht behindert, doch keinen Dienst zu Inn brauchen, trotzdem aber den Ge halt wciterbczichcn. Ticscr Znsiand ist unerfreulich, und unter ihm leidet auch das Ansehen deS Parlaments in den Angcn der Gebildeten. Es ist sonderbar, wie der demokratische Reichstag, der gegen Ans-nalnncgesetzc jeder Art Stellung nimmt, für sich selbst Ausnahmebestimmungen schasst und diese noch zu mehren sucht. ES grenzt geradezu an Nechtsvcrweigernng, dast heute ein Deutscher, der von einem Abgeordneten schwer beleidigt morden ist, eine Sühne dafür mehrere Jahre lang nicht er reichen kann, wett der Reichstag in mistverständlicher Auf fassung des Begrisss „Immunität", der doch nur besagt, dast ohne Genehmigung des Reichstags kein Abgeordneter während der ScssionSdaner strafrechtlich verfolgt werden kann, diese Gcnel.inignng grundsätzlich stets verweigert. Nicht ein einziger der Männer, die an der Schaffung der Reichsversafsivig beteiligt waren, hat sicher daran gedacht, das, eine strafrechtliche Verfolgung auch während der gewöhn lich halbfährlsten Sommerpause dcS Reichstags nicht zn- gclassen werbe, blost weil diese Pause sich „Vertagung" nennt. Nach gewöhnlich zwei bis drei Jahren, wenn der Reichstag mal geschlossen wird, wird eine solche Beleidigung endlich gesühnt: bis dahin können Beweise verloren gegangen und sonstige nachteilige Aenderungen für die Verletzten eingetreten sein. Tas ist eine sachlich völlig unberechtigte Beeinträch tigung der Rechtsgleichheit, eine Kränkung der Rechte deut scher Staatsbürger. Und dann die B e a m t c n m a n d a t a r c! ES ist nicht zu billigen, wenn Beamte, die Abgeordnete sind und schon den Vorzug haben, ihren Gehalt sortzubcziehcn, während sic im Parlament arbeiten, die formale Tatsache, dast die mehr- moiiailichc Rcichstagspausc nur „Vertagung" genannt wird, sich zunutze machen und unter Berufung daraus, dast der ver tagte Reichstag doch als versammelt „gilt", auch im Sommer keine» Dienst tun. Wenn Abgeordnete, wie es vorgekommen sein soll, eine lange Reihe von Jahren keinen Dienst getan haben, so sind das doch in Wirklichkeit nur vom Staat be sonders bezahlte, privilegierte Abgeordnete. Jetzt soll nun ein weiteres Privilegium für die Ab geordneten geschaffen werde» durch die Ausdehnung der Freifahrkartc ans die ganze Legislatur periode. Die Freifahrt soll losgelöst werden von der parlamentarischen Tätigkeit des Abgeordneten und auch für den Abgeordneten als Privatmann gelten. Denn ansterhalb des Reichstags ist der Abgeordnete, wie der be kannte Staatsrechtslehrer Arndt jüngst ausgcführt hat, nur Privatmann. Es wird also in Wirklichkeit eine Auf besserung der wirtschaftlichen Lage der Abgeordneten ansterhalb ihres parlamentarischen Berufs erstrebt, was, nebenbei gesagt, nur ans Kosten der übrigen Staatsbürger erfolgen kann. Auch dieses Streben scheint uns nicht im Inter esse dcS Ansehens des Reichstags zn liegen. Will man cs aber damit rechtfertigen, der Abgeordnete müsse auch ansterbalb deS Reichstags überall nach dem Rechten sehen und alles kontrollieren können, so erhält die erstrebte Mastnahme den Charakter eines weiteren Schrittes auf der abschüssigen Bah» der Demokratisierung aller Verhältnisse. Denn eine solche Aufgabe hat der Abgeordnete nach der Verfassung nicht: unser Reichstag ist noch kein Konvent. Auch hat das Reich wahrlich kein Interesse daran, den bcrnssmüstigen Agitatoren für ihre doch zum Teil recht anfbetzeiiden und Unheil stiftenden Reden auf ihren Agitationörciscn freie Fahrt auch noch ansterhalb der ParlamentStagnng zu be willigen. Man möchte daher wünschen, dast der Reichskanzler fest bleibt und den Wunsch ablehnt. Wenn die Liberalen darauf Hinweisen, dast bei solcher Acndcrung das Ver langen nach einer Vertagung des Reichstags weniger hcr- vvrtrctcn würde, ein Hinweis, der für den Reichstag nicht schmeichelhaft ist, so mutz dem dadurch abgeholfen werden, dast jene Fiktion, als wenn der Reichstag im Sommer während der Vertagung „versammelt" sei, beseitigt wird und die Frcifabrkartc auch für die Zeit ihre Gültigkeit verliert, wo der Reichstag durch kaiserliche Verordnung vertagt ist. Dann ist eine solche Versuchung, die Vertagung zu verlangen, nicht mehr vorhanden: dann gilt vielmehr , die Frcisahrkarte in Wirklichkeit dem Sinne ihrer Einfüh rung gemäst nur für die Ausübung des parlamentarischen Berufs. Sollte aber wider Erwarten der Reichskanzler sich nicht ablehnend verhalten, so möge er wenigstens eine Kom pensation dahin verlangen, dast der Reichstag, solange er durch kaiserliche Verordnung vertagt ist. im übrigen nicht als „versammelt gilt", so dast dann die von uns ge schilderten unerfreulichen Zustände wegsallcn. Eine vor- bclmltlvsc Bewilligung jenes Wunsches wäre ein bedenk licher Fehler. Sie italienischen Parlamentswahlen sind so gut wie abgeschlossen und lassen bei der völligen tliiivnhrschcivlichkeit von Ueberraschungen, welche die noch ausstehenden Ergebnisse und die Stichwahlen bringen tönnten, bereits jetzt ein Urteil zu. Man wird darnach, rein ünstcrlich und zahlenmästig betrachtet, von einem ganz leichten Zuge nach links sprechen dürfen, der namentlich in einem geringen Machtzuwachs der Sozialisten in die Er scheinung tritt, zu dessen richtiger Bewertung aber der Um stand nicht vergessen werden dars, dast diesmal auf Grund des neuen Wahlgesetzes über fünf Millionen Wähler mehr als sonst an die Urne getreten sind. Wenn trotz dieser demokratischen Erweiterung des Wahlrechtes alle die Rich- tungeis, die in Italien unter dem Zepter der Linken ver. einigt sind, keine entschiedene Wendung zu ihren Gunsten zu erzielen vermochten, so ist das ein Beweis dafür, das; die öffentliche Meinung des Vereinigten Königreichs auch fernerhin keine Neigung verspürt, sich in den Bann radi kaler und sozialrcvolutionärer Phrasen schlagen zu taffen, sondern dast der Kern der Bevölkerung mit den unter dem Ministerium Giolitti erzielten inneren und änsteren Er folgen zufrieden ist und auf dieser Bahn fortzuschreiten wünscht. Das italienische Parlament erhält seinen Charakter nicht, wie bei uns und in anderen Staaten, durch ver schiedene, grundsätzlich mehr oder weniger getrennte Par teien, aus denen sich Mehrheiten und Minderheiten nach prinzipiellen Auffassungen bilden, sondern es entscheidet dort für die Mehrheitsgestaltung das Verhältnis der ein zelnen Grnppcn zum jeweiligen Ministerium. So kommt cs, dast der italienische Parlamentarismus der -Hauptsache nach von dem Gegensatz zwischen Ministeriellen und A n t i m i n i st c r i e l l e n beherrscht wird, und dast vor dieser einen Unterscheidung alle parteipolitischen Gegensätze, wie wir sic kennen und gewohnt sind, in den Hintergrund treten. Parteien in unserem Sinne sind nur die Sozia listen und die neuerdings jeder Bedeutung entkleideten Republikaner. Im übrigen gibt es aber nur eine in den parteipolitischen Schattierungen nirgends scharf unter schiedene Masse von Ministeriellen und Antiministeriellen: auch die sogenannten Radikalen sind in zwei Gruppen ge spalten, die sich nicht etwa irgendwie grundsätzlich unter scheiden, sondern deren eine die Bezeichnung „ministerielle Radikale" führt, während die andere Wert daraus trat, sich „antiministericll" zu nennen. Die groste ministerielle Mehr beit schillert in ibrer Gesamtsarbc liberal, vereinigt aber in sich alles Mögliche, streng Konservative, gcmästigt Konserva tive, Liberale im engeren Sinne, Radikale und Klerikale. Da nun die Ministeriellen sich gut bebanvtet haben, so ist für Giolitti kein Grund vorhanden, die Geschäfte an einen Nachfolger abzngeben. In der Hand GiolittiS werden auch die Geschicke des »ns befreundeten und verbündeten Staates nach wie vor am besten ansgcboben sein. Der jetzige Kabincttschcf bat wirklich Grostes für die innere und änstere Entwicklung Italiens aeleistet. von der Wahlreiorm an bis zn der Einführung des staatlichen Monopols inr die Lebens versicherung und bis zn der Eroberung Libyens. Er hat im Innern den Grund zu der kulturellen und sozialen Hebung deS Landes gelegt und durch die Befestigung der änsteren Machtstellung des Königreichs dem italienischen Namen Ruhm und Ehre erworben. In solchem Geiste weiter zu arbeiten, erfordert die allgemeine Wohlfahrt ans das dringendste, und die italienischen Patrioten werden nur ihre reife Einsicht beweisen, wenn sie auch ferner eine Negierung unterstützen, die sich nicht von grauen Theorien umnebeln lästt, sondern in kluger und besonnener Real politik daö Gute da nimmt, wo sic es findet, und in ibree gesamten Gebarung dem Wöhle des Staates und der All gemeinheit zn dienen beflissen ist. Völlig ziisammcngebrochen sind bei den Wahlen die Republikaner, die mit ihren Deklamationen a In Brutus nirgcndsmcyr Eindruck machen, nachdem die Er eignisse selbst die Verteidigung der Monarchie in die Hand genommen und den stetigen Aufschwung des Landes unter der herrschenden Dunastic erwiesen haben. In diesem Fiasiv der republikanischen Bewegung in Italien ist zugleich ein schicksglsvvllcr Fingerzeig für die Franzosen enthalte», die sich bisher mit der Hoffnung trugen, sowohl Italien, als auch St>anic» einmal in Republiken verwandelt zu sehen, »m dann einen „Dreibund der lateinischen Schwester- rcpnblikcn" z» begründen, natürlich mit antideutscher Spitze im Sinne der Tripelcntentc. wodurch die Ednardschc Bünd nis- und Isolicriingspvlitik gegenüber Deutschland ihre Krönung erfahren würde. Die französische Rechnung stimmte aber an zwei wesentlichen Punkten nicht: in Spanien sind die Republikaner des langen, fruchtlosen -Haders müde geworden »nd stehen im Begriff, ihre Anschan.