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Chemische Industrien. 335 der neu angefaclite Speculationsgeist. befruchtete auch die chemische Industrie und in den Neuenglandstaaten (Massachusetts, Rhode-Island, Connecticut, Newhampshire, ^ er- mont und Maine), sowie und hauptsächlich in den aus niederländischer Kolonisation hervorgegangenen Staaten New-York und New-Jersey und aus Pennsylvanien sehen wir unter dem Banner des Protectionszolles und durch natürliche Factorcn begünstigt, eine blühende chemische Industrie sich entfalten, die in vielen Fällen die Einfuhr europäischer Producte bereits überflüssig gemacht hat. Die amerikanische Industrie, von Europa bis zur Centennial-Ausstellung in vielen Kreisen gewaltig unterschätzt, wird mit der Zunahme der Bevölkerung noch grossartiger sich entwickeln und mit der Zeit der europäischen Industrie, deren Producte sie hier und da vom heimischen Markte schon verdrängt, eine höchst bedenkliche Concurrenz bereiten. So weit meine Erkundigungen auf sicherer Basis ruhen, ist die chemische Industrie nur in den östlichen Staaten bis zum Mississippi (St. Louis, Chicago, Cincinnati, Cleveland) von Belang, in Virginien, Carolina und Louisiana, überhaupt in allen Staaten, welche Baumwolle, Zuckerrohr, Reis und Tabak bauen, ist die Bevölkerung hinsichtlich des Bezuges der unentbehrlichen Chemiealien aut die mercantilen Städte an der Chesapeake-Bay, am Potomak, East-River und Hudson angewiesen. Auch die Staaten der Mitte und des Nordens — Kentucky, Ohio, Illinois — haben nur eine spärliche chemische Industrie und produciren nur wenige Producte, darunter allerdings einige von hervorragender Bedeutung (z. B. Ohio alles Brom). Gegen den W esten zu nimmt die chemische Production in dem Maasse ab, als die metallurgischen Gewerbe zunehmen, und nur isolirt finden sich chemische Fabriken in Utah und rohe Gewinnungsmethoden von Borax und Schwefel in Nevada und in Califomien. Jedoch soll in den Pacific- staaten, namentlich in San Francisco, die chemische Industrie allmählig sich einbürgein und kleine Artikel heute schon nach Japan und China exportiren. Bemerkenswerth ist die Ueberhandnahme der billigen chinesischen Arbeiter in den Fabriken im Westen der Union und deren langsames, aber stetiges Vordringen nach dem Osten des Trans- continents. Es sei zugleich auf die natürlichen Schätze an Alkalien in den noch uncultivirten Staaten Dakota, Arizona, Montana etc. hingewiesen, welche in Hülle und Fülle Rohstoffe zu ausgedehnten chemischen Industrien abgelagert enthalten. Alles in Allem genommen, ist der chemischen Grossindustrie zunächst in den Ost staaten ein überaus günstiges Prognostikon zu stellen, und in einem Vierteljahrhundert vielleicht wird sie ganz auf eigenen Füssen stehen und von Europa völlig emancipirt sein. In der feineren chemischen Production — es sei hier an die wissenschaftlichen Präparate und an die von Tlieer abgeleiteten Farbstoffe gedacht — wird dagegen Amerika auf lange Zeit hin von Europa noch abhängig bleiben. W r eiche Werthe die Producte der chemischen Industrie der Vereinigten Staaten repräsentiren, lässt sich kaum in brauchbaren Zahlen ausdrücken, da bekanntlich in Amerika Chemie mit Pharmacie, Parfümerie und Kosmetik in unlösbarer Weise verquickt ist. Die in den chemischen Fabriken der Oststädte der Union befolgten chemischen Processe sind von denen der europäischen Schwesteranstalten nicht verschieden, doch sind zahlreiche Methoden und Apparate verbesserter Art, die in Deutschland seit Jahr und Tag eingeführt sind, jenseits des Oceans häufig noch unbekannt. Die Verwertliung der Rohstoffe gescliieht im Allgemeinen nicht mit der minutiösen Sorgfalt, welche den deutschen Fabrikbetrieb charakterisirt, und vollends die Regeneration des Rohmaterials