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Nr. 304 Neunter Jahrg. .t ..r Sonntag, ZV. Oetvr. 1864. Erscheint: Täglich früh 7 Uhr. Ittserale wrrdrn <mgrnl)MMtN7 l'i-Ubend»v,Tonn- rags bis Mittags 1L Uhr: Marienfiraße 18. Anzcig. in dics.Blaltc, da« jetzt in 10,000 Exemplaren erscheint, finden eine erfolgreiche Verbreitung. Monnem ml: Vierteljährlich 20 Ngr. bei unentgcldlichcr Lie ferung in'S Haus. Durch die König!. Post vierteljährlich 22 Ngr. Einzelne Nummern l Ngr. ^ ' Tageblatt für Unterhaltung und Geschäftsverkehr. Mitredacteur: Theodor Arabisch. Inseratenpreise: Für den Raum einer gespaltenen Zeile: 1 Ngr. Unter „Einge sandt" die Zeile L Ngr. Druck und Eigrnthum der Herausgeber: Mepsch H Nkichardt. — Verantwortlicher Redactrur: JultUS Reilhardt. Dre-den, dm 30. Oktober. '— Die Literaturvorträge, welche Herr Ur. Semler schon seit einigm Jahren währmd der Wintermonate über klassische englische und deutsche Dichterwerke gehaltm, werden binnen Kurzem beginnm. Herrn 1)r. Semler's Vorträge zeichnen sich besonders dadurch aus, als der von ihm behandelte Stoff dem Zuhörer in kurzer, eindringlicher Form vorgeführt wird und die darüber angestellten ästhetischen Erläuterungen wahre und schön durchdachte sind. Für den bevorstehenden, Anfang Novembers beginnenden Cyklus hat Herr I r. Semler im Ganzen sieben Vorträge gewählt, welche Gottfried von Straß- burgs Tristan und Isolde, Grimmelshausens Simplicissimus, Göthe's Werther's Leiden und Wilhelm Meister's Lehrjahre, Jmmermann's Oberhof und Göthe's und Schillers Gedichte behandeln werden. — 1- Investier Steckbriefserneuerung in der Nr. 301 des Dresdner Anzeigers hat sich ein komischer Druckfehler eingefunden. Der Cigarrenarbeiter Johann Gottlieb Max Büttner von hier wird wegen einer ihm zuerkannten Arbeits hausstrafe verfolgt. Das Signalement beginnt mit den Wor ten: „Alter: 27 Jahre; Statur: lang, 27 Zoll." Wie muß der aussehen! — Der Omnibus-Verein macht bekannt, daß vom 1. November an zwischen dem Pillnitzer- und Briesnitzerschlage statt bisher halbstündlich, künftig viertelstündlich gefahren werde und daß die Wagen am Tharandter Bahnhofe und Schloßplatze statt bisher zur halben und vollen Stunde, künf tig einviertel und dreiviertel abgehen, auf die Ankunft der Züge »aber zu warten haben. — Eine neue, recht zweck mäßige Einrichtung des Vereins ist die, daß um Verwechse lungen zu begegnen, die Schriftbilder und Abends die vor deren Wagenlaternen die verschiedenen sich durchkreuzenden Omnibuslinien durch je anders gehaltene Farben kennzeichnen. — Am vorgestrigen Tage feierte der durch seine schrift stellerische Thätigkeit, insbesondere durch seine Gedichte auch in weiteren Kreisen bekannte Lehrer Herr August Lansky das Jubiläum seiner 25jährigen öffentlichen Amtswirksamkeit, bei welcher Gelegenheit ihm von Seiten seiner Schülerinnen und deren Eltern, sowie von den sämmtlichen Lehrerkollegien der hiesigen Bürger- Bezirks- und Armenschulen, auch von auswärts sinnige Beweise der Dankbarkeit und der eollcgiali- schcn Zuneigung zu Theil wurde, wie denn der Jubilar durch das Vertrauen seiner Collcgen bereits seit dem Jahre 1848 dem Vorstande des Sächsischen Pestalozzivereins und als Ge schäftsführer dem Vorstande des Allgemeinen sächsischen Lehrer vereins angchört und seit 1849 die Hauptredaction der Säch sischen Schulzeitung sich in seinen Händen befindet. Die Abendstunden verlebte der geschätzte Mann im engeren Kreise seiner Freunde, die den Ehrentag durch besondere Gaben ebenfalls als einen Fest- und Freudentag auszeichneten. — An dem neuen Kreuzschulgcbäude am Dohnaplatze, welches bereits zum größten Theile (mit Schiefer) eingedeckt ist, sind vorgestern die Statuen von Luther und Melanchthon an gebracht worden. Sie stehen am vorder» obern Giebel unter Baldachins. — Bei dem vorgestrigen großen Wagenverkehr nach dem Patti-Concerte carombolirte ein die Bautznerstraße hinausfahrrnder Omnibus mit einer zweispünnigen Equipage dergestalt, daß der Kutscher der letzteren vom Bocke stürzte, die Räder abflogen und noch mehreres andere am Wagen zerbrach. Der Omnibus fuhr ruhig von dannen, es soll der Kutscher desselben aber in sofern außer Schuld sein, als ihm die Equipage auf der un gehörigen Fahrseite entgegenkam. — Vorgestern Abend nach 11 Uhr hörten mehrere in der Nähe der Marienbrücke aufhältliche Schiffer einen wieder holten Hülferuf. Sie erkannten in ihm die Stimme einer Frau, die voraussichtlich in der Elbe verunglückt war und sich augenblicklich in der Gefahr befand, zu ertrinken. Die Schiffer fuhren in einem Kahne sofort nach der Stelle hin, ron der aus der Ruf ertönte und fanden unterhalb der Ma rienbrücke eine Frau in der Elbe, die eben im Begriffe stand, unterzugehen. Sie zogen sie noch lebend aus dem Wasser und brachten sie hierauf in ihre Zille. Die Frau ist, wie sich hier alsbald hcrausstellte, die Gattin eines hiesigen Arztes. Sie leidet seit dem vor einiger Zeit erfolgtem Tode ihres jüngsten Kindes an Schwermuth. In diesem Zustande hat sie vorgestern Abend ihre Wohnung verlassen uud ist von der Marienbrücke herab in die Elbe gesprungen. Glücklicherweise hat sie dadurch gar keinen Schaden genommen; sie wurde noch m derselben Nacht in ihre Wohnung gebracht, und be fand sich bereits gestern außer aller Lebensgefahr. — — Am Ausgang» des Schlesischen Bahnhofs ist vor gestern der Wagenschieber Ulrich beim Wagenschieben verun glückt Er war mit einem Schooße seines Nockes an einem dortigen Gränzpfahle hängen geblieben, und dadurch von dem Wagen, an dem er sich angehalten, herabgerissen und über fahren worden. Das rechte Bein wurde ihm ganz zerfahren, so daß sich voraussichtlich dessen Amputation nöthig machen wird, das linke Bein ist ebenfalls nicht unbedeutend beschädigt. Man hat den Ulrich, der verheirathet ist, in das Militär hospital gebracht. — ' — Patti-Eoncert. Wer die Wagenburg vom 28. Oktober Abends auf dem Wege nach dem Lincke'schen Bade gesehen hat, oder vielleicht gar die Aufgabe zu lösen hatte, seinen Platz im Saale selbst durch eine makedonische Phalanx von stählernen Hindernissen (zu deutsch: Crinolinen) erst un entgeltlich zu erobern: der kann wahrlich nicht sagen, daß es uns hier in Dresden an Sinn für die Musik fehlte. Doch seien wir aufrichtig. Man würde in einem viel kleineren Saale bequemer haben sitzen können, hätte uns nicht eine Stimme im höher» amerikanischen Kammertone einigermaßen aus den herkömmlichen Schranken alter Gewohnheit aufge rüttelt, ich meine die Stimme des Impresario Herrn B. Ull- man. Für das Arrangement derartiger, größerer Virtuosen- Concerte muß er uns als der größte Künstler erscheinen. Warum? die andern Künstler lassen nur ihre Violine, ihr Cello, ihr Clavier oder höchstens ihre Kehle wunderbar er klingen; bei ihm ist es die Idee und ihre praktische Ausfüh rung, die goldnen Klang hat. Der Gedanke, namhafte Künst lergrößen zu geschäftlichen Concert-Unternehmungen umfassen derer Art zu vereinigen, ist der seinige und dieser erweist sich vom industriellen Standpunkte, d. h. von dem Standpunkte aus, der den meisten Künstlern fehlt, als völlig richtig. Als Unternehmer der Concerte enthebt er die Mitwirkenden aller kleinen Sorgen, verschafft ihnen dagegen einen ansehnlichen Gewinn und es ist lediglich seine Sache, durch Reklame für die rege Theilnahme des Publikums Sorge zu tragen. Und wie lief das Concert ab? werden viele unsrer geehrten Leser fragen. — Zur Befriedigung Aller. Die Namen von Künst lergrößen wie Henri Vieuxtemps, der länger als ein Vier tel-Jahrhundert überall bekannt und hochgeehrt ist, wo nur Violinen gespielt werden, oder Alfred Jaell, der, wie wir von 2 Jahren her wissen, das innerste Wesen eines Erard'schen Flügels mit seinen bloßen Fingern erklärt — schon diese bei den Namen bürgen für einen ungewöhnlich reichen Erfolg. An diese beiden Herren schließt sich der Celloist Herr Jules Steffens an. Der Ton, den er seinem Instrumente mit dem Bogen entlockt, ist durch und durch edel und an seiner Tech nik läßt sich vor Allem die Gewandtheit und große Sicher heit rühmend anerkennen; doch würde Herr Steffens wohl- gethan haben, ein besseres Concertstück zu wählen, als das von Gottermann. Ucker den eigenthümlichen Gesang des Fräulein Carlotta Patti läßt sich nach den in den Beilagen zu hiesigen Zeitungen bereits zur öffentlichen Kenntniß gelang ten kritischen Berichten eigentlich nicht viel mehr sagen. Man wird im Allgemeinen der vom Professor Bischof in Cöln mitgethcilten Beschreibung der besondern Merkmale dieser seltenen Stimme ohne Bedenken beitreten können. Im We sentlichen ist die Stimme des Fräulein Carlotta Patti als ein Phänomen zu betrachten, d. h. als ein Sopran von ganz ungewöhnlich seltener Höhe, Weichheit und Biegsamkeit, der zwar vorsichtig aber noch nicht in allen Lagen gründlich genug geschult .ist, in's Soubrcttenfach einschlagend, von mäßiger Stärke, in den Mitteltönen weniger voll als scharf, anfangs sogar, d. h. ehe sich die Stimme eingesungen hat, mit einiger beängstigenden nach dem Gaumen klingenden Einmischung be haftet. Dabei sind die Nüancirungen und Fiorituren der Sängerin in der untern Hälfte der 3 gestrichenen Oktave im höchsten Grade wunderbar. Die allerobersten Höhen in der Parthie der Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte würde sie z. B. spielend bewältigen und vielleicht noch einige Ver zierungen ganz oben drauf setzen können. Die Stimme des Fräulein Carlotta Patti ist trotz der Mängel der naturalisi- renden Coloratur gewiß von der Beschaffenheit, daß man sie bewundern, ja daß man sie anstaunen muß, besonders wenn sie mit der Raschheit ihrer Melodiensprünge und Staccato's einen schelmischen Ausdruck verbindet — aber aber — die seelenvollen Stimmen der Henriette Sonntag oder der Jenny Lind waren doch unbestritten in ihrer Art etwas weit Voll- kommnercs und Rechteres. — Das Acdompagnement zu den Solostücken hätte auch bester sein können. — Noch sei er wähnt, daß in diesem Concerte unter Andern auch eine In troduktion des bei uns lebenden beliebten Tonsetzers Schulhoff vorgetragen wurde. Armin Früh. — Am 13. Nov. wird allhier ein Fcuerwehrtag abge- haltcn werden, bei welchem sämmtliche Feuerwehren Sachsens, gleichviel ob communlichc oder freiwillige, durch Vertreter in Uniform betheiligt sein sollen. Es wird an diesem Tage die hiesige Turncrfeuerwehr eine Revue abhalten und damit eine Probeübung, womöglich an einem größern öffentlichen Hause verbinden. — Auf dem Palaisplatz fand man in der vorvergan« genen Nacht einen aufgebrochenen Verkaufsschrank und in dem selben noch mehrere Kämme, Bürsten und dergleichen andere Gegenstände. Der Schrank gehörte, wie sich später ergeben; in die Flur eines Hauses auf der Hauptstraße, von dort war er Abends zuvor gestohlen und nachträglich geplündert wor den. Der Dieb scheint aber an seinem Inhalt nicht gerade viel Freude gehabt zu haben, denn sonst würde er ihn wohl ganz entleert und nicht soviel Gegenstände in demselben zu rückgelassen haben, als sich darin wirklich noch vorfanden. Verschiedene Umstände scheinen übrigens dafür zu sprechen, daß der Dieb nicht sowohl diesen Schrank, als vielmehr einen anderen mit Schuhmacherwaaren gefüllten Schrank zu stehlen beabsichtigt, der neben dem elfteren in derselben Hausflur ge-, standen hat. Unstreitig würde er damit ein besseres Geschäft gemacht haben, als mit dem in seine Hand gefallenen Bürsten und Kämmen, für die er so leicht nicht einen Käufer gefun den hätte. — — Wochen-Repertoir des Königlichen Hof theaters. Dienstag: Cosi Isn lulle. — Mittwoch: Emilia Galotti. Appiani: Herr Emil Devrurit.— Donnerstag: Mar garethe. — Freitag: Die Waise au ',Lowood. Rochester: Herr Emil Devrient. — Sonnabend: Dis Dorfsängerinnen. — Sonntag: Z. E. Edda. Drama in 4 Acten, von Josef Weilen. — -f Oeffentliche Gerichtsverhandlung vom 28 Oktober. Es handelt sich heut um fünf Einspruchsverhand lungen gewöhnlicher Art, von denen vier sich auf Privatan klagesachen beziehen, nur eine betrifft einen Diebstahl. Zuerst finden wir ein Urtel des Gerichtsamts Nadeberg. Da hatte Hanne Eleonore verwittwete Standfuß zu Liegau die verehe lichte Johanne Christiane Schindler verklagt und zwar Wege» thätlicher Beleidigung und Körperverletzung. Es kommen da bei Mannöver mit einem Nachtgeschirr vor, die auf dem An gesicht der Klägerin in sehr schmerzhafter Weise ausgeführt sein sollen. Da die Sache nicht ganz in's Helle gesetzt war, so erkannte das Gerichtsamt Radeberg der Klägerin den Er füllungseid zu. Wenn die Standfuß ihn schwört, dann zahlt die Beklagte 10 Thaler Strafe, die Kosten und 1 Thaler Schmerzensgeld. Der gegen dieses Urtel erhobene Einspruch nützte nichts, der erste Bescheid wurde bestätigt aus „vorigen Gründen." — Die zweite Sache sollte in geheimer Sitzung abgeurtelt werden. Es betraf auch eine Privatanklagesache. Der hiesige Gerichtsrath Brachmann hatte den hiesigen Advo katen Carl Zumpc II. verklagt. Die Verhandlung wurde je doch vertagt. — Die Parteien der nächsten öffentlichen Sitzung sind Carl Moritz Rühle in Dresden und Emil Förster eben daselbst. Rühle ist Kläger, Förster Beklagter. Auch hier handelt es sich um thätliche Beleidigung. Die Scene, welche den Stoff zum Prozeß gegeben, spielt Anfangs in einer hie sigen Wirthschaft. Da soll ein Stuhl das eorpus ckelivli sein, mit dem der Eine auf den Andern losging. Emil Förster war nun wegen thätlicher Beleidigung vom hiesige» Gerichtsamt zu 5 Thaler Geldstrafe und Tragung der Kosten verurtheilt worden. Auch dieser Einspruch hatte nur den Erfolg, daß der erste Bescheid in Nichts geändert wurde. — Noch eine Privatanklage beschäftigt um 12 Uhr den Gerichts hof. Carl August Hosmann aus Neucoschütz hatte den Christian Gottlieb Schütze verklagt. Es kam wegen eines Knaben her. Die Sache ist kurz so: Der Sohn des Hofmann hatte mit dem Schütze ein kleines Rencontre gehabt und da soll er ihn etwas hinter den Ohren geknippen haben. Als der Junge dann sich heftig mit Worten vertheidigcn wollte, da soll Schütze ihn auch noch gehörig geschüttelt haben, so daß der Kleine krank wurde. So entstand der Conflict und der lange Prozeß. Das Urtel lautete für Schütze auf 4 Tage Gefängniß und Tragung der Kosten. Es wurde Einspruch erhoben, aber auch in diesem Falle „blieb es beim Alten." — Kommen wir zur letzten Sache. Da endlich erscheint Herr Staatsanwalt Heinze im Saale; denn es handelt sich um einen Diebstahl geringfügigster Art. Amalie Auguste Pauline Walther ist die Angeklagte, die des genannten Verbrechens wegen, das man eigentlich nur ein Vergehen nennen könnte, zu 2 Tagen Gefängniß und Tragung der Kosten verurtheilt worden war. Sie soll „Windeln" gestohlen haben auf einem Platze, wo auch eine andere Frau derartige Kinderwäsche aus gebreitet hatte. Da sollen sich die beiderseitigen Windeln ver mischt haben. Die Sache ist noch unklar und Herr Staats anwalt Heinze verlangte selbst die Vertagung der Sitzung, um neue Erörterungen anstellen zu können. Die Sache wurde daher vom Gerichtshöfe vertagt. TageSgefchichte. Dresden, am 29. Oct. In den alten Kalendern stand immer: „Gut Schröpfen", gut Aderlässen", „gut Haarverschnei den"; heutzutage steht immer „gut Reden halten" — und in den letzten Tagen „Bekenntnisse schöner Seelen". — Erst ha-