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wird ja in nur Einer Wache viele Tausend Kannenweise zur Stadt gebracht —, so freuten sich gewiß viele Hausfrauen der erlassenen Bekanntmachung: Vom l. Juli d. I-an darf sich beim Verkaufe der Milch Niemand mehr unge- aichtcnMaaßes bedienen! Ob diese Verordnung, wie sol ches in der Regel geschieht, kurz vor dem sie in Kraft sehenden Termine noch einmal in Erinnerung gebracht, kann sich Ein sender nicht entsinnen; ob aber von Alle», welche auf dem Markte, auf den Straßen der Stadt, wie in den zablreichen Milch gewölben diesen Lebensartikel verkaufen, jener gerechten Verord nung volle Genüge geleisiet wird? das dürfte der strengen (so streng, wie beim Bierausschänke!) und pnnktlichcn Untersu chung wohl werth sein; und würde dadurch erst diese Verordnung ibre wohlthätige Bedeutsamkeit erlangen, also darum wohl auch dieser Wink nicht ganz überflüssig sein! Nicht minder, nein, noch wichtiger ist aber d>c Ucberwacliuug dieses Artikels hinsichtlich seiner Qu alität, dieweil wohl kein Nahrungsmittel mehr und häufiger verfälscht wird, als gerade dieses. Es gäbe gewiß ein sehr interessantes Erempcl, zu berechnen, wie viel Wasser jähr lich unsre Hausfrauen als Milch bezahlen müssen! — Ist doch dem Einsender vom Inhaber eines lebhaften Milchgcwölbes selbst erzählt worden; daß selbiger einmal von Einem seiner Lieferan ten derartige Milch bekommen, daß, wenn er solche einem Blin den zu trinken gegeben, dieser ganz gewiß gesagt hätte, es sei Wasser; während ein anderes Mal, als derselbe noth gedrun gen eine Post Milch von einer Milchhändlcrin aus dem Markte entnommen. diese in den Gefäßen einen stärkeartigen (denn dick muß sie sich ausgießen!) Bodensatz abgcsctzt habe. Gelegen heit. zu sehen, wie namentlich die Milchmägdc die von ihnen zu verkaufende oder abzulicfernde Milch an den Milchtrögcn der Stadt untersuchen (?), giebt's oft, wer nur Lust und Zeit zum Aufpassen hat (Von einer Milchmagd war dazu auch einmal nach einem Regen die Weißcritz benutzt worden, um die Milch schön gelb zu bringen; war aber zu schön geworden und der Bodensatz wurde Verräther.) Wenn nun unlängst die Zeitungen berichteten, daß diese Milch-Contrvlc mit unnach sichtlicher Strenge in Paris geübt werde; so würde sich durch gleiche Strenge auch unsre Wohlfahrts-Polizei den D>nk vieler, vieler Hausfrauen sichern; zumal wenn die Namen Derjenigen, welche sich solchen Betrugs schuldig machen (sei es nun auf offnem Markte oder im geschlossnen Milchgcwölbe) znr Warnung für die Käufer öffent lich bekannt gemacht würden; denn sicher müßte hier, wie in ähnlichen derartigen Fällen, die „Oesfentlichkcit und Mündlichkeit" von Nutzen und Frommen für Tausende — insbesondere für die armen Säuglinge — sein. ?islol. Königliches Hoftheater. Donnerstag, den 6. Nov.; Clavigo, Trauerspiel in 5 Acten von Göthe. „Clavigo" ist bekanntlich eine Jugendarbeit Göthe's, die er während seines Aufenthalts am Kreiskammergericht zu Wetzlar binnen vier Wochen vollendet hat. Sogleich bei seinem Erschei nen machte sie auf den deutschen Theatern großes Glück und er hält sich noch heute in aller Frische der Jugend. Gleichwohl sind die Ansichten über dieses Stück sehr getheilt. Der biedere Merk, der persönlich intimste Freund Göthe's, nannte es eine Abirrung vom Wege der rechten Mitte, eine spätere kritische Schule ging in ihrem Eifer so weit, es krankhaft und nerven schwächend zu nennen, während Ludwig Ti eck, der große Ae- sthetiker und Kenner der dramatischen Literatur, es in Bezug auf theatralische Wirkung allen übrigen Werken Göthe's vorzieht. In der That erregt kein Bühnenstück durch eine gleiche Einfach heit ein so hohes Interesse. Trotzdem alle Handlung und alle Characterzeichnung aus dem nächsten uns umgebenden Leben genommen ist, ergreift und erschüttert diese Seelenmalerei auf das überraschendste. Carlos, eine der allerschwersten Rollen, die sich darbieten, gehört zu den bewunderungswürdigsten Leistungen des Herrn Dawison. Dieser geistreiche Schauspieler scheint recht wohl zu wissen, daß Carlos nicht schlechthin in die Kläffe der sogenannten Jntriguants oder gar unter die Bösewichter ge hört, in deren Darstellung er hier und in ganz Deutschland so viele Bewunderer findet. Er hat diesen anziehend beredsamen, klug sinnigen, den praktischen Menschenverstand gegenüber dem Schwan ken des schwachen Clavigo rcpräsentirenden Charakter auf das sorgfältigste studirt und stellt ihn auf der Bühne mit einer so geistvollen Conscquenz, einer ebenso vornehmen und feinen als natürlichen und ruhigen Haltung dar, läßt dabei seine Dialektik mit einer solch' ungezwungenen Leichtigkeit der Sprache spielen, daß Niemand seiner geistigen Auffassung wie seiner künstlerischen Darstellung die volle, reale Berechtigung absprechen kann. Der Beifall der Beschauer, der diesem Schauspieler stets gewiß ist, belohnte ihn auch heute. Den „Clavigo" spielte Hr. Liebe mit Gefühl und Verständniß, namentlich im 4. Acte, wo die Wan- kelmüthigkeit desselben ihren Höhepunkt erreicht, ganz exact. Im Allgemeinen aber bleibt noch der Wunsch zurück, daß der so flei ßige Künstler auch die tiefer liegenden Züge dieses Lharacters sichtbarer hervortreten und den gelehrten Archivar, den denkenden Schriftsteller, mehr durchleuchten lasse. Der Empfang im zweiten Act ist zu berzlich — ein spanischer Doctor wird hierbei gewiß die nationale Grandezza behaupten. Frau Baycr-Bürk giebt die unglückliche, in tödtlicher Qual zusammcnbrechende „Marie Beaumarchais" mit erschütternder Wahrheit, Herr Bürde den Bruder und Rächer derselben sehr lobcnswerth. Er bewahrte seiner Rolle die nöthige Noblesse bei aller Leidenschaftlichkeit bis zum Schluffe, namentlich trug er die Erzählung im zweiten Acte mit aller Kraft und Würde vor, die hier am Orte sind, um auf Clavigo wie auf den Zuschauer nachdrücklich einzuwirken. ^ Julius Schanz. Vermischtes * Ein sehr trauriges Ereigniß wird aus dem Bernischen Jura gemeldet. Der Lehrer eines Dorfes im Bezirk Delsberg war zu einem in der Gegend rcnommirten Arzt nach dem benach barten Kanton Solothurn gegangen und hatte denselben über seine Gesundheitszustände konsultirt. Nachdem er die ihm ver- ordnctcn Arzneimittel in Empfang genommen hatte, verlangte er noch für seine Kinder ein Mittel zur Vertreibung der Würmer. Er erhielt zwei Unzen eines weißen Pulvers, das dann von sei nen fünf Kindern eingenommen wurde; auch die Frau ver schluckte, um den Widerwillen der Kinder zu überwinden, eine Portion dieses Pulvers. Als einige Stunden später heftiges Erbrechen sich einstellte, wurde Meldung nach Delsberg gemacht m.d eine Portion des vermeintlichen Wurmpulvers mitgeschickt. Es stellte sich sofort heraus, daß die unglückliche Familie Arsenik erhalten hatte. Der Regierungs-Statthalter orderte unversäumt zwei Acrzte und einen Apotheker nach dem Dorfe ab. Die Mut ter und drei Kinder waren bereits unter gräßlichen Schmerzen erlegen, die beiden anderen Kinder kämpften unter herzzerreißen den Schmerzensäußerungen mit dem Tod. Der Arzt, der den unseligen Mißgriff that, behauptet verstanden zu haben, man ver lange ein Mittel zur Vertreibung der Natten, statt der Würmer. * Eine junge, liebenswürdige Frau, die anmuthige Gräfin Charles Fitzjames, welche auf ihrer Landwohnung zu Marly jüngst das Unglück hatte, auf ein Schwefelholz zu tre ten, das, sich unter ihr entzündend, ihre Robe in Flammen setzte, ist nach einunddreißigtägigen Leiden nun doch an den erhaltenen Brandwunden verschieden, nachdem man eine Zeit lang immer noch gehofft hatte, sie dem Leben und den Ihren erhalten zu können. Die Pariser vornehme Welt verliert an ihr eine rei zende und überall Glück machende Frauenerscheinung.