Der Zeichen- und K.unftunterricht. 65 Die Verfuche in der figuralen Malerei nach kunftgemäfser Weife erhoben fich nicht viel über die Fabricate der Dilettanten. Rufsland. Auch in der ruffifchen Induftrie ift gegenwärtig das Formenwefen in einer bedeutfamen Umwälzung begriffen. Es durchkreuzen fich zwar noch die ver- fchiedenlten Elemente und machen das Gefammtbild nichts weniger als ein heitlich ; aber bei näherer Beobachtung ift wahrzunehmen, wie fich nach und nach eine Sonderung der Stile vollzieht und eine Klärung in Bezug auf Principien ftattfindet. Wer bei der letzten Parifer Ausftellung noch zweifeln mochte, ob die alte flavifche Ornamentik in der Induftrie wieder erneuert und eingeführt werden könne, mufste bei der Wiener Expofition im Angefichte der ruffifchen Gold* fchmiede- und Webearbeiten anerkennen, dafs diefer Stil durch die Pflege von Seite der Kunftwiffenfchaft fogar eine bedeutende Zukunft vor fich hat. Die Anftrengungen, welche vorzugsweife in Moskau und Petersburg gemacht werden, die durch den franzöfifchen Einflufs verdrängten nationalen Formen wieder zur Geltung zu bringen, find bisher von den beften Erfolgen begleitet. Wir wollen es dahingeftellt fein laden, wie viel Byzantinifehes undGriechi- fches neben eigentlich Ruffifchem in diefem nationalen Stil ift — darum kümmert fich ja Rufsland felbft nicht weiter; man nimmt, was den Slaven vor etwa 400 bis 500 Jahren eigenthümlich war und wendet es im modernen Geifte an; das Originelle intereffirt und ift des Beifalls von Seite des Publicums immer ficher. Durch das wiflenfchaftliehe Vorgehen in dem Erneuern diefer alten Kunft wurde für fie befonders in der Goldfehmiederei wieder eine ganz fefte Bafis gegründet. Der Stil führt nicht fo entwicklungsreiche Elemente in fich, um vielleicht eine Weltverbreitung zu finden; er wird ruffifch bleiben, und find die fremden, meift veralteten franzöfifchen Formen in Rufsland einmal gänzlich befeitigt, fo hat feine Induftrie dadurch in der That wieder einen nationalen Charakter gewonnen und wird durch ihre Originalität gefucht und gefchätzt werden. Die Ausftellung illuftrirte diefe Beftrebungen in der intereflanteften Weife und war es zu bedauern, dafs durch die oft genug gerügte Zerftückelung das Gefammtbild auch hier total zerriffen wurde, und nurmühfelig von den entlegenften Punkten zufammengetragen werden konnte, was in fyftematifeher Reihenfolge fich vor den Augen des Befchauers entwickeln follte. — So hatte die „Societ£ d’encouragement des arts“ zu St. Petersburg in der Hauptgallerie, das Kunft- und Induftriemufeum mit der damit im Contadl flehenden Zeichenfchule „Stroganoff“, zum Theil im nörd lichen Pavillon der „amateurs“. zum Theil aber in der nördlichen Quergallerie des Induftriepalaftes ausgeftellt; die intereflanteften Induftrie-Erzeugnifle waren wieder dem internationalen Markt in der Rotunde zugetheilt, fo dafs es trotz der gewiffenhafteften Forfchungen nicht unmöglich fein kann gerade wichtige Dinge überfehen zu haben. Wir ziehen zuerft die Kunftfchule „Stroganoff“ zu Moskau in Betracht, da fie die Ausftellung am reichften befchickte und nach allen Richtungen ein deut liches Bild ihrer Thätigkeit entrollte. In zahlreichen Portefeuills und grofsen Wandtableaux war der fyftematifche Lehrgang der vorbereitenden und der Fachclaffen dargeftellt. Neben diefen Arbeden, auf die wir weiter unten noch näher zu fprechen kommen, lagen auch die Handbücher und Vorlagewerke auf, welche von dem Inftitute für die Zwecke des Unterrichtes herausgegeben wurden. Diefelben verfolgen den gewöhnlichen Lehrgang bis zu den fchattirten Ornamenten, welche aber fchon vorwiegend in byzantinifchen und altruffifchen Formen auftreten. Auch für den Linear-Zeichen- unterricht waren zweckmäfsige Lehrmittel vorhanden. Für die weitere Ausbildung der Schüler forgt dann die reiche Sammlung des Induftriemufeums, welches feit 1868 eröffnet, die Entwicklung der Schule befonders in Hinficht der nationalen Kunftbeftrebungen fördert. 5*